Deutsche Bibelgesellschaft

Jesus Christus, bibeldidaktisch, Sekundarstufe

(erstellt: Januar 2015)

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Um sich zusammen mit Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe Jesus Christus im Sinne einer Bibeldidaktik (→ Bibeldidaktik, Grundfragen) zu nähern, ist zunächst eine Vergewisserung über lebensweltliche Zugänge von Jugendlichen zu Jesus Christus unerlässlich (1). Dann gilt es, in biblisch-theologischen Klärungen das enzyklopädische Wissen über Jesus Christus anzudeuten, das im Religionsunterricht der Sekundarstufe zum Tragen kommt (2), wonach didaktische Überlegungen präsentiert und diskutiert werden (3).

1. Lebensweltliche Zugänge Jugendlicher

Die Vergewisserung über die lebensweltlichen Zugänge Jugendlicher zum Thema „Jesus Christus“ erfolgt über empirische (→ Empirie) Studien seit 1980. Dabei wird der religionspädagogisch gängige Begriff der „Teil-Christologien“ Jugendlicher verwendet (Kraft/Roose, 2011, 13-51; Büttner/Dieterich, 2013, 191-206). Außerdem wird die Unterscheidung übernommen zwischen dem eher kognitiven „Jesusbegriff“ und dem eher emotionalen „Jesusglauben“ (Grom, 2000, 131; Hanisch/Hoppe-Graff, 2002, 9-21).

Im Folgenden wird zunächst die Frage diskutiert, ob mit einem Abschied oder Fortbestand des Jesusglaubens im Jugendalter zu rechnen ist (1.1.), wonach empirisch erforschte Teil-Christologien Jugendlicher beleuchtet werden (1.2.).

1.1. Jesusglauben im Jugendalter: Abschied oder Fortbestand?

1.1.1. These eines doppelten Abschieds vom Jesusglauben

Seit mehreren Jahrzehnten hält die Debatte darüber an, ob sich bei Jugendlichen im Rahmen der Gottesfrage ein Abschied vom Jesusglauben ereigne: zum einen entwicklungspsychologisch (→ Entwicklungspsychologie) als Verlust eines kindlichen Jesusglaubens mit dem Erwachsenwerden, zum anderen soziologisch als Traditionsabbruch von Jugendkohorte zu Jugendkohorte (Sziegaud-Roos, 1985, 385; Nipkow, 1987, 88-92; Barz, 1998, 123; Ziegler, 2001, 106-110; 137). Ohne klare Kriterien darüber, was als jesusgläubig zu gelten hat (zur Gottesfrage bei Höger, 2008, 22-34) und ohne genügend quantitative Studien zum Jesusglauben Jugendlicher (Feige, 1992, 45; Theis, 2005, 189) ist die Frage nach der zukünftigen Entwicklung des Jesusglaubens Jugendlicher kaum zu prognostizieren, sollte aber nicht zu pessimistisch als Säkularisierung gedeutet werden.

1.1.2. Alternativthese: Pluraler Fortbestand des Jesusglaubens

Somit ist Vorsicht geboten mit der Rede eines pauschalen Abschieds vom christlichen Jesusglauben bei Jugendlichen. Eher ist quantitativ-empirisch von pluralen Jesuseinstellungen auszugehen, die von Zustimmung bis Ablehnung reichen. So kann man bei Schülerinnen und Schülern aus Klasse 11 fünf, etwa gleich häufige, Grundeinstellungen zu Jesus Christus ausmachen: 1. „kritiklos-indifferent“ (15,3%), 2. „kritiklos-zustimmend“ (23,6%), 3. „kritische Ablehnung“ (24,4%), 4. „Unsicherheit bzw. hypothetische Zustimmung“ (16,8%) und 5. „kritische Aufgeschlossenheit“ (19,9%) (Ziegler, 2006, 212).

Qualitativ-empirisch können sechs mögliche „Einbruchsstellen“ des Jesusglaubens (Ziegler, 2001, 111-137) diagnostiziert werden: 1. „Theodizee-Problem“, 2. „Jesu göttliche und menschliche Natur“, 3. „Jesus als ethisches Vorbild“, 4. „Jesus als Wunschbild und Erfindung“, 5. „Jesus ohne beweisbare heutige Auswirkung“, 6. „Jesu Exklusivität als Erlöser“ (Spaeth, 2012, 157).

