Lernende/Lehrende
(erstellt: Januar 2015; letzte Änderung: Februar 2022)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.LernendeLehrende.100080
Wenn einerseits Religionspädagogik die Wissenschaft ist, die sich mit dem Lehren und Lernen von Religion beschäftigt und wenn andererseits in der Religionspädagogik das Subjekt eine zentrale Rolle spielt, dann kommt den Größen Lernende und Lehrende eine tragende Bedeutung in dieser Disziplin zu. Mit dieser Thematik verbinden sich zentrale Fragen der Religionspädagogik:
- 1.Was bedeutet lernen und lehren im religionspädagogischen Kontext?
- 2.Welche Personen sind damit in den verschiedenen religionspädagogischen Handlungsfeldern gemeint?
- 3.Was bedeutet dies für die Rollen der Lernenden und der Lehrenden?
- 4.Welche Interaktionen zwischen Lernenden und Lehrenden sind dem religiösen Lernen angemessen?
1. Lernen und Lehren im religionspädagogischen Kontext
1.1. Lernen und Lehren – Begriffsklärungen
Lernen ist ein selbstverständlicher Bestandteil des Lebens und findet permanent auf ganz unterschiedlichen Ebenen und in diversen Kontexten statt. Entsprechend ist der Begriff in der Alltagssprache präsent: Menschen sprechen selbstverständlich darüber, dass sie etwas gelernt haben oder etwas lernen wollen bzw. müssen und haben „demnach eine intuitive Theorie darüber, was Lernen bedeutet“, meist im Sinne eines „erkennbaren Zuwachses an Wissen oder Können“ (Becker, 2009, 577). Lernen ist grundsätzlich ein „interaktiver Prozess“ und „ohne Aktivität nicht möglich“ (Domsgen, 2021, 276).
Lehren wird in der Regel in Bezug auf institutionelle Zusammenhänge verwendet. Im Zusammenhang mit Lehren ist meist eine spezifische Form von Lernen gemeint, nämlich als Resultat eines intentionalen Vorganges. Dabei sind mindestens zwei Personen in unterschiedlichen Rollen beteiligt: Jemand handelt in einer bestimmten Weise mit dem Ziel des Zuwachses an Wissen oder Können eines anderen Menschen. Diese besondere Form des intentionalen und formalisierten Lernens hat Anteil an Lernprozessen allgemein, wird aber durch spezifische Bedingungen geprägt: eine bestimmte Rollenverteilung, eine Beschränkung auf bestimmte Inhalte, nicht selten verbunden mit einer Begrenzung von Freiwilligkeit des Lernens sowie möglicherweise einer Bewertung des Gelernten.
Lehren kann dann verstanden werden als „organisiertes und strukturiertes Angebot von Lerngelegenheiten, indem jemandem etwas gezeigt und zugleich dieses als Zeigen markiert wird“ (Schütz, 2012, 283). Dabei ist das Verhältnis von Lernen und Lehren asymmetrisch: „Lehren ist […] immer auf Lernen bezogen, auch wenn Lehren nicht automatisch zum Lernerfolg führen muss und Lernen auch unabhängig von Lehren stattfinden kann“ (Schütz, 2012, 283).
1.2. Zwischen Informationsvermittlung und Impulssetzung – lerntheoretische Positionen
In der Frage, wie Lernen geschieht und wie demzufolge gelehrt werden soll, lassen sich in den lerntheoretischen Debatten drei idealtypische Positionen unterscheiden (dazu beispielsweise Domsgen, 2012, 340-342; Domsgen, 2019, 279-286; Schulte, 2012, 225-226). Die eine Linie wird meist mit dem Stichwort behavioristisch benannt. Nach ihr ist ein Lernprozess maßgeblich durch äußere Reize bestimmt und zeigt sich in einer Verhaltensänderung der Lernenden. Lernen erfolgt als eine Verknüpfung von Reiz und Reaktion – so wird ein Verhalten wiederholt, wenn es belohnt wird und künftig vermieden, wenn es bestraft wird.
