Elementarisierung
(erstellt: Januar 2015)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Elementarisierung.100014
Das religionspädagogische Anliegen der Elementarisierung ist umfassender als die Konzentration auf eine Elementartheologie, deren Maßstäbe primär die Auswahl und Vereinfachung von Inhalten sind. Pädagogisch gibt es das Elementare nicht „an sich“ oder nur auf die Sache bezogen. Vielmehr verweist der Begriff auf ein Verhältnis zwischen einem Inhalt und Personen, für die er zugänglich, einsichtig und grundlegend bedeutsam werden soll. Diesem Erschließungsprozess dient die Elementarisierung.
1. Das Interesse an Elementarisierung
Erziehungswissenschaftlich reichen die Wurzeln der Bemühung um elementares Lernen weit zurück. Als prominenter Vertreter im 18. Jahrhundert gilt Johann Heinrich Pestalozzi, der mit seiner Tätigkeit in Stans Stufen einer sittlichen Elementarbildung beschrieb. Ihn hat Wolfgang Klafki in den 1950er Jahren aufgenommen (Klafki, 1964), um das pädagogische Problem des Elementaren im Rahmen einer Theorie kategorialer Bildung zu entfalten. Dabei ging es um Kriterien für eine didaktische Reduktion der Inhalte, um bildendes Lernen zu ermöglichen. In der → Religionspädagogik
Dagegen verdeutlichte der Elementarisierungsansatz, dass die biblischen Texte bereits grundlegende Erfahrungen enthalten, die sich unterrichtlich erschließen lassen. Sie wirken motivierend, weil sie in veränderten Lebenskontexten Entsprechungen finden und neue Erfahrungen anstoßen können. Im Zusammenhang mit dem Interesse an Elementarisierung begann vor allem Karl Ernst Nipkow auf die Rolle der → Entwicklungspsychologie
2. Konzepte der Elementarisierung
Der Elementarisierungsansatz hat religionsdidaktisch unterschiedliche Ausformungen erfahren. Für Ingo Baldermann blieb die Frage nach elementaren Zugangsmöglichkeiten zur Bibel leitend. Indem er Kindern elementare Sätze aus den → Psalmen
Nach Godwin Lämmermann kann Elementarisierung nicht mit der Strukturierung von Inhalten einsetzen. Er räumt den lebensweltlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler den Primat bei der Elementarisierung ein, um von dort her Schlüsselprobleme für didaktische Überlegungen zu identifizieren (Lämmermann, 2001, 386f.). Allerdings bleibt der Weg von der Fülle möglicher Erfahrungen zu immer begrenzten Unterrichtsprozessen hier eher undeutlich.
Besonders wirksam wurde der Tübinger Ansatz der Elementarisierung, für den neben Nipkow heute Friedrich Schweitzer steht.
