Deutsche Bibelgesellschaft

Schlagworte: Stoffverteilungsplan, Curriculum, Bildungsstandards und Rahmenpläne

(erstellt: Januar 2015)

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1. Was ist ein Lehrplan?

In Lehrplänen werden – vereinfacht gesagt – die schulischen Lernanforderungen festgeschrieben. Sie haben den Zweck, einen Beitrag zur Unterrichtsplanung zu leisten und Entscheidungsspielräume festzulegen. Die föderalen Lehrpläne in Deutschland regeln die Problemlage, dass man das Lernen in der öffentlichen Pflichtschule nicht der Beliebigkeit und nicht dem Zufall überlassen kann. Ohne ein Mindestmaß an Absprache und Abstimmung sind gesellschaftliche Qualifikationsprozesse nicht zu sichern. Lehrpläne sind dafür das verbreitetste Instrumentarium. In diesem Regelwerk stellen Gesellschaft und Religionsgemeinschaften fest, welche Anforderungen sie an das schulische Lernen stellen und was sie für wertvoll, bedeutsam sowie unverzichtbar halten. Solche Voraussetzungen und Entscheidungsprämissen lassen sich nicht einfach linear aus fachwissenschaftlichen, theologischen oder pädagogischen Systematiken ableiten, sondern sie werden aus verschiedenen Perspektiven im gesellschaftlichen Diskurs entwickelt. Dabei werden von Interessengruppen bzw. „Bildungsmächten“ (Weniger, 1952, 48ff.) Bildungsinhalte, Bildungsziele oder Bildungswerte (→ Bildung) festgelegt. Diese Regelwerke geben an, was im konfessionellen Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, Recht) gelten soll. Dazu werden die Lehrpläne durch staatlichen Erlass als gültig und verbindlich in Kraft gesetzt. Staat und Religionsgemeinschaften tragen so gemeinsam Verantwortung für das schulische Unterrichten und Lernen. Denn der Religionsunterricht untersteht wie jedes Schulfach auch der staatlichen Schulaufsicht. Zugleich wird er im Auftrag und in Übereinstimmung mit den Lehren und Satzungen der jeweiligen Religionsgemeinschaft erteilt. Somit ist er eine Form verwirklichter Glaubens- und Gewissensfreiheit. Der grundgesetzlich garantierte Religionsunterricht (Art. 7 GG) (→ Grundgesetz) wird durch die Lehrpläne organisiert. Zugleich werden die Lehrpläne für den Religionsunterricht im Einvernehmen mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften strukturiert. Folglich beschreiben diese Anforderungskataloge Fähigkeiten, Fertigkeiten und Leistungen, die in der institutionalisierten religiösen Bildung gesellschaftlich und religionsgemeinschaftlich erwartet werden.

2. Welche Funktion haben Lehrpläne?

Die Funktion von Lehrplänen ist klar geregelt (Wacker, 2008, 94-111): Dieser Lehr- und Lernkatalog bündelt Anforderungen, die in staatlichen Schulen erhoben werden. So beschreiben Lehrpläne, in welchem Rahmen sich Lehrerinnen und Lehrer bei der Auswahl der Unterrichtsinhalte bewegen (Orientierungsfunktion). Auf diese Art und Weise sichern sie unabhängig von konkreten Personen ein Grundwissen, das Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Schulzeit erwerben (Sicherungsfunktion). Um dieses zu erreichen, werden aufeinander aufbauende, nachhaltige bzw. längerfristige Zielvorstellungen formuliert (Ordnungsfunktion). So sind in neueren Lehrplänen Kompetenzerwerbssituationen abgebildet, welche die zu erwerbenden → Kompetenzen strukturieren und organisieren (Steuerungsfunktion). Dabei sollen die Prinzipien von Fachlichkeit, Wissenschaftlichkeit und Pluralität eingehalten werden. Normative Vorgaben von verbindlichen → Bildungsstandards, Inhalten und Zielen strukturieren die Unterrichtsplanung und die Erstellung von Lehrmaterialien und Medien (Entlastungsfunktion) und ermutigen Lehrerinnen und Lehrer, in diesem Bezugsrahmen in eigener pädagogischer Verantwortung zu handeln. In dieser Funktion sichert der Lehrplan auch zugleich das Recht der Lernenden auf den zu vermittelnden Grundkanon (Kontrollfunktion).

