Deutsche Bibelgesellschaft

Bildung, mediale/digitale

(erstellt: Februar 2016; letzte Änderung: März 2023)

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Anmerkung: Seit der ersten Version dieses Beitrags, die 2016 erstellt wurde, hat sich bis 2022 eine derart rasante Entwicklung ergeben, dass der vorliegende Text eine weitgehende Neubearbeitung darstellt.

1. „Digital“ als das „neue Normal“

Die Entwicklung der letzten Jahre lässt sich im Kern als ein verstärktes und in der Breite der Gesellschaft angekommenes Bewusstsein von der Digitalisierung als tiefgreifendem gesellschaftlich-kulturellem Transformationsprozess charakterisieren. Die vielzitierte Rede von einer „Kultur der Digitalität“ (Stalder, 2016) oder von einer „post-digitalen“ Gesellschaft (z.B. Schmidt, 2020) zeigt an, dass die immer weiter voranschreitende Durchdringung unserer Lebens- und Arbeitswelten durch digitale Medien und Technologien zunehmend als Normalfall empfunden wird – womit zugleich die damit verbundenen Herausforderungen zu einer verantwortlichen Gestaltung des Umgangs mit dem Digitalen in den Vordergrund rücken. Dies betrifft ganz wesentlich auch den Bildungsbereich, von dem erwartet wird, dass er die Heranwachsenden auf einen gleichermaßen kompetenten wie verantwortlichen Umgang mit digitalen Phänomenen vorbereitet.

Diese Aufgabe wird häufig – manchmal etwas verkürzend, teilweise aber auch in einem gehaltvollen, umfassenden Sinn – als „digitale Bildung“ bezeichnet. Nun könnte man fragen, ob Medienbildung bzw. mediale Bildung weiterhin der geeignete Begriff ist, um die angesprochene Aufgabe mit zu umfassen.

Pragmatisch gefragt: Lässt sich „digitale Bildung“ einfach in einen WiReLex-Artikel zur „medialen Bildung“ integrieren? Diese Fragen verweisen auf die Notwendigkeit grundlegender Klärungen, die auch um der Sache willen geboten sind.

Das Verhältnis von „Medien“ und „Digitalität“ lässt sich am besten als Überlappung oder Überschneidungsfeld von zwei Bereichen fassen, die beide jeweils darüber hinaus gehende eigene Anteile haben. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass insbesondere der Medienbegriff uneinheitlich gebraucht wird. Die meisten Medienpädagoginnen und -pädagogen gehen zwar von einem engeren, technischen Medienverständnis aus (z.B. Süss/Lampert/Wijnen, 2013; Tulodziecki/Herzig/Grafe, 2021; Spanhel, 2006). Allerdings kommt immer wieder in den Blick, dass ein weiter, kommunikationstheoretischer Medienbegriff den Vorteil hat, dass er hilft, die anthropologisch-kulturgeschichtliche Bedeutung von Medien für den Menschen zu erhellen. In diesem Sinn ist der Mensch grundlegend ein „homo medialis“ (Pirner/Rath, 2003; Pirner, 2014), der sich durch Kommunikationsmittel wie Sprache, Symbole, Zeichen, Schrift, Bilder usw. verständigt. Die Entwicklung der technischen Medien lässt sich dann, phylogenetisch, in die Kulturgeschichte einzeichnen; dabei kann man erkennen, dass die jeweils kulturdominanten Medien eine bestimmte kulturelle Prägekraft entfaltet haben und dass ihr Wechsel immer mit Gewinnen und Verlusten verbunden war (z.B. Verlust an personaler Kommunikation beim Übergang von der mündlichen zur schriftlichen Kommunikationskultur). Der gegenwärtig national wie international stark beachtete Mediatisierungsansatz (vgl. Hepp, 2021; Hepp/Krotz, 2014; Krotz, 2007; Lundby, 2014) versteht sich in diesem Sinn als eine Metatheorie, die die kulturelle Entwicklung als einen Prozess von Wechselbeziehungen zwischen Medien und anderen Bereichen von Kultur und Gesellschaft (unter anderem auch Religion) versteht und die Digitalisierung als einen konkreten speziellen Mediatisierungsschub der epochenübergreifenden Mediatisierung menschlicher Kultur begreift

Unter pädagogischem und gerade auch religionspädagogischem Blickwinkel hat ein solcher Ansatz mehrere Vorteile. Zum einen ergeben sich damit Anschlüsse an kultur-, symbol- oder religionstheoretische Perspektiven, wie sie z.B. für die Deutschdidaktik, Geschichtsdidaktik oder Religionsdidaktik wichtig sind. Zum anderen lässt sich ein solches weites Medienverständnis auch ontogenetisch in die biografische Entwicklung des Menschen einzeichnen, die von Anfang an durch den Gebrauch von Kommunikationsmitteln für die Interaktion mit der Umwelt gekennzeichnet ist. Somit können „alle Medien“, auch die digitalen Medien, gerade in „ihren wechselseitigen Bedingungs- und Wirkungsverhältnissen“ (Spanhel, 2006, 70) zum Gegenstand gemacht werden, wobei die Sprache als wichtiges Medium der Meta-Kommunikation mit im Blick bleibt. In diesem Sinne fordert etwa Dieter Spanhel: „Spracherziehung (Sprachförderung) muss als das wichtigste Fundament jeglicher Medienerziehung angesehen werden“ (Spanhel, 2006, 70; vgl. auch Spanhel, 2013).

