Kompetenzen, religionspädagogische
(erstellt: Januar 2015)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Kompetenzen_religionspdagogische.100086
Bezüglich des didaktischen Dreiecks Schülerinnen und Schüler – Lerngegenstand – Lehrerinnen und Lehrer soll im Folgenden der Fokus auf die Lehrperson gerichtet werden: Welche Kompetenzen benötigt diese, um einen erfolgreichen (Religions-)Unterricht durchzuführen? Dass diese Frage nicht kontextlos und überzeitlich geklärt werden kann, wird in einem ersten Kapitel erläutert. Als ebenso bedeutsam erscheint der Blick auf die Ergebnisse und Modelle der Lehrerprofessionsforschung ( → Professionsforschung
1. Kontextualität der Lehrerprofessionalität
Was eine gute Lehrkraft ( → Lernende/Lehrende
1.1. Anforderungen an Religionslehrkräfte im Spiegel religionspädagogischer Konzepte
Aus der Geschichte der → Religionspädagogik
Die grundlegenden religionspädagogischen Konzeptionen des 20. Jahrhunderts für den Religionsunterricht implizierten je eigene Anforderungsprofile der Religionslehrenden (Ritter, 2014, 135-137; Rothgangel, 2012, 35-48), wie exemplarisch gezeigt werden soll: So waren im Rahmen der Evangelischen Unterweisung ( → Evangelische Unterweisung
Auch die aktuellen Prinzipien (zum Begriff siehe Mendl, 2014, 149f.), die deutlicher erfahrungs- und subjektorientiert angelegt sind, implizieren je eigene Kompetenzerwartungen an die Lehrenden: Hier agieren die Lehrenden an der Schnittstelle zwischen den Erfahrungen der Schülerinnen und Schülern und den Erfahrungen der christlichen Tradition und haben die anspruchsvolle Aufgabe, Korrelationen zu ermöglichen ( → Korrelation
1.2. Ergebnisse der Lehrerprofessionsforschung
Der Frage, was man unter einer professionellen Lehrkraft versteht und welche Qualifikationen und Kompetenzen diese benötigt, widmet sich auch die Lehrerprofessionsforschung ( → Professionsforschung
Beim Persönlichkeitsansatz wird die Persönlichkeit des Lehrers ( → Individuum/Individualität
Beim struktur- und rollentheoretischen Ansatz ( → Rolle der Lehrkräfte
Neben den personalistischen und rollentheoretischen Modellen in der Lehrerprofessionsforschung gibt es ein deutlich handlungsorientierteres Muster (Ziebertz/Heil/Mendl/Werner, 2005, 41f.). Der professions- und kompetenzorientierte Ansatz gründet auf einem Expertenparadigma: Welche Kompetenzen benötigen erfolgreiche Expertinnen und Experten für die Ausgestaltung des Handlungsfeldes Unterricht und wie werden im Rahmen des Studiums und der Ausbildung aus Novizen Fachleute? Ausgangspunkt ist die Berufsprofession der Lehrkraft, die sich ihrer Grenzen bewusst ist, gerade auch durch eine professionelle Distanz zwischen Privatem und Beruflichen zu unterscheiden weiß und in ganz konkreten Kompetenzfeldern in Prozessen lebenslangen Lernens eine flexible berufliche Professionalität zu erwerben in der Lage ist. Freilich erscheint die rigide Unterscheidung zwischen einer notwendigen unmittelbaren unterrichtsrelevanten Kompetenz und den davon abgegrenzten erzieherischen und personal-kommunikativen Ebenen des Lehrerhandelns in religionspädagogischer und bildungstheoretischer Hinsicht als zu eng (Pirner, 2012, 20).
Für die weitere Konzeptionierung eines religionspädagogischen Kompetenzmodells für Religionslehrerinnen und -lehrer wird der Versuch unternommen, die Vorzüge der drei skizzierten Modelle miteinander zu verbinden.
