Deutsche Bibelgesellschaft

Mose und Mirjam, bibeldidaktisch, Grundschule

(erstellt: Februar 2016)

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1. Elementare Zugänge und Erfahrungen

1.1. Die Mose-Geschichten als Bildungsgut

„Wie klein erscheint der Sinai, wenn der Mose darauf steht“ (Heinrich Heine)! Mose als monumentale Persönlichkeit in jüdischer, christlicher und islamischer Tradition – im Fokus von Kunst, Literatur und Bibelverfilmung, sprichwörtlicher Befreier, Anführer, Kultstifter und Gesetzgeber, Prophet und Freund Gottes: Kann er für Kinder mehr sein als ein Lernpensum klassischer Bildung? Welche der vielen prägenden Motive der Mose-Geschichte (die auch die Geschichte Mirjams ist!) – Weidenkörbchen, Dornbusch, Plagen, Pascha, Schilfmeer, Wüste, Manna, Gesetz und Goldenes Kalb – sind anschlussfähig an das Erleben und Verstehen heutiger Grundschülerinnen und Grundschüler?

1.2. Die Mose-Geschichten als Beziehungsgeflecht

Ein Viertklässler fasst unter der Überschrift „Mose führt die Juden aus Ägypten“ die Großerzählung um Mose (und Mirjam) so zusammen: „Die Juden waren in Israel gefangen. Sie waren eingesperrt und konnten nicht heraus. Doch eines Tages aber kam ein Engel und sagte zu Mose: ‚Ich werde euch mit Gott herausführen. Schlachtet ein Lamm und esst es, schmiert das Blut an eure Türen, denn der kein Blut an den Türen hat, töte ich den Ältesten.‘ Sie machten es, wie der Engel gesagt hatte. Er kam und sagte: ‚Jetzt könnt ihr gehen.‘ Sie hatten Vorsprung. Nach einer Weile erreichten sie einen Fluss. Sie sahen schon die Ägypter hinter ihnen. Sie sagten zu Mose und beschimpften ihn: ‚Du führst uns jetzt rüber.‘ Er betete zu Gott: ‚Bitte, führe uns über den Fluss.‘ Das machte Mose und der Fluss öffnete sich. Als die Ägypter kamen, ließ Gott den Fluss zumachen“ (Hanisch/Bucher, 2002, 38).

In einer Studie über das Bibelwissen von Viertklässlern (n = 2402) aus dem Jahr 1999 führt Mose die Hitliste spontan genannter Bibelgeschichten (50,7%) an (Hanisch/Bucher, 2002, 20). Anders als bei den meisten der anderen Nennungen werden unter dem Stichwort „Mose“ verschiedene Einzelerzählungen genannt: Gebote (12,9%), Auszug (8,8%), Dornbusch (4,3%), Schilfmeer (2,9%), Plagen (2,7%), Kindheitsgeschichte (2,3%) (Hanisch/Bucher, 2002, 21). Freilich ist diese Rangfolge zu allererst ein Spiegel der religionsunterrichtlichen Gewichtung. In einer weiteren Phase der gleichen Studie waren die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, ihre Lieblingsgeschichte schriftlich zu erzählen. Hier steht „Mose“ nach „habe keine“ (19,9%) und „Noah“ (15,1%) auf Platz drei (13,1%). Erzählt werden zumeist Einzelepisoden.

In dem eingangs zitierten Schülertext sind verschiedene Episoden in eigenständiger Verarbeitung zusammengefügt. Als roter Faden fungieren Beziehungen: zwischen Mose und Pharao/Ägypten, Mose und Israel, Mose und Gott (vertreten durch den Engel), Gott und Israel. Das entspricht der Lebenserfahrung von Kindern zwischen Familie, Kindergarten und Grundschule: Sie leben in einem wachsenden Geflecht von Beziehungen, von dessen Tragfähigkeit es abhängt, ob sie Geborgenheit finden, Selbstbewusstsein entwickeln und eigene Wege wagen. Dieser Spur soll im Folgenden nachgegangen werden: Wo in der Großerzählung von Mose und Mirjam finden Kinder eigene Beziehungserfahrungen wieder und erhalten Anregungen, diese zu erweitern und zu reflektieren?

1.2.1. Mose und Ägypten: Gefährdung und Rettung

Ein Teil der Probandinnen und Probanden der genannten Bibelwissen-Studie hat Moses Kindheitsgeschichte nacherzählt, meist in Kombination mit Dornbusch und Auszug (Hanisch/Bucher, 2002, 41.135): Ein Baby wird geboren und in Schutz genommen gegen Gefahren von außen. Der Pharao beziehungsweise Ägypten als Gegenspieler des schutzlosen Kindes ist „böse“, die, die sich um den kleinen Mose bemühen, sind „lieb“: die Eltern, Aaron, vor allem Mirjam, die große Schwester, aber auch die ägyptische (!) Prinzessin, die den Kleinen „freudig“ (Hanisch, Bucher, 2002, 135) aufnimmt. Das Binsenkörbchen bietet Schutz vor dem Wasser des großen Flusses.