Theorien der Digitalität betonen dagegen häufig die historische Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit der Digitalisierung, die zum einen auf dem binären technischen Code 0/1 basiert, zum anderen eben nicht nur in Kommunikationsmedien, sondern darüber hinaus in zahlreichen technologischen Entwicklungen wie selbst fahrenden Verkehrsmitteln, Robotern oder hochentwickelten Formen von künstlicher Intelligenz greifbar wird. Digitale Technologien haben allerdings durchaus weitere – über die Medienhistorie hinausgehende – kulturgeschichtliche Wurzeln.

„Die Vermessung des Raumes, die Normierung der Zeit, die Quantifizierung der Mathematik (von der antiken Ratio zur modernen Rationalität der Fließkommazahl), die Normierung der Maße, die Algorithmisierung des Wissens, die Virtualisierung der Tauschmittel, die Protokollierung und Verdatung von Individualität, die Umstellung auf vernetzte Information als zentrales Kontrollmittel für Ökonomie und Politik (von der biopolitischen Datensammlung bis zum Telegrafen als Echtzeit-Steuerungstechnologie), die Transformation vom zentrierten Gemeinschaftsmodell zum dezentrierten Netzwerk und nicht zuletzt die Gewöhnung an entauratisierte, zunächst massenmedial verbilligte, dann psychoakustisch und psychovisuell optimierte Erlebnisformate – all dies bildet zusammengenommen die (europäisch-neuzeitliche) kulturhistorische Voraussetzung für das, was wir heute als Digitalisierung erfahren und betreiben“ (Jörissen/Unterberg, 2019a, 12).

Konsequenterweise geht es unter pädagogischer Perspektive auch um informationstechnische Grundbildung, im weiteren Sinn um eine technische Grundbildung, die auch zu einem verantwortlichen Umgang mit digitalen Technologien als technischen Werkzeugen befähigt, sowie um kulturelle Bildung in einem umfassenden, vor allem auch ästhetische Aspekte einschließenden Verständnis. Der technologische Schwerpunkt digitaler Bildung wird sich in der Schule besonders in den MINT-Fächern und den informatikdidaktischen Unterrichtsfächern wiederfinden, während die medial-kommunikative und kulturelle Perspektive vor allem in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern ihren Schwerpunkt hat (vgl. Frederking/Romeike, 2022; Pirner/Pfeiffer/Uphues, 2013). Der Religionsunterricht ist zwar in letzterem Bildungsbereich zu verorten, sodass es legitim erscheint, im Hinblick auf digitale Bildung primär medien- und kulturpädagogische Bezüge zu beachten sowie an Einsichten, Konzepte und Forschungsergebnisse anzuschließen, die etwa unter der Perspektive einer „medienweltorientierten Religionspädagogik“ (Pirner, 2013) oder einer „Religionspädagogik in mediatisierten Welten“ (Nord/Zipernovsky, 2017) erarbeitet worden sind. Dennoch fordern gerade Entwicklungen in den Bereichen von Robotik und künstlicher Intelligenz Theologie und Religionspädagogik, und hier vor allem die berufsbildende Religionspädagogik (Gronover/Obermann/Schnabel-Henke, 2021), in besonderer Weise heraus, weil es in diesen Kontexten neu um die Frage nach den ‚Alleinstellungsmerkmalen‘ des Menschen geht und damit um die Frage, was das Menschsein des Menschen ausmacht (vgl. Platow, 2020; 2022; → Künstliche Intelligenz). Um solche Erweiterungen und Neuakzentuierungen der religionspädagogischen Perspektive anzuzeigen, ist der Titel dieses Artikels von „Bildung, mediale“ auf „Bildung, mediale/digitale“ verändert worden.

2. „Bildung in der digitalen Welt“ – bildungspolitische Entwicklungen

Die gewachsene Einsicht in die enorme Bedeutung der Digitalisierung verbindet sich mit der schmerzhaften Erkenntnis, dass Deutschland angesichts politischer Versäumnisse zu einem digitalen Entwicklungsland geworden ist, das in vielen Bereichen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern hinterherhinkt – und dies trotz durchaus erfolgreicher Initiativen wie z.B. „Keine Bildung ohne Medien!“ (http://www.keine-bildung-ohne-medien.de/; Niesyto, 2013), deren in einem Medienpädagogischen Manifest formulierten Anliegen zu einem guten Teil in den 2012 verabschiedeten Beschluss der → Kultusministerkonferenz (KMK) „Medienbildung in der Schule“ (KMK 2012) eingegangen waren.

Empirisch sind die Defizite vor allem durch die ICILS-Studien (International Computer and Information Literacy Study) von 2013 und 2018 (in Vorbereitung: ICILS 2023, sowie PISA 2025 mit einem Schwerpunkt auf „Skills for a Digital World“) aufgezeigt worden (Bos, 2014; Eickelmann, 2019). Sie haben nicht nur deutlich gemacht, dass deutsche Schülerinnen und Schüler ihren Peers in vielen anderen Ländern in puncto Medienkompetenz unterlegen sind, sondern auch, dass deutsche Lehrkräfte in diesem Bereich unterqualifiziert sowie besonders skeptisch und deutsche Schulen unterausgestattet sind. So gaben z.B. in ICILS 2013 nur 9,1 % der Lehrkräfte in Deutschland an, täglich digitale Medien im Unterricht zu nutzen. In ICILS 2018 ist dieser Anteil zwar auf 23,2 % gestiegen, allerdings nimmt Deutschland damit im internationalen Vergleich immer noch den vorletzten Platz ein; der internationale Mittelwert liegt bei 47,9% (Eickelmann, 2019, 15). Für die breite Bevölkerung haben zudem die Erfahrungen in der Corona-Pandemie die digitalen Defizite im Bildungssystem häufig leidvoll bewusstwerden lassen, weil digitaler Fernunterricht nur in wenigen Fällen gut funktioniert hat (Wößmann/Freundl/Grewenig/Lergetporer/Werner/Zierow, 2021). Die Bildungspolitik hat auf diese Schwächen mit mehreren Maßnahmen reagiert, vor allem mit dem „DigitalPakt“ zwischen Bund und Ländern zur besseren Ausstattung der Schulen, mit einer „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF, 2016) und der „Strategie Bildung in der digitalen Welt“ der Kultusministerkonferenz (KMK, 2016a; ergänzende Empfehlungen: KMK, 2021) sowie zahlreichen Länderinitiativen zur Förderung digitaler Bildung in den Schulen.

