Christus/Christologie
Schlagworte: Christologie, Jesus Christus
(erstellt: Januar 2015; letzte Änderung: Februar 2021)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Christus.100057
1. Fachwissenschaftliche Orientierungen
Das Bekenntnis zu Jesus als Christus verbindet eine geschichtliche Aussage und eine Glaubensaussage: Mithilfe des Begriffes Christus, griechisch christos, hebräisch m´schiach, „der Gesalbte“, deutet es die historische Person Jesus von Nazareth, seine Botschaft und sein Handeln, sein Leben und Sterben als den im Ersten Bund verheißenen Heilsbringer. Christologie als Lehre von Jesus Christus entfaltet dieses Bekenntnis von den Anfängen im Neuen Testament durch die verschiedenen Epochen hindurch bis in die Gegenwart und legt es für Menschen in verschiedenen Kontexten, Kulturen und Altersstufen aus. Dabei haben sich zwei unterschiedliche Denkmodelle herauskristallisiert, die beide für religiöse Bildungsprozesse fruchtbar gemacht werden können.
1.1. Christologie von unten – Christologie von oben
Christologie, die ansetzt bei Jesus als historischer Gestalt, ohne jedoch bei einer bloßen Jesulogie zu verbleiben, versteht sich als Christologie von unten. Ihr Ausgangs- und Bezugspunkt ist der geschichtlich rekonstruierte und erinnerte Jesus (→ Jesus Christus, bibeldidaktisch, Grundschule
Bis ins 20. Jahrhundert wurde Christologie von oben konzipiert, denn der → Glaube
Am Beginn steht eine exegetisch-historische Vergewisserung (Strotmann, 2019): Die menschliche Geschichte Jesu ist Ausgangspunkt und Maßstab aller christologischen Aussagen; diese müssen sich an ihr ausweisen und an sie rückbinden lassen. Auf dieser Grundlage versteht die Christologie von unten Jesu Leben, Handeln und Sterben, seine Geschichte von der Geburt bis zum Tod als Selbstoffenbarung (→ Offenbarung
1.2. Implizite und explizite Christologie
Während die Differenzierung der Christologie von unten und von oben entlang der Vertikale des Raumes angesiedelt ist, bewegt sich die Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter Christologie horizontal auf der zeitlichen Ebene von vorher und nachher. Ein ausdrückliches Bekenntnis zu Jesus als dem verheißenen Messias im Sinne der sogenannten expliziten Christologie ist erst nachösterlich möglich und setzt die Erfahrung der Auferstehung (→ Auferstehung Jesu
Diese implizite Christologie entdeckt in seiner Botschaft und seinem Wirken Spuren, die darauf schließen lassen, dass er die bekannten theologischen oder politischen Kategorien sprengt. Im Unterschied zur expliziten Christologie, die nach adäquaten Formulierungen sucht, um seine universale und heilsgeschichtliche Bedeutung auszusagen und eine Reihe von christologischen Titeln geprägt hat, ist die vorösterliche implizite Christologie noch nicht in der Lage, theologisch zu bestimmen, mit wem sie es mit der Person Jesus von Nazareth zu tun hat. Sie verfügt noch nicht über hinreichende Sprachformen, verzichtet daher auf Affirmationen und greift stattdessen zum Komparativ. Denn Jesus sprengt die aus dem Alten Testament bekannten Kategorien und erscheint als mehr und größer: mehr als ein Gesetzeslehrer, weil er die strenge Auslegung des Sabbatgebotes entschärft, innere Reinheit höher bewertet als veräußerlichte Reinigungsvorschriften und sich Sündern zuwendet; mehr als ein Rabbi, weil er sich in seiner Auslegung des Gesetzes nicht auf die Autorität der Väter beruft, sondern dem „was zu den Alten gesagt ist“, sein „ich aber sage euch“ (Mt 5,17-48
Die implizite Christologie wird zum Ausgangspunkt für die entfaltete nachösterliche explizite Christologie und damit für all jene christologischen Deutungen, die nach der Erfahrung der Auferweckung das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus auf unterschiedliche Art und Weise auf den Begriff bringen.
