Islam als Thema christlich verantworteter Bildung
(erstellt: Februar 2016)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Islam_als_Thema_christlich_verantworteter_Bildung.100071
1. Der Islam – ein Thema religiöser Bildung
Wenn im Folgenden vom Islam als Thema christlich verantworteter →
Bildung
Andererseits muss eine christlich verantwortete Bildung auch aus dem Zentrum der eigenen Theologie heraus danach fragen, inwiefern eine Auseinandersetzung mit der Religion des Islam aus theologischen Gründen sinnvoll ist. Rudolf Englert hat aufgezeigt, dass die Herausforderung einer eigenen religiösen Identität (→
Identität, religiöse
Zu beachten ist, was Bernd Schröder in diesem Zusammenhang anmerkt: Der Islam werde im Religionsunterricht zwar als ein wichtiges Thema gewürdigt, aber nicht in vertiefender Weise und „vor allem auch nicht in seiner Vielfalt erschlossen, in der er in der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern in Deutschland anzutreffen ist“ (Schröder, 2010, 157). Christlich verantwortete Bildung, die sich dem Islam und den Muslimen im Sinne eines → interreligiösen Lernens
2. Der Islam – theologische und lebensweltliche Akzente
2.1. Der Eine und Einzige Gott
Der islamische Monotheismus prägt das ganze Leben der Muslime und bildet die Kernbotschaft der islamischen Offenbarung (zum Begriff der Offenbarung vgl. Ayoub, 2014, 100-102; Işık, 2015, 142-218).
In der islamischen Monotheismus-Vorstellung ist Gott als der Eine und Einzige Gott zu denken. Die Lehre des Eingottglaubens (tawḥīd) bekennt sowohl die reine Einheit Gottes als auch seine Unvergleichbarkeit mit etwas Anderem (Sure 42:11). Da Gott der ist, dem Nichts und Niemand ähnelt, können auch keine Abbildungen ihn im qualitativen Sinne festhalten. Das Bilderverbot Gottes ist in der Frühzeit des Islam zu verorten, in der Steinidole, Bildnisse und Ikonographien von Göttern angebetet wurden (zum Bilderverbot vgl. Seker, 2013, 119-134;141-143). Diese praktizierte Objektbeziehung sollte gemäß der koranischen Offenbarung grundsätzlich aufgehoben werden, d.h. die Gottesvorstellung sollte von verinnerlichten Objektbeziehungen (im Sinne einer Anbetung) und anthropomorphen Vorstellungen abstrahiert und abgelöst werden (Hawting, 2006, 377-379). So soll anstelle einer Projizierung von konkreten Bildern die Erfahrung einer göttlichen Gegenwart treten.
An einigen Stellen im Koran finden sich anthropomorphe Selbstbeschreibungen Gottes, z.B. wenn Gott von seinem Thron spricht (Sure 2:255), von seinen Händen (Sure 36:71) oder davon, dass Gott das Licht des Himmels und der Erde sei (Sure 24:35). Metaphern sowie Symbole eröffnen in ihrer Bedeutungsvielfalt – die letztendlich einer historischen Modifikation ausgesetzt ist und somit zur Entstehung einer reichen Bedeutungstradition führt –, unterschiedliche Vorstellungen und begründen damit das heterogene Sprechen über Gott. Die Metaphern dürfen aber nicht dahingehend missverstanden werden, als sei mit ihnen die Unvergleichbarkeit Gottes mit der Schöpfung aufgehoben. Der Versuch, Gott ontologisch zu fassen und vollständig zu beschreiben, bleibt mangelhaft sowie Spekulation, da Sprache stets unzureichend bleibt.
Gott wird in der islamisch systematischen Theologie als radikale → Transzendenz
2.2. Der Mensch als Gottes Geschöpf
Der Mensch ist Geschöpf Gottes und zeichnet sich durch die ihm vom Gott geschenkte Fähigkeit der Vernunft aus. Er unterscheidet sich von anderen Geschöpfen in seinem Gemeinschaftsbezug sowie in der gegenseitigen Verwiesenheit und Beziehungsfähigkeit, die in seiner Vernunftnatur begründet sind. Muslime begreifen Gott als Schöpfer (ḫāliq) und sich als Geschöpf (maḫlūq). Die Verbindung zwischen Schöpfer und Geschöpf ist unmittelbar, persönlich und bedarf keiner Mittlerperson (Khorchide, 2012, 85-108).
Der Mensch als Geschöpf wie auch die gute Schöpfung und alles in ihr ist ein Zeichen (ayā) von Gottes Schöpfermacht. Menschliche Geschöpflichkeit impliziert Demut angesichts der Herrlichkeit und Größe Gottes, die der Muslim tagtäglich im Ritualgebet durch die Sadschda (die Stirn, beide Handflächen, beide Knie und beide Fußspitzen berühren den Boden) demonstriert (Sure 31:15). Eng an die Vorstellung der Transzendenz, die zu einem Prinzip der Einsheit Gottes wird, markiert das Bestimmungsverhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf die Superiorität Gottes gegenüber seinem Geschöpf, denn Gott ist nicht gleich seiner Geschöpfe, sondern ungleich. Dabei kann der Mensch auf Gottes Zusage vertrauen, dass ihm Gottes Rechtleitung Orientierung geben wird. Der Grundstein islamischer Anthropologie basiert auf „der Ermutigung Gottes, dass der Mensch, so er seiner inneren Natur folgt (Sure 30:30), einen Weg zu Gott finden wird“ (Tatari/Renz, 2014, 151).
