Deutsche Bibelgesellschaft

Islam als Thema christlich verantworteter Bildung

(erstellt: Februar 2016)

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1. Der Islam – ein Thema religiöser Bildung

Wenn im Folgenden vom Islam als Thema christlich verantworteter → Bildung gesprochen wird, will ein doppelter Fokus beachtet sein. Zum einen geht es um die Aneignung religionskundlichen Wissens, das sensibel für kulturelle und interreligiöse Besonderheiten ist. Damit werden Glaubenswahrheiten, Riten, gelebte Religiosität (→ Religion; → Religiosität, Jugendliche) im Alltag der Muslime zum Unterrichtsgegenstand. Der Islam prägt heute westliche Gesellschaften in vielfältiger Weise. Für religiöse Bildungsprozesse (→ Bildung, religiöse) stellen die direkten, aber auch medial vermittelten Erfahrungen von dem, was mit dem Islam konnotiert wird, wichtige Anknüpfungspunkt für die Auseinandersetzung mit dieser Religion im Allgemeinen und konkreten religiösen Riten und Lebensformen im Besonderen dar. Da → Erfahrungen immer auch emotional eingefärbt sind, bestimmt die Art und Weise, wie der Islam als Religion, wie Muslime und wie islamisch geprägte Lebensformen in einer Gesellschaft wahrgenommen werden, die Bereitschaft zur Begegnung und Auseinandersetzung.

Andererseits muss eine christlich verantwortete Bildung auch aus dem Zentrum der eigenen Theologie heraus danach fragen, inwiefern eine Auseinandersetzung mit der Religion des Islam aus theologischen Gründen sinnvoll ist. Rudolf Englert hat aufgezeigt, dass die Herausforderung einer eigenen religiösen Identität (→ Identität, religiöse) eines Rückgriffs auf spezifisch religiöse Traditionen bedarf (Englert, 2007, 84-95). Hier kann die Auseinandersetzung mit islamischen Positionen dazu verhelfen, sich des Propriums christlichen Glaubens, z.B. zur Frage nach → Jesus Christus oder dem Spezifischen christlicher → Anthropologie, bewusst zu werden und sich in einen sprachsensiblen Austausch einzuüben. Christlich verantwortet können solche religiösen Bildungsprozesse nur sein, wenn der Glaube der Muslime dabei nicht zu einem Mittel zum Zweck missbraucht wird. Dem kann begegnet werden, indem Lehrende bei der Planung und Durchführung von Bildungsprozessen, in denen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Religionen Islam und Christentum erarbeitet werden, darauf achten, dass die Ebenen des Vergleichs nicht beliebig gewechselt werden. Gelebte Religion in einem bestimmten Kulturkreis lässt sich nur bedingt mit theologischen Grundlagen der anderen Religion vergleichen. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, welche Vorerfahrungen und Vor-Urteile die Lernenden mitbringen. Werden diese sorgfältig wahrgenommen und für die religiösen Bildungsprozesse fruchtbar gemacht, kann ein Lernen an Differenzen (Scheidler, 2012, 372; Tautz, 2007, 68-77; Schambeck, 2012, 111-158), das je Eigene islamischer und christlicher Gottes- und Weltbeziehung deutlich machen und so ein eigenes begründetes Urteil fordern wie fördern.

Zu beachten ist, was Bernd Schröder in diesem Zusammenhang anmerkt: Der Islam werde im Religionsunterricht zwar als ein wichtiges Thema gewürdigt, aber nicht in vertiefender Weise und „vor allem auch nicht in seiner Vielfalt erschlossen, in der er in der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern in Deutschland anzutreffen ist“ (Schröder, 2010, 157). Christlich verantwortete Bildung, die sich dem Islam und den Muslimen im Sinne eines → interreligiösen Lernens zuwendet, geht daher über ein rein religionskundliches Sich-Informieren (→ Religionskunde) hinaus und bindet die Perspektive des Anderen aktiv mit ein, lässt sich von ihr herausfordern, ja in Frage stellen, um so zu eigenen begründeten Urteilen kommen zu können und/oder sich vertiefend in die eigene Glaubenstradition eindenken und einüben zu können. Daher werden im Folgenden in Kapitel 2 in gebotener Kürze theologische und lebensweltliche Akzente islamischen Glaubens vorgestellt und in Kapitel 3 didaktische Zugänge skizzenhaft aufgezeigt.

2. Der Islam – theologische und lebensweltliche Akzente

2.1. Der Eine und Einzige Gott

Der islamische Monotheismus prägt das ganze Leben der Muslime und bildet die Kernbotschaft der islamischen Offenbarung (zum Begriff der Offenbarung vgl. Ayoub, 2014, 100-102; Işık, 2015, 142-218).

In der islamischen Monotheismus-Vorstellung ist Gott als der Eine und Einzige Gott zu denken. Die Lehre des Eingottglaubens (tawḥīd) bekennt sowohl die reine Einheit Gottes als auch seine Unvergleichbarkeit mit etwas Anderem (Sure 42:11). Da Gott der ist, dem Nichts und Niemand ähnelt, können auch keine Abbildungen ihn im qualitativen Sinne festhalten. Das Bilderverbot Gottes ist in der Frühzeit des Islam zu verorten, in der Steinidole, Bildnisse und Ikonographien von Göttern angebetet wurden (zum Bilderverbot vgl. Seker, 2013, 119-134;141-143). Diese praktizierte Objektbeziehung sollte gemäß der koranischen Offenbarung grundsätzlich aufgehoben werden, d.h. die Gottesvorstellung sollte von verinnerlichten Objektbeziehungen (im Sinne einer Anbetung) und anthropomorphen Vorstellungen abstrahiert und abgelöst werden (Hawting, 2006, 377-379). So soll anstelle einer Projizierung von konkreten Bildern die Erfahrung einer göttlichen Gegenwart treten.

An einigen Stellen im Koran finden sich anthropomorphe Selbstbeschreibungen Gottes, z.B. wenn Gott von seinem Thron spricht (Sure 2:255), von seinen Händen (Sure 36:71) oder davon, dass Gott das Licht des Himmels und der Erde sei (Sure 24:35). Metaphern sowie Symbole eröffnen in ihrer Bedeutungsvielfalt – die letztendlich einer historischen Modifikation ausgesetzt ist und somit zur Entstehung einer reichen Bedeutungstradition führt –, unterschiedliche Vorstellungen und begründen damit das heterogene Sprechen über Gott. Die Metaphern dürfen aber nicht dahingehend missverstanden werden, als sei mit ihnen die Unvergleichbarkeit Gottes mit der Schöpfung aufgehoben. Der Versuch, Gott ontologisch zu fassen und vollständig zu beschreiben, bleibt mangelhaft sowie Spekulation, da Sprache stets unzureichend bleibt.

Gott wird in der islamisch systematischen Theologie als radikale → Transzendenz gedacht. So führte die Frage, wie das Handeln Gottes in der Welt bei absoluter Transzendenz Gottes zu denken sei, zu kontroversen Debatten in der islamischen Gelehrsamkeit. Charakteristisch für diesen theologischen Disput ist stets die Verhältnisbestimmung Gottes zu jenen Attributen gewesen, die ihm in der Kalāmwissenschaft (vergleichbar mit Systematischer Theologie) zugeschrieben worden sind. Unterschiedliche theologische Denkansätze, sei es unter Kalāmgelehrten wie auch unter Sufi-Meistern (Meister der islamischen Mystik), versuchten in Anbetracht von Attributen, wie Wissen, Macht, Wille, Leben, Hören, Reden und Sehen, Gott als Einheit zu denken und zu plausibilisieren (Tatari, 2014, 36-38). Die wohl wesentlichste Betonung des Koran über Gott ist die seiner Einzigkeit (Sure 112). Gott gleicht nichts aus seiner Schöpfung bzw. nichts in der Schöpfung ähnelt Gott. Während zu Beginn in der Offenbarung an Muḥammad die Ein- und Einsheit Gottes in apologetischer Manier den Polytheisten gegenüber akzentuiert wurde – worauf Sozialkritik und eschatologische Ankündigungen folgten – wird spätmekkanisch die Einzigkeit bestärkt.

