Deutsche Bibelgesellschaft

Jugendarbeit, evangelisch

(erstellt: Februar 2016; letzte Änderung: Februar 2022)

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1. Einführung

Galt die Jugendphase bis in die 1980er Jahre hinein als eine relativ kurze und dabei eher instabile Übergangsphase, so sprechen wir heute von der Jugend als einer eigenständigen Lebensphase, die eben nicht mehr bloß funktional auf den Übergang von der Kindheit in die Erwachsenenwelt hin orientiert ist (→ Entwicklungspsychologie). Gegen ein solches Modell einer Übergangsphase spricht schon die Dauer: Die Jugendphase beginnt heute mit etwa 11 Jahren und neigt sich mit etwa 27 Jahren ihrem Ende entgegen. Das sind somit über 15 Jahre, die das Jugendalter heute umfassen kann. Die Jugendforschung teilt dies noch einmal ein in junge Jugendliche (11 bis 14 Jahre), Jugendliche (14 bis 18 Jahre) und junge Erwachsene (18 bis 27 Jahre). Das formale gemeinsame Kennzeichen für diese Phasen des Jugendalters liegt allgemein darin, dass diese Zeit geprägt ist von einer zunehmenden kulturellen Selbständigkeit bei einer gleichzeitig noch andauernden ökonomischen Abhängigkeit. Diese Phase durchlaufen heute praktisch alle Jugendlichen in den Industrienationen. Die gesellschaftliche Erwartung an die Jugendphase veränderte sich dabei seit der Jahrtausendwende von Erneuerung und Aufbruch hin zu Integration, Passung und Optimierung in das Erwachsenenleben (Corsa/Freitag, 2018, 9-12). Gleichzeitig gilt aber auch, dass diese Zeit äußerst unterschiedlich erlebt wird, je nachdem in welcher Lebenslage sich die Jugendlichen vorfinden.

Angebote für Kinder und Jugendliche, die von öffentlichen und freien Trägern bereitgestellt werden, haben als gemeinsame gesetzliche Grundlage das Sozialgesetzbuch VIII, Kinder- und Jugendhilfe (Deisenhofer/Deisenhofer, 2015). Dort werden sie der Jugendhilfe zugerechnet (§ 1). Jugendhilfe umfasst somit alle Formen von Jugendarbeit (§ 11) wie auch der Jugendsozialarbeit (§ 13). Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass die Jugendhilfe durch eine Vielfalt von öffentlichen und freien Trägern gekennzeichnet ist (§ 3). Darunter fallen auch die Kirchen, die in § 75 als freie Träger der Jugendhilfe anerkannt werden.

Die in den §§ 11und 13 SGB VIII formulierten Ziele der Jugendarbeit sind für alle staatlich anerkannten Formen der Jugendhilfe grundlegend:

§ 11, SGB VIII, Jugendarbeit:

„(1) Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.“

§ 13, SGB VIII, Jugendsozialarbeit:

„(1) Jungen Menschen, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind, sollen im Rahmen der Jugendhilfe sozialpädagogische Hilfen angeboten werden, die ihre schulische und berufliche Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern.“

Der hohe Grad an Selbstbestimmung und Eigenverantwortung verbandlicher, das heißt auch kirchlicher Jugendarbeit ist staatlich gewünscht und wird gesetzlich verankert in § 12, SGB VIII:

§ 12, SGB VIII, Förderung der Jugendverbände:

„(2) In Jugendverbänden und Jugendgruppen wird Jugendarbeit von jungen Menschen selbst organisiert, gemeinschaftlich gestaltet und mitverantwortet. Ihre Arbeit ist auf Dauer angelegt und in der Regel auf die eigenen Mitglieder ausgerichtet, sie kann sich aber auch an junge Menschen wenden, die nicht Mitglieder sind. Durch Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse werden Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck gebracht und vertreten.“

Eine 2006 erstellte Studie hat ergeben, dass 10,1 % aller Jugendlichen mindestens einmal Kontakt zu einem solchen Angebot der Evangelischen Jugendarbeit haben (Fauser/Fischer/Münchmeier, 2008).