1.3. Spezifische Herausforderungen für Religionslehrkräfte
Fachspezifische Herausforderungen ergeben sich für Religionslehrkräfte durch den Gegenstand Religionsunterricht. Dieser ist in Deutschland grundgesetzlich abgesichert (Artikel 7,3 Grundgesetz) und als „gemischte Angelegenheit“ (res mixta) gleichermaßen vom Staat und von den Kirchen beziehungsweise Religionsgemeinschaften ( → Kirche und Staat
Das Kompetenzmodell der Evangelische Kirche in Deutschland aus dem Jahre 2008 setzt an der Schnittstelle zwischen den Anforderungen des Berufsfeld für Religionslehrkräfte und den Anforderungen der wissenschaftlichen Theologie an und entfaltet folgende fünf Kompetenzbereiche einer „Theologisch-religionspädagogischen Kompetenz“ (Kirchenamt der EKD, 2008, 16-21; Burrichter u.a., 2012, 10), die dann noch weiter ausdifferenziert werden:
- Religionspädagogische Reflexionskompetenz (Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Religiosität und der Berufsrolle; Fähigkeit, zum eigenen Handeln in eine reflexive Distanz zu treten);
- Religionspädagogische Gestaltungskompetenz (Fähigkeit zur theologisch und religionsdidaktisch sachgemäßen Erschließung zentraler Themen des Religionsunterrichts und zur Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen; Erzieherische Gestaltungskompetenz; Fähigkeit zur religionsdidaktischen Auseinandersetzung mit anderen konfessionellen, religiösen und weltanschaulichen Lebens- und Denkformen; Fähigkeit zur Interpretation und didaktischen Entschlüsselung religiöser Aspekte der Gegenwartskultur; Wissenschaftsmethodische und medienanalytische Kompetenz; religionspädagogische Methoden- und Medienkompetenz),
- Religionspädagogische Förderkompetenz (religionspädagogische Wahrnehmungs- und Diagnosekompetenz; religionspädagogische Beratungs- und Beurteilungskompetenz),
- Religionspädagogische Entwicklungskompetenz
- Religionspädagogische Dialog- und Diskurskompetenz (interkonfessionelle und interreligiöse Dialog- und Kooperationskompetenz; religionspädagogische Diskurskompetenz).
Dieses Strukturmodell wird durch ein Entwicklungsmodell ergänzt, das den drei Phasen der Lehrerbildung unterschiedliche Aufgaben (Studium: forschendes Lernen; Referendariat: theoriegeleitetes Erprobungslernen; Berufsphase: integrierendes Erfahrungslernen; Kirchenamt der EKD, 2008, 23-28) zuweist.
Auf ähnliche Weise konturieren auch die katholischen Bischöfe „Dimensionen der beruflichen Handlungsfähigkeit“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2010, 13) von Religionslehrerinnen und -lehrern. Ausgangspunkt sind hier die Kompetenzen, die die Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht erwerben sollen (Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit; Deutungsfähigkeit; Urteilsfähigkeit; Dialogfähigkeit; Gestaltungsfähigkeit; a.a.O., 12):
- „Religionslehrerinnen und Religionslehrer verfügen über Urteils- und Dialogfähigkeit in religiösen und moralischen Fragen […]
- Religionslehrerinnen und Religionslehrer verfügen über religionspädagogische Kenntnisse und Fähigkeiten […]
- Religionslehrerinnen und Religionslehrer bilden eine berufliche Identität und Spiritualität aus […]“ (a.a.O., 14-17).
Ähnlich wie beim evangelischen Konzept wird auch hier eine entwicklungsbezogene Perspektive angefügt, indem den verschiedenen Phasen der Lehrerbildung unterschiedliche Aufgaben bezogen auf die Entwicklung der beruflichen Kompetenz zugewiesen werden.
Deutlich wird, dass auch bei den kirchlichen Modellen struktur- und rollentheoretische, professionstheoretische und personale Perspektiven miteinander verschränkt sind.
1.4. Das Habitusmodell: Ein Modell zur Entwicklung und Reflexion einer berufsprofessionellen Kompetenz
Das Habitusmodell knüpft konzeptionell am oben skizzierten professionstheoretischen Ansatz an; es beinhaltet aber auch struktur- und rollentheoretische Perspektiven und trägt in der konkreten Umsetzung auf den Religionsunterricht auch zu einer persönlichen Reflexion der fachspezifischen Herausforderungen bei; als integratives Modell eignet es sich in besonderem Maße für die Erschließung zentraler religionspädagogischer Kompetenzfelder.