Es ist eine Familiengeschichte, eine Geschichte davon, dass das Gute siegt (auch wenn es scheinbar schwächer ist), die Zuversicht ins Leben schenkt. Ähnlich wie ein Märchen kann sie jungen Kindern helfen, Urangst zu bewältigen und Urvertrauen aufzubauen. Das gleiche Muster wiederholt sich – jenseits der Familie, aber getragen von Familienstrukturen (Geschwister!) – im Ringen Moses und Aarons mit dem Pharao um den Auszug Israels aus Ägypten. Mögen die beiden auch mutig und stark sein – ihre eigentliche Kraft ist die Hilfe des Höchsten: „Mose … versuchte die Israeliten zu befreien. Es half alles nichts. Nicht einer kam frei. Dann aber kamen Plagen …“ (Hanisch/Bucher, 2002, 135). Die Plagen, von Gott gesandt gegen Pharao und Ägypten, haben eine ähnliche Funktion wie das grausame Ende so mancher bösen Märchen-Hexe: Sichtbar und drastisch wird → Gerechtigkeit hergestellt. Das Gute gewinnt mit Macht. Das entspricht dem Gerechtigkeitsgefühl von Grundschulkindern.

1.2.2. Mose und Israel: Vertrauen und Widerstand

Moses Stellung im Volk Israel ist von Anfang an differenzierter als das Schwarz-Weiß-Schema „Israel“ und „Ägypten“. Als unfreiwilliger Anführer angewiesen auf die Unterstützung seines Bruders Aaron, folgen ihm die Israeliten teils mit selbstverständlichem Vertrauen, teils „murren“ und meutern sie: „Sie … beschimpften ihn“, schreibt der zitierte Viertklässler. Kinder machen schon in der Grundschulzeit die Erfahrung, dass Aufgaben – auch wenn sie mit gutem Willen, und sei es sogar: „mit Gott“ – übernommen werden, sich mühevoll gestalten und dass die, die eigentlich auf ihrer Seite sind, phasenweise zu Gegnern werden. Mose als Identifikationsangebot zeigt Möglichkeiten des Umgangs: Langmut, Beharrlichkeit, nicht aufgeben.

1.2.3. Mose und seine Geschwister: Unterstützung und Rivalität

Noch differenzierter stellt sich das Verhältnis Moses zu seinen Geschwistern Aaron und Mirjam dar: Mirjam ist maßgeblich an der Rettung des Babys Mose beteiligt; Aaron steht dem erwachsenen Mose als Partner zur Seite. Kinder erleben die drei als ein „Team“, sowohl im Aufeinander-Angewiesen-Sein als auch in sinnvoller Aufgabenteilung. Dass so etwas nicht immer reibungslos abgeht, wissen Kinder. Freilich werden sie heutzutage die Rivalitäten zwischen Mose, Mirjam und Aaron kaum erleben; die Geschichte der mit Aussatz „gestraften“ Mirjam (Num 12), die zu Zeiten schwarzer Pädagogik gern thematisiert wurde (Reents, 2011, 48), ist längst nicht mehr in → Kinderbibeln und → Curricula zu finden. Allenfalls Aarons Eigenmächtigkeit in der Episode vom goldenen Kalb bestätigt die Erfahrung: Geschwister sind nicht immer ein Herz und eine Seele.

1.2.4. Mose und Gott: Ehrfurcht und Vertrautheit

Ein Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt – ein Name, der ein Geheimnis bleibt und zugleich eine Zusage ist – ein Auftrag, der den ganzen Mann erfordert und doch in der Hand eines Höheren liegt: Die Erfahrungen, die Mose mit seinem Gott macht, treffen sich mit den Erfahrungen von Kindern, die am eigenen Gottesbild arbeiten. Dass Gott unsichtbar und ein Geheimnis ist, wissen Kinder schon im Kindergartenalter, dass Gott größer ist als die Geschichten, die von Gott erzählt werden, erfahren sie in den Jahren danach. Wenn sie sich mit Mose auf die Entdeckungsreise machen, begegnen sie dem strengen und dem freundlichen, dem fernen und dem nahen, dem treuen und dem immer wieder auch unerbittlichen Gott, mit dem sie selbst vielleicht ringen.

Von diesem Gott werden Wunder erzählt, Machterweise zur Rettung seines Volkes. Von diesem Gott wird auch erzählt, dass er seine Macht zügeln und zähmen kann, um Menschen zu schonen.

1.2.5. Gott und Israel – Gott und Ägypten

Derselbe Gott tritt in den Mose-Geschichten als Befreier und Beschützer Israels und zugleich als Feind Ägyptens auf. Er steht auf der Seite der Armen und Unterdrückten und gegen die Unterdrücker. Das tut Kindern gut, gerade denen, die eigene Erfahrungen mit Unterdrückung und Marginalisierung, mit Gewalt und Ohnmacht machen (Hermann, 2011, 22). Und doch geht das – entlastende – Schema von Gut und Böse, Schwarz und Weiß auf die Dauer nicht auf. Kinder im Grundschulalter beginnen, sich in andere hineinzuversetzen, die Perspektive zu wechseln und Empathie zu entwickeln. Die Mose-Geschichten fordern dazu heraus, die „dunklen Seiten“ Gottes in das eigene Gottes- und Weltbild zu integrieren (vgl. Fricke 2005, 527.530f.).