Die zweite Richtung ist kognitionspsychologisch bestimmt und versteht lernen als Prozess der Informationsverarbeitung. Auch sie blickt vorrangig vom Ergebnis her auf den Lernprozess und versucht dieses mit lerntheoretischen Erkenntnissen und Strategien zu optimieren. Sie folgt dem Sender-Empfänger-Modell, nach dem eine beschreibbare Menge von Informationen von den Lehrenden an die Lernenden weitergegeben wird. Von Interesse ist hier vor allem die didaktische Aufbereitung der Informationen, durch die die Lernenden möglichst viel davon erfassen sollen.
Die dritte Linie begreift den Lernvorgang als selbsttätige Verarbeitung und Aneignung von Impulsen, die zwar von außen gesetzt, aber vom Subjekt eigenständig verarbeitet werden (beispielsweise Büttner/Dieterich, 2004, 148-151) Dies kann konstruktivistisch begründet, aber auch philosophisch fundiert werden (beispielsweise mit Edmund Husserl und Maurice Merleau-Ponty; Becker, 2009, 585). Diese Richtung interessiert sich stärker für den Vollzug des Lernens und die Erfahrungen, die Menschen dabei mit sich und der Umwelt machen. Lernen kann dabei eher als ein „Umlernen“ des bisherigen Wissens gesehen werden, über das der Mensch von klein auf verfügt.
Die hier beschriebenen Tendenzen können bis in die Antike zurückverfolgt werden: Während für Aristoteles die Seele des Menschen als „tabula rasa“ gilt, die mit Sinneseindrücken gefüllt werden muss, versteht Platon den Lernvorgang als Wiedererinnerung der Ideen, die die Seele bereits ursprünglich in sich trägt und jetzt durch Sinneseindrücke quasi reaktiviert (Böhm, 2017, 342). Wie empirische Studien gezeigt haben, bilden sich diese Konzepte auch in der pädagogischen Realität ab, insofern die meisten Lehrenden zumeist entweder der zweiten oder der dritten Überzeugung, wie Lernen funktioniert, folgen (Kunter/Pohlmann, 2020, 278).
Dies hat Konsequenzen für ihr jeweiliges professionelles Handeln sowie ihr Verständnis der Lernenden und sich selbst als Lehrenden (Kunter/Pohlmann, 2020, 278). Im ersten und zweiten Fall ist es die primäre Aufgabe der Lehrenden, die wesentlichen Informationen zu bestimmen und didaktisch geschickt aufzubereiten, damit die Lernenden möglichst viel davon aufnehmen. Die primäre Aktivität liegt hier stärker auf Seiten der Lehrenden, die Lernenden haben vorrangig eine rezipierende Rolle.
Folgt man dem dritten Modell, nehmen die Lehrenden stärker die Rolle von Mediatorinnen und Moderatoren ein und unterstützen die individuellen Problemlöse- und Konstruktionsprozesse der Lernenden. Wissen wird dann im Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden aufgebaut, die sich in diesem Prozess beide potenziell verändern (Kunter/Pohlmann, 2020, 278). Lernen ist hier letztlich ein Prozess von Selbstbildung. Dies bleibt kontingent: „Ob und wie dort etwas rezipiert wird, steht letztlich allein beim psychischen System“ (Büttner/Dieterich, 2004, 148). Der Subjektstatus der Lernenden ist hier wesentlich stärker ausgeprägt.
1.3. Unverfügbarkeit und Subjektorientierung – religionspädagogische Akzente
An diesen intensiven und durchaus auch kontroversen Debatten im allgemein pädagogischen Kontext hat die Religionspädagogik Anteil und setzt gleichzeitig noch einmal eigene Akzente: In religionspädagogischen Zusammenhängen wird nicht völlig anders gelernt und gelehrt als in sonstigen Kontexten, jedoch werden bestimmte Aspekte hervorgehoben und manche Positionen liegen näher als andere, wenn eine transzendente Größe mitgedacht wird. Diese prägt einerseits die Gegenstände des Lernens und soll andererseits in den Lernprozessen Berücksichtigung finden (ähnlich Schulte, 2012, 226).