Aus religionspädagogischer Perspektive ist die KMK-Strategie insgesamt begrüßenswert und unter mindestens zwei Aspekten besonders wertzuschätzen: Sie spricht zum einen dezidiert von „Bildung in der digitalen Welt“ statt von „digitaler Bildung“ und zeigt damit an, dass die Herausforderungen der Digitalisierung Bildung und Schule insgesamt betreffen und nur fächerübergreifend und unter Einbeziehung der Schulkultur von den Schulen bewältigt werden können.

Zum anderen ist das hier entwickelte Kompetenzmodell „Kompetenzen in der digitalen Welt“ (KMK, 2016b) erfreulicherweise in fast allen Kompetenzbereichen von kritisch-analytischen und damit ethischen Dimensionen durchzogen und weist außerdem „Analysieren und reflektieren“ als eigenständigen sechsten Kompetenzbereich aus. Damit wird ein deutlicher Akzent für eine kritische Medienbildung bzw. digitale Bildung gesetzt, welche nicht nur auf die kompetente (instrumentelle) Nutzung der digitalen Technologien zielt, sondern sie auch immer wieder zum Gegenstand der Reflexion macht.

Kritisch kann an der KMK-Strategie gesehen werden, dass das hier in Anschlag gebrachte Bildungsverständnis nahezu ausschließlich die – zweifellos wichtige – mündige Teilhabe der Heranwachsenden anzielt, während das Ziel der mehrdimensionalen Selbstentfaltung und Persönlichkeitsbildung der Kinder und Jugendlichen, wie es u.a. in der Kinderrechtskonvention und kirchlichen Stellungnahmen betont wird (und noch in dem KMK-Papier zur Medienbildung von 2012 Berücksichtigung fand), zu kurz kommt (vgl. genauer Pirner, 2022a). Zudem hat die Gesellschaft für Fachdidaktik (GfD) in einem eigenen Positionspapier nicht zu Unrecht kritisiert, dass sich fachliche Bezüge und Perspektiven zu wenig in den formulierten Konzepten und Kompetenzformulierungen wiederfinden (GfD, 2018; vgl. auch Frederking/Romeike, 2022). Schließlich fehlt eine Verhältnisbestimmung von digitalitätsbezogenen Inhalten und Formen von Bildung einerseits zu analogen Inhalten und Formen andererseits ebenso wie Bezüge zu anderen schulischen Querschnittsthemen, etwa Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), Wertebildung, politische Bildung, inklusive Bildung u.a. Diesbezüglich wurde in den 2021 publizierten weiterführenden „Empfehlungen“ der KMK etwas nachgesteuert (KMK, 2021). Die Behauptung, dass „Unterscheidungen von On- versus Offline, Cyberspace versus Metaspace oder gar ‚realer‘ Welt versus

‚virtueller‘ Welt des Internet […] obsolet“ geworden sind (Jörissen/Unterberg, 2019b), verweist zwar zu Recht auf die zunehmenden Verschmelzungen der Welten, lässt sich in dieser Plakativität jedoch meines Erachtens schwerlich aufrecht erhalten, wie viele Menschen vor allem in der Pandemiezeit eindrücklich erlebt haben: Das leibliche Zusammensein mit anderen kann offensichtlich auf Dauer durch Zoom-Treffen und digitale Chats ebensowenig ersetzt werden wie das reale Trinken eines Bieres durch dessen virtuelle 3D-Simulation. Gerade angesichts der alle Lebensbereiche durchdringenden Mediatisierung und Digitalisierung können nicht-digitale, direkte sinnliche und leiblich-präsente Körper- oder Naturerfahrungen als umso wertvoller erlebt werden.

3. Medienbildung und digitale Bildung in Wissenschaft und schulischer Praxis

Die Defizitbefunde und bildungspolitischen Fördermaßnahmen haben auch in den Bildungswissenschaften Widerhall gefunden und geradezu zu einem Wettrennen um die innovativsten Forschungsprojekte sowie um tragfähige Konzepte zum Themenfeld Digitalität geführt, das die deutsche „Aufholjagd“ in Sachen Digitalisierung unterstützen soll. Aus der weit verzweigten nationalen wie internationalen Forschung und Diskussion sollen im Folgenden vier Aspekte hervorgehoben werden, die aus meiner Sicht auch für die Religionspädagogik besonders relevant sind.

