Schülerinnen und Schüler
(erstellt: Januar 2015)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Schlerinnen_und_Schler.100089
1. Begriffsbestimmung
„Da sind sie. Die Tür knallt gegen die Leiste unten an der Tafel und wirbelt eine Kreidewolke auf. Ein Mordsspektakel. Sie könnten doch einfach hereinkommen, guten Morgen sagen und sich hinsetzen. Aber nein. Sie müssen schubsen und drängeln. Einer sagt in gespielt drohendem Tonfall He, ein anderer kontert sofort mit He. Sie beleidigen einander, ignorieren das zweite Klingeln, lassen sich Zeit mit dem Hinsetzen“ (McCourt, 2008, 23).
An dieser Beschreibung der Schülerinnen und Schüler, die einen negativen beziehungsweise genervten Unterton der Sichtweise der Lehrkraft ( → Lernende/Lehrende
Der Kontext Schule bildet dabei quasi einen organisatorischen Rahmen, der davon bestimmt ist, dass es aufgrund der Unterschiedlichkeit von Qualifikation, Alter (hier gibt es Ausnahmen beispielsweise im Berufsschulkontext) und Intention als Lehrende und Lernende – eben Schülerinnen und Schüler – gibt, die wiederum in Gruppen (wie Jahrgangsklassen oder -kursen) zusammengefasst sind. Zumeist bilden → Mädchen
In Deutschland beginnt das Schulalter mit einer – zum Teil in Leistungstests, durch Schulreifeuntersuchung nach körperlichen, kognitiven, motivationalen und sozialen Voraussetzungen geprüften – Schulfähigkeit der Kinder zwischen 5 und 7 Jahren und kann sich bezogen auf differierende Aus- und Fortbildungsmaßnahmen (Berufsschulen, Meisterschulen, Künstlerschulen, aber auch Fahr- oder Tanzschulen) bis weit ins Erwachsenenalter hinziehen ( → Bildungssysteme
2. Schülerinnen und Schüler in religionspädagogischer Perspektive
2.1. Schülerinnen und Schüler – historisch
Im Mittelalter gab es noch keine altersbezogene Trennung der Schülergruppe, sondern eine recht flexible Zusammensetzung der Gruppe (Ariès, 1976, 231), in der die Lernenden meist als Zöglinge bezeichnet wurden. Die etymologische Nähe des Begriffs Zögling zu Termini wie Zucht beziehungsweise → Erziehung
Mit der Forderung von Johann Amos Comenius (1592-1670) nach einer Allgemeinbildung für alle etablierte sich die Zusammenfassung von Schülern und Schülerinnen der gleichen Altersgruppe in großen Gruppen und damit der durchaus problematische Versuch einer didaktischen Homogenisierung, die den gleichen Lernstoff für alle im gleichen Zeitraum vorsah. Im 19. Jahrhundert entstanden in den Gymnasien Jahrgangsklassen und damit eine Gleichsetzung des Lernstands durch gruppenkonforme → Leistungsmessung
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts tritt der Schüler respektive die Schülerin stärker als Subjekt in den Mittelpunkt, so dass Bedingungen des Schulalltags aus Schülerperspektive, aber auch Schülerrechte (Schülermitverwaltung, Schulkonferenzen etc.) stärker in den Fokus des schulischen Lebens und der → Schulkultur
2.2. Schülerinnen und Schüler – lebensgeschichtlich
Während der Kindergarten als Institution des elementaren Bildungsbereichs im Sinne einer vorschulischen und familienergänzenden Einrichtung verstanden wird (Graf, 2012, 408), hat die Etablierung der Grundschule die Funktion, das Kind – durchaus mit sozialisatorischem Interesse – zum partizipierenden Teil der Gesellschaft werden zu lassen: „Mit dem sechsten oder siebten Lebensjahr geht das kindliche Dasein in den zweiten Modus des Menschseins über: das Schülersein“ (Wilhelm, 1969, 27). Deutlich zeigt sich an diesem Zitat die Tragweite des lebensgeschichtlichen Übergangs (vgl. rites de passage bei van Gennep, 2005) mit dem Schuleintritt, der für die Heranwachsenden mit der klassischen Formel, dass nun der Ernst des Lebens beginne, die Wende von einer eher als unbekümmert geltenden Kleinkindzeit zu einer an Leistungsmessung orientierten und mit Belastung einhergehenden Schulzeit markiert. Durchaus kann daher das Schüler- und Schülerinsein als anthropologisch bedeutsame Dimension gesehen werden, indem die Persönlichkeitsentwicklung in hohem Maße von der Schulkarriere beziehungsweise auch den Einflüssen des Schullebens und der Schulkultur abhängt. Das Schülersein betrifft die Person als Ganzes vergleichbar einer Berufsbezeichnung (Muth, 1966).