2.3. Orthopraxie – gelebter Glaube
Der geglaubte Glaube schließt unumgänglich den gelebten Glauben ein. Die religionspraktische Dimension der islamischen Glaubenslehre, die Orthopraxie, ist die natürliche Konsequenz aus der Zusage, sich in den Willen Gottes zu ergeben (was ebenso eine Wortbedeutung von Islam ist). In diesem Rahmen spielt der Prophet und Gesandte Muḥammad eine wesentliche Rolle. Als Offenbarungsempfänger und Erst- sowie Bestinterpret verkündet er das göttliche Wort und verleiht den Worten eine praktische Gestaltung, die als prophetische Sunna gefasst wird (Işık, 2015, 100-137). Der Begriff der Sunna umschreibt den vorbildlichen Weg des Propheten und Gesandten Muḥammad. Die damit verbundenen Koordinaten für die muslimische Lebensform und Lebensweise stellen nicht zuletzt in ritueller Hinsicht aus christlicher Sicht eine bleibende Herausforderung dar (Işık/Stosch, 2014, 146).
Im engeren Sinne schließt Orthopraxie den Vollzug und die Form jener göttlichen Worte ein, die im Leben und Handeln des Propheten Muḥammad exemplarisch als gelebter Glaube konkret werden. Orthopraxie umfasst die rituelle wie auch praktische Dimension des islamischen Glaubens (Sure 3:31) (ʿibādat). Ein weit gefasster Orthopraxie-Begriff umfasst einerseits ethisch richtiges Handeln (aḫlāq), für das der Prophet Muḥammad als bestes Beispiel gilt, und andererseits ist jegliche Handlung unter Orthopraxie zu fassen, die mit der Absicht, Gottes Wohlwollen zu erreichen, betätigt wurde (Işık, 2015, 208-213). Koranverse und Hadithe (Berichte über das prophetische Sprechen und Tun; Khoury, 1991, 325-329), die unter dieser Kategorie subsumiert werden, betitelten die Rechtsgelehrten insgesamt als muʿāmalāt (zwischenmenschliche Beziehung, Handlung, die den zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Bereich umfasst), d.h. all jene Inhalte, die nicht in den ʿibādat-Bereich fallen. Die Kategorien sind nicht scharf voneinander trennbar, so kann ein praktischer Glaubensinhalt auch unter muʿāmalāt gefasst werden, da er auch jeweils eine ethische Dimension aufweist, wie beispielsweise die Pflichtabgabe (zakāt) oder die Pilgerfahrt (haǧ).
3. Der Islam – didaktische Zugänge
3.1. Das dialogische Prinzip als Grundhaltung – Texte als Gesprächspartner
Da nach christlicher Überzeugung die göttliche Selbstoffenbarung eine dialogische Gestalt hat, kann auch ein grundlegender Zusammenhang zwischen dem Dialog und der Wahrheitsfindung im Glauben festgestellt werden (Lehmann, 1994, 14f.). Der Dialog aber, der auf gemeinsame Wahrheitsfindung zielt, ist mehr als nur Methode, er ist mehr als reines Mittel zum Zweck. Er will, ganz im Sinne Martin Bubers (Buber, 1984, 276), als ein Gespräch verstanden werden, in dem sich den Gesprächspartnern Sinn eröffnet. Ist der Dialog nur dort lebendig, wo auch Begegnung ist, so schafft er gleichzeitig den Raum für weiterführende Begegnung und weist damit stets über den status quo hinaus. Auf diese Weise können religiöse Bildungsprozesse in Gang gesetzt werden, in denen der Fremde und das Fremde (→
Fremdheit
Bei einem so verstandenen Dialog können Vertreter und Vertreterinnen der Religionen im Religionsunterricht, aber auch in der Katechese direkt zugegen sein, ihre Stimme kann aber auch in Form von Texten gehört werden. Religiös inspirierte Kunst in Form von Bildern (→
Bilder
Neben der Möglichkeit, sich religionskundliches Wissen zum Islam anzueignen, bietet eine Auseinandersetzung mit Texten (→
Textarbeit
3.2. Lernen an und mit Artefakten bzw. Zeugnissen des Islam
Ausgehend von dem in Großbritannien von Michael Grimmitt und John Hull entwickelten Konzept „A gift to the child“ plädieren Karlo Meyer und Clauß Peter Sajak mit je unterschiedlichen Schwerpunkten für eine Vergegenwärtigung fremder Religionen im Raum schulischen Lernens mit Hilfe von liturgisch, rituell und alltagsrelevanten Gegen-Ständen der Religionen. Das widerständig Fremde der Religion soll dabei sichtbar, begreifbar, erfahrbar werden (Meyer, 2012, 270-284). Gerade für Kinder im Kindergarten, in der Grundschule und in der Orientierungsstufe kann es hilfreich sein, Grundlagen ästhetischen Lernens einbindend, an und mit Gegen-Ständen (Meyer, 2012, 267f.;291-297; Sajak, 2010) des Islam zu arbeiten. Wie diese Arbeit in der Sekundarstufe I weitergeführt werden kann, hat vor allem C.P. Sajak erarbeitet (Sajak, 2005). Anders als bei Sajak geht es Meyer bei diesem Begriff auch besonders um widerständig-herausfordernde Praktiken, wie die der Gebetshaltungen, bei der gerade die Ambivalenz von Nähe und Gegen-Ständigkeit durch heute und hier lebende Personen bewusst werden kann (Meyer, 2006, für 3. bis 5. Klasse).