Die Pluralität des Jesusglaubens hat auch entwicklungspsychologische Gründe, da bei Heranwachsenden auf der Basis klassischer und zum Teil umstrittener Stufentheorien von Oser/Gmünder (2000, 128-139) sowie von Fowler (1991, 151-201) von einer zunehmenden Reflexivität und Kritikfähigkeit gegenüber unhinterfragten Jesusbildern der Kindheit auszugehen ist (Englert, 1992; Bee-Schroedter, 1998, 194-253; Grom, 2000, 234-236; Büttner/Dieterich, 2013, 197-206).

1.2. Empirisch erforschte Teil-Christologien Jugendlicher

Folgende untersuchte Teil-Christologien Jugendlicher werden präsentiert: Narrative (Re-)konstruktionen des Lebens Jesu (1.2.1.), Positionen zu Jesus als ethischem Vorbild (1.2.2.) und Auffassungen der Reich-Gottes-Botschaft Jesu (1.2.3.). Aus Platzgründen ausgespart werden die Themen Jesus als Wundertäter (Hanisch, 2007, 134-160; Büttner, 1994; 2000; 2002; Reiß, 2012, 100-103; Kollmann, 2013; Münch, 2013; Reiß, 2015, 457-460), Gleichnisse Jesu (Bucher, 1990; Hermans, 1990; Schweitzer u.a., 1995, 40-56; → Gleichnisse, bibeldidaktisch), Passion und Auferstehung (Albrecht, 2008; Abrecht-Zenk, 2013; Zimmermann, 2012b; Schambeck, 2011; 2013a; 2003b; Schlag, 2013; Lachmann, 2014, 212-216; → Passion und Auferstehung, bibeldidaktisch, Sekundarstufe) sowie zu → Christus (Hoheitstitel, Gottessohnschaft, Zweinaturenlehre und Trinität: Reich, 1992, 143; Grom, 2000, 240-244; Ziegler, 2001, 118-121; Baldermann, 2002, 118f.; Büttner, 2004, 51f.; Rothgangel/Wilk, 2006, 148; Gärtner, 2011, 263f.; Höger, 2013a; Hofheinz, 2015; Pemsel-Maier, 2013, 56f.; 2016).

1.2.1. Narrative (Re-)Konstruktionen des Lebens Jesu

Grundsätzlich ist mit einer Tendenz zur Historisierung und Biographisierung, auch hinsichtlich der neutestamentlichen Kindheitsgeschichten, zu rechnen (Ziegler 2006, 290). Auch nehmen Jugendliche Jesus zum Teil durch die Brille einer „Evangelienharmonie“ wahr (Rothgangel/Wilk, 2006, 149f.).

Von 32 Schülerinnen und Schülern aus Klasse 5/6 mit unterschiedlich großem Wissen zum Leben Jesu nannten 20 Betlehem als Geburtsort Jesu (andere Jerusalem, Nazaret oder den Stall) (Hanisch/Hoppe-Graff, 2002, 209).

Jugendliche der Sekundarstufe II erzählten am häufigsten die Geburtsgeschichte Jesu (als Kombination von Lk 2,1-20 und Mt 1,18-2,12) (15%), gefolgt von den Passions- und Ostergeschichten (9%) vor allen übrigen Episoden der Biographie Jesu (unter 5%) (Ziegler, 2006, 295f.). Auch 16- bis 20-Jährige konnten die Weihnachtsgeschichte nacherzählen, wobei auch sie Versatzstücke aus Lk und Mt aufgriffen. Zudem wurden das Leben Jesu, seine Sendung, das, was er wollte, sein Handeln, sein Tod und vereinzelt auch seine Auferstehung beschrieben (Schuster, 2001, 142-160). Vereinzelt tauchten auch antijüdische Tendenzen auf (Rothgangel/Wilk, 2006, 145f.).

1.2.2. Positionen zu Jesus als ethischem Vorbild

Während finnischen Jugendlichen 1974 und 1986 aus Klasse 5-11 das vorbildliche Verhalten und die moralische Lehre Jesu noch (sehr) wichtig waren (Tamminen, 1993, 212-214), kommen zwei Umfragen 1997 hingegen zu dem Schluss, dass etwa 10- bis 20-jährige Befragte aus Salzburg Jesus als zu 25% „sehr“ und zu 30% „etwas“ als Vorbild ansahen, während etwa gleichaltrige Befragte aus Paderborn ihn nur zu 15% „sehr“ und zu 27% „etwas“ als Vorbild betrachteten. Im Vergleich zu Vorbildern aus der Familie oder z.B. Greenpeace schnitt Jesus relativ schlecht ab (Bucher/Montag, 1997, 66f.).

