Bilder
Schlagworte: Kunstwerke
(erstellt: Januar 2015)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/100025/
Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Bilder.100025
1. Mit Bildern lernen
Der Umgang mit Bildern in religiösen Lernprozessen – insbesondere mit den Kult- und Andachtsbildern der Tradition sowie den zahlreichen Werken zu biblischen Themen und religiösen Motiven der Kunst- und Kulturgeschichte bis in die Gegenwart – spielt in der christlichen → Religionspädagogik
2. Funktion und Bedeutung von Bildern in religiösen Lernprozessen
2.1. Historische Vergewisserung
Bereits in den Anfängen des christlichen Umgangs mit Bildern finden sich Hinweise auf ein didaktisches Verständnis: „Denn was den des Lesens Kundigen die Schrift, das bietet den schauenden Einfältigen das Bild, denn in ihm sehen die Unwissenden, was sie befolgen sollen, in ihm lesen die Analphabeten“ (zitiert nach Thümmel, 1990, 13). Das viel zitierte Wort stammt von Papst Gregor I. dem Großen (um 540-604). Es gehört in den größeren Kontext des altkirchlichen Streits um die Verehrung der Bilder (s.u. 3.2.) und dient dort der Beschwichtigung der christlichen Bildskeptiker und Bilderfeinde, indem das Bild auf eine pädagogische Funktion und einen pragmatischen Gebrauch zu Zwecken der Katechese (→ Katechese/Katechetik
Die westliche mittelalterliche und frühneuzeitliche Rezeption dieses Verständnisses spitzt den funktionalistischen Umgang mit Bildern noch einmal zu, indem – insbesondere im schulischen Kontext – das Memorieren und die präzise sprachliche Wiedergabe von Sachverhalten mit Hilfe von Bildern eingeübt werden. Dass Bilder aber über das Wort hinaus etwas zur Anschauung und zum Ausdruck bringen können, dass sie deutungsbedürftig und nicht selten mehrdeutig sind, gerade damit aber Lernprozesse voranbringen, wird dann erst in der reformatorisch geprägten Pädagogik z.B. eines → Johan Amos Comenius
Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts werden diese eher fundamentaldidaktischen Überlegungen stärker ausdifferenziert. Dies vollzieht sich im Kontext der unterschiedlichen religionspädagogischen Konzeptionen (→ Fachdidaktische Konzeptionen
Im Kontext symboldidaktischer Entwürfe begegnet also im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts erstmals eine besondere Aufmerksamkeit für die spezifische Sinnstiftung des Bildes als materielles Objekt. Diese Aufmerksamkeit führt zusammen mit der zeitgleichen Aufnahme rezeptionsästhetischer Fragestellungen in die Methodik des Religionsunterrichts und einer stärkeren Betonung der Bedeutung von Erfahrung – und damit auch der sinnlichen Erfahrung – in einer subjektorientierten (→ Subjekt
2.2. Aktuelle Dimensionierungen
Im Gefolge dieser deutlichen Zäsur Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelt sich der ohnehin schon sehr vielfältige Umgang mit Bildern in der christlichen Religionspädagogik noch einmal verstärkt. Zum einen wird über die in der historischen Entwicklung aufgezeigte Verbindung zu lerntheoretisch konzipierten Didaktiken der Bereich der religionspädagogisch relevanten Bilder stark erweitert. In den Blick geraten nunmehr Bildmedien aller Art: → Film
Für das Verständnis des gegenwärtigen Umgangs mit Bildern im Kontext der → Religionspädagogik
3. Bildtheologische Aspekte der biblischen Tradition und der christlichen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte
3.1. Leitmotive des biblischen Bilderverbots
Das biblische Bilderverbot (Ex 20,4
Etwas anders akzentuiert die zeitlich spätere Formulierung Dtn 4,15-18