2.2. Der Mensch als Gottes Geschöpf

Der Mensch ist Geschöpf Gottes und zeichnet sich durch die ihm vom Gott geschenkte Fähigkeit der Vernunft aus. Er unterscheidet sich von anderen Geschöpfen in seinem Gemeinschaftsbezug sowie in der gegenseitigen Verwiesenheit und Beziehungsfähigkeit, die in seiner Vernunftnatur begründet sind. Muslime begreifen Gott als Schöpfer (ḫāliq) und sich als Geschöpf (maḫlūq). Die Verbindung zwischen Schöpfer und Geschöpf ist unmittelbar, persönlich und bedarf keiner Mittlerperson (Khorchide, 2012, 85-108).

Der Mensch als Geschöpf wie auch die gute Schöpfung und alles in ihr ist ein Zeichen (ayā) von Gottes Schöpfermacht. Menschliche Geschöpflichkeit impliziert Demut angesichts der Herrlichkeit und Größe Gottes, die der Muslim tagtäglich im Ritualgebet durch die Sadschda (die Stirn, beide Handflächen, beide Knie und beide Fußspitzen berühren den Boden) demonstriert (Sure 31:15). Eng an die Vorstellung der Transzendenz, die zu einem Prinzip der Einsheit Gottes wird, markiert das Bestimmungsverhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf die Superiorität Gottes gegenüber seinem Geschöpf, denn Gott ist nicht gleich seiner Geschöpfe, sondern ungleich. Dabei kann der Mensch auf Gottes Zusage vertrauen, dass ihm Gottes Rechtleitung Orientierung geben wird. Der Grundstein islamischer Anthropologie basiert auf „der Ermutigung Gottes, dass der Mensch, so er seiner inneren Natur folgt (Sure 30:30), einen Weg zu Gott finden wird“ (Tatari/Renz, 2014, 151).

2.3. Orthopraxie – gelebter Glaube

Der geglaubte Glaube schließt unumgänglich den gelebten Glauben ein. Die religionspraktische Dimension der islamischen Glaubenslehre, die Orthopraxie, ist die natürliche Konsequenz aus der Zusage, sich in den Willen Gottes zu ergeben (was ebenso eine Wortbedeutung von Islam ist). In diesem Rahmen spielt der Prophet und Gesandte Muḥammad eine wesentliche Rolle. Als Offenbarungsempfänger und Erst- sowie Bestinterpret verkündet er das göttliche Wort und verleiht den Worten eine praktische Gestaltung, die als prophetische Sunna gefasst wird (Işık, 2015, 100-137). Der Begriff der Sunna umschreibt den vorbildlichen Weg des Propheten und Gesandten Muḥammad. Die damit verbundenen Koordinaten für die muslimische Lebensform und Lebensweise stellen nicht zuletzt in ritueller Hinsicht aus christlicher Sicht eine bleibende Herausforderung dar (Işık/Stosch, 2014, 146).

Im engeren Sinne schließt Orthopraxie den Vollzug und die Form jener göttlichen Worte ein, die im Leben und Handeln des Propheten Muḥammad exemplarisch als gelebter Glaube konkret werden. Orthopraxie umfasst die rituelle wie auch praktische Dimension des islamischen Glaubens (Sure 3:31) (ʿibādat). Ein weit gefasster Orthopraxie-Begriff umfasst einerseits ethisch richtiges Handeln (aḫlāq), für das der Prophet Muḥammad als bestes Beispiel gilt, und andererseits ist jegliche Handlung unter Orthopraxie zu fassen, die mit der Absicht, Gottes Wohlwollen zu erreichen, betätigt wurde (Işık, 2015, 208-213). Koranverse und Hadithe (Berichte über das prophetische Sprechen und Tun; Khoury, 1991, 325-329), die unter dieser Kategorie subsumiert werden, betitelten die Rechtsgelehrten insgesamt als muʿāmalāt (zwischenmenschliche Beziehung, Handlung, die den zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Bereich umfasst), d.h. all jene Inhalte, die nicht in den ʿibādat-Bereich fallen. Die Kategorien sind nicht scharf voneinander trennbar, so kann ein praktischer Glaubensinhalt auch unter muʿāmalāt gefasst werden, da er auch jeweils eine ethische Dimension aufweist, wie beispielsweise die Pflichtabgabe (zakāt) oder die Pilgerfahrt (haǧ).