3.1. Die Bedeutsamkeit der frühen Bildung

Eine wichtige Erkenntnis aus der internationalen Forschung und Erfahrung ist, dass Medienbildung möglichst früh beginnen sollte, um hier die Weichen für einen selbstbestimmt-wohldosierten, kreativen und kritischen Umgang mit den digitalen Medien zu stellen. Entgegen bewahrpädagogischen Stimmen, die Kinder möglichst lange von Medien fernhalten wollen, weisen neuere Studien darauf hin, dass der Erstkontakt von Kindern mit digitalen Medien meist bereits im Alter von einem Jahr stattfindet und „dass Kinder umso besser vor Medienrisiken geschützt sind, je früher sie sich in einem kindgerechten Rahmen mit Medien auseinandersetzen können und so Medienkompetenz entwickeln“ (Reichert-Garschhammer/Roboom, 2020, 10). Allerdings gehört auch der Schutz der Kinder vor übermäßigen und überfordernden Medienerfahrungen sowie ihre Befähigung zu Partizipation und Mitbestimmung zu einer an den Kinderrechten orientierten Pädagogik dazu, wie sie z.B. im General Comment Nr. 25 „on children’s rights in relation to the digital environment“ des UN-Kinderrechtsausschusses angemahnt wurde (UN Committee on the Rights of the Child, 2021). Sowohl für die Kita als auch für die Grundschule gibt es qualitätsvolle Konzepte für eine „Medienpädagogik von Anfang an“ (Lauffer/Röllecke, 2016), Praxiserfahrungen und Forschungsergebnisse, an denen man sich orientieren kann (vgl. z.B. MarciBoehncke/Rath, 2007; 2010; 2013; Tillmann/Fleischer/Hugger, 2014; Kamp/Hentrich, 2020; Narr/Höppner/Bunke-Emden, 2020; Thumel/Kammerl/Irion, 2020; Tulodziecki, 2021), die in der Religionspädagogik bislang noch kaum angekommen sind.

3.2. Beschleunigte und lebenslange Sozialisation und Bildung in vernetzten Lernlandschaften

Dass Kinder und Jugendliche nicht nur und nicht einmal vorrangig in der Schule lernen, sondern häufig umfassender und nachhaltiger in Familie, Peer-groups, Jugendszenen, außerschulischen Freizeit- und Bildungseinrichtungen sowie in den Medienwelten, in denen sie sich bewegen, ist eigentlich keine neue Einsicht. Bezüglich der digitalen Medien und Technologien gewinnt diese Einsicht allerdings eine nochmals verstärkte Relevanz. Weil die Digitalisierung die Lebenswelt der Heranwachsenden von Anfang ihres Lebens an durchdringt, ist (überwiegend informelles, z.T. aber auch formelles) digitales Lernen nicht nur ein lebensbegleitender Prozess, sondern findet auch in nahezu allen Lebensbereichen statt. Hinzu kommt, dass der anhaltend rasante Wandel digitaler Technologien zu ständig neuen Lernleistungen herausfordert. Schulische mediale bzw. digitale Bildung muss sich notwendig auf die lebensweltliche Mediensozialisation beziehen und ist gut beraten, mit Eltern und anderen Bildungsakteuren und -akteurinnen zusammenzuarbeiten. Zudem wird schulische Bildung nur dann nachhaltig sein, wenn es ihr gelingt, auf die Sozialisations- und Lernprozesse in der Alltagswelt der Heranwachsenden zurückzuwirken. In diesen Zusammenhängen spielt die Erforschung der Mediensozialisation von Kindern und Jugendlichen eine enorm wichtige Rolle. Eine solchermaßen sozialisationsorientierte Medienpädagogik repräsentiert vor allem Rudolf Kammerl, der in mehreren größeren Forschungsprojekten das Medienhandeln in der Familie und in Peer-groups (Kammerl/Kramer, 2017; Rummler/Müller/Kaminn/Richter/Kammerl/Potzel/Grabensteiner/Schneider Stingelin, 2021) auch die exzessive Nutzung von Internet und Computerspielen (Kammerl, 2012), untersucht und deren Ergebnisse in seine konzeptionelle Perspektive einer „Bildung für eine Kultivierung der mediatisierten Gesellschaft“ integriert hat (Kammerl, 2018).

In der Religionspädagogik gibt es u.a. Anschlussmöglichkeiten aus der Perspektive einer „systemischen Religionspädagogik“ (Domsgen, 2012), die ebenfalls die Vernetzung unterschiedlicher Lernorte intendiert, der berufsorientierten Religionspädagogik, die Lernorte der Arbeitswelt mit in den Blick nimmt (z.B. Gronover/Obermann/Schnabel-Henke, 2021), sowie einer „religiösen Mediensozialisation“ (Pirner, 2012b; Pirner/Penthin/Meltzer/Fleischmann, 2023; Nord 2021b) und der (u.a. religiösen wie medialen) „Selbstsozialisation“ in Jugendkulturen (Pirner, 2011; 2015; vgl. zu Computerspielen Zirpel, 2016).

3.3. Kulturell-ästhetische Perspektiven

Digitale Kommunikation ist stark von ästhetischen Handlungspraktiken bestimmt, angefangen von der primären Orientierung an Bild und Film auf Social-Media-Plattformen wie Instagram, Snapchat, Tik Tok oder YouTube bis hin zu der von Icons und Emoticons geprägten Smartphone-Kommunikation. Konsequenterweise haben kultur- und kunstpädagogische Ansätze und Forschungen im Sinn einer „kulturell-ästhetischen Medienbildung 2.0“ (so z.B. Zacharias, 2010; 2013; vgl. auch Jörissen, 2022) an Bedeutung gewonnen. Gerade weil ein kritisch-selbstbestimmter Umgang mit digitalen Medien durch das kompetente Erkennen instrumentell eingesetzter ästhetischer Gestaltungsprinzipien wesentlich gefördert wird, gehören ästhetische und ethisch-kritische Bildung zusammen und sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Hier hat auch die traditionelle medienpädagogische Königsdisziplin der Handlungsorientierung (vgl. Tulodziecki/Herzig/Grafe, 2021) neu ihre Berechtigung: Mündig, selbstbestimmt und erfüllt leben heißt heute auch, sich mit ästhetisch-digitalen Gestaltungsformen kreativ ausdrücken, kompetent präsentieren und durch sie kommunizieren zu können. Insbesondere aus kunstpädagogischen und Cultural-Studies-Ansätzen war und ist zu lernen, dass kritische Auseinandersetzung nicht nur kognitiv-verbal, sondern auch ästhetisch-performativ stattfinden kann und dass Kunstwerke, Performances, literarische oder symmediale Ausdrucksformen häufig mehr zum kritischen Nachdenken anregen als rationale Argumente. Neben dem (immer einfacher gewordenen) Produzieren von Videos oder Podcasts sind in jüngster Zeit vor allem diverse digitale Spielformen als handlungsorientierte didaktische Möglichkeiten erprobt worden (z.B. Edu-Breakouts, Geo-Caching, Simulationsspiele u.v.m.) bis hin zum Kreieren eigener digitaler Spiele (z.B. Autenrieth/Nickel, 2022). Auch wenn es viele positive Erfahrungen aus der Praxis gibt, ist die Forschungslage zur Effektivität solcher Lernspiele bislang allerdings unbefriedigend (Nebel, 2022).