2. Elementare Fragen

Kinder in den ersten Schuljahren erweitern allmählich ihre Beziehungen: Freundschaften entstehen und neue Beziehungen zu Erwachsenen jenseits der Familie. Sie machen eigene Erfahrungen mit der Verlässlichkeit und Belastbarkeit von Beziehungen; erleben die Notwendigkeit, an Freundschaften zu arbeiten und sich um sie zu bemühen. An die Mose-Geschichten können sie ihre Fragen herantragen: Auf wen kann ich mich verlassen? Was muss ich selbst einbringen, um ein guter Freund/eine gute Freundin zu sein? Welche Regeln fördern ein gedeihliches Miteinander? Wie gehen Freunde/Partner mit Schwächen des Anderen und mit Schuld um? Wer ist Gott als ein „Du“? Was will Gott und was kann Gott?

Ein weiterer wichtiger Fragenkomplex kommt in den Folgejahren hinzu: Wie weit trägt das Schuld-Strafe-Schema? Was ist wirklich gerecht und wie wird man Anderen gerecht? Wie kann der Mensch vor Gott bestehen?

Ein didaktisch reflektierter Umgang mit exemplarischen Geschichten von Mose und Mirjam kann die Bearbeitung solcher Fragen stimulieren und fördern.

3. Elementare Strukturen

3.1. Wunder, Wahrheit und die dunkle Seite Gottes

In den Erzählungen von Mose und Mirjam lassen sich grob zwei (in sich wiederum vielfältige) Schichten voneinander unterscheiden: Grunddaten des historisch verifizierbaren Kontextes einerseits (Jan Assmann spricht von „Resonanzen“, Assmann, 2015, 14 und öfter), Deutungen und Glaubensaussagen andererseits. Als historisch plausibel darf gelten: Frondienst eines semitischen Stammes in Ägypten (nicht: des gesamten Volkes Israels) und dessen Flucht; dazu verschiedene Erzähltraditionen rund um Auszug und Wüstenwanderung; Mose als Führungsgestalt; die Entstehung einer neuen Gesetzgebung.

Was Plagen und Wunder angeht, so lassen sich aus historisch-rationaler Perspektive durchaus Erklärungsmuster finden: Die Plagen bewahren wie im Brennglas die Erfahrung von Naturkatastrophen; das Schilfmeer ließe sich als Gezeitenphänomen und das Manna als Tamariskensirup identifizieren, Wachteln in der Wüste kommen vor. „Ist das wirklich passiert?“ – unter diesem Blickwinkel lautet die Antwort: „Ja, warum nicht?“

Aber die Erzählungen stehen nicht in der Bibel, um von historischen Fakten zu berichten, sondern von deren Wirkung, Deutung und Bedeutung: Die Knechte in Ägypten – das war das „Volk Israel“; sein Anführer – der war von Gott erwählt und von Gott berufen. Das Ringen mit Pharao ist ein Machtkampf gewesen, der Weg durch das Meer Gottes Weg. Nicht aus eigener Kraft ist den Flüchtlingen der Weg durch die Wüste gelungen, sondern durch die wunderbare Führung und Bewahrung Gottes. Die Rückschläge, die es gab, die Toten – Strafen Gottes. Und schließlich die Gesetzgebung – direkt von Gott, wenn auch nicht ungebrochen (Ex 32,19). „Ist das wirklich passiert?“ – unter diesem Blickwinkel ist es ein Glaubensbekenntnis, das die Frage an jede Rezipientin und jeden Rezipienten zurückgibt: Glaubst du denen, die das so erfahren und bekannt haben?

3.2. Schlüsselmotive – mit Blick auf Grundschulkinder

Ein mosebiografischer Zugang zu den Erzählungen des zweiten bis fünften Buches des Pentateuchs unter besonderer Berücksichtigung des horizontalen wie des transzendenten Beziehungsgeflechts legt folgende Gliederung elementarer Motive nahe (ähnlich Kittel, 2008, 83-89):

  • Die Kindheitsgeschichte: Mose im Binsenkörbchen (Ex 2,1-10)
  • Der brennende Dornbusch: Berufung (Ex 1,1-12); Namensoffenbarung (Ex 1,13-15)
  • Mose beim Pharao: Verhandlungen und Plagen (Ex 7-12)

– Einsetzung des Passa (Ex 11) –

  • Der Durchzug durch das Schilfmeer (Ex 14; 15,20f.)
  • Wüstenwanderung: Wolken-, Feuersäule, Manna u.a. (Ex 16-17)
  • Bundesschluss am Sinai: Gebote, goldenes Kalb (Ex 19-20; 32)

– „Stiftshütte“ (Luther), Zelt der Begegnung (Ex 26-27) –

„Passa“ und „Stiftshütte“ stehen deshalb in Parenthese, weil sie als existenziell wichtige Motive der jüdischen Tradition Aufmerksamkeit verdienen, für christliche Kinder jedoch nicht in gleicher Weise elementar sind wie die deutlicher auf Mose (und Mirjam) bezogenen Erzählungen.