3. Der Islam – didaktische Zugänge

3.1. Das dialogische Prinzip als Grundhaltung – Texte als Gesprächspartner

Da nach christlicher Überzeugung die göttliche Selbstoffenbarung eine dialogische Gestalt hat, kann auch ein grundlegender Zusammenhang zwischen dem Dialog und der Wahrheitsfindung im Glauben festgestellt werden (Lehmann, 1994, 14f.). Der Dialog aber, der auf gemeinsame Wahrheitsfindung zielt, ist mehr als nur Methode, er ist mehr als reines Mittel zum Zweck. Er will, ganz im Sinne Martin Bubers (Buber, 1984, 276), als ein Gespräch verstanden werden, in dem sich den Gesprächspartnern Sinn eröffnet. Ist der Dialog nur dort lebendig, wo auch Begegnung ist, so schafft er gleichzeitig den Raum für weiterführende Begegnung und weist damit stets über den status quo hinaus. Auf diese Weise können religiöse Bildungsprozesse in Gang gesetzt werden, in denen der Fremde und das Fremde (→ Fremdheit) gleichermaßen zum Gesprächspartner werden (Tautz, 2007, 293-310). Religionskundliches Wissen bildet dabei eine notwendige Grundlage. Das dialogische Prinzip verlangt darüber hinaus eine existenziell bedeutsame Auseinandersetzung mit dem religionskundlichen Wissen zum Islam, indem es mit der eigenen Religiosität und weltanschaulichen Vorstellungen wie auch mit den Glaubensinhalten und der Orthopraxie christlichen Glaubens in ein kritisches Gespräch gebracht wird. Auf diese Weise kann religiöse Deutungskompetenz und damit die Fähigkeit zu begründeten Urteilen zu gelangen herausgefordert und gefördert werden (Tautz, 2007, 142-149).

Bei einem so verstandenen Dialog können Vertreter und Vertreterinnen der Religionen im Religionsunterricht, aber auch in der Katechese direkt zugegen sein, ihre Stimme kann aber auch in Form von Texten gehört werden. Religiös inspirierte Kunst in Form von Bildern (→ Bilder) oder Plastiken, Kaligraphien usw. bringt sie auf neue Weise zum Klingen. Nicht zu vergessen ist hier die → Musik (Işık, 2015, 277-279). Solcherart Gesprächspartner sollten immer auch eine Möglichkeit zum Innewerden eröffnen (Tautz, 2007, 296;309).

Neben der Möglichkeit, sich religionskundliches Wissen zum Islam anzueignen, bietet eine Auseinandersetzung mit Texten (→ Textarbeit) zur islamischen Theologie und Lebensweise den Vorteil, islamische Stimmen selbst zu Wort kommen zu lassen. Die auch kulturell unterschiedlich geprägten → Lebenswelten von Muslimen in unserer Gesellschaft werden beispielsweise in literarischen Texten nicht nur beschreibend, sondern erzählend zum Leben erweckt (vgl. die ausführlichen Hinweise und vielfältigen Beispiele zur deutschsprachigen Literatur zum Islam bei Gellner/Langenhorst, 2013, 174-345). Ein partielles Mit-Denken und Mit-Fühlen mit den Protagonisten der Erzählungen bietet einen Proberaum für Annäherung und Distanz (zu den Gewinndimensionen einer interreligiösen Annäherung an des Islam vgl. auch die Hinweise bei Gellner/Langenhorst, 2013, 357-367).