Aber sowohl in religionsinternen als auch in gesellschaftlich-politischen Diskussionen hat der Lehrplan auch noch eine Legitimationsfunktion: Einerseits geben die Religionsgemeinschaften damit Auskunft darüber, welche Inhalte und Ziele sie in der Schule anstreben, andererseits gibt der Staat (bzw. der regierende Kultusminister) damit Rechenschaft, was in den staatlichen Schulen unterrichtet wird.

3. Wie Lehrerinnen und Lehrer mit Lehrplänen umgehen (sollen)

Lehrerinnen und Lehrer verwirklichen über ihre Unterrichtsplanung und -durchführung in der Regel die vorgegebenen Lehrpläne. Unterschiedliche Lehrplantypen in den 16 Bundesländern betonen vielfältige didaktische Formate und beschreiben, was in der Schule in dem jeweiligen Bundesland geleistet werden muss. Nur wenn der Lehrplan (einschließlich darauf bezogener „Handreichungen“ und anderer Materialien) die oben beschriebenen Funktionen auch erfüllt, wird er unterrichtspraktisch wirksam. Dies setzt voraus, dass die Lehrerinnen und Lehrer ihn annehmen, ihn verstehen und ihn als brauchbares Instrument akzeptieren.

Ob das aber so ist und ob Lehrerinnen und Lehrer in dieser Weise mit Lehrplänen arbeiten, ist zweifelhaft. „Mir ist es egal, ich orientiere mich am Schulbuch.“ „Lehrpläne haben mit meinem Unterrichtsalltag gar nichts zu tun.“

„Die sind so überflüssig wie ein Kropf.“ Diese beispielhaften Reaktionen lassen den Verdacht aufkommen, dass die unterstellte Orientierungs- und Steuerungsfunktion von Lehrplänen oft reine Theorie ist. Fragt man die erziehungswissenschaftliche bzw. religionspädagogische Forschung, so liegen wenige gesicherte Antworten vor. Es gibt kaum Untersuchungen darüber, wie die Lehrpläne oder Rahmenrichtlinien die konkrete Praxis im Religionsunterricht beeinflussen. Einerseits nehmen Religionslehrerinnen und Religionslehrer (→ Religionslehrer und -lehrerinnen-Forschung) Lehrpläne als Hilfe zur Strukturierung und Planung wahr, andererseits sehen sie in diesen eine einengende Vorschrift, welche Schülerorientierung (→ Schülerinnen und Schüler), Kreativität und Spontanität verhindert. Zudem sind die regionalen Unterschiede insbesondere im Religionsunterricht sehr groß, so dass räumlich begrenzte Lernvorgaben bedeutsam sind. Viele Rückmeldungen lassen vermuten, dass in den Schulen unterschiedliche didaktische Konzepte und unterschiedliche „geheime“ Lehrpläne umgesetzt werden (Englert/Hennecke/Kämmerlin, 2014, 219-232). Diese reichen vom Stoffverteilungsplan aus dem letzten Jahrhundert bis zu neuesten kompetenzorientierten Lehrplänen.