In der Geschichte der Religionspädagogik sind – dem jeweiligen pädagogischen Zeitgeist entsprechend – alle lerntheoretischen Positionen vertreten. Aus heutiger Perspektive liegt das dritte Modell jedoch religionspädagogisch besonders nahe; entsprechend sind auch die neueren Konzeptionen und Ansätze stärker von der Annahme eigenständiger Verarbeitungsprozesse geprägt (in der Umsetzung z.B. die Bände Büttner, 2010; 2011; 2012; 2013; 2014). Denn zusätzlich zu den spätestens seit Pestalozzi (1746-1827) und Rousseau (1712-1778) bekannten allgemein pädagogischen Einsichten, dass zum einen das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden „gebrochen ist durch das Nicht-Verfügbare, das dem Menschen über den Menschen eigentümlich ist“ (Bönsch, 2006, 151) und zum anderen die Gruppenkonstellation des Lernens das direkte Interaktionsverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden ein zweites Mal bricht, kommt bei dem Gegenstand Religion eine dritte und theologisch entscheidende Brechung ins Spiel: Bei einem religiösen Lernprozess ist das Moment der Unverfügbarkeit durch die transzendente Dimension noch einmal in anderer Qualität gegeben.
In der Religionspädagogik berührt dies die klassische religionspädagogische Grundfrage, ob Glauben lehr- und lernbar sei (z.B. Doyé, 2019, 123-127; Englert, 1997, 138-150; Englert, 2007, 196-206; Lachmann, 2006, 435-440; Schröder, 2012, 202-204). Die Extrempositionen der liberalen Religionspädagogik und der Evangelischen Unterweisung sind dabei mittlerweile einem breiten Konsens gewichen, dass Glauben mit Lernvorgängen verbunden ist, aber nicht in diesen aufgeht: Zwar müssen sowohl elementare Kenntnisse vorhanden sein (man kann nicht an die Auferstehung glauben, wenn man nie von ihr gehört hat) als auch entsprechende Lernerfahrungen (man kann nicht an Vergebung glauben, wenn man sie nie erlebt hat), aber nicht nur die theologische Einsicht, sondern auch die pädagogische Erfahrung zeigt, dass Glauben nicht machbar und religiöse Lernprozesse nicht operationalisierbar sind. Die theologische Grundüberzeugung, dass Gott an und mit jedem Menschen handelt, bevor religionspädagogische Aktivität beginnt, legt in besonderer Weise den Respekt vor den individuellen Wegen der Lernenden nahe und bewahrt davor, diese als unbeschriebene Blätter zu sehen, denen primär Wissen vermittelt werden müsste.
Diese prinzipielle Erkenntnis verbindet sich mit der spezifischen Situation religiöser Lernprozesse im 21. Jahrhundert, die von Pluralität, Individualisierung und Subjektivierung bestimmt ist. Die Überzeugung, dass religiöse Inhalte plausibilisiert werden müssen und ihre Relevanz für die Subjekte deutlich werden muss, um aufgenommen zu werden, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ist mittlerweile weitgehender religionspädagogischer Konsens. Stärker als in anderen Bereichen müssen die Lehrenden in religionspädagogischen Kontexten daher die subjektive Plausibilität und Relevanz ihrer Inhalte den Lernenden aufzeigen und können daher nicht nur einfach Stoff vermitteln. Dass der Lerngegenstand Religion das Subjekt inhaltlich unmittelbar betrifft, muss für die Sicht auf den Lernvorgang und die Lernenden Konsequenzen haben.