2. Religionspädagogische Entwicklungen
Dass Christologie ein Thema für das Kindes- oder jüngere Jugendalter sein könnte, wurde von der Religionspädagogik lange bezweifelt. Sie hielt an einem „didaktische[n] Prae des ‚historischen Jesus‘ vor dem ‚kerygmatischen Christus‘“ fest (Konrad, 1970; Rickers, 2001, 903). Diese Überzeugung war eine Folge der Entkerygmatisierung und Entdogmatisierung der Jesus-Gestalt in der → Dogmatik
Nicht nur ist die stufenmäßige Aufspaltung nach historischem Jesus und Christus des Glaubens theologisch nicht gerechtfertigt. Auch kann der „religiöse Vertiefungsgrad“ eines Religionsunterrichts, der christologische Fragen allein auf der sachkundlichen Ebene thematisiert, nur „relativ bescheiden“ (Englert/Schweitzer, 2017, 19) ausfallen. Vor allem haben zahlreiche neuere empirische Studien (→ Empirie
3. Empirische Einblicke: Wie Kinder und Jugendliche christologische (Teil)konzepte bilden
3.1. Kinder (und Jugendliche)
Kinder sind in der Regel interessiert an der Person Jesu, seinem Leben und Handeln, sodass sich ein christologischer Zugang von unten nahelegt. Dass sie in ihm etwas Besonderes sehen, bringen sie häufig mittels komparativischer Formulierungen zum Ausdruck: Er erscheint ihnen „hilfsbereiter“ oder „freundlicher“ als andere Menschen (Goldman, 1964, 137;158) und kann „einige Dinge […], was andere nicht konnten“ (Arnold/Hanisch/Orth, 1997, 256), zum Beispiel Krankheiten schneller oder besser als andere Ärzte heilen (Büttner, 2002, 74-77; Kraft/Roose, 2011, 147) und Wunder (→ Wunder, bibeldidaktisch
Kinder und ebenso Jugendliche konstruieren aber auch christologische Konzepte von oben: Jesus Christus „ist oben im Himmel und hört dort die Gebete der Menschen“, „kam von Gott und ist dorthin zurück gekehrt“, wurde „als Bote Gottes auf die Erde geschickt“, „auf die Welt gebracht“, „als Heiland auf die Welt geschickt“ (Hanisch/Hoppe-Graff, 2002, 96-99; Buntfuß/Feind, 2008, 105). Das sendungschristologische Motiv, dass Gott seinen Sohn mit dem Auftrag auf die Erde schickt, von ihm als seinem Vater zu erzählen, ist für kindliche Logik und Vorstellungswelt offensichtlich gut nachvollziehbar.
3.2. Jugendliche
Mit fortschreitendem Alter geht, entwicklungspsychologisch (→ Entwicklungspsychologie
Zum einen tritt die historische Distanz zur Person Jesu, die sich im Kindesalter durch → Erzählen
Ein dritter Grund dafür, dass der Zugang zu Jesus Christus im Jugendalter problematisch werden kann, ist die Erschütterung der Erfahrung beziehungsweise des Glaubens, dass Jesus, ebenso wie Gott, jederzeit helfend eingreifen kann. Mit dem damit einhergehenden Deismus, den die religiöse → Entwicklungspsychologie
Wo der Unterricht die genannten Barrieren nicht auflösen kann oder sogar noch verstärkt, erscheint Jesus Christus als Fremdkörper. Historisches wie theologisches Wissen über ihn bleibt defizitär, theologische Begriffe bleiben formelhaft (Ziegler, 2006, 48-65). Da es keinen altersabhängigen Automatismus in der Weiterentwicklung christologischer Konzepte gibt, können Jugendliche in ihrer Reflexions- und Argumentationsfähigkeit hinter das Niveau von Kindern zurückfallen, wenn eine entsprechende Förderung unterbleibt (Kraft/Roose, 2011, 72; Ziegler, 2006, 55-57).
Kaum erforscht ist der Christusglaube von Erwachsenen. Die Studie von Arzt (2000), die sich vor allem auf religiös sozialisierte Frauen bezieht, stellt die Bedeutung Jesu als „Begleiter, Kumpan, Bruder, Freund, Lehrer, Wegbegleiter“ (Arzt, 2000, 178) und auch als ethisches Vorbild heraus.
4. Didaktische Perspektiven
4.1. Zugänge
Christologiedidaktik sieht sich vor die Aufgabe gestellt, einerseits die individuellen christologischen Konzepte von Kindern und Jugendlichen zu würdigen, aufzugreifen und sie zu eigenem Konstruieren zu ermutigen, andererseits ihnen christologische Deutungsmuster der Bibel und der christlichen Tradition zur Verfügung zu stellen. Die Beiträge im Band von Englert und Schweitzer (Englert/Schweitzer, 2017) stellen sich dieser Herausforderung und präsentieren, für Jugendliche und mit Schwerpunkt Oberstufe, Erarbeitungen verschiedener christologischer Motive mithilfe unterschiedlicher religionsdidaktischer Ansätze. Als lebensweltliche Bezugspunkte werden hier, aber auch in der anderen einschlägigen Literatur (Gärtner, 2011; Kraft/Roose, 2011; Hofheinz, 2015; Pemsel-Maier, 2016) das Ringen um die eigene Identität, die Suche nach Anerkennung, nach einem guten Leben und nach Glück sowie der Umgang mit Scheitern und Schuld genannt.
Christologie im Religionsunterricht erstreckt sich von narrativem Arbeiten mit biblischen Erzählungen (nicht nur in der Grundschule) über die metaphorische Erschließung christologischer Bildworte, wie Licht, Hirte, Weinstock, Opferlamm, bis hin zur Reflexion christologischer Modelle: Entspricht Jesus Christus eher dem Typus Superman, der einer jenseitigen göttlichen Sphäre entstammt, oder eher dem Menschen Batman, dem übersinnliche Kräfte zugewachsen sind? Neben Texten bieten sich ästhetische Zugänge über Christus-, Kreuzes- und Auferstehungsdarstellungen, über thematisch ausgewählte Musikstücke und nicht zuletzt über Auszüge aus den zahlreichen Jesusfilmen an. In besonderer Weise eignet sich das Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen (→ Kindertheologie
4.2. Keine Alternativen: von unten und von oben
Christologiedidaktisch bietet sich, besonders für wenig religiös sozialisierte Schülerinnen und Schüler, ein Anlauf von unten (Pemsel-Maier, 2016, 103-109) beim geschichtlich erinnerten Jesus an, dem Wanderprediger, der die Botschaft vom Reich Gottes verkündet, Jünger beruft, Kranke heilt, Aussätzige und Ausgestoßene in die Gemeinschaft zurückholt, mit Zöllnern und Prostituierten Gemeinschaft pflegt und mit seinem Verhalten politisch und religiös solchen Anstoß erregt, dass er dafür gekreuzigt wird. Von der Person und Botschaft Jesu, die narrativ zu entfalten ist und zu denken gibt, Fragen aufwirft, erstaunt und provoziert, lässt sich ein Zugang zum Christus des Glaubens (→ Glaube
Christologiedidaktik bleibt jedoch nicht auf den Zugang von unten beschränkt. Untersuchungen (Hanisch/Hoppe-Graf, 2002, 96-99; Ziegler, 2007, 55-57; Kraft, 2011, 46f.) haben gezeigt, dass Jugendliche und bereits Kinder auch christologische Konzepte von oben konstruieren. Vor allem dann, wenn der Glaube an Gott für sie eine gewisse Plausibilität hat, ist ihnen die Vorstellung, dass dieser Gott seinen Boten in die Welt schickt, zugänglich. Texte aus dem im Religionsunterricht selten berücksichtigten → Johannesevangelium
4.3. Die Gottesbeziehung Jesu ins Spiel bringen
Es spricht einiges dafür (siehe 3.1.), dass der Deutung der Beziehung Jesu zu seinem Vater eine wichtige Rolle für den Zugang zu christologischen Fragen zukommt. Während der enge Zusammenhang zwischen der Frage nach Christus und der Frage nach Gottvater für die große Mehrheit der befragten Jugendlichen bei Ziegler (2006, 10) überhaupt nicht im Blick war, wurden die Kinder im Unterrichtsarrangement von Büttner (2002, 266-268) auf die besondere Beziehung Jesu zu seinem Vater und sein Gebet zu ihm aufmerksam und sahen in dieser Intensität etwas Besonderes, das Jesus auszeichnet. Damit begaben sie sich auf eine wichtige Spur impliziter Christologie. Wenn Kinder auf diese Spur gesetzt werden sollen, ist allerdings zu beachten, dass sie zu Beginn der Grundschulzeit noch nicht klar zwischen Jesus und Gott unterscheiden können (Büttner, 2002, 266). Nachdrücklich plädiert Tobias Ziegler dafür, die außergewöhnliche Gottesbeziehung Jesu über die Primarstufe hinaus zum Thema zu machen, weil „der für die meisten neueren christologischen Ansätze in seiner methodischen Vorrangstellung unumstrittene Weg von unten, der bei der Rekonstruktion des historischen Jesus einsetzt, ohne seine Einheit mit Gott vorauszusetzen, für Heranwachsende keineswegs so selbstverständlich ist“ (Ziegler, 2006, 550). Auch Marco Hofheinz (2015) stellt im Anschluss an die markinischen Sohn-Gottes-Prädikationen das Gottesverhältnis Jesu ins Zentrum seiner Überlegungen.
Solche Zugänge nehmen das Grundaxiom der Christologie auf, dass mit der Rede von Jesus zugleich Gott ins Spiel kommen muss. Denn der Gott, an den Christinnen und Christen glauben, ist nur durch den Menschen Jesus zugänglich, und der Mensch Jesus ist nur von seinem Gott her verständlich.
4.4. Die christologische Kernfrage: Wahrer Mensch und wahrer Gott – wahrer Gott als wahrer Mensch
Unbestritten ist, dass religiöse Bildung „die Verheißungspotenziale des Lebens Jesu ausloten [muss], die für menschliches Leben heute anregend sind und Hoffnung bieten“ (Gärtner, 2011, 269). Doch wenn Jesus Christus nicht nur als ein mögliches Lebensmodell unter anderen präsentiert werden soll, wenn deutlich werden soll, warum es aus christlicher Perspektive wichtig ist, sich heute mit einem längst Verstorbenen auseinanderzusetzen, bleibt die Klärung der christologischen Kernfrage, was Jesus Christus von anderen Menschen, Lebensmodellen, Vorbildern unterscheidet, unerlässlich. Damit kommt die Frage nach seiner Göttlichkeit ins Spiel.
Ein Rekurs auf die altkirchliche Lehre von den zwei Naturen (Freudenberger-Lötz, 2007, 201-205) ist nur bedingt zielführend, denn sie verleitet zur Vorstellung von halb Gott, halb Mensch. Insofern altkirchliche Dogmen zwar den Rahmen, aber nicht den Endpunkt für das theologische Denken markieren, orientieren sich neuere christologische und christologiedidaktische Entwürfe (Pemsel-Maier, 2016, 190-194). Ausgangspunkt ist das Menschsein, das keine in sich abgeschlossene Größe ist, sondern die Fähigkeit zum Transzendieren hat, etwa in Akten der Hoffnung, der Liebe oder in der Frage nach einem Leben über den Tod hinaus. Solches Transzendieren richtet sich nach christlicher Überzeugung auf ein Absolutes und ist Ausdruck der Verwiesenheit auf Gottes Fülle. Gott lässt dieses Transzendieren nicht ins Leere laufen, sondern erfüllt es, indem er sich offenbart und so dem Menschen mitteilt. Gott und Mensch werden demnach als zwei Wirklichkeiten gedacht, die aufeinander hin offen sind. Realisieren die Menschen solche Offenheit und Verwiesenheit auf Gott in ihrem Leben immer nur ansatzweise und fragmentarisch, ist sie im Menschsein Jesus radikal, „ohne Sünde“ verwirklicht. So und nur so kann der Mensch ganz bei Gott und umgekehrt Gott ganz beim Menschen ankommen. Jesus Christus ist darum wahrer Gott gerade als wahrer Mensch und lebt wahres Menschsein so radikal, dass er zum wahren Gott wird. Veranschaulichen und erfahrbar machen lässt sich dies über eine Lerntheke mithilfe unterschiedlicher Materialien (Pemsel-Maier, 2016, 195f.).
Die Stärke des vorgestellten Denkmodells besteht darin, dass das Göttliche nicht im Sinne einer Baukasten-Christologie additiv zum Menschsein Jesu Christi hinzutritt, sondern in seinem Menschsein aufzufinden ist. Dass Menschsein nach christlichem Verständnis auf Gott hin angelegt ist und nur in der Beziehung zu Gott seine Erfüllung findet, ist das große Thema religiöser Bildung, das immer wieder neu anzugehen ist. Zugleich ist es für Schülerinnen und Schüler eine denkerische Herausforderung, dass die Ausrichtung des Menschen auf Gott einerseits und seine Freiheit andererseits, seine Abhängigkeit von Gott und seine Eigenständigkeit nicht in Widerspruch zueinanderstehen, sondern im gleichen Maße wachsen. Es wird ihnen womöglich fremd bleiben, solange ihnen Gott nicht als befreiender und sie bestärkender Gott aufgegangen ist.
Damit nicht das Missverständnis entsteht, als habe Jesus aufgrund seiner besonderen Frömmigkeit die intensive Beziehung zu Gott leisten können, bedarf die anthropologisch gewendete Christologie von unten auch einer Christologie von oben, verbunden mit einer Ausweitung auf das trinitarische (→ Dreifaltigkeit/Trinität
5. Offene Fragen
Christologiedidaktik versteht sich als Suchbewegung. Vorangehend wurden einige Perspektiven angerissen, doch zahlreiche Fragen sind noch weitgehend ungeklärt: wie Christologie im Religionsunterricht als Soteriologie zu entfalten ist, damit das Bekenntnis zu Christus als Heiland und Erlöser (→ Erlösung
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