3. Der Tübinger Ansatz der Elementarisierung
Den Hintergrund für dieses Konzept bildet eine Verbesserung der Qualität des Religionsunterrichts (→ Religionsunterricht, evangelisch
3.1. Elementarisierungsdimensionen
Um diese allgemeine Intention für den didaktischen Gebrauch aufzuschlüsseln, werden fünf konkrete Fragerichtungen oder Dimensionen beschrieben, die theologisch und pädagogisch fundiert sind (Schweitzer, 2011a, 14-29):
Elementare Strukturen: Je nach Unterrichtsinhalt vergewissern sich die Unterrichtenden durch exegetische, → historische
Elementare Erfahrungen: Bei Elementarisierung geht es um lebensbedeutsame Erschließung und erfahrungsbezogene Relevanz. Die Unterrichtenden fragen nach in überlieferten Zeugnissen aufgehobenen elementaren (Glaubens-)Erfahrungen. Damit sind Erfahrungen von Menschen zu unterschiedlichen Zeiten gemeint, bei einem biblischen Text z.B. die Frage nach dem „Sitz im → Leben
Elementare Zugänge: Zu berücksichtigen sind die jeweiligen Zugangs- und Deutungsweisen der Schülerinnen und Schüler, die sich aus ihrer Entwicklung und mit ihrer Lebenslage verbundenen Verstehensweise erklären. Das Elementare erscheint als das zeitlich Angemessene, Elementarisierung als Sequenzproblem im Sinne lebensgeschichtlich bedingter Verstehensvoraussetzungen. Auf der Seite der Unterrichtenden setzt dies die Fähigkeit voraus, Äußerungen von Kindern und Jugendlichen auf dem Hintergrund ihrer → religiösen Entwicklung
Elementare Wahrheiten: Das Elementare erscheint im existenziellen Bezug eines Themas oder Inhalts, Elementarisierung als Vergewisserungsproblem im Gespräch über Fragen nach gewiss machender → Wahrheit
Elementare Lernformen: Die dem Ansatz innewohnende Dynamik verlangt bewegliche didaktische Fantasie. Die Unterrichtenden suchen nach Formen des Lehrens, die dem Thema gerecht werden, und berücksichtigen dabei kognitive, affektive und handlungsorientierte Aspekte des Lernens sowie Möglichkeiten kreativer Gestaltung. Die Sache soll den Schülerinnen und Schülern durch → methodische Vielfalt
Die Erschließungsdimensionen sind im Sinne eines Kreises oder Zirkels zu verstehen, in den an jeder Stelle eingetreten werden kann. Sie bieten ein komplexes Modell zur Vorbereitung und Gestaltung von Unterricht, das über die Konfessionsgrenzen hinweg Akzeptanz findet.
3.2. Elementarisierung als Analyseinstrument
Die Dimensionen des Tübinger Ansatzes eignen sich auch zur → qualitativen Analyse
3.3. Verbindung zu weiteren didaktischen Ansätzen
Für die weitere Diskussion war besonders der von Schweitzer und anderen erbrachte Nachweis wichtig, dass sich Elementarisierung auch als Weg zum Kompetenzerwerb (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht
Entsprechende Modelle zur Gestaltung von Unterricht lassen sich auch gut mit dem Konzept der → Kinder
4. Gemeindepädagogik und Elementarisierung
Elementarisierung führt die religionspädagogisch oft getrennt behandelten Bereiche von Religionsdidaktik und → Gemeindepädagogik
→ Glaube
5. Elementarisierung als Herausforderung für interreligiöses Lernen
Bildung schließt angesichts gesellschaftlicher Vielfalt den Respekt vor anderen Religionen und Überzeugungen ein. Damit er durch Gemeinsamkeiten und Differenzen hindurch erworben wird, ist → interreligiöses Lernen
Der didaktische Elementarisierungsbedarf ist beim interreligiösen Lernen besonders groß: Die Beschäftigung mit Weltreligionen im Unterricht erfordert erhebliche Reduktionen, die gleichwohl nicht zu unangemessenen Verkürzungen führen sollen. Vor allem jedoch ist interreligiöses Wissen auf eine Verankerung in der → Lebenswelt
Das Einbeziehen persönlicher Repräsentanten einer Religion schließt die Chance ein, Sinn und Möglichkeit religiöser Toleranzbegründungen erkennbar zu machen und gegenüber bloßer Duldung starke, inhaltliche Formen von Toleranz zu identifizieren. Dies berührt elementare Fragen nach Wahrheit und zugleich fordern z.B. mediale Berichte und Inszenierungen, die das öffentliche Bild einer Religion prägen, zur Anbahnung eines unterscheidungsfähigen Umgangs mit Wahrheitsansprüchen heraus. Bei der Suche nach entsprechenden elementaren Lernformen wird immer wieder von spezifischen Lernbedingungen vor Ort auszugehen sein, weil der kontextuelle Ansatz die besten Möglichkeiten für eigenes → Erkunden
Elementarisierung im Kontext interkulturellen und interreligiösen Lernens zu bewähren, ist eine aktuelle Herausforderung für die religionspädagogische → Forschung
Literaturverzeichnis
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