2. Historische Entwicklung

Für den mitteleuropäischen Raum kann erst seit dem 18. Jahrhundert von eigenständigen Formen des Jugendalters gesprochen werden. Von daher ist es nicht überraschend, dass auch zu dieser Zeit die ersten Ansätze einer Evangelischen Jugendarbeit entstehen. Evangelische Jugendarbeit ist ein Arbeitsfeld, das der Kirche in den letzten 200 Jahren zugewachsen ist. Die ersten Vereine gehen ebenso wie die ersten Einrichtungen der Jugendsozialarbeit auf das vielfältige Engagement von Mitgliedern der Erweckungsbewegung zurück. Sie begründeten damit eine Tradition spezieller kirchlicher Arbeitsformen und Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Dabei hat es das eine Konzept der Jugendarbeit nie gegeben. Wir finden vielmehr zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Ansätze der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, die jeweils auf die Zeitumstände bezogen sind. Die Anfänge reichen zurück in die Entstehungszeit der Erweckungsbewegung im 18. Jahrhundert, als Jakob Friedrich Meyenrock 1768 in Basel die Versammlung lediger Brüder begründet. Ähnliche Vereine entstehen in den nachfolgenden Jahrzehnten an vielen Orten in Europa und USA und sind sowohl auf Frömmigkeit als auch auf soziale Notlagen bezogen. Die spätere Trennung von Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit greift für die Frühzeit noch nicht. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstehen mit den Rettungshäusern die ersten diakonischen Einrichtungen (→ Diakonie – Caritas) speziell für verwaiste Kinder und Jugendliche. 1813 begründen Johannes Falk und die Gesellschaft der Freunde in der Not die erste Rettungsanstalt in Weimar (Hain, 2015).

Die Notwendigkeit spezieller Angebote für Jugendliche war in den Kirchen allerdings lange umstritten. Erst allmählich konnten sich verschiedene Arbeitsformen der Jugendarbeit in den Kirchen etablieren. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg geschieht diese Anerkennung der Jugendarbeit als kirchliches Handlungsfeld nicht zuletzt durch die neue Konkurrenz einer staatlichen und gewerkschaftlichen Jugendpflege (Schwab, 1992). In den 1920er Jahren hat die Evangelische Jugendarbeit Anteil an der Entwicklung der Bündischen Jugend, bis diese 1933/34 staatlicherseits verboten bzw. in die Hitlerjugend zwangsweise eingegliedert wird. Der Auflösung der Verbände folgt im evangelischen Bereich eine Verlagerung der Jugendarbeit in die Kirchengemeinden. Nach 1945 etablieren sich formal unselbstständig die Evangelische Jugendarbeit der evangelischen Landeskirchen, wie auch der Vereinigung evangelischer Freikirchen, ebenso als rechtlich eigenständige Organisation ein Teil der alten Verbände (Christlicher Verein Junger Menschen (CVJM), Entschieden für Christus (EC), Verband christlicher Pfadfinder (VCP), Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Schülerinnen und Schüler (AES)) und nicht zuletzt eigenständige Einrichtungen, z.B. der offenen Jugendarbeit oder Jugendbildungs- oder Tagungsstätten.

Allerdings kommt es bis in die Gegenwart immer wieder zu Spannungen zwischen der verbandsorientierten und der gemeindeorientierten Jugendarbeit.

3. Theologische Begründung

Eine Begründung für die Evangelische Jugendarbeit kann durch den Hinweis auf die mit der → Kommunikation des Evangeliums (Lange, 1982) gegebene Bildungsfunktion für Kinder und Jugendliche geschehen. Die Kommunikation des Evangeliums ist eine Grundfunktion kirchlicher Arbeit (Bäumler, 1984). Durch ihren Sendungsauftrag ist Kirche bezogen auf alle Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche. Insoweit es sich dabei um Kinder und Jugendliche handelt, ist den Gemeinden und Verbänden mit der Kommunikation des Evangeliums eine kinder- und jugendgerechte Praxis aufgetragen. Deshalb gilt: Jugendarbeit ist notwendig für die Kirche, weil es Jugendliche gibt.