In Klasse 11 hielten es knapp 50% der Befragten für sinnvoll, sich an Jesu Vorbild zu orientieren, während etwa 25% keine Antwort hierzu gaben. Etwa 25% empfanden die Ethik Jesu zwar als bedeutsam, nannten aber auch „Gründe, warum ein Leben nach Jesu Vorbild heute schwierig oder unmöglich ist“ (Ziegler, 2001, 123). 6 von 17 der von Rothgangel/Wilk (2006, 147f.) befragten christlichen Grundkursschülerinnen und -schüler sahen in Jesus ein Vorbild, entweder für andere Menschen oder für sich persönlich.

Generell bereiten die Perfektheit und Fehlerlosigkeit Jesu so manchen Jugendlichen angesichts der Wahrnehmung ihrer eigenen Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit Schwierigkeiten (Ziegler, 2001, 123-125; 2008, 64).

1.2.3. Auffassungen der Reich-Gottes-Botschaft Jesu

Nur 4% der Jugendlichen aus Klasse 11 benutzten von sich aus den Ausdruck „Reich Gottes“ und fassten es meist als jenseitigen Ort für die vom Tod Auferstandenen oder selten auch als „irdische Gesellschaftsutopie“ auf. Die für Jesu Reich-Gottes-Verkündigung typische Spannung zwischen dem „schon und noch nicht“ findet sich genauso wenig wie die Feststellung, dass Jesus Gleichnisse verwendete, um auf das Reich Gottes hinzuweisen (Ziegler, 2006, 290; 298; 2008, 61).

Auch einige christlich sozialisierte Heranwachsende zwischen 12 und 18 Jahren identifizierten das Reich Gottes mit dem jenseitigen Himmel, vereinzelt verbunden mit einer Reinkarnationsvorstellung. Zudem verorteten sie es in ihrer „Jungen Gemeinde und im Gottesdienst“ sowie dort, wo Nächstenliebe geübt wird (Kunze-Beiküfner, 2008, 214).

Vermutlich korrelieren die Begriffe „Reich Gottes“ und „Himmel“ miteinander, sodass entsprechende Weltbildentwicklungen zu berücksichtigen sind (Schulte, 2008, 183f.; Höger, 2013b, 92-98; Höger, 2014).

2. Biblisch-theologische Klärungen

Zentrale biblische Wissensperspektiven auf Jesus Christus fließen in den Religionsunterricht ein und werden im Folgenden bibeltheologisch im Sinne der historisch-kritischen Exegese reflektiert: das Leben Jesu (2.1), seine Ethik (2.2) sowie seine Botschaft vom Reich Gottes (2.3).

2.1. Zum Leben Jesu

In der Geschichte der historischen Jesusforschung leuchten diverse Jesusbilder auf (Gnilka, 1996; Ebner, 2007, 19-27; Theißen/Merz, 2011, 21-33; Strotmann, 2012, 21-34; Schröter, 2013, 341-344).

Auf Basis unterschiedlicher Quellen (Ebner, 2007, 28-34; Theißen/Merz, 2011, 34-95; Strotmann, 2012, 35-51) lassen sich zudem folgende historisch gesicherte Daten zu Jesus auflisten (Theißen/Merz, 2011, 147-174; Strotmann, 2012, 52-66): Die Zeit vor Jesu öffentlichem Wirken liegt historisch-kritisch im Dunkeln, da Mt 1-2, Lk 1-2 sowie die außerkanonischen Kindheitsevangelien als „höchst symbolträchtige Geschichten und gerade keine biographischen Fakten“ anzusehen sind (Strube, 2013, 149).