Auf einen weiteren Aspekt machen im biblischen Kontext weisheitliche und prophetische Hinweise zum Bilderverbot aufmerksam, die sich abfällig darüber äußern, dass das von Menschenhand Gemachte als Ort göttlicher Gegenwart angesehen wird (Weish 13,18
3.2. Historische Umgangsformen mit dem Bild und Konflikte um das Bild
Das Christentum versteht sich von seinem Ursprung her als ,Wortreligion‘ und sieht sich – wie das Judentum und auch der Islam – dem biblischen Bilderverbot verpflichtet. Bilder sind hier theologisch nicht vorgesehen! Die reiche christliche Bildgeschichte ist demgegenüber eine ,Praxisgeschichte‘: Mit seiner Inkulturation in den spätantiken hellenistischen Kulturraum begegnet das Christentum einer ausgesprochen bilderfreundlichen Umwelt. Bilder gelten hier nicht nur als Dekoration oder Information, sondern werden als wirkmächtiges, realpräsentisch erfahrbares Gegenüber angesehen. Für heidnisch geprägte, zum Christentum übergetretene Gläubige liegt es nahe, auch Bilder Christi (→ Christus/Christologie
Zwei Dimensionen beziehungsweise Resultate dieser innerchristlichen Konfliktgeschichte sind für den religionspädagogischen Umgang mit Bildern heute von Bedeutung: Zum einen wird mit der Frage nach der Präsenz des Heiligen im Bild auch jenseits eines spezifisch christlichen Verständnisses die Frage nach Zugängen zum ‚wirklich Wichtigen‘, durchaus auch nach Zugängen zur Sakramentalität der medialen Objekte der Alltagswelt gestellt. Zum anderen wird spätestens mit der Bildkritik der reformatorischen Kirchen (nicht nur) das (religiöse) Bild freigesetzt und wandelt sich zum ‚weltlich Ding‘, zum Kunstwerk, das als solches ‚die Welt‘ dem religiösen Lernen zugänglich macht.
4. Aktuelle bilddidaktische Grundsätze und Zugänge
4.1. Sachgerechte Bilderschließung
Der Umgang mit Bildern im religionspädagogischen Kontext vollzieht sich in einem gewissermaßen paradoxen Erwartungs- und Bedingungsgefüge. Das Bild gilt in religiösen Lernprozessen als relevant, ohne jedoch als „religiös“ angesehen zu werden: Das ist der Anspruch der neueren Bilddidaktik, die das Bild als Medium sui generis schätzen gelernt hat und sich vor religionspädagogischer Funktionalisierung hüten will. Dennoch wird das Bild in der konkreten religionspädagogischen Praxis zwangsläufig funktionalisiert, weil es anlässlich unterschiedlicher Unterrichtsphasen und zu unterschiedlichen Themenbereichen eingesetzt wird. In unterschiedlichen → Sozialformen
Als Modell für einen strukturierten Wahrnehmungsprozess wird hier die Bilderschließung nach Günter Lange vorgestellt (Lange, 1998, 155f.):
1. Stufe: Was sehe ich? – spontaner Austausch von Eindrücken und Vermutungen.
2. Stufe: Wie ist die Bildfläche organisiert? – systematische Wahrnehmung von: Format und Formen; Proportionen, Kontraste, Perspektive; Licht und Schatten; Bewegungs- und Blickrichtungen; Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund; Körpersprache, Gestik, Mimik, Kleidersprache der Personen usw. Hier dominiert die Außenkonzentration der Betrachtenden.
3. Stufe: Was löst das Bild in mir aus? – Mitteilung von Gefühlen und Assoziationen; Innenkonzentration!
4. Stufe: Was hat das Bild zu bedeuten? – Bildthema; Bezug zu Texten; Ausgestaltung des verbal/visuell tradierten Themas; historische Epoche; Position in Streitfällen; Funktion des Bildes (Predigtersatz, liturgische Repräsentation, Andachtsbild); Außenkonzentration!
5. Stufe: Was bedeutet das Bild für mich? – Finde ich mich darin wieder? Gehe ich auf seinen Appell ein? Innenkonzentration!