Eine Kirche, die ihren so bestimmten Sendungsauftrag gegenüber Kindern und Jugendlichen ernst nimmt, wird von daher zu fragen haben, wie sie sich sowohl mit ihrer Gemeindearbeit (→ Gemeindepädagogik), als auch auf all ihren weiteren Handlungs- und Entscheidungsebenen auf den lebensweltlichen Kontext der Jugendlichen (→ Lebenswelt) einstellen und deren Mitwirkung ermöglichen kann. Dies führt zu einer jugendspezifischen Form des Sendungsauftrags der Kirche. Gerade die Anfänge der Jugendarbeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind ein sehr lebendiger Beleg dafür, wie aufgrund neuer Notlagen neue Formen kirchlicher Arbeit geschaffen wurden. Es versteht sich von selbst, dass Jugendarbeit damit einer permanenten Weiterentwicklung unterliegt. Die Kirche kann ihrem Auftrag nur dann am Ort der Jugendlichen gerecht werden, wenn sie sich auf diese Gegebenheiten mit ihren Arbeitsformen einlässt.

Aber Jugendarbeit ist nicht nur Dienst der Kirche an der Jugend, sondern Jugendliche sind auch selbst Kirche. Hier hat der Bezug auf die Taufe sein Recht: durch die Taufe zu Beginn des Lebens wird in besonderer Weise deutlich, dass Gottes Gnadenzuspruch kein Verdienst einer bestimmten Frömmigkeitspraxis ist, sondern den Menschen durch Christi Erlösungstat am Kreuz zugesprochen wird. Weil Jugendliche durch die Taufe ein Teil der Kirche Jesu Christi sind, haben sie auch einen Anspruch auf Raum in dieser Kirche. Jugendliche sind nicht „die Zukunft“ der Kirche, sie sind ein äußerst lebendiger Teil ihrer Gegenwart! Somit wird eine subjektorientierte Jugend- und Gemeindearbeit (→ Subjekt) bei den Jugendlichen selbst ansetzen – und kann gerade in ihrer verbandlich zugrunde gelegten Selbstbestimmung und Gestaltungskraft als Institution ihre Relevanz für Jugendliche erweisen.

4. Arbeitsformen

Evangelische Jugendarbeit präsentiert sich heute in gemeindlicher und zugleich verbandlicher Form. In der Kirchengemeinde gilt Jugendarbeit als wichtiger Bestandteil der Gemeindearbeit. Kinder- und Jugendgruppen werden hier von Ehrenamtlichen (→ Ehrenamt) geleitet. Die Ehrenamtlichen, die häufig selbst noch Jugendliche sind, werden dabei von Hauptberuflichen in ihrer Arbeit durch Beratung und Fortbildung (→ Fortbildung, religionspädagogisch) unterstützt. Jugendliche Ehrenamtliche geben als Motivation für ihr Engagement gerne an, etwas Sinnvolles für sich selbst und andere tun zu wollen. Dass dies dann in der Kirche oder im Jugendverband geschieht, ist häufig eher zufällig. Aus dem Engagement heraus kann es aber zu einer festen Bindung kommen. Jugendliche wollen ernstgenommen werden als Person mit einer Tätigkeit, die nicht beliebig austauschbar ist. Hier spielen die Hauptberuflichen als Ansprechpartner eine wichtige Rolle. Die Arbeit der Hauptberuflichen ist somit vor allem Beziehungs- und Beratungsarbeit und Fortbildung. Zusammen mit den Jugendlichen vertreten sie außerdem die Belange der Jugendlichen in Gremien. Die Ausbildung zum Hauptberuflichen in der Jugendarbeit geschieht heute in der Regel durch ein sozialpädagogisches oder religionspädagogisches Studium an einer (häufig: kirchlichen) Hochschule. Vielfach sind auch Diakoninnen und Diakone in der Jugendarbeit tätig.