3.2.1. Mose im Binsenkörbchen

Glückliche Ausgänge werden in der Bibel (wie im Leben) meistens vor erschreckend düsterem Hintergrund erfahren. Der Befehl des Pharao, die neugeborenen (männlichen) Kinder der Hebräer zu töten, zwingt Moses Mutter zu einer folgenreichen Entscheidung: Sie setzt ihr Kind in einem Binsenkörbchen im Uferwasser des Nils aus, wohl im Vertrauen darauf, dass er auf diese Weise wenigstens eine minimale Überlebenschance erhält. Der versierte Bibelleser versteht: Sie vertraut ihn Gott an (so ausdrücklich im Koran: Sure 28,7-13; vgl. Eißler, 2010, 147f.). Übrigens ist das hebräische Wort, das für das Körbchen verwendet wird (tebah), dasselbe, das Noachs Arche bezeichnet. Die Rettung des kleinen Mose – achtsam und klug mitgestaltet durch Mirjam, die ältere Schwester – nimmt ihren Lauf und bringt den Jungen in die Position, die Gott für seinen Erwählten vorgesehen hat.

Es ist eine Symbolerzählung, wie sie sich, so könnte man sagen, für den Auftakt einer besonderen Biografie gehört; vergleichbar mit der Geburtserzählung des assyrischen Großkönigs Sargon (vgl. Ego, 2010, 13), analog zu den Kindheitsmythen eines Zeus, Dionysos, des Zwillingspaars Romulus und Remus u.a. Trotz des grausamen Auftakts ist es eine Erzählung, die Kinder betrifft: die Geburt eines Kindes, seine Gefährdung und Rettung – hier lässt sich üben, solche existenziellen Ereignisse mit oder ohne Gott zu deuten und zu verstehen.

3.2.2. Der brennende Dornbusch

Epiphanie: Gotteserscheinungen gehören zum Inventar religiösen Erlebens und Erzählens. Meistens sind sie Demonstrationen überwältigender Macht und Überlegenheit (vgl. Jes 6; Ez 1). Eigentlich kann man Gottes Angesicht nicht sehen (Ex 33,22). Gott findet einen Kompromiss. Er zeigt sich Mose im Vorübergehen und in der Nachschau und schützt ihn mit der eigenen Hand.

Der brennende Dornbusch drückt die gleiche Ambivalenz noch grundsätzlicher aus: als Feuer, das brennt, jedoch den Baum, in dem es brennt, nicht zerstört (Ex 3,2). Ein Wunder und ein Machterweis, aber keine Katastrophe. Feuer wie Wasser als Grundelemente des Lebens haben beide zwei Seiten: eine belebende sowie eine zerstörerische. Die Stimme Gottes aus dem Dornbusch macht hörbar, was hier zu sehen ist: Sie warnt vor schrankenloser Nähe („zieh deine Schuhe von deinen Füßen“; Ex 3,5); sie spricht von Erbarmen und Rettung („dass ich sie errette … und hinausführe“, Ex 3,8). In dieser Perspektive ist das Dornbusch-Motiv eine Chance, mit Kindern die Frage der Macht zu bearbeiten: Wie weit ist Macht mit Güte vereinbar? Wie gehen Macht und Erbarmen zusammen in einem mehrdimensionalen Gotteskonzept?

Berufung: Mose erhält einen Auftrag – vordergründig einen Auftrag, den er nicht will, mit dem er nicht gerechnet hat und der ihn überfordert (→ Berufungserzählungen (AT und NT), bibeldidaktisch, Grundschule). Die Dornbuschszene erzählt, dass Gott mit dem Einspruch des Menschen umgehen kann und wie er es tut. Es wird erzählt: Lange geht Gott geduldig auf Moses Einwände ein, begegnet ihnen mit Information, Zuspruch, Bereitstellung von Ressourcen. Am Ende spricht er aber doch ein Machtwort ( Ex 4,14). Zu beobachten ist die gleiche Ambivalenz zwischen Machtverzicht und Machterweis wie beim Epiphanie-Thema: Gott hat Mittel und Wege, seinen Anspruch durchzusetzen; das steht im biblischen Kontext ebenso außer Frage wie in anderen. Gott bringt andererseits dem Menschen, zumal dem, den er als seinen Mitarbeiter ausgewählt hat, so viel Respekt entgegen, dass er bereit ist, zu diskutieren. Die Frage: „Kann ich einen göttlichen Auftrag ablehnen?“ wird zu verneinen sein. Das entspricht dem Gottesverständnis. Für das Gottesverhältnis ist aber entscheidend: „Ich darf nachfragen“ und: „Ich darf Nein sagen.“