4. Wie sich Lehrpläne entwickelt haben

Lehrpläne unterliegen einem ständigen Veränderungsprozess. Das hat seinen Grund darin, dass sich die Gesellschaft und ihre Wissensbestände ständig weiter entwickeln. Somit ist die Lehrplanrevision eine unentwegte Aufgabe. Doch nicht nur Wissensbestände ändern sich – auch die Vorstellungen davon, was Lehrpläne beinhalten und wie sie didaktisch aufgebaut werden sollen. Das ist zurzeit besonders darin deutlich zu erkennen, dass die curricularen Regelwerke der 1970er und frühen 1980er Jahre durch eine kompetenzorientierte Neustrukturierung abgelöst werden. Die damals betriebene „Bildungsreform als Revision des Curriculums“ (Robinsohn, 1967) setzte sich bewusst und entschieden von der Lehrplan-Tradition der 1950er Jahre ab. Lehrpläne für den evangelischen und katholischen Religionsunterricht waren bis Ende der 1960er Jahre von einem durch „Tradition“ legitimierten Kanon und von einem nicht weiter begründeten „Stoffverteilungsplan“ gekennzeichnet. Sowohl in katholischen als auch in evangelischen Lehrplänen herrschte ein auch sonst verbreiteter Materialismus vor, der durch das Verkündigungsprinzip geprägt war. Die → evangelische Unterweisung und die katholische Materialkerygmatik sicherten die elementaren konfessionellen Glaubensbekenntnisse. Der Religionsunterricht beider Konfessionen war durch den evangelischen bzw. den katholischen Katechismus geprägt. In diesen wird systematisch auf den Glauben der Kirche verwiesen (Eilerts, 2001, 1190; Jendorff, 2001, 1196f.).

Ein grundlegender Wandel der Lehrplanstruktur geschah durch die Rezeption der Curriculumsdiskussion Ende der 1960er Jahre. Dadurch trat eine vorsichtige Orientierung an (künftigen) Lebenssituationen der Lernenden in das Blickfeld der Lehrplanmacherinnen und -macher. Dazu wurden in den „Rahmenrichtlinien“ und „Rahmenplänen“ Richtlinien entwickelt, die sich sehr stark auf die Analyse- und Legitimationskraft von Wissenschaft beriefen. Entsprechend ausführlich und umfassend gerieten die Lehrpläne, in denen die anzustrebenden „Qualifikationen“ und „Lernziele“ zentral waren. Sie wurden auf unterschiedlichen Konkretionsstufen beschrieben, erläutert und ausführlich begründet. Inhaltlich exakte Festlegungen hingegen wurden nur sehr vorsichtig formuliert (beispielsweise auf katholischer Seite die Zielfelderpläne mit ihren Zielfeldern und Qualifikationen (Zielfelderpläne, 1973-1977) und auf evangelischer Seite die hessischen Rahmenrichtlinien mit der dreifachen religiösen Frage nach Ich-Findung, personalen Beziehungen und verbindlichen Sinndeutungen. Die oftmals unübersichtlichen, sehr komplexen und äußerst umfangreichen curricularen Regelwerke der 1970er und frühen 1980er Jahre waren nicht unterrichtspraktisch geprüft. Und in der Tat war es ausgesprochen schwierig, die fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Ansätze im Schulalltag zu konkretisieren. Häufig verweigerten die Zielfelderpläne bzw. die Rahmenrichtlinien die Benennung von unterrichtlichen Themen und Inhalten oder sie erklärten eine solch große Zahl von Themen zu möglichen Unterrichtsinhalten, dass sich daraus für Lehrerinnen und Lehrer kaum Auswahlhinweise ergaben.

Ferner begannen die Verantwortlichen in → Kirchen und Staat eine zunehmend (selbst-)kritische Diskussion zu führen. Die Rückfrage nach den Lehrplänen sollte die Orientierungsfunktion von Lehrplänen im Auge behalten. Dabei sollten Handreichungen, Auswahl der Lehrbücher und Materialien sowie die im Lehrerbewusstsein verankerten (kirchlichen) Traditionen beachtet werden. Der Umfang neuer Lehrpläne sollte zu bewältigen erscheinen und seine Sprache attraktiv und verständlich sein. Dabei sollte er die Alltagswelt der Lehrerinnen und Lehrer bedenken, die heute vor den Herausforderungen einer multireligiös geprägten Schülerwelt stehen. Insbesondere sind dabei Fragen des konfessionellen Dialogs aufzugreifen.