Das Geburtsjahr Jesu dürfte zwischen 6-4 v. Chr. liegen (Theißen/Merz, 2011, 151; Strotmann, 2012, 59). Der Name „Jesus“ stellt die gräzisierte Form des aramäischen Jeschu oder Jeschua dar und bedeutet „JHWH ist Rettung“. Jesus stammte wahrscheinlich aus dem kleinen und unbedeutenden Nazaret in Galiläa – und nicht aus Betlehem. Seine Eltern hießen laut dem Neuen Testament Josef und Maria, von seinen wohl leiblichen Geschwistern (Mk 6,3; Mt 12,46-50; 13,55) werden die Namen der Brüder genannt: Jakobus, Judas, Joses (beziehungsweise Josef) und Simon. Das Verhältnis Jesu zu seiner Familie war laut dem Neuen Testament auch von Konflikten gekennzeichnet (Mk 3,21; Joh 7,5). Vor seiner Berufung arbeitete Jesus, wohl wie sein Vater, als tékton (Mk 6,3), ein Bauhandwerker, der vor allem mit der Bearbeitung von Steinen und Holzlehmkonstruktionen beschäftigt gewesen sein dürfte. Die Art der Gleichnisse Jesu legt zudem den Schluss nahe, dass Jesus auch mit der Landwirtschaft vertraut war (Strotmann, 2012, 52-56; Adam, 2014, 167).

Der Beginn des relativ kurzen öffentlichen Wirkens Jesu, das in allen vier Evangelien mit Johannes dem Täufer zusammengebracht wird, lässt sich etwa auf das Jahr 29 oder 30 (Strotmann, 2012, 60) oder zwischen 26 und 29 n. Chr. datieren (Theißen/Merz, 2011, 152). Jesus hat vor allem im jüdischen Galiläa an der nordwestlichen Ecke des Sees Gennesaret mit Kafarnaum als Zentrum, aber auch am östlichen Seeufer in mehrheitlich heidnischen Gebieten gewirkt. Da Jesus in den Evangelien mit Ausnahme Jerusalems und eventuell Jerichos keine größeren Städte, sondern nur Dörfer aufsuchte, liegt als Vermutung nahe, dass er „die Sammlung Israels ganz unten beim […] einfachen und ungebildeten Volk des Landes“ (Strotmann, 2012, 62) beginnen wollte, um den Menschen, denen es wirtschaftlich schlecht ging, die Botschaft vom Reich Gottes nahezubringen. Gegen Ende seines Lebens betrat Jesus Jerusalem, das religiöse und nationale Zentrums Israels, wo er mit größter Wahrscheinlichkeit im Jahr 30 umkam. Sein Todestag war den Evangelien zufolge ein Freitag, entweder, so die Forschermehrheit, der Rüsttag vor dem Pessachfest am 14. Nisan (Joh 19,14.31) oder der erste Tag des Pessachfestes am 15. Nisan (Mk 14,12-16) (Theißen/Merz, 2011, 159-179; Strotmann, 2012, 59-66).

Die Darstellung von Passion und Kreuzigung des Aufrührers Jesus in den Evangelien ist theologisch stark überformt (Ebner, 2007, 162-168), wobei ein plausibler Grund für das Todesurteil v.a. in Jesu Prophetie gegen den Tempel, „die er durch die typisch prophetische Symbolhandlung der Tempelreinigung unterstrich“ (Theißen/Merz, 2011, 170) besteht, da die Regierung der Tempelaristokratie und die Römer die Legitimität ihrer Privilegien durch Jesu tempelkritische Reich-Gottes-Botschaft untergraben sahen (Schreiber, 2010, 270- 274; Theißen/Merz, 2011, 387-410).

Die Erzählung der Bestattung Jesu (Mk 15,42-46) ähnelt dem historisch nachgewiesenen Fall, dass der Leichnam eines Gekreuzigten den Angehörigen übergeben werden konnte, wenn die römische Behörde zustimmte (Ebner, 2007, 168f.). Die Frage, wo in Jerusalem sich das Grab Jesu befinden könnte, ist komplex (Kollmann, 2014, 104f.).

2.2. Die Ethik Jesu

Jesu Ethik ist auf die jüdische Tora, die Weisheit und die Eschatologie bezogen. (Theißen/Merz, 2011, 311ff.) Er konnte seine ethischen Grundsätze auch deshalb gut weitergeben, weil er als Lehrer, Rabbi bzw. didaskalos gesehen wurde und in den Synagogen (z.B. Mk 1,21) und im Tempel (Mk 11,17) lehrte, mit anderen Schriftgelehrten diskutierte (z.B. Mk 12,28-34) und einen Schülerkreis um sich scharte (Omerzu, 2001, 909f.; Theißen/Merz, 2011, 317-321).