Religionspädagogische Anknüpfungspunkte bestehen u.a. in der substanziellen Tradition der ästhetischen Bildung in der Religionsdidaktik, die in jüngster Zeit neue Perspektiven entwickelt und hier auch digitale Medien einbezogen hat (vgl. z.B. Burrichter/Gärtner, 2023). Weiterhin bedeutsam in diesem Kontext sind religionssoziologische, theologische und religionspädagogische Ansätze zu Arbeiten über populäre Kultur (vgl. Themenheft 5/2021 „Religion und Populärkultur“ der Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik; Reuter, 2020; Zirpel, 2016; „pop.religion e.V.“, Theologische Gesellschaft für Pop-, Kultur- und Religionserforschung, https://pop-religion.de).

3.4. Medienkritisch-ethisch-politische Perspektiven

Dass die Mediatisierung und Digitalisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt neben großen Chancen auch Risiken und Gefährdungen mit sich bringt, ist gerade in jüngster Zeit verstärkt diskutiert worden. Der damit einhergehende Orientierungs- und Regelungsbedarf zeigt sich schon allein in der Fülle der Literatur zu einer „digitalen Ethik“ bzw. einer „Ethik der Digitalität“ sowie in entsprechenden gesetzlichen Initiativen. In der Medienpädagogik gehört „Medienkritik“ seit der prägenden Bestimmung von Dieter Baacke gemeinsam mit Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung zum Bildungsziel der „Medienkompetenz“ dazu (Baacke, 1997). Entsprechend finden sich analytischreflexive, kritische bzw. ethische Dimensionen in allen neueren medienpädagogischen Konzepten, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung und z.T. mit deutlicher Kritik an aktuellen Tendenzen einer auf digitale Fertigkeiten und ökonomisch brauchbare Kompetenzen enggeführten Medienbildung.

So stellt z.B. für Dan Verständig in seiner Weiterentwicklung der strukturalen Medienbildung (nach Marotzki/Jörissen 2009) der „Digital divide“, also die Vertiefung der sozialen Spaltung durch die digitalen Technologien, einen zentralen Bezugspunkt für seine medienkritischen Perspektiven dar. Er unterscheidet drei Dimensionen des digital divide:

  1. 1.den „zero-level-digital divide“, der anzeigt, dass die soziale Ungleichheit bereits in den Strukturen der Netzwerke und „digitalen Architekturen“ eingeschrieben ist;
  2. 2.den „first-level-digital divide“, der auf ungleiche Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Medien aufmerksam macht;
  3. 3.den „second-level-digital divide“, der auf die Ungleichheit durch unterschiedliche Mediennutzung Bezug nimmt, die durch den sozialen und Bildungs-Hintergrund bedingt ist (Verständig, 2017, 229-231).

Horst Niesyto hat seine durchgängige Akzentuierung von Medien- und Gesellschaftskritik als unabdingbare Teilaufgabe von Medienbildung (vgl. Niesyto/Rath/Sowa, 2006; Niesyto/Moser, 2018) jüngst durch Überlegungen zum „Digitalen Kapitalismus“ pointiert. Im Rückblick auf die jüngere Entwicklung ist seine Einschätzung, dass „relevante Teile der Medienpädagogik […] nach der paradigmatischen Wende von der Frage ‚Was machen die Medien mit den Menschen?‘ hin zur Frage ‚Was machen die Menschen mit den Medien?‘ die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen subjekttheoretisch verkürzt geführt“ hätten (Niesyto, 2017, 5). Er plädiert dafür, den strukturellen Einfluss von Medien auf Denk- und Verhaltensweisen von Menschen und die Relevanz unterschiedlicher sozialer, bildungsbezogener und anderer Ressourcen für Bildungsprozesse nicht zu unterschätzen. „Mediale Strukturmuster im Kontext gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse herauszuarbeiten und zu reflektieren, ist eine wichtige Aufgabe der pädagogischen Medienkritik“ (Niesyto, 2017, 5), ohne dass diese in die Einseitigkeiten der Frankfurter Schule und der ihr folgenden ideologiekritischen Pädagogik zurückfallen dürfe. Mit diesem erkenntnisleitenden Interesse skizziert und diskutiert Niesyto bedeutsame Beiträge aus dem weitverzweigten interdisziplinären Diskurs um den „Digitalen Kapitalismus“ und arbeitet Analogien zwischen kapitalistischen und digitalen Strukturprinzipien heraus. Am Beispiel der Rezeption dieses Diskurses demonstriert Niesyto sein Anliegen, die „gesellschaftliche[n] Verantwortung der Medienpädagogik“ zu stärken, damit diese nicht immer mehr zu einem „Ausbildungs- und Reparaturbetrieb des digitalen Kapitalismus für die berufsbezogene Anwendung digitaler Technologien“ werde (Niesyto, 2017, 21). Letztlich geht es ihm darum, „Medienbildung wieder verstärkt als politisch-kulturelle Medienbildung zu begreifen“ (Niesyto, 2017, 23) und dass Medienpädagogik auch durch professions- und bildungspolitisches Engagement an der Veränderung struktureller Rahmenbedingungen mitarbeitet.