Die im Rahmen der Curriculumsdiskussion entwickelte Problemstellung, wie Lebens- und Glaubenskontext (→ Glaube) zueinander in Bezug stehen, miteinander verbunden sind und theologisch bewertet werden müssen, hält die evangelische und katholische Religionspädagogik bis heute in Atem und prägt die religionspädagogische Diskussion. Auf katholischer Seite wurde besonders der Synodenbeschluss von 1974 „Der Religionsunterricht in der Schule“ zu einer wesentlichen Basis religionspädagogischer Überlegungen (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 1998, 127-160). Dieser Text konkretisierte sich vor allem in den Grundlagenplänen für den katholischen Religionsunterricht (1984) und entwickelte das lernzielorientierte zum intentionalen, prozessorientierten religiösen Lernen in der Schule weiter.

5. Wie Lehrpläne im Kontext des Kompetenzdiskurses neu strukturiert wurden

Mit der als Reaktion auf den „PISA-Schock“ in Gang gesetzten Bildungsreform zu Beginn des zweiten Jahrtausends geht auch eine paradigmatische Neuorientierung in der Konstruktion von Lehrplänen einher. Die Ergebnisse internationaler Schulleistungstests brachten zu Tage, dass die in Deutschland übliche Steuerung des Schulwesens über „inputs“ (Richtlinien, Lehrpläne, Curricula etc.) nicht in der Lage war, die Qualität schulischer Bildung zu sichern bzw. weiterzuentwickeln. Als neue Steuerungsphilosophie wurde nun die vor allem im angloamerikanischen Kontext dominierende Orientierung an den tatsächlichen Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler, also am „outcome“ schulischer Bildung identifiziert und auf den unterschiedlichen Ebenen des Bildungswesens implementiert. Seither legen → „Bildungsstandards“, die in Form von fachspezifischen Kompetenzerwartungen formuliert sind, fest, welches Wissen und welche Fertigkeiten und Fähigkeiten Schülerinnen und Schüler am Ende eines bestimmten Lernzeitraums erworben haben sollen. Die auf den Bildungsstandards gründende, regelmäßige empirische Überprüfung der Lernleistungen gibt Aufschluss über die erreichte Qualität schulischer Bildung. Mit der Einführung von Bildungsstandards werden – in der Logik der Bildungsreform – Lehrpläne zwar nicht obsolet, aber sie werden den Bildungsstandards zu- und untergeordnet und vor allem: Sie werden inhaltlich entschlackt und auf die die elementaren Inhalte einer Fachdisziplin abbildenden „Kerncurricula“ reduziert.

Nationale Bildungsstandards liegen nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) für die Kernfächer (Deutsch, Mathematik, erste Fremdsprache, Naturwissenschaften) vor, nicht aber für die „weichen“ Fächer wie Religion, Kunst oder Musik. Dennoch oder gerade deswegen hat sich für die Fächer Evangelische und Katholische Religionslehre seit 2004 eine rege Betriebsamkeit im Blick auf die Erarbeitung von Kompetenzmodellen, Richtlinien, Orientierungshilfen und bundesländerspezifischen Rahmen- und Bildungsplänen bzw. → Kerncurricula entwickelt. Man versprach sich mit der Aufnahme des Kompetenzparadigmas in den religionsdidaktischen Diskurs, die Anschlussfähigkeit des Religionsunterrichts an die allgemeinpädagogische und bildungspolitische Entwicklung nachhaltig zu sichern.