Auch wenn der Islam bildlichen Darstellungen sehr skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, hat sich im Laufe der Geschichte des Islam doch auch eine Bildkultur entwickelt (Seker, 2013, 141-143). Für religiöse Bildung interessant sind hier vor allem die typisierenden Darstellungsformen, denen es nicht – wie seit der Moderne in der europäischen Kultur üblich – um die Darstellung des Individuellen geht, sondern um den Ausdruck des Wortes.
3.3. Kirchenraumpädagogik – Moscheeraumpädagogik
Kurz sei an dieser Stelle auch auf die Chancen hingewiesen, die mit einem Besuch der Moschee in der Nähe der christlichen Gemeinde, des Kindergartens oder der Schule verbunden sein kann.
Im Religionsunterricht kann etwa ab dem siebten Schuljahr der Besuch einer →
Moschee
Auch der sogenannte Tag der Moschee am 03. Oktober eines jeden Jahres kann für kleine Gruppen einer christlichen Gemeinde, einer Firm- oder Konfirmandengruppe einen Anlass zur interreligiösen Begegnung mit dem Islam bieten.
3.4. Direkte Begegnung
Nicht nur der Besuche einer Moschee bietet eine Möglichkeit zur direkten Begegnung. Stephan Leimgruber bezeichnet die direkte Begegnung von Menschen unterschiedlicher Religionen als den „Königsweg“ interreligiösen Lernens (Leimgruber, 2007, 101-104; Leimgruber, 2014, 71; zu den damit verbundenen Problemen Zimmermann, 2015, 23;43f.). Das gilt auch für die Begegnung von Christen und Muslimen zum Zweck des gemeinsamen Austauschs über den eigenen Glauben und den Glauben des Anderen. Direkte Begegnung kann dann gelingen, wenn eine solche Begegnung im Sinne Martin Bubers zu einem echten Gespräch führt, „dessen Sinn weder in einem der beiden Partner noch in beiden zusammen sich findet, sondern nur in diesem ihrem leiblichen Zusammenspiel, diesem ihrem Zwischen“ (Buber, 1984, 293-297).
Vor allem für den schulischen Bereich ist zu beachten, dass die Vor-Urteile, d.h. die verinnerlichten und (noch) nicht reflektierten Urteile über die gelebte Religion der Muslime wie auch die kaum differenzierten Urteile, die über die Medien aufgenommen werden, den dialogischen Austausch nicht direkt im Keim ersticken. Daher ist es ratsam, grundlegende Fragen zum Thema der gemeinsamen Begegnung vorab in der intrareligiösen Lerngruppe zu er- und bearbeiten. Bieten sich Formen der direkten Begegnung besonders für die Katechese und die religiöse →
Erwachsenenbildung
3.5. Gemeinsames Handeln vor Ort in Schule und Gemeinde
Der Begriff der Orthopraxie spielt nicht nur im gelebten Islam eine große Rolle. Auch für Christinnen und Christen ist das rechte Handeln, hier vor allem in Sinne der Nachfolge Jesu Christi und der damit verbundenen Achtsamkeit gegenüber den Mahnungen der Propheten Israels, ein zentraler Aspekt gelebten Glaubens. Auf diesem Feld ethischen Handelns können in der Schule Projekte initiiert werden, bei denen sich Schülerinnen und Schüler im Geist christlicher Nächstenliebe und islamischer Barmherzigkeit (Khorchide, 2012, 31-40) sozial engagieren, so z.B. die Bewirtung von Obdachlosen mit einem sonntäglichen Mittagessen, Besuche in Seniorenheimen oder in Hospizen. Auch islamische und christliche Gemeinden vor Ort können im diakonischen Bereich zusammenarbeiten, um „soziale und existenzielle Sorgen und Problemlagen auf[zu]greifen und gemeinsam nach Lösungen [zu] suchen“ (Schneider-Stengel, 2014, 265).
Ein wesentlicher Beitrag kann auch darin gesehen werden, die Gottesfrage innerhalb unserer Gesellschaft offen zu halten, wenn in der religiösen Erwachsenenbildung oder im Austausch islamischer und christlicher Gemeinden vor Ort die Frage nach →
Gott
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