2. Lernende und Lehrende in religionspädagogischen Handlungsfeldern
Religiöses Lernen findet an sehr unterschiedlichen Orten statt (Grethlein, 1998, 307-542 Schröder, 2012, 425-543). Die Familie spielt dabei eine zentrale Rolle, aber auch in der Peergroup oder durch mediale Vermittlung wird religiös gelernt. Allerdings hat religiöses Lernen hier keinen verlässlichen Ort und geschieht in der Regel auch informell ohne eine klare Rollenverteilung zwischen Lehrenden und Lernenden. Verlässliche und intentional bestimmte Lehr- und Lernprozesse sind daher vorrangig im schulischen Religionsunterricht und in der Kirche angesiedelt (Pohl-Patalong, 2012, 125f.).
Der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach beschäftigt sich mit dem Gegenstand Religion zentral in der Perspektive des Lernens. Hier sind die Rollen eindeutig definiert: Lernende sind die Schülerinnen und Schüler, Lehrende die Religionslehrerkräfte. In manchen Bundesländern erteilen allerdings auch Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Gemeindepädagoginnen und -pädagogen schulischen Religionsunterricht. Diese werden im schulischen Kontext zwar in der Regel in der Rolle von Lehrkräften wahrgenommen (die u.a. auch Noten verteilen), sie sind allerdings weniger in den schulischen Ablauf eingebunden und besitzen einen wesentlich stärkeren äußeren Referenzkontext, was sich auf ihr Rollenverständnis auswirken kann.
Besonders in der Schule ist religiöses Lernen faktisch immer auch interreligiöses Lernen, denn „das selbstverständlich gewordene Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen macht eine Verhältnisbestimmung zum Glauben der Anderen unumgänglich“ (Langenhorst/Naurath, 2019, 28). Dass ausschließlich evangelische Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht teilnehmen, ist bei weitem nicht mehr selbstverständlich und in vielen Bundesländern bereits eher die Ausnahme als die Regel (Pohl-Patalong/Woyke/Boll/Dittrich/Lüdtke, 2016), zumal das Fach dezidiert für alle offen ist. Aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt aber auch aus Interesse am Fach nehmen Schülerinnen und Schüler ohne Religionszugehörigkeit teil, teilweise aber auch muslimische Schülerinnen und Schüler sowie Schülerinnen und Schüler anderer Konfessionen. „Insgesamt […] scheint das Modell einer klaren Trennung der Schüler*innen nach Religionsgemeinschaften, das im 20. Jh. im Umgang mit konfessioneller Heterogenität nahe liegend erschien, in der religiösen und weltanschaulichen Heterogenität an seine Grenzen zu kommen.“ (Pohl-Patalong, 2019, 24). Für Lehrende ergeben sich dabei neue Herausforderungen, wenn sie in einem konfessionellen Modell in religiöser Heterogenität unterrichten (Lüdtke, 2020; Pohl-Patalong/Woyke/Boll/Dittrich/Lüdtke, 2016).
In der Kirche gelten evangelischerseits die Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden und katholischerseits die Kommunionvorbereitung und der Firmunterricht als klassische religiöse Lernarrangements. Daneben werden die konfessionellen Kindertagesstätten zunehmend als wichtige Orte religiösen Lernens wahrgenommen, ebenso sind natürlich die Erwachsenenbildung und die Bildung mit älteren Menschen in parochialen und nichtparochialen Strukturen wichtige auf religiöses Lernen zielende Handlungsfelder. Wenn sich die Kirche insgesamt als Lerngemeinschaft und die Gemeinde als Lernort begreift, wie es vor allem in gemeindepädagogischer Perspektive (teilweise anknüpfend an Tendenzen der Kirchen in der DDR) formuliert worden ist (z.B. Steinhäuser, 2000), sind alle Beteiligten jederzeit Lernende. Faktisch ist in den genannten Handlungsfeldern jedoch auch hier eine klare Rollenverteilung üblich: Lernende sind hier die Kinder, Jugendlichen oder Teilnehmenden an den Bildungsveranstaltungen, Lehrende können Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakoninnen und Diakonen, Gemeindepädagoginnen und -pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher, aber auch ehrenamtlich Tätige vor allem in der Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden bzw. mit Kommunionkindern und Firmlingen sein. Eine Zwischenstellung zwischen Lehrenden und Lernenden nehmen jugendliche Teamerinnen und Teamer ein.