Bereits 2004 veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz Richtlinien für Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2004), 2006 folgten die Richtlinien für die Grundschule (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2006). Diese Richtlinien nehmen die neuen bildungspolitischen Paradigmen „Bildungsstandards“ und „Kompetenzorientierung“ (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht) zwar grundsätzlich positiv auf, zeigen aber auch deren Grenzen im Blick auf die Ziele und Anliegen des Religionsunterrichts. Damit wollen sie normierende Vorgaben für die Entwicklung von kompetenzorientierten Lehrplänen in den einzelnen Bundesländern bereitstellen. Im Einzelnen unterscheiden die Richtlinien zwischen „allgemeinen“ und „inhaltsbezogenen“ Kompetenzen, wobei sie den Schwerpunkt auf die „Wissensaneignung der elementaren Inhalte des christlichen Glaubens in seiner konfessionellen Prägung“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2006, 10) legen. Diese Inhalte werden gegliedert in die „Gegenstandsbereiche“ (1) Mensch und Welt, (2) Die Frage nach Gott, (3) Bibel und Tradition, (4) Jesus Christus, (5) Kirche und (6) Religionen und Weltanschauungen. Die allgemeinen Kompetenzen, die in der Auseinandersetzung mit Inhalten des christlichen Glaubens und anderer Religionen und Weltanschauungen erworben werden, unterteilen sich in (1) Wahrnehmungskompetenz, (2) hermeneutische Kompetenz, (3) Darstellungskompetenz, (4) Urteilskompetenz, (5) dialogische oder kommunikative Kompetenz und (6) Handlungskompetenz.

Im Bereich des Evangelischen Religionsunterrichts verläuft die Entwicklung von kompetenzorientierten Lehrplänen eher diskursiv. Auf der Basis divergenter kultusministerieller Vorgaben haben die Lehrplankommissionen in den einzelnen Bundesländern eine ganze Palette von Kerncurricula, Rahmen- und Bildungsplänen erstellt, die mit unterschiedlichen Kompetenzmodellen und Bildungsstandards, zum Teil auch mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten arbeiten. Erst 2011, nachdem in den meisten Bundesländern kompetenzorientierte Lehrpläne schon vorlagen, erschien der Orientierungsrahmen der EKD „Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I“ (Kirchenamt der EKD, 2011), der sich selbst als vorläufiges Diskussionsergebnis und nicht als normative Vorgabe versteht. Ein konvergentes Lehrplanmodell mit vergleichbaren Kompetenzen und Standards ist zurzeit noch nicht absehbar.

Kompetenzorientierte Lehrpläne für den Evangelischen Religionsunterricht in der Grundschule und in der Sekundarstufe I liegen in nahezu allen Bundesländern vor. Bayern führt einen entsprechenden Lehrplan in 2014/15 ein, Schleswig-Holstein plant die Einführung für 2015/16. Im Vergleich der vorliegenden Lehrpläne lassen sich typologisch fünf zugrundeliegende Kompetenzmodelle unterscheiden (Möller, 2012a, 3-12; Möller, 2012b, 2-8).

1. Im Modell der Dimensionen religiöser Kompetenz wird – in Anknüpfung an eine ältere Studie des katholischen Theologen Ulrich Hemel – religiöse Kompetenz in unterschiedliche Dimensionen ausdifferenziert, die sich gegenseitig bedingen und nicht trennscharf zu unterscheiden sind. In den einzelnen Lehrplänen werden diese Dimensionen unterschiedlich akzentuiert, schließen aber im Grunde an das Modell an, das sich auch in den Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz findet.

2. Das Berliner Modell religiöser Kompetenzen entwickelte sich aus empirischen Forschungsprojekten zu Kompetenzen und Bildungsstandards und prägt den Berliner Rahmenlehrplan für die Jahrgänge 1 bis 10. In den Forschungsvorhaben an der Humboldt-Universität ging es primär um die empirische Überprüfbarkeit und Operationalisierbarkeit religiöser Kompetenzen. Trennscharf und empirisch nachweisbar ließen sich aber neben dem religiösen Grundwissen nur die religiöse Deutungskompetenz und die religiöse Partizipationskompetenz unterscheiden, die dem Berliner Lehrplan folglich zugrunde liegen. In Verbindung dieser Teilkompetenzen mit den Inhalten des Faches werden explizit Bildungsstandards formuliert, die festlegen, was Schülerinnen und Schüler am Ende von jeweils zwei Jahrgängen wissen und können sollen und die insofern einen kumulativen Kompetenzerwerb beschreiben.