3.2. Lernen an und mit Artefakten bzw. Zeugnissen des Islam

Ausgehend von dem in Großbritannien von Michael Grimmitt und John Hull entwickelten Konzept „A gift to the child“ plädieren Karlo Meyer und Clauß Peter Sajak mit je unterschiedlichen Schwerpunkten für eine Vergegenwärtigung fremder Religionen im Raum schulischen Lernens mit Hilfe von liturgisch, rituell und alltagsrelevanten Gegen-Ständen der Religionen. Das widerständig Fremde der Religion soll dabei sichtbar, begreifbar, erfahrbar werden (Meyer, 2012, 270-284). Gerade für Kinder im Kindergarten, in der Grundschule und in der Orientierungsstufe kann es hilfreich sein, Grundlagen ästhetischen Lernens einbindend, an und mit Gegen-Ständen (Meyer, 2012, 267f.;291-297; Sajak, 2010) des Islam zu arbeiten. Wie diese Arbeit in der Sekundarstufe I weitergeführt werden kann, hat vor allem C.P. Sajak erarbeitet (Sajak, 2005). Anders als bei Sajak geht es Meyer bei diesem Begriff auch besonders um widerständig-herausfordernde Praktiken, wie die der Gebetshaltungen, bei der gerade die Ambivalenz von Nähe und Gegen-Ständigkeit durch heute und hier lebende Personen bewusst werden kann (Meyer, 2006, für 3. bis 5. Klasse).

Auch wenn der Islam bildlichen Darstellungen sehr skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, hat sich im Laufe der Geschichte des Islam doch auch eine Bildkultur entwickelt (Seker, 2013, 141-143). Für religiöse Bildung interessant sind hier vor allem die typisierenden Darstellungsformen, denen es nicht – wie seit der Moderne in der europäischen Kultur üblich – um die Darstellung des Individuellen geht, sondern um den Ausdruck des Wortes.

3.3. Kirchenraumpädagogik – Moscheeraumpädagogik

Kurz sei an dieser Stelle auch auf die Chancen hingewiesen, die mit einem Besuch der Moschee in der Nähe der christlichen Gemeinde, des Kindergartens oder der Schule verbunden sein kann.

Im Religionsunterricht kann etwa ab dem siebten Schuljahr der Besuch einer → Moschee und Kirche in vergleichender Perspektive auch geschichtliche und soziale Dimensionen einschließen, denn in diesem Alter wächst die Fähigkeit, in größeren sozialen Kontexten zu denken. Damit stellt sich auch ein Einfühlungsvermögen dafür ein, dass Menschen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Themen in den Mittelpunkt ihres politischen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Lebens stellen. Besuche von Kirchen (→ Kirchenraumpädagogik/Kirchenpädagogik; → Pädagogik des Kirchenraums/heiliger Räume) oder Moscheen (→ Moschee-, Synagogen- und Tempelpädagogik) können nun auch unter einem historischen und bauhistorischen Aspekt erfolgen. Wichtig ist, dass dabei eine Moschee oder Kirche selbst zum Lernort wird. Damit dies gelingen kann, sollte der Besuch zuvor im Unterricht gut vorbe­reitet werden. Wie unterschiedlich und vielfältig die Architektur von Mo­scheen und Kirchen sein kann, lässt sich mit Hilfe von Bildmaterial erarbeiten (Tautz, 2007, 383-388).

Auch der sogenannte Tag der Moschee am 03. Oktober eines jeden Jahres kann für kleine Gruppen einer christlichen Gemeinde, einer Firm- oder Konfirmandengruppe einen Anlass zur interreligiösen Begegnung mit dem Islam bieten.