Der unterschiedliche Charakter der Lernorte Schule und Kirche beeinflusst die religiösen Lernprozesse nicht unerheblich. Die Schule ist als „formaler Bildungsort“ mit einem „dezidiert geplanten und überprüfbaren Bildungsangebot“ wesentlich stärker in staatliche und gesellschaftliche Strukturen eingebunden, während die Kirche als non-formaler Bildungsort, an dem „Bildungsprozesse sich eher in einer etwas offeneren, weniger standardisierten und reglementierten Lernumgebung vollziehen“, mehr Offenheit und Freiräume zulässt (Rauschenberg, 2009, 253). Der Lernort Schule ist neben seinem verpflichtenden Charakter stark von Leistungsmessung geprägt, während die kirchliche Arbeit bewusst außerhalb von Leistungszwängen steht. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Rollen der Lehrenden und der Lernenden. Diese waren in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geringer, als sich für die Schule Tendenzen zu einem selbstbestimmteren Lernen, offeneren Unterrichtsformen und einer „Beziehungsdidaktik“ entwickelten (Bönsch, 2006, 161-164), die seit PISA wieder abgenommen haben.
Die religionspädagogischen Handlungsfelder müssen in der Perspektive digitalen Lernens noch einmal neu bedacht werden. Grundsätzlich ist jedoch die „gelungene Lehrenden-Lernenden-Beziehung im digitalen Religionsunterricht […] an dieselben Charakteristika gebunden wie im Religionsunterricht in Präsenz“, sie „bedarf aber anderer Gestaltungsmodi“ (Dietzsch, 2020, 46). Die sich selbstverständlich ergebenden Gespräche und das gemeinsame Erleben im Alltag muss in der digitalen Variante didaktisch und kommunikativ eingehend geplant werden – und kann dennoch den direkten persönlichen Kontakt nicht ersetzen. Wesentlich erscheinen hier Verlässlichkeit und Verbindlichkeit, aber auch Kreativität und Intuition dafür, was die Schülerinnen und Schüler jeweils brauchen.
3. Die Rollen der Lernenden und Lehrenden
3.1. Die Umkehrbarkeit der Rollen
Nicht nur, aber ganz besonders in religionspädagogischer Perspektive sind die Rollen von Lehrenden und Lernenden nicht eindeutig verteilt. Selbstverständlich bringen die Akteurinnen und Akteure religiöser Lernprozesse unterschiedliche Voraussetzungen, Kenntnisstände und Erfahrungen mit sich und ihnen kommen unterschiedliche Aufgaben und Aktivitäten innerhalb dieser Lernprozesse zu. Diese gelten zum einen jedoch nur für den spezifischen Kontext (nachmittags können die Rollen ganz anders verteilt sein, wenn die Lehrperson eine neue Sportart lernt und die Schülerin oder der Schüler in dieser längst versiert ist) und können auch in diesem relativiert werden (wenn die Konfirmandinnen und Konfirmanden als digital natives medientechnisch versierter sind als die Diakonin oder der Diakon oder die jesidischen Schülerinnen und Schüler aus ihrer religiösen Praxis berichten). Zum anderen ist theologisch zu berücksichtigen, dass es – in der Perspektive seines göttlichen Ursprungs – keinen substanziellen „Vorsprung“ im Zugang zur transzendenten Wirklichkeit gibt. Religion ist ein nie abschließbarer Entdeckungszusammenhang, in dem immer wieder überraschende Erkenntnisse für all Beteiligten möglich sind und Lehrende nicht selten ebenso bereichert werden wie Lernende. Dabei ist didaktisch nach Zugängen zu suchen, die von unterschiedlichen Voraussetzungen aus gleichermaßen produktiv sind für religiöse Lernprozesse und individuelle Entdeckungen.
Auch dieser Aspekt ist wiederum eine spezifisch religionspädagogische Akzentsetzung einer auch in der allgemeinen Pädagogik diskutierten Thematik. Denn auch sie stellt die Frage, „inwieweit das Lehrer/-in-Schüler/-in-Verhältnis tendenziell ein symmetrisches Verhältnis sein könnte, in das jeder als Person eintritt und die sogenannten Vorsprünge (Alter, Wissen, Kompetenzen, institutionell vorgegebene Rolle) als Hilfe zur Bereicherung eines persönlichen Interaktionsverhältnisses verstanden werden können“ (Bönsch, 2006, 151) und „jedem gleiche Chancen gibt, sich einzubringen und persönliche Förderung, Unterstützung, Befriedigung, Befreiung, Herausforderung zu erfahren“ (Bönsch, 2006, 152).
3.2. Die Lernenden als Subjekte
Nicht nur, aber auch in dieser Perspektive sind die Lernenden in jedem Handlungsfeld religiösen Lernens grundsätzlich als Subjekte zu verstehen und damit als Akteurinnen und Akteure religiöser Lehr-Lernprozesse in den Blick zu nehmen (Schröder, 2012, 232-249). Der Gegenstand Religion betrifft jeden Menschen als Person, auch wenn Menschen nicht religiös sozialisiert sind und sich nicht als religiös verstehen. In der Perspektive der Rechtfertigung des Menschen durch Gott wird jeder Mensch als geliebtes Geschöpf Gottes gesehen, das seinen Wert unabhängig von jedem Lernprozess besitzt. Lernende werden daher nicht primär als Leistende gesehen, sondern als Menschen auf ihren persönlichen Lernwegen – die menschlicherseits immer nur ansatzweise erkennbar sind (Pohl-Patalong, 2007).
Religiöses Lernen findet immer – sowohl in der Kirche als auch in der Schule – auf unterschiedlichen Ebenen statt und kann nicht auf den Wissenserwerb beschränkt werden. Die Anteile von „learning about religion“, „learning from religion“ und „learning in religion“ (zusammenfassend Domsgen, 2012, 353) können je nach Handlungsfeld, aber auch abhängig von Thematik, Lerngruppe und Lehrperson variieren, aber eine von diesen Dimensionen konzeptionell oder faktisch völlig auszublenden, wird weder dem Gegenstand Religion noch den beteiligten Menschen gerecht. Daher beinhaltet im Verständnis beider großen Konfessionen der Religionsunterricht notwendig einen Erfahrungs- und Subjektbezug (DBK, 2005, 20-24; EKD, 1994, 27). Der kirchliche Unterricht hingegen muss nicht nur der religiösen Pluralität der Gegenwart Rechnung tragen, sondern ist auch theologisch der Freiheit des Subjekts verpflichtet, die eine kritische Reflexion der Glaubensinhalte erfordert.
Insofern steht nicht nur, aber besonders bei religiösen Lernprozessen immer der ganze Mensch im Mittelpunkt des Lernens, dessen Persönlichkeitsentwicklung und Subjektwerdung gefördert werden soll (Schröder, 2012, 232-249). Lernende sind daher nie Objekte der Vermittlung von Inhalten, sondern ihre eigenen, auch kritischen Auseinandersetzungen mit den Lerninhalten sind zu fördern.
Ob die kompetenztheoretische Orientierung eher eine Chance für die Wahrnehmung der Lernenden als Subjekte darstellt (so beispielsweise Obst, 2015) oder gerade ihre Gefährdung (Schröder, 2014), ist umstritten. Die Antwort auf diese Frage dürfte nicht unwesentlich von dem jeweils zugrundeliegenden Kompetenzbegriff (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht
In jedem Fall gewinnt die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler als Individuen angesichts der religiösen Heterogenität noch stärker an Bedeutung. Sie dürfen nicht primär als Angehörige ihrer Religionsgemeinschaft oder ihrer weltanschaulichen Orientierung wahrgenommen werden, was in der Regel mit bestimmten Präkonzepten verbunden ist, die wiederum bestimmte Erwartungen oder Annahmen nach sich ziehen (Eisenhardt, 2021) – zumal auch muslimische oder konfessionslose Schülerinnen und Schüler in sich äußerst heterogen sind (Domsgen, 2019; Meyer, 2019).