Gottes Name: Die Dornbuschszene ist gerahmt von zwei Selbstvorstellungen Gottes: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams …“ (Ex 3,6) in der Eröffnung des Gesprächs sowie im Verlauf: „Ich werde sein, der ich sein werde … Das ist mein Name auf ewig“ (Ex 3,14f.). Literarkritisch betrachtet ist dies die Verbindung zweier ursprünglich selbstständiger Traditionen – des „Väter“-Gottes Abrahams und des Jahwe-Kults der Mose-Leute. Zu lesen ist es in der kanonisierten Gestalt der Texte als Übergang von einer Erkenntnisphase Gottes zur nächsten innerhalb eines kontinuierlichen Prozesses. Es liest sich, als sei Mose mit dem Namen, der Gott an Abraham und seine Nachkommen bindet, nicht mehr zufrieden. Zur Beglaubigung vor dem versklavten Volk Israel braucht er einen anderen, man könnte sagen: einen existenzielleren. Das Tetragramm JHWH kann unterschiedlich verstanden werden, ontologisch, therapeutisch – oder beides zusammen: „Ich bin, der ich bin, und ich bin für dich da“ (Steinkühler, 2011a, 95). Gott entzieht sich Definitionsversuchen und beschreibt sein Wesen als Werden. Zugleich wird darin das Ewige spürbar und wirksam: im Gegenüber mit Sterblichen das Versprechen verlässlicher und zugewandter Kontinuität. In christlichem Kontext verbindet Kinder mit Gott, dass auch sie einen (sorgsam ausgewählten) Namen tragen – und ob sie ihn mögen oder nicht: Er ist Teil ihrer Identität. In der Taufe sind ihre Namen und der Name Gottes miteinander verbunden.

3.2.3. Der Auszug: Erzählung von den großen Taten Gottes

Singet dem HERRN ein neues Lied,/denn er tut Wunder./Er schafft Heil mit seiner Rechten/und mit seinem heiligen Arm./Der HERR lässt sein Heil kundwerden;/vor den Völkern macht er seine Gerechtigkeit offenbar./Er gedenkt an seine Gnade und Treue für das Haus Israel,/aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

Die Rede von den „großen Taten“ und „Wundern“ Gottes steht in den Psalmen, je nach Untergattung, entweder im Zusammenhang mit der Schöpfung oder mit dem Exodus. Im Judentum und für die Identität des Volkes Israel sind die Wunder des Auszugs die bedeutsameren. Das steht der nüchternen Einschätzung äußerer Betrachtung ebenso entgegen wie dem Humanitätsempfinden heutiger Pädagoginnen und Pädagogen. „Auf narrativer Ebene, im Rahmen der Erzählung, haben die Plagen wenig Sinn: Warum tritt die Erzählung viele Seiten lang auf der Stelle, wo doch eine einzige furchtbare Plage, die Pest etwa, genügt hätte, um Ägypten zu strafen und Israel zu retten?“, fragt Assmann (Assmann, 2015, 35f.). Hinzuzusetzen wäre: … zumal diese Plagen höchst anstößig sind und ein archaisches Bild Gottes verfestigen. Die Bedeutung ist nur zu verstehen unter Ausblendung aller naturalistischer Ausmalung des Erzählten (etwa des Leids der Betroffenen): Hier wird im Sprachspiel der Erzählung eine theologische Aussage entfaltet: die schier unfassbare Machtfülle und Übermacht des einen Gottes über alle anderen Mächte (vgl. Assmann, 2015, 36). Unterrichtlich können die Plagen und das Schilfmeer dazu herangezogen werden, das doppelte Bild des mächtigen und gnädigen Gottes, das sich in den Episoden vom brennenden Dornbusch und von Mose auf dem Berg entwickelt, weiter zu entfalten.

3.2.4. In der Wüste

Das „Murren“ der Kinder Israels in der Wüste ist ein ambivalentes Motiv: Bald erscheint es als notwendiger Auslöser einer neuen göttlichen Rettungstat (vgl. Ps 105,42f.), bald weckt es zunächst Gottes Unmut – bevor er dann doch rettend eingreift. Hier entsteht der Vorwurf gegen das Volk, es sei undankbar und treulos (vgl. Ps 106,13-15) – ein Baustein der deuteronomistischen Deutung der Geschichte Israels als Strafe Gottes für fortgesetzten Bundesbruch.

Mit älteren Kindern kann dieser Zwiespältigkeit nachgegangen werden: Wie viel Flehen, Schreien, Klagen ist sinnvoll und mutig? Unter welchen Bedingungen ist es tapferer, auszuhalten, sich einfach fallen zu lassen und vertrauensvoll auf Rettung zu hoffen? Bei wem?

Die gemeinsame Wanderung mit Mose und Gott (Wolkensäule, Feuersäule, Ex 13,22f.) gestaltet sich als eine Abfolge von Not und Errettung, Zweifel und Hoffnung. Darin steckt die Weisheit ernüchterter Erfahrung: Wie weit tragen die Begeisterung und Dankbarkeit eines besonderen Augenblicks (Auszug, Schilfmeer)? Anscheinend ist das so: Die Erinnerung verblasst rasch und weicht neuem Zweifel – bis zur nächsten Wundertat.

Hier bietet sich mit älteren Grundschulkindern eine Gelegenheit zum theologischen Gespräch (→ Kindertheologie). Für jüngere Kinder besteht die Möglichkeit, das Geborgenheitsmotiv zu entfalten: Gemäß „Der Herr ist mein Hirte“ geht Gott voraus auf dem Weg – verborgen sichtbar in Wolken- und Feuersäule, wirksam spürbar in Manna, Wachteln und Wasser.