Das Modell bietet ein hilfreiches Schema für die Planung und Durchführung von Unterricht (→ Unterrichtsplanung
,Gefüllt‘ wird ein solches Modell jeweils durch angemessene Erarbeitungsformen (→ Unterrichtsmethoden
4.2. Umgang mit Bildern in heterogenen Lerngruppen
Innerhalb der neueren Bilddidaktik werden rezeptionsästhetische Fragen und Fragen der Wahrnehmung des Subjekts zunehmend thematisiert, dennoch kann von einer systematischen Berücksichtigung oder gar einer validen empirischen Erforschung (→ Empirie
Fragen altersgemäßer Zugänge werden – auch in der Religionspädagogik – schon länger kontrovers diskutiert. Zur Debatte steht dabei immer wieder das Kunstverstehen von Kindern im Grundschulalter. Gegenüber stehen sich Erfahrungen aus eher handlungsbezogenen Ansätzen aus dem Umkreis der Museumspädagogik und aus eher entwicklungsbezogenen Ansätzen, die vor allem im Kontext schulischen Lernens zur Geltung kommen. Während die einen die Begegnung mit Kunst in allen Altersstufen für ertragreich halten und Unterschiede in der Komplexität des jeweiligen Zugangs angemessen finden (Hess, 1999), ziehen die anderen den grundsätzlichen Ertrag in Zweifel, wenn eine bestimmte Tiefe des Verstehens nicht erreicht werden kann (Kalloch, 1997). Entwicklungsbezogene Positionen beziehen sich in ihrer Kritik auf Studien zum Verstehen und Beurteilen von Kunst, die in Anlehnung an entwicklungspsychologische Stufenmodelle (→ Entwicklungspsychologie
Literaturverzeichnis
- Albert, Mathias/Hurrelmann, Klaus/Quenzel, Gudrun (Hg.), 16. Shell Jugendstudie: Jugend 2010, Frankfurt a. M. 2010.
- Altmeyer, Stefan, Von der Wahrnehmung zum Ausdruck. Zur ästhetischen Dimension von Glauben und Lernen, Stuttgart 2006.
- Angenendt, Arnold, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, Hamburg 2. Aufl. 2007.
- Assmann, Jan, Bildverstrickung. Vom Sinn des Bilderverbots im biblischen Monotheismus, in: Graevenitz, Gerhard von/Rieger, Stefan/Thürlemann, Felix (Hg.), Die Unvermeidlichkeit der Bilder, Tübingen 2001, 59-75.
- Belting, Hans, Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen, München 2005.
- Belting, Hans, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 5. Aufl. 2000.
- Bredekamp, Horst, Theorie des Bildakts, Berlin 2010.
- Burrichter, Rita, „Das habe ich so noch nicht gesehen". Zum Umgang mit Bildern der Kunst in religiösen Lernprozessen, in: Schröder, Bernd/Behr, Harry H./Krochmalnik, Daniel (Hg.), „Du sollst dir kein Bildnis machen …". Bilderverbot und Bilddidaktik im jüdischen, christlichen und islamischen Religionsunterricht, Berlin 2013, 219-228.
- Burrichter, Rita, Mit Bildern der Kunst arbeiten, in: Rendle, Ludwig (Hg.), Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht, München 2. Aufl. 2008.
- Burrichter, Rita, Theologische Kunstvermittlung – fundamentaldidaktische Überlegungen, in: Biehl, Peter (Hg. u.a.), Kunst und Religion, Jahrbuch der Religionspädagogik 13, Neukirchen-Vluyn 1997, 163-186.
- Burrichter, Rita/Gärtner, Claudia, Mit Bildern lernen. Eine Bilddidaktik für den Religionsunterricht, München 2014.
- Comenius, Johann A., Orbis sensualium pictus (1658), Nachdruck Dortmund 3. Aufl. 1985.
- Dohmen, Christoph, Studien zu Bilderverbot und Bildtheologie des Alten Testaments, Stuttgart 2012.
- Gärtner, Claudia, Kunst als „Möglichkeitsraum" interreligiösen Lernens, in: Katechetische Blätter 139 (2014) 3, 216-222.
- Gärtner, Claudia, Ästhetisches Lernen. Eine Religionsdidaktik zur Christologie in der gymnasialen Oberstufe, Freiburg i. Br. 2011.
- Gärtner, Claudia/Brenne, Andreas (Hg.), Kunst im Religionsunterricht – Funktion und Wirkung.Entwicklung und Erprobung empirischer Verfahren, Stuttgart 2015.