In vielen Gemeinden gibt es einen Jugendausschuss, in dem Erwachsene und Jugendliche organisatorische und finanzielle Fragen zur Jugendarbeit klären. Auf Dekanatsebene werden Belange der Jugendarbeit in der Dekanatsjugendkammer verhandelt, in der Hauptberufliche und Ehrenamtliche zusammenarbeiten, und im Dekanatsjugendkonvent, der aus jugendlichen Delegierten der einzelnen Kirchengemeinden (→ Gemeinde) besteht. Ansprechpartner für Fragen der Jugendarbeit im Dekanat sind zunächst Jugendreferentinnen und Jugendreferenten, dann aber auch Dekanatsjugendpfarrer und Dekanatsjugendpfarrerinnen, die in der Regel diese Aufgabe zusätzlich zu einem Gemeindepfarramt übernehmen. Auf Landesebene wird diese Struktur wiederholt: hier gibt es eine Landesjugendkammer, einen Landesjugendkonvent und Landesjugendpfarrerinnen und -pfarrer, die nun allerdings diese Aufgabe hauptberuflich versehen und dem Amt für Jugendarbeit bzw. der jeweiligen Abteilung zur Kinder- und Jugendarbeit leitend voranstehen. Dieser Aufbau wird durch die jeweilige Ordnung evangelischer Jugend (OEJ) (exemplarisch: OEJ der Evangelischen Jugend Bayern) sichergestellt. Die OEJ sichert damit sowohl die Einbettung der Evangelischen Jugend in das Kirchenrecht der jeweiligen Landeskirche, als auch die Mitwirkung und Finanzierung auf den politischen Ebenen der Jugendringe (Kreis-, Bezirks-, Landes-, Bundesebene) (Corsa, 2013).

4.1. Gemeindejugend

Die Gemeindejugendarbeit strukturiert sich heute in Gruppenangeboten, offenen Angeboten und Projektarbeit (→ Projekt(unterricht)). Gruppenarbeit bedeutet in der Regel wöchentliche Treffen zu einer bestimmten Uhrzeit, ein fester Teilnahmekreis mit einer hohen Kohäsion und einem Bezug zur Ortsgemeinde. Offene Angebote sind dagegen nicht auf einen festen Teilnahmekreis ausgerichtet, sondern auf interessierte Besucherinnen und Besucher. Klassisches Angebot hierfür ist ein Jugendcafé, das von Ehrenamtlichen (→ Ehrenamt) angeboten wird. Es gibt feste Öffnungszeiten, die meistens an mehreren Tagen in der Woche angesetzt sind. Die Teilnehmenden zeichnen sich durch eine niedrige Kohäsion mit eher regionalem Bezug aus. Angestrebt ist ein niederschwelliges Angebot, zu dem möglichst unterschiedliche Leute kommen können. Projektangebote werden nur für einen bestimmten Zeitraum angeboten und zielen auf thematisch Interessierte. Das kann eine Stadtteilaktion, eine Fotogruppe oder ein thematisches Wochenendseminar sein. Wichtig ist die zeitliche Befristung, die für manche Jugendliche eine hohe Attraktivität hat. Bei Projektangeboten kann eine thematisch bestimmte, punktuelle Kohäsion entstehen. In vielen Gemeinden hat sich inzwischen ein Hybridangebot für ehemalige Konfirmandinnen und Konfirmanden entwickelt. Als sogenannte Teamerinnen und Teamer begleiten die Konfirmierten nach ihrer Konfirmation die Arbeit der Pfarrerinnen und Pfarrer mit dem jeweils neuen Konfirmandenjahrgang. Die konzeptionelle Verbindung dieser Arbeit mit Teamerinnen und Teamern mit der klassischen Gemeindejugend steckt konzeptionell noch in den Anfängen, birgt aber Chancen für alle Seiten (Pfeiler/Hempel, 2018).

4.2. Jugendverbände

Neben der Gemeindejugendarbeit gibt es eine Vielzahl von Jugendverbänden, die entweder bundesweit oder bezogen auf einzelne Landeskirchen aktiv sind. Im Bereich der Evangelischen Kirche sind sie in der Arbeitsgemeinschaft Evangelische Jugend e. V. (aej) zusammengefasst, die als Arbeitsgemeinschaft auf Bundesebene die Interessen ihrer Mitglieder bündelt und gegenüber den Bundesministerien vertritt und nicht zuletzt zum Ansprechpartner der EKD für die Belange der Evangelischen Jugend wird.

In der AEJ sind derzeit folgende Einzelverbände vertreten:

  • Arbeitsgemeinschaft Evangelische Schülerinnen- und Schülerarbeit (AES)
  • Arbeitsgemeinschaft MBK. Missionarisch-biblische Dienste unter Berufstätigen und Jugendlichen e. V.
  • Christliche Pfadfinderschaft Deutschlands e. V. (CPD)
  • Christlicher Verein junger Menschen – Gesamtverband Deutschland e.V. (CVJM)
  • Deutscher Jugendverband „Entschieden für Christus“ (EC) e. V.
  • Johanniter-Jugend in der Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. (JJ) Ring missionarischer Jugendbewegungen e. V.
  • netzwerk-m e. V.
  • Verband der christlichen Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP)

Dazu

  • fünf freikirchliche Jugendwerke
  • aus den 20 Landeskirchen die jeweilige Evangelische Jugend

sowie

  • acht außerordentliche Mitglieder

Die Verbände vertreten bewusst ein bestimmtes Profil in ihrer Jugendarbeit, seien es nun z.B. die Pfadfinderarbeit oder missionarisch-biblische Dienste. Jugendliche finden hier also ein je spezifisches Programm. Der größte evangelische Jugendverband ist der Christliche Verein junger Menschen (CVJM), den es in Deutschland seit 1883 gibt. Der CVJM erreicht in Gruppen- und Projektangeboten derzeit ca. 330.000 Jugendliche. Von Anfang an waren für ihn die missionarische Jugendarbeit und die Mitwirkung von Laien in einem überkonfessionellen Modell kennzeichnend. Das Programmangebot von heute ist sehr vielseitig. Hierzu gehören Freiwilligendienste, Sportangebote (→ Sport(gruppen)), internationale Begegnungsangebote, kulturelle (→ Kulturpädagogik/Kulturelle Bildung/Arts education) und musische (→ Chöre und Musikgruppen) Programme (Ten Sing). Der CVJM bietet eine Fachschule für Theologie und Sozialpädagogik (CVJM-Kolleg) und eine CVJM-Hochschule an, die in verschiedenen Studiengängen einen Bachelor- oder Master-Abschluss ermöglicht. Die Ortsvereine gehören einem Landesverband an, die wiederum im Gesamtverband zusammengeschlossen sind. Es gibt Generalsekretäre auf Landes- wie auch einen Generalsekretär auf Bundesebene. Hinzu kommt ein Vorstand des Gesamtverbands, der die Beschlüsse der Mitgliederversammlung vollzieht. Mit dem Christlichen Jugenddorfwerk (CJD) engagiert sich der CVJM auch in der Jugendsozialarbeit. Ein besonders innovativer Arbeitsbereich ist das aus Großbritannien importierte „Fresh X“-Netzwerk (→ Fresh Expressions of Church), mit dem der CVJM neue Arbeitsformen sucht, um mehr Jugendliche ohne kirchlichen Erfahrungshintergrund (→ Sozialisation, religiöse) ansprechen zu können.