3.2.5. Die Zehn Gebote und das Goldene Kalb

„Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe“ (Ex 20,2). Dem Motiv der Befreiung steht das Motiv der neuen „Bindung“ (Assmann, 2015, 22) gegenüber: Gott bietet sich als Bundespartner an, der sich verlässlich um sein Volk kümmern wird. Dafür verlangt er exklusive Treue (diese umfasst die Einhaltung und Achtung eines langen Katalogs von ethischen und kultischen Satzungen). Während die Stiftung des Kultes in der Gesamtkomposition der Exoduserzählung eine unverzichtbare Pointe der Gottesoffenbarung darstellt („institutionalisierte Gottesnähe“, Assmann, 2015, 32 und öfter), sind es in der christlichen Rezeption (und darüber hinaus) die Zehn Gebote, die zum Inbegriff alttestamentlicher Theologie schlechthin geworden sind. Einen zweiten Sündenfall nennt Jan Assmann die Episode vom „Tanz ums Goldene Kalb“ (Assmann, 2015, 50). Mitten in die Verhandlungen um den Bund bricht ein Ereignis, das das gute Ende jäh in Frage stellt. In der Motivlinie des „Murrens“ des Volkes ist dies der Höhepunkt und die logische Fortführung: Die Israeliten können wieder einmal nicht abwarten und vertrauen – und diesmal ist Mose nicht da, um sie zurechtzuweisen. Sie machen sich ein Gottesbild – und brechen damit das erste und zweite Gebot, noch bevor der Bund besiegelt ist. Es geht um den schmalen Grat, der zwischen produktivem Selbstbewusstsein und zerstörerischer Selbstüberschätzung verläuft.

4. Elementare Wege

4.1. Didaktische Überlegungen

Die Geschichten von Mose und von Mirjam (als komplementärer Identifikationsfigur für Mädchen) werden in Schule wie Gemeinde meist als Erzählzyklus angeboten. Der Fokus liegt auf dem Erfassen und Erfahren der bewegten und spannenden Handlung; in der Fantasie der Kinder verankern sich Bilder. Solche Entwürfe finden sich vielfach in religionspädagogischer Praxisliteratur (klassisch: Freudenberg, 2010, 28-56; erfahrungsorientiert: Peters, 2008; Buck, 2010, 125-139). Der „Kanon“ für die Jüngeren berücksichtigt meistens die Episoden „Mose im Binsenkörbchen“, „Dornbusch“, „Mose beim Pharao“, „Auszug und Schilfmeer“, „Das verheißene Land“. Für Ältere kommen hinzu: „Der Mord an dem Aufseher“, „Das Murren des Volkes“, „Die Zehn Gebote“, „Das goldene Kalb“, „Mose sieht das gelobte Land“.

Zu prüfen ist jeweils, wie viel Raum die Dynamik der Fortsetzungsgeschichte für theologische Gespräche und existenzielle Auseinandersetzungen, wie z.B. die Arbeit am Gottesbild, lässt (explizit lebensweltlich und → kindertheologisch orientiert: Freudenberger-Lötz, 2001, 36-47). Im Folgenden liegt der Fokus auf der unterrichtlichen Arbeit mit exemplarischen Episoden, die zunächst für sich stehen (Gesamtverband für Kindergottesdienst, 2014; Steinhäuser, 2006). Im Lauf der Grundschul-/Kinderkirchenzeit können sie gesammelt und an einem roten Faden aufgefädelt werden (Steinkühler, 2013a, 2014, 2015a, 2015c). Gewonnen werden dabei Nachhaltigkeit und Raum, die theologische und existenzielle Bedeutung der einzelnen Facetten der Gesamterzählung wirksam zu entfalten.

4.1.1. Mose im Binsenkörbchen: „Und pass auf deinen Bruder auf!“

Die Einzelgeschichte von der Rettung des kleinen Mose in lebensfeindlicher Zeit lebt von der Spannung des Wartens auf die Entdeckung. Das Binsenkörbchen, in das die Familie den kleinen Mose legt, ist ambivalent bis zu dem Zeitpunkt, da die ägyptische Prinzessin ihre Sympathie für das Kind offenbart. Zugänglich wird die Geschichte für jüngere Kinder, wenn sie als Familiengeschichte einsetzt; erträglich, wenn das gute Ende vorausgesetzt wird. Theologisch spannend ist: Wer hat am Ende das Kind gerettet? – Mirjam, die Prinzessin, die Mutter oder vielleicht Gott (Steinkühler, 2013a, 27)? Hier lässt sich komplementäres Denken anbahnen (vgl. Szagun, 2014, 193).