3. Das Modell überfachlicher Kompetenzen lehnt sich an berufspädagogische Modelle an und untergliedert die angestrebte religiöse Handlungskompetenz in die Bereiche der Sach-, Sozial-, Personal- und Methodenkompetenz. Diese unspezifischen Teilkompetenzen werden, z.B. im Grundschullehrplan des Landes Mecklenburg-Vorpommern, erst sekundär mit den fachspezifischen Inhalten des Religionsunterrichts in Verbindung gebracht.

4. Das Modell übergreifender Kompetenzen stellt eine Kombination von überfachlichen und fachlichen Kompetenzen dar. Dieses Modell liegt dem baden-württembergischen Lehrplan zugrunde, der als erster bundesweit schon 2004 Kompetenzen und Standards für den evangelischen Religionsunterricht formulierte. Die Verknüpfung von zwei Kompetenzmodellen, die jeweils einer eigenen Logik folgen, ist allerdings spannungsreich und führt zu Widersprüchlichkeiten.

5. Das Modell grundlegender Kompetenzen religiöser Bildung geht auf das am Comenius-Institut entwickelte Kompetenzmodell (Fischer/Elsenbast, 2006) zurück und liegt u.a. dem Grundschullehrplan aus Rheinland-Pfalz zugrunde. In diesem werden die zwölf Kompetenzen, die im Comenius-Modell für die Sek I entwickelt wurden, auf die Ebene der Grundschule heruntergebrochen und in sechs Teilkompetenzen verdichtet. Diese sechs Kompetenzen sind der „rote Faden“ durch die vier Grundschuljahre und geben vor, was die Kinder am Ende des 4. Schuljahres im Religionsunterricht an Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen erworben haben sollen. Sie sind, wenn dies auch nicht explizit gesagt wird, religiöse Bildungsstandards.

Entscheidend für die Bewertung der kompetenzorientierten Religionslehrpläne ist nun, in welcher Weise in ihnen die Beziehung von Kompetenzen und Inhalten – die im Übrigen weitgehend mit den sechs Gegenstandsbereichen der Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz übereinstimmen – hergestellt wird. In einigen Lehrplänen werden die beiden Ebenen lediglich nebeneinandergestellt und als „inhaltsbezogene“ und „prozessbezogene“ Kompetenzbereiche ausgewiesen (so im niedersächsischen Kerncurriculum 2006). Andere sind konsequent von den Kompetenzen her strukturiert und lassen relativ offen, an welchen Inhalten die Kompetenzen erworben werden (so der hessische Lehrplan 2011). Legt man eine in anderem Zusammenhang von Josef Leisen getroffene Unterscheidung an (Leisen, 2010, 40-57), so könnte man zwischen „kompetenzorientierten“ und „kompetenzangereicherten“ Lehrplänen differenzieren. Aufs Ganze gesehen entspricht die Mehrheit der in den Bundesländern entwickelten Lehrpläne für den Evangelischen Religionsunterricht eher dem Modus der „Kompetenzanreicherung“ (Möller, 2012a, 23f.).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Situation im Blick auf kompetenzorientierte Lehrpläne noch wenig zufriedenstellend ist. Dazu trägt, jedenfalls im evangelischen Bereich die Vielfalt der Lehrplanmodelle bei, aber bedenklicher noch ist die „Ungleichzeitigkeit“ von Lehrplanentwicklung und religionsdidaktischer Forschung (Kraft, 2012, 318). Noch bevor konsensuelle Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für den Religionsunterricht entwickelt und auch einer empirischen Überprüfung unterzogen wurden, entstanden in den Bundesländern auf politischen Druck und aus eigenem Legitimationsbedürfnis kompetenzorientierte Lehrpläne. Übersehen wurden dabei die Trias, die sich aus Kompetenzmodellen, Bildungsstandards und Kerncurricula zusammensetzt, und die sich aus den Anliegen der Bildungsreform (s.o.) ergebende Konstruktionslogik (Rothgangel, 2012, 327f.). Diese besagt: Auf der Grundlage eines theoretisch konstruierten, dann aber auch empirisch überprüften Kompetenzmodells werden Bildungsstandards für den Religionsunterricht formuliert, die im Blick auf ihre Realisierbarkeit auch wieder empirisch abgesichert werden müssen. Darauf bezogen werden dann Kerncurricula entwickelt, die im Grundsatz beschreiben, an welchen Inhalten die Kompetenzen erworben werden, die aber den Fachkonferenzen und Lehrkräften an den Schulen noch einen hinreichend großen Ermessensspielraum für die konkrete Unterrichtsgestaltung belassen. Bildungsstandards und Kerncurricula ergänzen sich in dieser Sicht. Während Bildungsstandards am Output ansetzen, also an dem, was Schülerinnen und Schüler letztlich wissen und können sollen, stellen Kerncurricula den Input dar, insofern sie eine Auswahl der fachlichen Inhalte und Themen bereitstellen.

Am ehesten entsprechen diesem Ideal noch die Vorgaben, die für den Religionsunterricht in der Sek II zur Verfügung stehen. Im Auftrag der Kultusministerkonferenz wurden 2006 die „Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung“ (EPA) entwickelt, deren Konzeption ökumenisch entwickelt wurde, die aber dann konfessionsspezifisch konkretisiert wurden. Die EPA, die sich als Referenzrahmen für die Erarbeitung von entsprechenden Richtlinien in den Bundesländern verstehen, geben fünf Leitkompetenzen vor, die im Religionsunterricht der Oberstufe erworben werden sollen.

Ergänzend zu diesen Rahmenvorgaben erarbeitete eine Arbeitsgruppe im Auftrag der EKD ein Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religionslehre in der gymnasialen Oberstufe, in dem die basalen Themen und Inhalte des Faches nicht nur benannt, sondern mit den oben genannten Leit- und Teilkompetenzen stets eng verknüpft werden (Kirchenamt der EKD, 2010, 14). Wenn in diesem „Paket“ von Bildungsstandards und Kerncurriculum auch noch nicht der Anspruch empirischer Überprüfbarkeit von erwarteten Lernleistungen erfüllt werden konnte, so schimmert hier doch die von den Protagonisten der Bildungsreform avisierte Konstruktionslogik kompetenzorientierter Bildungspläne durch.

6. Schlussgedanke

In der schulform- und schulstufenübergreifenden Auseinandersetzung mit Lehrplänen fällt auf, dass es dem religiösen Lernen in der Schule an einer konsequenten Kontinuität (inhaltlich-sachlich, entwicklungspsychologisch) mangelt. Fachliche und didaktisch-methodische Brüche werden deutlich. Aber gerade die gegenwärtige Kompetenzorientierung und die daraus erwachsenden Kernlehrpläne bzw. Bildungsstandards fordern geradezu einen spiralförmig aufbauenden Kompetenzerwerb von der ersten Klasse bis zum Schulabschluss. Zudem bleibt bei einer gleichzeitig stärker werdenden Wahlfreiheit der Lehrenden hinsichtlich der zu unterrichtenden Inhalte die Herausforderung, die Lernanforderungen von Religionsgemeinschaften bzw. Gesellschaft auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Lerninteressen der Heranwachsenden in Balance zu bringen. Fachdidaktische Leitlinien könnten wieder neu zu Bewusstsein bringen, dass religiöses Lernen kein voraussetzungsloses Lernen ist. Religiöses Lernen ist jeden Tag wieder ein spannendes und herausforderndes Geschäft, bei dem ein „guter“ Lehrplan sehr wohl nützlich sein kann.

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