3.3. Die Lehrenden als professionelle Subjekte
Ebenso wie die Lernenden sind die Lehrenden als Subjekte in die religiösen Lehr-Lern-Prozesse involviert. Stärker als in anderen Lerndomänen spielen ihre persönliche weltanschauliche Haltung, ihre Religiosität, ihr Umgang mit anders glaubenden Menschen, aber auch ihre eigenen Fragen und Zweifel in die Lehr-Lern-Prozesse mit hinein und beeinflussen diese in irgendeiner Weise (Schweitzer, 2006, 189-192). Sie sind immer auch Bezugspersonen und Vorbilder im Umgang mit religiösen und existenziellen Fragen und Themen. Ebenso sind sie auch selbst immer Lernende, insofern sie mit den existenziell-religiösen Themen nie „fertig“ sein können und die von ihnen angeleiteten Lernprozesse potenziell auch immer sie selbst als Subjekte betreffen.
Dabei beeinflusst der unterschiedliche Charakter der Lernorte Schule und Kirche selbstverständlich die Rollen der Lehrenden. Mit den kompetenztheoretischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre sind die Unterschiede tendenziell verstärkt worden, obwohl die Kompetenzorientierung auch in die Überlegungen zu den kirchlichen Berufen Einzug gefunden hat (beispielsweise Schaufelberger/Hartmann, 2016).
Die Lehrkräfte sind als „kompetente Fachleute für den Unterricht“ (Rothland, 2009, 496) in den Blick gerückt; ihre professionellen Fähigkeiten werden als entscheidende Größe vor allem für die schulischen Lernvorgänge betont. Verstärkt wurde diese Tendenz durch die stark rezipierte Metastudie des Neuseeländers John Hattie, die die Bedeutung der Lehrkräfte für die Lernleistung der Schülerinnen und Schüler empirisch belegen (Hattie, 2015). Für das Fach Religion gilt dies offensichtlich noch einmal in besonderer Weise, wie eine aktuelle empirische Studie zu den Perspektiven von Schülerinnen und Schülern auf die Lehrenden-Lernenden-Beziehung zeigt (Dietzsch, 2020). „Begründet wird dies damit, dass die Beziehung zwischen Schüler*in und Lehrer*in im Religionsunterricht die Voraussetzung ist, damit sich ‚Schüler wohlfühlen über sensible Themen zu sprechen‘ (David), denn ‚in Reli ist dieses Gespräch zwischen Lehrer und Schüler wichtig‘ (Moritz, Lukas, Lina & Lena)“ (Dietzsch, 2020, 40). Diese Beziehung wird im digitalen Format erschwert, weil der direkte persönliche Austausch auch außerhalb des Klassenzimmers in informeller Atmosphäre fehlt (Dietzsch, 2020, 45).
Der Blick auf die Lehrenden ist dabei durch die religionspädagogische Wahrnehmung des Professionsdiskurses geschärft und gleichzeitig erweitert (→ Professionsforschung
4. Interaktionen zwischen Lernenden und Lehrenden – Konsequenzen für die Gestaltung religiöser Lehr- und Lernprozesse
Im Sinn der Subjektorientierung liegt es nahe, religiöse Lernprozesse nicht katechetisch als Vermittlung von Inhalten anzulegen, sondern von Anfang an auf die Lebensrelevanz religiöser Gehalte zu zielen (Pohl-Patalong, 2014). Das Lehren von Religion muss deutlich machen, dass und inwiefern es für die lernenden Subjekte einen Unterschied für das Leben und/oder das Lebensgefühl macht, einer religiösen bzw. christlichen Weltanschauung zu folgen und sein Leben von dieser prägen zu lassen. Dies nötigt zu einem konstruktiven Umgang mit der vor allem im religionspädagogischen Kontext von Lernenden nicht selten provokativ formulierten Frage: Und was bringt mir das? Darin liegt die Chance, provoziert durch den Charakter gegenwärtiger Religiosität theologisch nach der Lebensrelevanz und durchaus auch Lebensdienlichkeit der christlichen Tradition und des christlichen Glaubens zu fragen.