4.1.2. Starker Gott – ganz sacht

Moses Wunsch, Gott zu sehen, entspricht dem vieler Kinder. Dass Gott „unsichtbar“ ist, ist nach Lothar Kuld die größte Herausforderung für die Entwicklung einer Gottesvorstellung und -beziehung (Kuld, 2009, 7). In der Geschichte von Mose am Sinai wird sie spannungsreich thematisiert. Die Symbolik der Hand Gottes, des Felsspalts, des Vorübergehens und Hinterherschauens erlaubt existenzielle Zugänge. Die Rede von der „Herrlichkeit“ und dem „Angesicht“ Gottes (Luther-Deutsch) ermöglicht Annährungen an das Geheimnis Gottes (vgl. Halbfas, 1976, der die Geschichte in eine Einheit „Gott: verborgen und offenbar“ einordnet: Halbfas, 1976, 32). Als Einzelgeschichte lässt sie sich gut bereits mit jungen Kindern thematisieren (Steinkühler, 2013a). Wenn Höhle und Hand erfahrbar werden, ist sie eine die Resilienz stärkende Geborgenheitsgeschichte; wenn andererseits das Geheimnis Gottes theologisierend umkreist wird, gewinnt das Gottesbild an Größe und wird lebenstauglich. Ältere Kinder erleben (auf der Grundlage dieser Erzählung) die komplexere Gottesoffenbarung der Dornbusch-Geschichte mit ihren drei Schwerpunkten „Gottesbild“, „Auftrag“, „Name Gottes“, die sorgfältig gewichtet werden müssen (vgl. Steinkühler, 2011b, 54-56).

4.1.3. Mirjam singt

In einer Bibelarbeit für Kinder zu Mirjam, der Prophetin, schreibt B. Brielmeier: „Mirjam deutet die Rettung vor den Verfolgern, den Ägyptern, als eine Tat Gottes“ (Reuter, 2006, 44). Diese Perspektive auf das Rettungsgeschehen am Schilfmeer ermöglicht eine heilsame Distanz: Die gesamte Erzählung der Rettung des Volkes Israel einerseits, der Vernichtung des Heeres des Pharao andererseits wird ohne göttlichen Akteur erzählt, das heißt: ausschließlich das, was die Israeliten erleben. Der Part der Deutung kommt Mirjam zu; ihr Lied verbindet Rettung und Untergang mit Gott und schenkt Israel seine religiöse Ursprungserzählung. Gewonnen wird dadurch eine Öffnung der Erzählung: Die Kinder können – wie Mirjam – das Geschehen wahrnehmen und selbst überlegen: Was ist da geschehen? War das Gott? Hell und dunkel zugleich? Wie kann ich das verstehen? Was bedeutet das für meine Gottesvorstellung und für meine Gottesbeziehung?

Wenn diese Episode für die älteren Grundschulkinder aufgespart wird, kann sie an die Binsenkörbchen-Geschichte der ersten Grundschuljahre anknüpfen, die sich ebenfalls eignet, Mirjam als weibliche Akteurin in den Mittelpunkt zu stellen.

4.1.4. „Geh mit uns, guter Gott“ – „Wie lange noch?“

Was ist eigentlich los mit den Israeliten? Vierzig Jahre in der Wüste, zwischen Gestern und Morgen, zwischen Feuer und Wolke, Hunger und Durst: Konnten, durften, wollten sie nicht ankommen? Die Wüstenwanderung als ein Symbol jener „Durststrecken“ im Leben, scheinbar sinnlos, „lang-weilig“, und doch prägend, formend und bildend, kann mit Kindern meditativ begangen werden, kleine Pilger- und große Traumreisen, in denen sich Erfahrungen von Mühsal und Einsamkeit abwechseln mit Erfahrungen von Bewahrung und Geborgenheit (vgl. Freudenberg, 2010, 33; Steinkühler, 2015a, 82). Sie unterbrechen die Geschäftigkeit des Planens und Handelns, auch durch ein bewusstes Begehen der (Schabbat-)Ruhe: Es gilt, abwarten zu üben, sich zu besinnen, zu erfahren, dass nicht alles hier und jetzt machbar ist.

4.1.5. „Gute Nachricht“ – Ein Gott aus Gold

Die Gesetzgebung am Sinai bildet in den meisten Unterrichtsvorschlägen eine eigene Einheit. Im Kontext ausgewählter Mose-Erzählungen lässt sich eine Einzel- oder Zwillingsgeschichte profilieren, die die Kette um eine Perle bereichert: Jüngere Kinder erfahren die Gabe des Gesetzes als Höhepunkt der Wüstenwanderung – Wegweisung in Fortsetzung und Vollendung der Erfahrung mit Wolken- und Feuersäule. Für Ältere eignet sich eine Doppelerzählung: Josua erzählt, wie Mose auf den Berg geht und freudig mit den Doppeltafeln wieder herabkommt. Als er sieht, was währenddessen im Lager geschehen ist, zerbricht er die Tafeln. Das erste Beispiel eines Gesetzesbruchs wird in den Empfang des Gesetzes hineinerzählt (vgl. Steinkühler, 2015b, 55-60). Der Wert des Warten-Könnens steht einmal mehr im Fokus. Eine andere Möglichkeit, die die Entwürfe vorsehen: Am „Tanz um das goldene Kalb“ bricht erneut die Frage des Gottesbildes auf. Was ist ein „Gott“ wert, den Menschen sich selbst machen oder wählen? Und: Wird nicht immer wieder und bis heute das Gold, also Materielles, vergöttlicht (vgl. Buck, 2010, 136f.)?