Jesus lebte aus der Tora, die als Weisung zu gelingendem Leben die Basis seiner Verkündigung und seines Wirkens darstellte. (Strotmann, 2012, 145) Insofern stimmt es keineswegs, dass Jesus sich – wie es von der christlichen Theologie lange behauptet wurde – von der jüdischen Ethik völlig unterschieden hätte (Theißen/Merz, 2011, 321-332): Im ethischen Bereich, z.B. der Sexualmoral, zeigt sich bei Jesus eine Tora-Verschärfung (z.B. Mk 5,27f.), während sich bei rituell-kultischen Normen, wie z.B. Sabbat- und Speisegeboten, eine Tora-Entschärfung findet. Im Zentrum der Ethik Jesu steht das Liebesgebot als Doppelgebot der Liebe mit der Gottesliebe als erstem und der Nächstenliebe als zweitem Gebot (Theißen/Merz, 2011, 339-349). Zudem finden sich in den Evangelien weitere ethische, auf die Tora bezogene Äußerungen z.B. Feindesliebe, Scheidungs-, Schwur-, Tötungs- und Ehebruchsverbot, Eltern-, Zehnt- und Opfergebot (Strotmann, 2012, 146f.).

2.3. Jesu Botschaft vom Reich Gottes

Jesus verkündigte die basileia tou theou, das Reich oder die Königsherrschaft Gottes, als eine heilvolle eschatologische Größe, wozu er die traditionelle israelitische Metapher vom Königtum Gottes (z.B. Jes 6,5) aufgriff und mit Hilfe der Apokalyptik zu einer Erwartung, die diese Welt übersteigt, transformierte (Theißen/Merz, 2011, 226-231; Strotmann, 2012, 100f.).

Adressatinnen und Adressaten der Taten und Worte Jesu, die das Reich Gottes ankündigten und erfahrbar werden ließen, sind Menschen mit Defiziten, seien diese sozioökonomisch (Arme, Hungernde, Weinende, Kinder), physisch (Besessene, Kranke, Behinderte) oder moralisch (Steuerpächter, Prostituierte, Sünder) (Strotmann, 2012, 10-112). Exegetische Uneinigkeit herrscht zu der Frage, inwiefern der historische Jesus das Reich Gottes auch Nichtjuden ankündigte (Theißen/Merz, 2011, 251 contra Strotmann, 2012, 112).

Jesu Botschaft vom Reich Gottes weist mindestens folgende fünf Merkmale auf (Theißen/Merz, 2011, 250-253):

1. Die Gottesherrschaft greift sowohl gegenwärtig (z.B. Lk 11,20) als auch zukünftig (z.B. Mt 6,10), wobei sich im Vaterunser diese futuristische und präsentische Seite in besonderer Weise miteinander verbinden (Theißen/Merz, 2011, 232-241). 2. Heils- und Gerichtserwartung gehören zusammen, wobei Jesus den Heilswillen Gottes betont, das Gericht aber auch denen androht, die sich vom Heil ausschließen, indem sie das Reich Gottes ablehnen, z.B. selbstsüchtige Reiche und Satte (Lk 6,24f.) oder die geistliche Elite Israels (Lk 11,37-52) (Strotmann, 2012, 115f.). 3. Durchgesetzt wird es durch Gott selbst mit menschlicher Beteiligung, z.B. bei der Sündenvergebung. 4. Die Frage, ob das Reich Gottes eher durch die Vermittlung eines Messias (z.B. als „Menschensohn“) oder rein theozentrisch herbeigeführt wird, ist exegetisch strittig. 5. Das Reich Gottes ist weder eine rein spirituelle noch ausschließlich politische Größe, sondern „eine religiöse Erwartung mit politischer Relevanz" (Theißen/Merz, 2011, 251).

3. Didaktische Überlegungen

Auf Grundlage der bisher verhandelten lebensweltlichen Zugänge und biblisch-theologischen Klärungen lassen sich didaktische Überlegungen darüber anstellen, wie Religionslehrkräfte in der Sekundarstufe mit Jugendlichen über Jesus Christus sinnvoll ins Gespräch kommen können. In einem ersten Schritt werden grundlegende Herausforderungen formuliert sowie Ziele und Methoden reflektiert (3.1.), wonach die einzelnen Teil-Christologien didaktisch und methodisch durchbuchstabiert werden (3.2.-3.4.).

3.1. Grundlegende Herausforderungen, Ziele und Methoden

Religionslehrerinnen und -lehrer haben bei ihren Schülerinnen und Schülern nicht von einem pauschalen Abschied vom Jesusglauben, sondern von einer Pluralität der Jesusglaubensstile und Jesuskonzepte auszugehen (siehe 1.1.), die grundsätzlich zu würdigen und zugleich theologisch hinsichtlich ihrer christologischen Angemessenheit für weitere didaktische Entscheidungen einzuschätzen sind.

Ausgehend von einer Subjektorientierung (→ Subjekt), dem ersten normativen Vorzeichen jeglichen religionspädagogischen Handelns, sind die Heranwachsenden als Dialogpartner auf Augenhöhe ernst zu nehmen und darin zu unterstützen, ihre eigene Einstellung zu Jesus Christus kritisch zu reflektieren und zu entwickeln. Das bedeutet in jeder Klasse differenzierte Lernangebote zu schaffen, so dass die Heranwachsenden in christologischen Bildungsprozessen sowohl an ihrem individuellen Jesusglauben als auch ihren Jesusbegriffen arbeiten können.

Das zweite normative Vorzeichen religionspädagogischen Handelns besteht im Sinne einer korrelativen (→ Korrelation) oder elementarisierenden (→ Elementarisierung) Bibeldidaktik darin, neben den subjektiven Jesu- und Christologien auch die biblisch-christlichen Jesusüberlieferungen sowohl als Lerninhalte als auch als Impulse zur Lebensgestaltung ernst zu nehmen und ins Spiel zu bringen, freilich ohne den Lernort der öffentlichen Schule mit rein kirchlich-katechetischen Kontexten zu verwechseln.

Dementsprechend dürfen sich Lehrkräfte ermutigt fühlen, komplexe christologische, soteriologische und eschatologische Jesusthemen nicht auszusparen, sondern selbst in ständiger Weiterbildung in die theologischen Diskurse von Geschichte und Gegenwart einzutauchen, um das empirisch erwiesene Interesse Heranwachsender an christologischen Fragen kompetent begleiten und anreichern zu können. Der Religionsunterricht der Sekundarstufe soll schließlich nicht nur bei historischen Faktenfragen der Jesulogie stehen bleiben, sondern sich im Modus gemeinsamen Christologisierens existenziellen Wahrheitsfragen stellen (Grom, 2000, 234-238; Gärtner, 2011, 291; 321-331; Kraft/Roose, 2011, 51; Pemsel-Maier/Caggegi, 2011; Rickers, 2001, 902f.; Roose, 2012; Schambeck, 2013a, 314f.; Pemsel-Maier, 2016, 25-39).

Gleichwohl ist beim Einbringen der theologischen Jesustraditionen durch die Lehrperson das rezeptionsästhetische Paradigma pädagogisch zu bedenken, dass die Lernenden auch vermeintlich „unrichtige“ Jesuskonzepte und -interpretationen haben dürfen (Wegenast/Wegenast, 1999), die auf dem dritten Weg zwischen unkorrigiertem Wachsenlassen und strenger Zensur behutsam zu fördern sind.

Diese doppelte Würdigung der Welt der Bibelleserinnen und -leser sowie der Welt der Bibeltexte zu Jesus Christus (Schambeck, 2009, 122-147) lässt sich einpassen in eine entwicklungsorientierte Bibeldidaktik (z.B. Schweitzer, 1999), wonach sich bei Heranwachsenden die Frage nach Jesus Christus in den einzelnen Jahrgangsstufen anders stellt, was typische neuralgische Punkte erwarten lässt (siehe 1.2.): Für die → Unterrichtsplanung ist daher im Auge zu behalten, wann bei den Lernenden z.B. die Fragen nach der historischen Realität der Person Jesu, an seine Göttlichkeit oder nach der Theodizee aufbrechen können. Schließlich gibt es keine „vollautomatische“ Reifung des Jesusglaubens, sondern Jugendliche bleiben auf religionspädagogische Impulse angewiesen (Ziegler, 2008, 57; 64). Weiterführend ist daher ein Spiralcurriculum, in dem bestimmte Teil-Christologien alle zwei bis vier Jahre entwicklungsbezogen wieder aufgegriffen werden.

Aus der Polyphonie biblisch-christlicher Jesusbilder könnten einzelne Perspektiven für bestimmte Altersgruppen besonders attraktiv sein, was empirisch noch genauer zu untersuchen wäre, z.B. Jesus als „der Mann, der alle Schemata sprengt“ für das frühe Jugendalter oder Jesus als „wahrer Mensch“ für die Spätadoleszenz und das frühe Erwachsenenalter (Englert, 1992, 40-42).

Methodisch bietet sich für das → Theologisieren mit Jugendlichen über Jesus Christus (Woyke, 2009; Freudenberger-Lötz, 2012, 51-63; Reiß, 2015) neben evangelischen und katholischen Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien eine wahre Fülle diverser Zugangswege an (Spaeth, 2012, 160f.): Bibelstellen, historisch fundierte Jesusromane (Theißen, 2007; Schreiber, 2013) und literarische Zugänge (Langenhorst, 1998; Kuschel, 2010), Filme mit expliziten oder impliziten jesuanischen Erlöserfiguren (Zwick, 1997; Tiemann, 2002; Heil/Kumher, 2003; Langkau, 2007; → Filmarbeit in Unterricht und Erwachsenenbildung) oder gewalttätigen Kinohelden im Kontrast zu Jesus (Kumher/Schroeders, 2005), ästhetische Zugänge der bildenden Kunst (z.B. Büttner/Reinert, 2010) sowie künstlerische Projekte mit Schülern und Schülerinnen (z.B. Gärtner, 2011, 306f.), Songs (Pirner, 2006), Standbilder, Rollenspiele und Bibliodrama (Aldebert, 2002; Büttner, 1994, 91f.) sowie biblisches → Erzählen (Adam, 1993). Auch Lernortwechsel, z.B. das Aufsuchen eines Kirchenraums (z.B. Rupp, 2010), Friedhofs oder Kruzifixes, können Lernprozesse zu Jesus Christus anregen.

Angesichts der Fülle vorliegender Jesusdarstellungen ist auch das Ziel zu verfolgen, dass die Schülerinnen und Schüler diese im Blick auf die Frage ihrer Historizität oder Fiktionalität differenziert beurteilen können. (Rickers, 2001, 902f.; Schröter, 2013, 349)

3.2. Zum Thema „Leben Jesu“

Jugendliche kennen mehrere Details aus dem Leben Jesu, die sie vermutlich in den Rahmen einer Evangelienharmonie und eines historisierenden Verständnisses einbetten (siehe 1.2.1.). So ist spätestens in der Sekundarstufe II eine behutsame Hinführung zu einer historisch-kritischen Jesulogie sowie ein kognitives Vertrautmachen mit den Jesusbildern und Methoden der Leben-Jesu-Forschung angezeigt (siehe 2.1.).

Ein eher affektives Ziel für Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch), → Katechese und Jugendarbeit (→ Jugendarbeit, evangelisch; → Jugendarbeit, katholisch) besteht darin, „die Jugendlichen auf ihrem Weg der individuellen Auseinandersetzung mit dem Jesusbild ihrer Kindheit zu begleiten und ihnen Anstöße für eine fruchtbare Weiterentwicklung ihrer narrativen Christologie zu geben.“ (Ziegler, 2008, 65) Beispielsweise könnte die Religionslehrkraft die Lernenden am Beginn der Sekundarstufe I einen Jesusaufsatz schreiben lassen, um ihn in der Sekundarstufe II wieder aufzugreifen. Solche Chancen für → biographisches Lernen bieten sich auch an speziellen Lebensstationen Jesu, z.B. können Jugendliche etwa ab Klasse 8 mit Hilfe der theologisch konstruierten Kindheitsgeschichten Jesu in Mt und Lk ihre eigene Biographie und Identität reflektieren (Lorenzen, 2010, 140-151).

3.3. Zum Lernen an Jesus und seiner Ethik

Einerseits wird Jesus Christus von katholisch-kirchlicher Seite für Schülerinnen und Schüler als Orientierungsmaßstab zur Beantwortung der Frage nach dem eigenen Lebensweg und der Sinnsuche vor Augen geführt (Die deutschen Bischöfe, 1996, 30f.), andererseits stellen etliche Jugendliche Jesus als ethisches Vorbild in Frage (siehe 1.2.2.). Insofern ist das Angebot, an der besonderen Person Jesu Christi zu lernen, genau zu prüfen: Zum einen wäre eine Idealisierung und Überhöhung biblischer Personen, um sie Heranwachsenden unmittelbar zur Imitation anzubieten, religionspädagogisch äußerst fragwürdig. Zum anderen kann der mehrdimensionale und eben nicht glatte Charakter Jesu für Heranwachsende durchaus individuelle Potenziale zur Orientierung, Spiegelung und Reflexion des eigenen Lebens bieten (Bucher/Montag, 1997, 79; Mendl, 2013, 268-271).

Für ein Vorbild-Lernen eignen sich z.B. folgende Blickwinkel auf Jesus, die von den Jugendlichen je individuell und kreativ als Impulse aufgegriffen werden können: 1. Jesus „als Lehrer der diakonischen Liebe“ (z.B. in Verbindung mit dem → „Projekt Compassion“), 2. als sozial-mahnender Prophet bezogen auf aktuelle politische Situationen, 3. als „Mahner des Lebenswichtigen“, der mit seiner Armut ein Gegenbild zur Konsumwelt bildet, 4. als „Lehrer der Gottesbeziehung“ (Langenhorst, 2002, 299-302).

Jesus sollte Jugendlichen daher wohl weniger als perfektes und fehlerloses Vorbild, hinter dessen Maßstab man nur kläglich zurückbleiben kann, vor Augen gestellt, sondern gerade auch in seiner Menschlichkeit gezeigt werden (Ziegler, 2001, 120f.; Langenhorst, 2002, 296; Pemsel-Maier, 2013, 65).

Auch die Ethik Jesu, das Gebot der Nächsten- und Feindesliebe, kann für Jugendliche überfordernd wirken, wenn nicht der Zuspruch Gottes als Vorzeichen seines Anspruchs verdeutlicht wird (Ziegler, 2001, 125).

3.4. Zur Reich-Gottes-Botschaft Jesu

Die Reich-Gottes-Botschaft Jesu kommt bei Jugendlichen praktisch kaum von selbst in den Blick (siehe 1.2.3), während sie in den → Bildungs- und Lehrplänen der Sekundarstufe groß geschrieben wird (Ritter, 2014, 296f.). Mit dieser Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gilt es sensibel umzugehen, um ein angemessenes Verständnis vom Reich Gottes zu erschließen.

Mit der biblischen Rede vom Reich Gottes kann Jugendlichen eine Hoffnungs-, Trost- und Motivationsperspektive für ihre eigenen Lebenserfahrungen an die Hand gegeben werden (Baldermann, 2012, 31; Ritter, 2014, 298). Anzuzielen ist dabei eine Reich-Gottes-Konzeption, die „jenseits von Science Fiction, politischem Aktivismus und privatem Pragmatismus“ liegt (Ritter, 2014, 297). Schließlich hat Jesus vom „schon und noch nicht“ des Reich Gottes sowie seiner Unverfügbarkeit gesprochen (siehe 2.3.), die sich bereits im Vaterunser zeigt: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe“ (Ritter, 2014, 299).

Im Religionsunterricht kann vom „Reich Gottes“ einerseits stärker bildhaft, erfahrungsorientiert und narrativ gehandelt werden, was sich besonders für untere Jahrgänge anbietet, andererseits eher begrifflich-abstrakt und argumentativ, was sich zusätzlich bei älteren Schülerinnen und Schülern empfiehlt. Zugangswege zum Erschließen eines Verständnisses für das „Reich Gottes“ können auch über die Begriffe „Himmelreich“, „Gottes Herrschaft“, „Königreich“ oder „Traum und Vision“ verlaufen (Ritter, 2014, 298f.).

4. Aufgaben für die Religionspädagogik

Zum Schluss zeichnen sich folgende religionspädagogische Aufgabenfelder zu „Jesus Christus“ als facettenreichem Brennpunkt des christlichen Religionsunterrichts in der Sekundarstufe ab:

1. Die dargestellten lebensweltliche Zugänge Jugendlicher sind für die Planung und Gestaltung des Religionsunterrichts zu berücksichtigen und durch neue qualitativ- und quantitativ-empirische Studien zu erweitern und zu aktualisieren.

2. Die biblisch-theologischen Klärungen müssten in Analysen von realen Unterrichtseinheiten und Unterrichtsmaterialien überprüft werden.

3. Die didaktischen Überlegungen sind weiter theoretisch zu diskutieren, praktisch zu erproben und empirisch zu evaluieren.

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