Diese kann in der Spätmoderne allerdings nicht von den Lehrenden nur postuliert oder behauptet werden, sondern muss für die Lernenden nachvollziehbar und erlebbar sein. Dies bildet eine besondere Herausforderung für den Protestantismus, dessen Verkündigung spätestens seit der Aufklärung vorrangig auf rationale Einsicht auf der Basis schlüssiger Argumentation zielte. Diese Ausrichtung ist auch heute nicht zu verabschieden, aber eine Konzentration darauf wäre fatal: Menschen werden in der Spätmoderne von der Relevanz religiöser Gehalte nicht vorrangig argumentativ überzeugt, sondern emotional im Modus des Erlebens. Hermeneutisch reflektiert wird diese Ausrichtung vor allem in der Performativen Religionsdidaktik, die Religion als Erfahrungsgegenstand inszeniert (z.B. Klie/Leonhard, 2008; Mendl, 2013) oder im Bibliolog, der mit einer Identifikation biblischer Gestalten auf eine Entdeckung biblischer Texte von innen zielt (Pohl-Patalong, 2013).
Während die traditionellen Wege der religiösen Lehre überwiegend auf eine Übersetzung der Texte für die Gegenwart zielt, die durch Predigt und Katechese geleistet wird (mit Formulierungen wie Und was bedeutet das für uns heute?), setzt diese Richtung auf eine zwar gestaltete, aber unmittelbarere Begegnung zwischen Texten und Menschen des 21. Jahrhunderts. Leitend dabei ist eine „Hermeneutik des Zutrauens“ (Pohl-Patalong, 2013, 89-91) in einem mehrfachen Sinn: Gegenüber der Tradition, insofern sie ihr zutraut, sich bei aller historischen Distanz über Zeit und kulturellen Raum hinweg als heilsam und lebensdienlich für Menschen zu erweisen; gegenüber den lernenden Subjekten, insofern sie ihnen zutraut, sich auf diese Begegnung einzulassen und diese aktiv selbst mitgestalten, „indem sie sich mit seinen Deutungsangeboten auseinandersetzen, Fragen stellen und eigene Antwortversuche finden und reflektieren“ (Eisenhardt, 2021, 290) sowie gegenüber den Lehrkräften, indem sie ihnen zutraut, „sowohl die Lerngruppe als auch das Thema im Blick zu haben, beide als gleichberechtigte Dialogpartner*innen ernst zu nehmen und entsprechende Impulse bereitzustellen, um deren Begegnung zu fördern“ (Eisenhardt, 2021, 293). Wichtig ist dabei ist die gemeinsame didaktische Aktivität von Lehrenden und Lernenden. Nicht allein die Lehrkraft ist für den didaktischen Prozess verantwortlich. „Sie schafft zwar den entsprechenden Rahmen und steht den Schüler*innen als begleitende Expertin zur Seite, sie lässt den Schüler*innen aber auch genügend Freiraum, den sie […] mit ihren eigenen Ideen und Gedanken füllen. Indem die Schüler*innen aufeinander Bezug nehmen, eigene Deutungen entwickeln und mit anderen konfrontiert werden, lernen sie, sich selbst zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Auf diese Weise wird auch im Prozess Wissen vermittelt und aus verschiedenen Perspektiven heraus reflektiert.“ (Eisenhardt, 2021, 293). Dies gilt auch und vielleicht besonders in der religiösen Heterogenität, wie die zitierte Untersuchung des Theologisierens mit religionsfernen Jugendlichen zeigt.
Insofern sind die Rollen von Lernenden und Lehrenden in jedem religiösen Lernprozess vielschichtig und damit auch herausfordernd, bieten aber gerade in dieser Vielschichtigkeit besondere Chancen und eine besondere Qualität.
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