Deutliche Parallelen zu den geschilderten Tendenzen in der Medienpädagogik – und damit mögliche Anschlussstellen – zeigen sich in der Neuakzentuierung der politischen Dimension religiöser Bildung seit etwa 2010, die sich u.a. in Konzepten einer „Öffentlichen Religionspädagogik“ (Grümme/Pirner, 2023), einer „Politischen Religionspädagogik“ (Könemann, 2016) oder einer neukonzipierten „Kritisch-emanzipatorischen Religionspädagogik“ (Herbst, 2023) niedergeschlagen hat. Die angeführten Argumente und Entwicklungen markieren generell die zunehmende Bedeutung einer digitalitätsethischen Bildung im Kontext von digitaler Bildung (Pirner, 2023).

4. Medienbildung und digitale Bildung in der Religionspädagogik

4.1. Herausforderungen

Die enorme Bedeutung von Mediatisierung und Digitalisierung für religiöse Bildung lässt sich in drei Hauptaspekten unterscheiden (vgl. zum Folgenden auch Nord/Pirner, 2022; 2023):

4.1.1. Digitalisierte jugendliche Lebenswelten

Religiöse Bildung orientiert sich notwendig an den Subjekten der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen und ihrer Lebens- und künftigen Arbeitswelt, die heute stark von digitalen Medien und Technologien geprägt ist bis hin zu charakteristischen Transformationen von individuellen und gesellschaftlichen Grundphänomenen wie Öffentlichkeit, Identität, Freundschaft, Autorität, Gemeinschaft u.v.m. Die Digitalisierung hat auch die Bedingungen des Aufwachsens und der (auch religiösen) Sozialisation der jungen Menschen verändert, wie sich bereits aus den regelmäßig erscheinenden Kinder- und Jugendmedienstudien ersehen lässt (letzte JIM-Studie: MPFS, 2021; letzte KIM-Studie: MPFS, 2018). Mehr denn je gilt für heutige Heranwachsende: Sozialisation ist Mediensozialisation; Kindheit und Jugend sind mediatisierte Lebensphasen (BMFSFJ, 2020; Hoffmann/Krotz/Reißmann, 2017; Stapf/Prinzing/Köberer, 2019). Und vor allem für solche Kinder und Jugendliche, die keine religiöse Sozialisation in Familie und Gemeinde mehr erfahren, übernehmen die digitalen Alltagsmedien weitgehend diese Funktion: Ihre Vorstellungen von Gott bzw. Göttern oder übernatürlichen Mächten, von der Kraft des Glaubens und spiritueller Techniken, von Religionen wie ‚dem‘ Islam oder ‚der‘ katholischen Kirche werden vor allem durch die digitalen Medien geprägt; sie erfahren eine „religiöse Mediensozialisation“ (Pirner, 2004; 2010; 2012; Nord, 2021b).

4.1.2. Digitalisierte Religion

Der Gegenstand von religiöser Bildung, Religion (im weitesten Sinn bis hin zum engeren Sinn von Religionsgemeinschaft bzw. Kirche), ist ebenfalls von digitalen Transformationen betroffen, die sich durch die Corona-Pandemie entscheidend beschleunigt haben. Nach religionssoziologischen und theologischen Analysen lässt sich z.B. von einer strukturellen Individualisierung, Personalisierung, Subjektivierung und Synkretisierung von Religion sprechen (so Knoblauch, 2009; vgl. auch Höhne, 2015). Zugleich findet aber auch eine gewisse Demokratisierung und Entprivatisierung von Religion in der Öffentlichkeit des Internets und der sozialen Medien statt, die als Tendenzen eines „Priestertums aller Gläubigen“ verstanden werden können (vgl. Merle, 2019, 203). Der Netzwerkcharakter der digitalen Kommunikation ermöglicht auch im religiösen Bereich unterschiedliche Grade der Verbindlichkeit sowie die „Überwindung von traditionellen sozialen Grenzen und Rollen“ und bietet die „erhöhte Chance von internationalen und interkulturellen Kontakten“ (Kirchenamt der EKD, 2022, 14f.). Religiöse Menschen verbinden heutzutage in ihrer spirituellen Praxis in aller Regel Elemente der Online- und Offline-Welt; sie leben auch religiös „onlife“: „In Wahrheit sind wir weder on- noch offline, sondern onlife: Wir leben zunehmend in diesem besonderen Raum, der sowohl analog als auch digital, sowohl online als auch offline ist“ (Floridi, 2018, 20f.).

4.1.3. Digitalisiertes Lernen

Schließlich betrifft die digitale Transformation auch in besonderer Weise die Lern- und Bildungsprozesse. Der Umgang mit digitalen Medien und Technologien ist zu einer ebenso grundlegenden Kulturtechnik geworden wie Lesen, Schreiben und Rechnen und prägt von daher auch Lern- und Bildungskulturen. Es ist noch nie so leicht gewesen wie heute, sich unabhängig von Schule und anderen Bildungseinrichtungen Wissen und Kompetenzen anzueignen; und noch nie waren Kinder und Jugendliche den Erwachsenen in der – zumindest alltagsfunktionalen – Beherrschung neuer Technologien so überlegen. Für formale Bildungssettings verweist dies darauf, dass das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden neu austariert werden muss. Ob die Chancen einer neuen Lernkultur, die sich durch die digitalen Medien ergeben, wirklich genutzt werden, hängt allerdings von der Kompetenz der Lehrkräfte, der Ausstattung und rechtlichen Rahmung der Schulen sowie der Entwicklung von entsprechenden Schulprofilen ab – da sind sich alle einschlägigen Expertinnen und Experten einig (vgl. z.B. Bölling/Graf/Heinz/Hierdeis, 2022; Eickelmann, 2019; Zierer, 2020).