- Hess, Ulrike, Kunsterfahrung an Originalen. Eine kunstpädagogische Aufgabe für Schule und Museum, Weimar 1999.
- Hoeps, Reinhard (Hg.), Handbuch der Bildtheologie, Bd. 1: Bild-Konflikte, Paderborn 2007.
- Hoeps, Reinhard, Aus dem Schatten des goldenen Kalbes. Skulptur in theologischer Perspektive, Paderborn 1999.
- Hoppe-Sailer, Richard/Volkenandt, Claus/Winter, Gundolf (Hg.), Logik der Bilder. Präsenz – Repräsentation – Erkenntnis, Berlin 2005.
- Kalloch, Christina, Bilddidaktische Perspektiven für den Religionsunterricht in der Grundschule. Eine Auseinandersetzung mit den Grundschulwerken von G. Lange und H. Halbfas, Hildesheim u.a. 1997.
- Künne, Michael, Bildbetrachtung im Wandel. Kunstwerke und Photos unter bilddidaktischen Aspekten in Konzeptionen westdeutscher evangelischer Religionspädagogik (1945–1996), Münster 1999.
- Kunstmann, Joachim, Religion und Bildung. Zur ästhetischen Signatur religiöser Bildungsprozesse, Gütersloh u.a. 2002.
- Lange, Günter, Der byzantinische Bilderstreit und das Bilderkonzil von Nikaia (787), in: Hoeps, Reinhard (Hg.), Handbuch der Bildtheologie, Bd. 1, Paderborn 2007, 171-190.
- Lange, Günter, Bild und Wort: Die katechetischen Funktionen des Bildes in der griechischen Theologie des sechsten bis neunten Jahrhunderts, Paderborn 1999.
- Lange, Günter, Aus Bildern klug werden, in: Müller, Wolfgang E./Heumann, Jürgen (Hg.), Kunst-Positionen, Stuttgart u.a. 1998, 149-156.
- Lange, Günter, Bildrhetorik – Bildgedächtnis – Bildbeschriftung. Was die Bilderfreunde von den Bildern dachen und wie eine heutige Bilddidaktik dazu steht, in: Stock, Alex (Hg.), Wozu Bilder im Christentum? Beiträge zur theologischen Kunsttheorie, St. Ottilien 1990, 17-43.
- Lange, Günter, Art. Umgang mit Bildern, in: Bitter, Gottfried (Hg. u.a.), Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe, Bd. 2, München 1986, 530-533.
- Nordhofen, Eckhard, Bilderverbot. Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren, Paderborn 2001.
- Parsons, Michael J., How we understand art. A cognitive developmental account of aesthetic experience, Cambridge u.a. 1987.
- Reuter, Ingo, Religionspädagogik und populäre Bildwelten. Grundlagen – Analysen – Konkretionen, Jena 2008.
- Ringshausen, Gerhard, Von der Buchillustration zum Unterrichtsmedium. Der Weg des Bildes in die Schule, dargestellt am Beispiel des Religionsunterrichts, Weinheim/Basel 1976.
- Schröder, Bernd/Behr, Harry H./Krochmalnik, Daniel (Hg.), „Du sollst dir kein Bildnis machen …". Bilderverbot und Bilddidaktik im jüdischen, christlichen und islamischen Religionsunterricht, Berlin 2013.
- Sellmann, Matthias, „Ohne pics glaub ich nix!" Die Jüngeren als Produzenten religiöser Bedeutungen, in: Mette, Norbert/Sellmann, Matthias (Hg.), Religionsunterricht als Ort der Theologie, Freiburg i. Br. 2012, 65-90.
- Stock, Alex, Bilderstreit als Kontroverse um das Heilige, in: Stock, Alex (Hg.), Wozu Bilder im Christentum? Beiträge zur theologischen Kunsttheorie, St. Ottilien 1990, 63-85.
- Thümmel, Hans-Georg, Bild und Wort in der Spätantike, in: Stock, Alex (Hg.), Wozu Bilder im Christentum? Beiträge zur theologischen Kunsttheorie, St. Ottilien 1990, 1-15.
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download: