Paulus, bibeldidaktisch, Grundschule
(erstellt: Februar 2016)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Paulus_bibeldidaktisch_Grundschule_.100148
1. Glücksfall des Christentums? Paulus in Religionsunterricht und Katechese
Paulus gehört zwar zu den klassischen, aber nicht unbedingt zu den beliebtesten Themen im Religionsunterricht der Grundschule. Wer Paulus im Unterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch
1.1. Paulus als Gesprächspartner für Kinderfragen
Da Paulus also für das Verstehen der Bibel und der Geschichte des Christentums unverzichtbar ist, kommt der Religionsunterricht nicht an ihm vorbei. Dabei haben sich Unterrichtende der bibeldidaktischen Herausforderung (→ Bibeldidaktik, Grundfragen
1.2. Vorsicht, Historismusfalle: Was das Neue Testament (nicht) von Paulus erzählt
Einerseits ist die bibeldidaktische Entscheidung, sich in Lernsequenzen über Paulus vorwiegend auf die Apostelgeschichte zu stützen, nachvollziehbar. Denn von keiner anderen biblischen Person haben wir in Gestalt der Apg so viele biografische Informationen wie von Paulus: „Paulus ist die einzige historisch und biografisch deutlich fassbare und selbst literarisch tätige und sich selbst auslegende Gestalt, die wir aus dem Urchristentum kennen“ (Wischmeyer, 2012, XVII). So gekonnt die Apg aber auch zu erzählen versteht, die → Religionspädagogik
Wer sich allein auf das Paulusbild der Apg stützt, läuft leicht Gefahr, in die ‚Historismusfalle‘ zu tappen. Zwar schildert die Apg die Biografie des Paulus erzählerisch reichhaltig und informativ. Aber es wäre theologisch unverantwortlich, deshalb die Briefe als erste Quelle des neutestamentlichen Paulusbilds zu ignorieren, denn das Paulusbild des Lukas unterscheidet sich erheblich von den Aussagen in den Paulusbriefen. Religionspädagogisch Tätige dürfen deshalb nicht der Versuchung erliegen, aus den Informationen der Apg eine Art literarisches „Phantombild“ des Paulus erstellen zu wollen, wie es der Archäologe Michael Hesemann 2008 getan hat: Passend zum Paulusjahr 2008/09 ließ er publikumswirksam durch einen Mitarbeiter aus dem Bereich ‚Visuelle Fahndungshilfen‘ des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen ein Phantombild des Paulus erstellen. Es zeigt einen Mann mittleren Alters mit hoher Stirn, braunen Augen und Vollbart. Vorlagen waren laut LKA Zeichnungen, Beschreibungen und Bilder, die die historische Person des Paulus von Tarsus darstellen sollen (vgl. Hesemann, 2008). In diesem ‚Fahndungsbild‘, das seitdem in vielen Unterrichtsmaterialien zu finden ist, zeigt sich etwas Wichtiges für den Religionsunterricht: Es gibt das Bedürfnis der Schülerinnen und Schüler nach konkreter Anschauung und Eindeutigkeit, das geschickt durch ein ‚Phantombild‘ bedient wird, denn seine Züge prägen sich unweigerlich ein. Dass ein solches Bild allerdings nur die Illusion einer begreifbaren Vorstellung erzeugt, ist eine hermeneutische Schwierigkeit, die es zu berücksichtigen gilt. Da das Verstehen eines Bibeltextes aber nicht dem freien Spiel der Lesenden überlassen werden darf, setzt der Text selbst auch die ‚Grenzen der Interpretation‘, indem er einer beliebigen Sinnproduktion Einhalt gebietet (Eco, 2011). Wer also nicht in die Historismus-Falle tappen will, nimmt am besten zwei Quellen als Ausgangspunkt seiner Lernsequenzen zu Paulus: sowohl die Apg als auch die Briefe. Damit ist jedenfalls die didaktische Chance am größten, der Biografie wie auch der Theologie des Apostels möglichst nahe zu kommen (Cebulj, 2012b, 17).
1.3. Vorsicht, Antijudaismus-Falle: Paulus als jüdischer Theologe
Eine zweite bibeldidaktische ‚Falle‘, die als Problemanzeige für den Religionsunterricht der Grundschule zu formulieren ist, besteht in der Gefahr, in der Beschäftigung mit Paulus antijüdische Klischees weiter zu transportieren, die jedoch zu vermeiden sind. Vielmehr muss die Beschäftigung mit Paulus-Texten im Religionsunterricht im Sinne eines erinnerungsgeleiteten jüdisch-christlichen Lernens dazu beitragen, antijüdische Feindbilder aufzudecken und zu beseitigen (Cebulj, 2013). In Bezug auf Paulus gilt besonders, worauf Astrid Greve in ihren Entdeckungen zur jüdischen Kultur des Erinnerns hinweist. Sie betont, dass die Bibel eine ‚Didaktik der Erinnerung‘ verfolgt: „Die Bibel ist letztlich nichts anderes als permanente Erinnerung, entstanden durch das ständige Weiterschreiben, das Wiederholen, das Zitieren der erzählten Ereignisse in neuen Zusammenhängen“ (Greve, 1999, 137). Das gilt auch für biblische Texte von oder über Paulus im Neuen Testament. Erinnern bedeutet hier, sowohl die Apg als auch die Paulusbriefe nicht nur als historische Texte der Vergangenheit zu lesen, die vom konfliktreichen Trennungs- und Ablösungsprozess des Christentums vom Judentum erzählen. Vielmehr gilt es, in der bibeldidaktischen Arbeit mit Paulus auch die heutige Erfahrung des jüdisch-christlichen Gesprächs mit allen dazugehörigen Implikationen einzubeziehen. Didaktisch bedeutet das etwa, die in den Medien immer noch häufig anzutreffende Redeweise kritisch zu reflektieren, dass jemand, der eine Sinneswandlung durchläuft, „vom Saulus zum Paulus geworden“ sei. Wir wissen aus der Apg, dass Paulus von Geburt an Shaul-Paulus hieß und der lateinische Hauptname Paulus mit dem jüdischen Beinamen Shaul kombiniert war. Der Religionsunterricht hat die Redeweise „vom Saulus zum Paulus werden“ auch deshalb als fatal zu entlarven, weil damit die falsche Vorstellung transportiert wird, Paulus habe sich vom Judentum zum Christentum bekehrt (vgl. Schiefer Ferrari, 2008, 13).
Zu vermeiden ist auch das in → Kinderbibeln
1.4. Die neue Paulus-Perspektive
Diese didaktische Option ist theologisch gut begründet, denn im Verständnis der paulinischen Theologie kam es vor etwa 30 Jahren zu einer exegetischen Neuorientierung. Damals führte die (inzwischen nicht mehr so neue) ‚new perspective on Paul‘ (J. D. G. Dunn, E. P. Sanders, K. Stendahl) zu einer Neubewertung der lutherischen Rechtfertigungslehre sowie zu einer neuen Sicht des Judentums. Ihr besonderes Augenmerk legt die ‚neue Paulusperspektive‘ auf die Tatsache, dass die negative Interpretation der Torah/des Gesetzes bei Paulus, als deren Ausdruck in der ‚klassischen Paulusperspektive‘ ein werkgerechtes Judentum galt, hermeneutisch nicht mehr haltbar ist. Damit wird antijüdischen Paulusinterpretationen die vermeintlich theologische Begründung entzogen. Vielmehr wird die jüdische Freude am Gesetz (Simchat Torah) hervorgehoben, die auch bei Paulus eine Grundüberzeugung ist (vgl. Karsch/Rasch, 2013, 366f.). Daneben betont die ‚neue Paulusperspektive‘, dass die Polemik des Paulus gegen ‚das Gesetz‘ nicht als Pauschalkritik an der jüdischen Religion missverstanden werden darf, sondern als innerjüdische Kritik an einer falsch verstandenen Heilsbedeutung der Torah. Paulus ist somit unter den Vorgaben auszulegen, die er selbst nennt: Dass er zeitlebens voller Überzeugung Jude blieb und in seiner Missionsarbeit alles dafür tat, um die Nichtjuden zum Glauben an den einen Gott Israels zu rufen (Cebulj, 2012a, 1).