4.2. Perspektiven und Ansätze

Religiöse Bildung, und hier insbesondere der schulische Religionsunterricht, ist nicht nur durch die Mediatisierung und Digitalisierung herausgefordert, sondern bietet auch ein besonderes Potenzial, profilierte Beiträge zur Bildung in der digitalen Welt zu leisten und dabei die genuin religionspädagogischen Ziele zu verfolgen. Medial-digitale Bildung ist keine Zusatzaufgabe, die auf den Religionsunterricht „auch noch“ zukommt, sondern aus den oben genannten Gründen sollten und können religiöse Bildung und medial-digitale Bildung Hand in Hand gehen. Dass und wie das gehen kann, haben jüngst der EKD-Orientierungsrahmen „Evangelischer Religionsunterricht in der digitalen Welt“ (Kirchenamt der EKD, 2022) sowie etliche weitere Publikationen und Forschungsarbeiten skizziert (u.a. Brieden, 2021; Dietzsch/Pfister, 2022; Gojny/Kürtzinger/Schwarz, 2016; Gronover/Obermann/Schnabel-Henke, 2021; Merle/Nord, 2022; Nord/Palkowitsch-Kühl, 2020; Nord/Pirner, 2022; 2023; Nord/Zipernovsky, 2017; Palkowitsch-Kühl, 2017; 2021; Palkowitsch-Kühl/Wenger, 2021; Pirker, 2019; Pirker/Pišonić, 2022), auch wenn noch viele didaktische und Forschungs-Fragen weiter zu bearbeiten sind (s. unten).

4.2.1. Bildungstheoretische und theologische Perspektiven als Grundlage

Zunächst ist aus christlicher Sicht zu unterstreichen, dass angesichts der Herausforderungen der Digitalisierung Bildung im umfassenden, mehrdimensional-‚ganzheitlichen‘ Sinn nötig ist, die „um des Menschen willen“ erfolgt (Sekretariat der DBK, 2016, 12) bzw. in deren Mittelpunkt die „Maße des Menschlichen“ (Kirchenamt der EKD, 2003) stehen, deren Ziel also das individuelle wie (welt-)gesellschaftliche „human flourishing“ ist – ein möglichst gutes, erfülltes Leben für alle Menschen (Volf, 2017). Da die Frage, was ein solches gutes Leben ausmacht, in pluralistischen Gesellschaften umstritten ist, können christlich-normative Perspektiven im Sinne einer Öffentlichen Theologie bzw. Öffentlichen Religionspädagogik (vgl. Grümme/Pirner, 2023) hier wichtige Beiträge in den Diskurs einbringen, um so etwas wie eine „Public Digital Literacy“ (Schmidt, 2020, 65) zu befördern. So folgt z.B. aus einem solchen Bildungsverständnis für den schulischen Bereich, dass sich alle Unterrichtsfächer gemeinsam, aber durchaus mit unterschiedlichen Akzentuierungen, an der Aufgabe der „Bildung in der digitalen Welt“ beteiligen und gerade auch ‚Nebenfächer‘ wie Kunst, Musik, Sport und Religion wichtig sind. Es folgt weiterhin, dass – wie oben bereits angedeutet – neben und gemeinsam mit einer notwendigen Förderung von digitalen Kompetenzen die Persönlichkeitsbildung sowie die fachliche Bildung besonders beachtet werden sollten: „In den digitalen Lebenswelten der Zukunft ist Ich-Stärke so sehr wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte gefordert“, urteilt der Philosoph Julian Nida-Rümelin (Nida-Rümelin/Weidenfeld, 2018, 161). Und um z.B. die Darstellung des Islam in den Medien als einseitig oder verzerrt wahrnehmen zu können, braucht es ein gewisses fachliches Grundwissen.

4.2.2. Besondere Potenziale religiöser Bildung: die theologische Hermeneutik und Ethik der Mediatisierung und Digitalisierung

Religion im allgemeinen und das Christentum im besonderen sind von jeher und grundlegend mit Medien verbunden: Die göttliche Wirklichkeit lässt sich nur symbolisch-medial repräsentieren, und die göttliche Offenbarung in menschlichen Erfahrungen lässt sich nur medial an die kommenden Generationen tradieren. Christliche Theologie kann somit historisch gewachsene Kompetenzen im kritisch-konstruktiven Umgang mit Medien (z.B. aus dem Streit um die Verwendung von Bildern oder den Auseinandersetzungen um ein rechtes Verständnis der Schrift) in den aktuellen Diskurs einbringen. Der Bezug auf Religion kann zudem einerseits die Religionsähnlichkeit von medialen bzw. digitalen Phänomenen kritisch in den Blick nehmen helfen (z.B. die Überhöhung von Digitalität und Künstlicher Intelligenz als Heilsbringer); andererseits können die Unterschiede und Spannungen zwischen religiösen und digitalen Phänomenen zu einem tieferen Verständnis sowohl von Religion als auch von Digitalität anregen (z.B. Kann ein Roboter Segen spenden? Kann eine Smartphone-App Absolution erteilen?) und dabei auch zur Frage weiterführen, was das Menschsein des Menschen gegenüber Robotern und KI ausmacht („Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei […]“ Paulus in 1 Kor 13,13; vgl. zur Thematik auch Nord/Ess, 2022; Platow, 2020; 2022; → Künstliche Intelligenz). Im schulischen Kontext wird eine wichtige Aufgabe des Religionsunterrichts zu Recht in der ethischen Bildung gesehen – auch wenn er in dieser natürlich nicht aufgeht. Bezogen auf die digitale Bildung liegt darum auch ein besonderes Potenzial des Religionsunterrichts und damit ein möglicher Schwerpunkt im interdisziplinären Miteinander der Unterrichtsfächer in der digitalitätsethischen Bildung bzw. der ethischen Bildung in der digitalen Welt (Nord, 2021a; Pirner, 2023; → Ethische Bildung und Erziehung). Hierbei kann die Religionsdidaktik u.a. auf hilfreiche Beiträge aus der theologischen Ethik zurückgreifen, etwa auf das medienethische Impulspapier der Deutschen Bischofskonferenz (Sekretariat der DBK, 2011), die Denkschrift der EKD „Freiheit digital“, welche die 10 Gebote auf den Umgang mit digitalen Medien und Technologien hin auslegt (Kirchenamt der EKD, 2021; vgl. auch den Abschnitt 2.4 des Orientierungsrahmens, Kirchenamt der EKD, 2022) sowie entsprechende Buchpublikationen (Beck/Nord/Valentin, 2021; Constanza/Ernst, 2012; Haberer, 2015; Pirner/Lähnemann/Haußmann, 2011; Ulshöfer/Kirchschläger/Huppenbauer, 2021; Ulshöfer/Wilhelm, 2020).