Reflexivität und Supervision gelten als „Merkmale einer modernen Profession in sozialen Arbeitsfeldern“ (Bauer/Kopka/Brindt, 1996, 11). Auch Schule zählt unbestreitbar zu den sozialen Arbeitsfeldern, weil sich das Bildungshandeln aller Beteiligten in sozialen Räumen und kommunikativen Strukturen abspielt. der Aspekt „Reflexivität“ ist deshalb bei der Frage nach der notwendigen (religions-)pädagogischen Kompetenz von Religionslehrerinnen und -lehrern der Dreh- und Ankerpunkt des professionstheoretischen Habitus-Modells, das im Folgenden als ein grundlegendes für die Religionspädagogik knapp erläutert werden soll.
Das Habitus-Modell (Habitus = grundlegende Haltung, die die Wahrnehmung, das Denken und Handeln prägt) liefert ein Kriteriologie, die leitend für die Entwicklung einer berufsprofessionellen Reflexivität sein kann. Es wurde vom Philosophen und Soziologen Pierre Bordieu maßgeblich geprägt und von Stefan Heil und Hans-Georg Ziebertz auf die Lehrerbildung und auf den Religionsunterricht übertragen (Ziebertz/Heil/Mendl/Werner, 2005, bes. 41-61; Heil, 2013, 167-177). Das Konzept besagt, dass im Laufe seines Berufslebens jeder Lehrende einen individuellen Stil ( → Individuum
- Was sind die aktuellen Anforderungen der religionspädagogischen Praxis?
- Welche Möglichkeiten zur Bewältigung der Anforderungen sind vorhanden?
- Wo und wie können sie weiterentwickelt werden?
Der pädagogische Habitus wird also durch die zwei grundlegenden Elemente der Kompetenz und der Reflexivität aufgebaut. Lehrende müssen über die Kompetenz verfügen, Routinen aufzubauen, aber gleichzeitig durch den Umgang mit Neuem diese Routinen verändern, und sie müssen persönliche und institutionelle Bedingungen, die ja beide auch einem Wandel unterworfen sind, in ihr Handeln integrieren (Burrichter u.a., 2012, 8f.). So wird ein selbstkritisches und flexibles berufsprofessionelles Handeln möglich.
2. Kompetenzdomänenen
Was brauchen also Religionslehrerinnen und -lehrer (Katechetische Blätter 138 [2013] 1; Katechetische Blätter 130 [2005] 5)? Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen können nun thesenartig zentrale religionspädagogische Kompetenzdomänen skizziert werden, die heutigen Anforderungen an einen guten Religionsunterricht und an eine professionelle Religionslehrkraft entsprechen. Dabei wird der Versuch unternommen, ausgehend von den skizzierten Perspektiven der Lehrerprofessionsforschung (personale, struktur- und professionstheoretische Zugänge) und den fachspezifischen Erwartungen an die Religionslehrenden und auf der Basis des Habitus-Modells ein realistisches Tableau zu entfalten. Diese Bemerkung erscheint insofern als bedeutsam, als immer wieder die Neigung zu überzogenen Erwartungen an die Religionslehrenden festzustellen sind. „Missionarisch wie Paulus, systematisch wie Thomas von Aquin, menschenfreundlich wie Maria Montessori“, so karikiert Anton Bucher das normative Erwartungsspektrum an Religionslehrende (Bucher, 2002). Vor allem die unterschiedlichen kirchlichen Erwartungen, wie sie sich auch in den Sprachspielen niederschlagen (Religionslehrende als „Bürgen“, „Brückenbauer“, „Zeugen“ – Burrichter, 2012, 54-58), lösen durchaus auch Ängste aus und müssen deshalb differenziert diskutiert werden. Mit Bezug auf das soziale Arbeitsfeld Religionsunterricht kann die Dimension der Beziehung (Mendl, 2013) hilfreich sein, um das Kompetenzprofil von Religionslehrenden herauszuschälen.
2.1. In Beziehung zum Gegenstand: Theologische Fachkompetenz
Religionslehrende sollen theologische Fachexperten sein. Sie stehen in Beziehung zum Gegenstand Religion und sollen theologisch in den Teildisziplinen in verschiedenen Wissensdomänen und im fachspezifischen Sprachspiel versiert sein. Sie müssen aber vor allem in der Lage sein, als wissende Übersetzer die Komplexität von Religion und Theologie Kindern und Jugendlichen elementar dazustellen ( → Kindertheologie
2.2. In Beziehung zu den Bildungswissenschaften: Allgemeine pädagogische Leitungs- und Erziehungskompetenz
Der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen muss den Ansprüchen der jeweils aktuellen Bildungsdiskussion entsprechen. Religionslehrende benötigen deshalb grundlegende bildungswissenschaftliche Kenntnisse, die sie vor allem in der zweiten und dritten Phase der Lehrerbildung auf reflektierte Weise in die Ausgestaltung des Unterrichts umzusetzen in der Lage sind. Dies bezieht sich auf die grundlegenden schulpädagogisch erhobenen Merkmale guten Lehrerhandelns (Mendl, 2014, 222) ebenso wie auf das über das unmittelbare Unterrichten hinausgehende komplexe Feld der erzieherischen Kompetenz (Burrichter/Mendl, 2012, 140-156).
2.3. In Beziehung zum Unterricht: Didaktische Wahrnehmungs-, Planungs- und Handlungskompetenz
Unterrichten, das unter den skizzierten Vorzeichen die Lernenden als Ausgangs- und Zielpunkt jeglichen Lehr-Lern-Prozesses betrachtet, erfordert Lehrende, die in der Lage sind, Unterricht aus der Perspektive der Lernenden zu betrachten („Ich sehe Lernen durch die Augen meiner Lernenden“, Hattie, 2014, 6). Wenn Unterricht den Anspruch hat, korrelativ zwischen den Perspektiven des Glaubens und den Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler zu oszillieren, müssen die Lehrenden über das entsprechende Handlungszeug zur Unterrichtsplanung ( → Unterrichtsentwurf
2.4. In Beziehung zum Fach und zur Institution: Domänenspezifische religionsdidaktische Kompetenzen
Der Religionsunterricht ist ein Fach wie jedes andere und doch ganz anders. Der Gegenstand Religion erfordert von den Lehrenden eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Glaubensbiografie ( → Glaube
2.5. In Beziehung zu den Lernenden: Evaluative und reflexive Kompetenz
Religionslehrende brauchen die Fähigkeit, soziologisch und entwicklungspsychologisch ( → Entwicklungspsychologie
2.6. In Beziehung zur eigenen Person: Personale Kompetenz
Das bis hierher skizzierte Kompetenzspektrum ist vielfältig und anspruchsvoll. Gemäß der dargestellten Habitustheorie werden Lehrende handlungsmächtig, wenn sie immer wieder in ihrer Berufsbiografie dazu angeregt werden, über eigene Ressourcen und Stärken, Grenzen und Innovationsmöglichkeiten nachzudenken (Mendl, 2006; 2008) und so ein religionspädagogisches Selbstkonzept zu erwerben (Adam, 2012, 296). Zur personalen Kompetenz gehört auch die Rollenkompetenz im Abgleich verschiedener Erwartungen sowie unter den Vorzeichen eines konfessionellen Religionsunterrichts die reflexive Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von eigener Glaubensbiografie und kirchlichen Anforderungen.
3. Plädoyer für ein realistisches Lehrerinnen- und Lehrerbild
Der kompetenzorientierte Professionsansatz gesteht Lehrenden auch eine Rollendistanz zu und schützt so vor überzogenen Erwartungen an die Lehrpersonen (Pirner, 2012, 19). Denn Lehrerinnen und Lehrer sind auch nur Menschen!
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Professioneller religionspädagogischer Habitus. Aus: Ziebertz, Hans-Georg/Heil, Stefan/Mendl, Hans/Simon, Werner, Religionslehrerbildung an der Universität. Profession – Religion – Habitus, Münster 2005, 56. Stefan Heil/Hans-Georg Ziebertz
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