Seit der ‚neuen Paulus-Perspektive‘ ist zwar festzustellen, dass es in der Exegese des Paulus und seiner Theologie zu einem Umdenken gekommen ist. In der → Religionspädagogik
2. Bibeldidaktische Konkretionen
2.1. Zwischen Fantasie und Theologie: Paulusbilder in Kinderbibeln
Wer sich unter den zahlreichen Neuerscheinungen, aber auch bei den ‚Klassikern‘ auf dem → Kinderbibel-Markt
Freilich lässt sich aus → entwicklungspsychologischen
Von den wenigen Referenzstellen, an denen Briefe des Paulus in → Kinderbibeln
2.2. Kompetent mit Paulus: paulinische Bibeldidaktik in der Grundschule
Die Begegnung mit der Biografie und Theologie des Paulus ist in den meisten → Bildungs- und Lehrplänen
2.3. Mit Paulus Jesus begegnen: didaktisch-methodische Zugänge
Unter dem Titel „Jesus begegnen“ haben Cornelia Bussmann und Manfred Karsch spannende Materialien zum „entdeckenden Lernen mit Paulus“ zusammengestellt (vgl. Bussmann/Karsch, 2013). Die Sammlung bietet Lehrenden und Lernenden vielfältige Anreize und einfallsreiches Material zu Paulustexten, um sich mit der Frage nach Jesus auseinanderzusetzen und individuelle Antworten zu finden. Durch die Materialien zieht sich als roter Faden die Erzählgeschichte von Paulus, der den Fischer Alexis besucht und ihm von seinem Damaskuserlebnis berichtet. Mit Paulus begeben sich die Schülerinnen und Schüler durch verschiedene ‚Sehlandschaften‘, in denen unterschiedliche Themenschwerpunkte gesetzt werden. Die Grundschulkinder versetzen sich damit in die Zeit der ersten Christen und begegnen dabei immer wieder der Frage nach der Bedeutung Jesu. In bester → kindertheologischer
Wie kann eine solche ‚Sehlandschaft‘ zu Paulus konkret aussehen? In manchen → Unterrichtsentwürfen
Die Lernsequenz „Das Bild eines Unbekannten“ ist didaktisch so arrangiert, dass Antworten auf die Frage „Paulus, wer bist Du eigentlich?“ gesammelt werden. Dazu wird eine Landkarte des Mittelmeerraums bereitgestellt. Anhand von Satzkarten mit kurzen Erzählabschnitten aus den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte werden biografische Etappen des Paulus mit wichtigen Orten verknüpft, die er auf seinen Reisen besucht. Beispiele solcher Satzkarten sind:
- „Ich bin ein Jude. Wie jeder Jude wurde ich am achten Tag nach meiner Geburt beschnitten. Geboren bin ich in Tarsus, später bin ich nach Jerusalem umgezogen (Philipper 3,5
)“; - „Ich bin Zeltmacher. Mit diesem Beruf verdiene ich meinen Lebensunterhalt. In Korinth habe ich bei Aquila und Prisca, einem christlichen Ehepaar, gearbeitet (Apostelgeschichte 18,1-3
)“; - „In Athen haben mich die Leute nicht verstanden. Ich habe dort gepredigt, aber als ich von der Auferstehung Jesu gesprochen habe, haben sie mich ausgelacht (Apostelgeschichte 17
)“; - „Ich bin viel auf Reisen und habe Gemeinden besucht und gegründet. Ich war in Antiochia, Ephesus, Philippi, Athen und Korinth. Auch die Gemeinden in Galatien habe ich besucht (Apostelgeschichte/Briefe)“;
- „Nein, ich bin nicht verheiratet. Ich habe keine Frau und keine Kinder, ich habe auf vieles verzichtet, um anderen Menschen von Christus zu erzählen (1. Korinther 7,7
)“.
Die Satzkarten werden so mit der Lehrkraft-Erzählung „Bekenntnisse eines Unbekannten“ verknüpft, dass die Lücken in der Erzählung sowohl von den Satzkarten der Schülerinnen und Schüler als auch durch Fragen ergänzt werden, die die Schülerinnen und Schüler selbst an Paulus richten (vgl. Bussmann/Karsch, 2013, 27). Die wechselseitige Korrespondenz aus dem Erzähltext, den vorformulierten Satzkarten und den selbst formulierten Schülerfragen an die Biografie des Paulus lässt vor den Augen der Schülerinnen und Schüler ein Phantombild des Paulus entstehen, das sowohl den biblischen Textaussagen (Welt des Textes) als auch der Kreativität der Schülerinnen und Schüler (Welt der Leserinnen und Leser) gerecht zu werden versucht.
3. Fazit: Keine Angst vor Paulus!
Texterschließen wird auf diese Weise nicht auf „verinseltes Lernen“ reduziert, sondern lebt vom Austausch der eigenen Deutungen der Schülerinnen und Schüler mit den Sinnstiftungen anderer (→
Bibeldidaktik, Grundfragen
All diejenigen, die im Religionsunterricht der Grundschule tätig sind, aber das Thema Paulus bisher umgangen haben, weil es als zu schwierig gilt, sind aufgrund vieler positiver Lernerfahrungen zu ermutigen. Freilich gibt es weiterhin zahlreiche Verstehenshindernisse, die die bibeldidaktische Arbeit mit Paulus erschweren. Andererseits sind die Chancen groß, diese Hindernisse durch eine geeignete → Elementarisierung
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