3.4. Direkte Begegnung

Nicht nur der Besuche einer Moschee bietet eine Möglichkeit zur direkten Begegnung. Stephan Leimgruber bezeichnet die direkte Begegnung von Menschen unterschiedlicher Religionen als den „Königsweg“ interreligiösen Lernens (Leimgruber, 2007, 101-104; Leimgruber, 2014, 71; zu den damit verbundenen Problemen Zimmermann, 2015, 23;43f.). Das gilt auch für die Begegnung von Christen und Muslimen zum Zweck des gemeinsamen Austauschs über den eigenen Glauben und den Glauben des Anderen. Direkte Begegnung kann dann gelingen, wenn eine solche Begegnung im Sinne Martin Bubers zu einem echten Gespräch führt, „dessen Sinn weder in einem der beiden Partner noch in beiden zusammen sich findet, sondern nur in diesem ihrem leiblichen Zusammenspiel, diesem ihrem Zwischen“ (Buber, 1984, 293-297).

Vor allem für den schulischen Bereich ist zu beachten, dass die Vor-Urteile, d.h. die verinnerlichten und (noch) nicht reflektierten Urteile über die gelebte Religion der Muslime wie auch die kaum differenzierten Urteile, die über die Medien aufgenommen werden, den dialogischen Austausch nicht direkt im Keim ersticken. Daher ist es ratsam, grundlegende Fragen zum Thema der gemeinsamen Begegnung vorab in der intrareligiösen Lerngruppe zu er- und bearbeiten. Bieten sich Formen der direkten Begegnung besonders für die Katechese und die religiöse → Erwachsenenbildung an (Leimgruber, 2011, 189f.), so ist im Rahmen des schulischen Religionsunterrichts damit behutsam umzugehen (zu kritischen Einschätzungen vgl. Gellner/Langenhorst, 2013, 350-352; Tautz, 2007, 160-163;417).

3.5. Gemeinsames Handeln vor Ort in Schule und Gemeinde

Der Begriff der Orthopraxie spielt nicht nur im gelebten Islam eine große Rolle. Auch für Christinnen und Christen ist das rechte Handeln, hier vor allem in Sinne der Nachfolge Jesu Christi und der damit verbundenen Achtsamkeit gegenüber den Mahnungen der Propheten Israels, ein zentraler Aspekt gelebten Glaubens. Auf diesem Feld ethischen Handelns können in der Schule Projekte initiiert werden, bei denen sich Schülerinnen und Schüler im Geist christlicher Nächstenliebe und islamischer Barmherzigkeit (Khorchide, 2012, 31-40) sozial engagieren, so z.B. die Bewirtung von Obdachlosen mit einem sonntäglichen Mittagessen, Besuche in Seniorenheimen oder in Hospizen. Auch islamische und christliche Gemeinden vor Ort können im diakonischen Bereich zusammenarbeiten, um „soziale und existenzielle Sorgen und Problemlagen auf[zu]greifen und gemeinsam nach Lösungen [zu] suchen“ (Schneider-Stengel, 2014, 265).

Ein wesentlicher Beitrag kann auch darin gesehen werden, die Gottesfrage innerhalb unserer Gesellschaft offen zu halten, wenn in der religiösen Erwachsenenbildung oder im Austausch islamischer und christlicher Gemeinden vor Ort die Frage nach → Gott aus dem Selbstverständnis der beiden Religionen heraus gestellt und bedacht wird (Tautz, 2016, 200-204), aber auch mit Blick auf eine „Gott los gewordene Moderne“ (Höhn, 2008, 84). Ziel könnte es sein, sich als religiös in einer bestimmten Tradition verortete Mitglieder unserer Gesellschaft an dem für die plurale Öffentlichkeit wichtigen Gottesdiskurs zu beteiligen und den konkret geführten Dialog zwischen Christen und Muslimen vor Ort als einen Raum zum Einüben in eine → Sprache, die auch für Menschen ohne Gottesglauben nachvollziehbar ist, zu gestalten. Da sowohl für Christen als auch für Muslime – wenn auch je mit anderen Konnotationen – das Wort Gottes den Menschen zur Tat ruft, können theologische Gespräche über das, was Christinnen hier und was Musliminnen dort unter dem Wort Gottes verstehen, die individuelle Religiosität und das gemeinsame Tun bereichern sowie eine reife Form des Gottesglaubens fördern, der die Unaussprechlichkeit Gottes und ein beständiges Nach-Denken über das Wort Gottes miteinander zu verbinden weiß.

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