4.2.3. Aufgaben von religiöser Bildung im Hinblick auf Digitalität und Medien

Der erwähnte EKD-Orientierungsrahmen fasst die Aufgaben evangelischer Bildung bzgl. der digitalen Medien und Technologien folgendermaßen zusammen:

  • „die Befähigung zur kritischen Analyse und Reflexion der Potenziale und Gefahren von Digitalisierungsprozessen und deren Auswirkungen auf menschliche Lebenswirklichkeiten,
  • die Befähigung zu einer theologisch, ethisch und pädagogisch verantworteten Nutzung digitaler Technologien,
  • die Befähigung zur mündigen und kreativen Mitgestaltung einer humanen und nachhaltigen Kultur der Digitalität,
  • die Ermöglichung von Orientierung in einer komplexen und sich rasant ändernden Wirklichkeit, eines konstruktiven Umgangs mit Widersprüchlichkeiten sowie mit Fragen nach Sinnhaftigkeit und Sinn“ (Kirchenamt der EKD, 2022, 29).

Für die Bearbeitung dieser Aufgaben müssen, wie der Orientierungsrahmen ausführt, ein Lernen mit und ein Lernen über digitalen Medien sinnvoll ineinandergreifen. Es geht darum, sowohl Kompetenzen religiöser Bildung digital zu fördern als auch „Kompetenzen in der digitalen Welt“ im Religionsunterricht und an anderen Orten religiöser Bildung zu fördern. Die Nutzung von digitalen Medien im Religionsunterricht bietet vielfältige neue Chancen zur Anregung und Unterstützung von religiösen Lernprozessen, wie sich exemplarisch in den Bereichen digitale Spiele (z.B. Edu-Breakout, Actionbound; → Spiele, digitale; → Digitale Spiele – kirchengeschichtsdidaktisch) und Augmented/Virtual Reality (vgl. Pirker/Pišonić, 2022) zeigen lässt. Es geht ferner darum, dabei die Ziele der Persönlichkeitsbildung sowie einer kultur- und gesellschaftskritischen Bildung deutlich zur Geltung zu bringen.

4.2.4. Aufgaben der Religionspädagogik im Hinblick auf mediale/digitale Bildung

Um die geschilderten Aufgaben und Potenziale religiöser Bildung kompetent wahrnehmen zu können, braucht es Lehrkräfte und religionspädagogisches Fachpersonal, die für diese Aufgaben ausgebildet und kontinuierlich fortgebildet werden. Die oben angesprochenen Defizite in der Lehrkräftebildung betreffen auch die Religionslehrkräfte, wenngleich hier durch die aktive, engagierte Arbeit der religionspädagogischen Institute und durch etablierte Plattformen wie rpi-virtuell besondere Chancen bestehen (vgl. Kap. 4 des EKD-Orientierungsrahmens, Kirchenamt der EKD, 2022).

Weitgehende Defizite bestehen auch in der empirischen Forschung. Sie betreffen insbesondere religionspädagogisch relevante Aspekte des Medienumgangs von Kindern und Jugendlichen sowie der von ihnen genutzten Medienwelten und entsprechende Sozialisationsforschung (vgl. Leven/Palkowitsch-Kühl, 2021; Nord, 2021b; Pirner, 2021; Schwich, 2022; → Soziale Medien), zumal bislang weder in den Kinder- und Jugendmedienstudien nach Religion noch in den Religiositätsstudien nach den Medien gefragt wird (vgl. hierzu neuerdings Pirner/Meltzer, 2023). Etwas besser steht es um die empirische Erforschung der digitalitätsbezogenen, medienpädagogischen Einstellungen und Kompetenzen von (künftigen) Religionslehrkräften und religionspädagogischen Fachkräften (vgl. die Studien zu Lehrkräften von Gennerich/Palkowitsch-Kühl/Nord, 2021; Palkowitsch-Kühl, 2022; Pirner, 2022c, Kap. 2.10; zu Studierenden: Adam/Deniffel/Nord/Gennerich/Palkowitsch-Kühl, 2021). Insbesondere fehlt es an religionspädagogischer Lehr-Lern- und Unterrichtsforschung, die es erlauben würde, Lerneffekte digitaler bzw. digitalitätsbezogener Lernszenarien für religiöse Bildung einschätzen zu können. Erste Ansätze hierzu bieten das Projekt „RELab digital“ (vgl. Adam/Nord/Wagner, 2022; sowie Dietzsch/Pfister, 2022).

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