2.3. Schülerinnen und Schüler – (religions)soziologisch
Die gegenwärtige Sozialisationsforschung ( → Sozialforschung
In religionssoziologischer Hinsicht ( → Religionssoziologie
2.4. Schülerinnen und Schüler – religions- und entwicklungspsychologisch
Mit der Intention einer Professionalisierung der Lehrkräfte ( → Professionsforschung
Insofern haben Lerntheorien verhaltenspsychologischer, kognitionspsychologischer und konstruktivistischer Couleur (Schulte, 2012, 225) in die religionspädagogische Reflexion zu den Lernvoraussetzungen beziehungsweise -bedingungen der Schülerinnen und Schüler Eingang gefunden. In neuerer Perspektive überzeugen insbesondere integrative Theorien, die die wechselseitige Dependenz von Einflüssen der Lehrenden und Konstruktionen der Schüler und Schülerinnen betonen.
Professionsspezifisches Grundwissen bezieht sich mit der Rezeption Piagets auf die kognitiv-strukturalistischen Entwicklungstheorien: Die kognitiv ausgerichtete Entwicklungspsychologie nimmt an, dass es neben individuellen Veränderungsprozessen Strukturen der menschlichen Entwicklung gibt, die verallgemeinerbar, ja sogar von universaler Geltung seien. Das aber bedeutet, dass es für jedes Alter typische Muster gibt, wie Schülerinnen und Schüler denken (kognitive Entwicklung), wie sie sich die Welt vorstellen (Entwicklung des Weltbildes), wie sie moralisch urteilen (Entwicklung des moralischen Urteils), und wie sie nach → Gott
Gegenwärtig werden in religionspädagogischen Diskursen eher heuristische Modelle gesucht, um Phänomene von Religiosität und Spiritualität (im Sinne gelebter Religion) zu erforschen und zur Sichtung einer subjektorientierten Religionsdidaktik (→ Subjekt
2.5. Schülerinnen und Schüler – geschlechtsspezifisch
Schülerorientierung impliziert als didaktisches Prinzip eine subjekt- und damit auch genderbewusste Sichtweise auf die Lernenden (Naurath, 2012). Hierbei ist gender ( → Gender
Gerade der → Religionsunterricht
3. Schülerinnen und Schüler in religionsdidaktischer Perspektive
3.1. Schüler- und Schülerinnenorientierung als dezidierte Subjektorientierung
Blickt man auf eine zweitausendjährige Geschichte christlicher Erziehung zurück, dann haben wir es eigentlich erst seit kurzem mit einem grundlegenden Wandel zu tun, denn man kann die Geschichte der religionspädagogischen Konzeptionen ( → Religionspädagogische Konzeptionen
Doch ist damit das Postulat einer dezidierten Subjektorientierung wirklich eingelöst? Wenn → Bildung
3.2. Schüler- und Schülerinnenorientierung als didaktische Herausforderung im Kontext von Pluralität
Gegenwärtige Religionsdidaktik ist vor die Aufgabe gestellt, sich im Kontext einer wachsenden Vielfalt von Lebensformen und Lebenswelten im Sinne sprachlicher, kultureller und auch religiöser Diversität ( → Diversity
Unterrichtspraktisch bedeutet der konstruktive Umgang mit → Heterogenität
Literaturverzeichnis
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