4.1.6. Wer bist du, Gott? Und wer bin ich?

Am Ende der Grundschulzeit, wenn die einzelnen Perlen der Mose-und-Mirjam-Episoden aufgereiht sind, steht eine letzte Mose-Episode: Mose sieht das gelobte Land. Mose blickt zurück: auf seinen langen Weg, auf Gefährten und Gefahren – auf seine Begegnungen mit Gott. Vom Dornbusch bis zum Sinai und auf dem Weg dazwischen: Wer ist Gott? Und damit einhergehend: Wer bin ich? Werkzeug, Mitarbeiter, Partner? Auf der Grundlage von Psalmversen, z.B. aus Ps 8, Ps 23 und Ps 139, verfassen die Kinder einen Mose-Psalm und erproben daran ihr eigenes Gottes- und Selbstbild am Ende des Grundschullehrgangs ev./kath. Religion. Offen genug ist dieser Impuls auch für gemischte Gruppen: Muslime etwa entdecken und formulieren anhand der Episoden ihr Gotteskonzept und bringen es mit jüdisch-christlichen Verständnissen ins Gespräch.

4.2. Hinweise zur Methodik

4.2.1. Biblisch erzählen

Gute Vorlagen verzichten auf die allwissende Perspektive (→ Erzählen); sie erzählen aus einer Innenperspektive von dem, was sichtbar und erlebbar ist, und davon, wie sie es verstehen und deuten (vgl. 4.1.3.). Dies ist zugleich ein produktiver Weg des Umgangs mit den Erzählungen von göttlicher Gewalt (Plagen, Schilfmeer): Wo die Erzählerin nicht behauptet „Das war Gott“, sondern diese Deutung in Pharaos, Mirjams oder Israels Mund legt, öffnet sich ein Pool von Deutungsmöglichkeiten, auch für heutige Hörende. Die Frage des Gottesbildes wird im Anschluss an die Erzählung im theologischen Gespräch gemeinsam mit den Kindern bearbeitet (Steinkühler, 2013a, 37).

4.2.2. Leiblich oder imaginär?

Im unterrichtlichen Umgang mit Bibelgeschichten verlassen sich viele Modelle nach wie vor auf die Autorität der Bibel und das Postulat ihres Wahrheitsanspruchs. Komplementär, bisweilen auch alternativ, wird darum gerungen, durch Verlebendigung und Vergegenwärtigung die damalige Lebenswelt mit der Erfahrungswelt heutiger Kinder zu verbinden. Der Buchtitel „Als wir barfuß über den Boden Gottes laufen konnten“ (Fricke/Riegel, 2011) bezieht sich exemplarisch auf eine leibliche Erfahrung, die erlebnispädagogische Konzepte für die Auseinandersetzung mit der Dornbuschszene anbieten (vgl. Buck, 2010, 128). Mit allen Sinnen erleben die Kinder „mit Mose“, was es heißt, auf „heiligem Land“ zu stehen. Nach Fricke/Riegel ergibt sich in einem Vergleich einer imaginär ausgerichteten mit einer leiblich ausgerichteten Unterrichtseinheit zum Thema „Mose“ ein ambivalentes Bild: Während der leibliche Unterricht besonders das emotionale Gedächtnis der Kinder anspricht, erreicht eine durchdachte, imaginär ausgerichtete Auseinandersetzung mit dem gleichen Stoff vergleichbar positive Werte im Bereich Kenntnis, Wissen und Interesse (vgl. Fricke/Riegel, 2011, 173-176). Dies legt nahe, keinen der Zugänge zu verabsolutieren. Ein Mix dürfte am ehesten Lernchancen öffnen und zu existenziellen Begegnungen führen.

4.2.3. Besondere Bilder

Anders als die religionspädagogisch beliebten Bilder „Mirjam tanzt“ und „Mose am brennenden Dornbusch“ von S. Köder, die sich zum Einstieg wie zur veranschaulichenden Betrachtung der Mose-und-Mirjam-Geschichten nach wie vor eignen, bieten die Mose-Bilder von M. Chagall eine eigene Theologie und religiöse Erfahrungswelt, die zu entdecken einen mehr als nur additiven Zugang zu den Mose-Erzählungen darstellt. Bevor der Begriff „Theologisieren“ dafür gefunden war, dokumentierte C. Goldmann theologische Gespräche mit Kindern zu ausgewählten Werken des französischen Künstlers russisch-jüdischer Herkunft. „Warum macht Chagall das ‚goldene Kalb‘ schwarz?“, fragen Kinder (Goldmann, 1996, 8) und finden damit selbst einen Impuls, den Tanz ums Kalb für die Gottesfrage fruchtbar zu machen. Sie sehen Mose einsam und schwach vor dem Pharao stehen und erfahren die Wirkungen von Macht und Ohnmacht (Goldmann, 1996, 8). Chagall liest die Erzählungen der Bibel als Sinn-Geschichten und gibt dieser existenziellen Begegnung unmittelbar Gestalt.

Literaturverzeichnis

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