4.3. Jugendkirchen

Zwischen Gemeindejugend und Jugendverband ist mit dem Konzept der → Jugendkirche eine neue Struktur von Jugendarbeit entstanden, die stärker regional als parochial ausgerichtet ist (Dais/Höschele, 2013). Jugendkirchen gehen davon aus, dass die Vielfalt an Lebensstilen in herkömmlichen Gemeinde- und Verbandsmodellen nicht mehr aufgefangen werden kann. Im Zentrum steht dabei ein spirituelles Angebot in Form eines Jugendgottesdienstes, der regelmäßig gefeiert wird. Insofern stellen die Jugendkirchen das neu belebte Interesse vieler Jugendlicher an spirituellen Angeboten in den Mittelpunkt ihrer Arbeit (→ Spirituelles Lernen). Andere Veranstaltungsformen kommen hinzu. Jugendkirchen setzen dabei ganz bewusst nur auf eine bestimmte Altersgruppe. Dabei können die Jugendkirchen sich stärker als Jugendkulturkirche begreifen und vor allem ein Kulturprogramm anbieten, oder sie können sich bewusst auch einem sozialdiakonischen Auftrag verschreiben. Es hat sich gezeigt, dass die Jugendkirchen für ihre Stabilität einen festen Kern ausbilden. Das kann, muss aber nicht in Form einer Jugendgemeinde geschehen. Neben dem regelmäßigen Jugendgottesdienst und den täglichen offenen Angeboten werden hier verdichtende Arbeitsformen wie Gesprächskreise und Seminarangebote aufgebaut. Jugendkirchen verändern unter Umständen die traditionell eingewöhnte Sicht darüber, was eine ordentliche → Gemeinde ist. Sie sind eine andere Sozialform gelebten Glaubens (→ Glaube). Ähnlich den klassischen Formen einer Vereinskirche heben sie sich von parochialen Grenzen ab. Ihr konstitutives Prinzip ist die Ausrichtung eines spirituellen Angebotes ausschließlich auf Jugendliche. Dieser Ansatz lässt sich am ehesten mit Gemeindestrukturen wie z.B. den Studierendengemeinden (→ Gemeinde) an Hochschulen und Universitäten (ESG) vergleichen. Das Konzept der Jugendkirchen bildet somit eine tragfähige Ergänzung zu der Jugendarbeit nach dem Parochialprinzip. Auch wenn für einen Teil der Bevölkerung die Parochie zentral von Bedeutung bleiben wird, wird es in die Zukunft gesehen verschiedene Mischformen geben und hier sind die Jugendkirchen ein interessantes und lehrreiches Beispiel. Es entwickelt sich aus der Jugendarbeit selbst heraus eine Vielfalt kirchlicher Orte, die im landeskirchlichen Bereich in dieser Art und Weise bisher nicht im Blick war.

4.4. Jugendsozialarbeit

Ein Beispiel für die Evangelische Jugendsozialarbeit ist die EJSA (Evangelische Jugendsozialarbeit), die 1947 in Bayern entstanden ist. Anders als in klassischen Jugendverbänden sind in der EJSA keine Jugendlichen, sondern unterschiedliche Arbeitsfelder mit einer gemeinsamen Verwaltung zusammengeschlossen. Berufsbezogene Jugendhilfe, schulbezogene- und migrationsbezogene Jugendsozialarbeit sind ebenso Bestandteil dieses Arbeitsfeldes wie die gesellschaftspolitische Jugendbildung, die Seminare und Projekte (→ Projekt(unterricht)) für solche Jugendliche anbietet, die entweder gesellschaftlich benachteiligt oder individuell beeinträchtigt sind. In der schulbezogenen Jugendsozialarbeit geht es um die Förderung und Entwicklung einer gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit im Übergang von Schule und Beruf. Zu ihr gehören eine sozialpädagogische Diagnostik, Einzelfallhilfe und Krisenintervention, Förderung der Entwicklung und Integration, Elternarbeit, die Zusammenarbeit mit den Lehrkräften und Angebote zur Konfliktbewältigung. Diese Arbeit wird weitgehend von sozial- und heilpädagogisch geschulten Fachkräften angeboten. Die Zusammenarbeit mit der → Schule im Blick auf individuelle oder soziale Schwierigkeiten wird in Zukunft sicher noch auszubauen sein.

5. Herausforderungen

Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen der späten Postmoderne wirken sich natürlich auch auf das Leben von jungen Menschen in all seinen Bezügen aus. Diesen Dynamiken, oft verdichtet in Begriffen wie Globalisierung, → Pluralisierung, Individualisierung und Digitalisierung, unterliegt somit auch die Evangelische Jugendarbeit. Daraus ergeben sich drei wesentliche Herausforderungen für die Evangelische Jugendarbeit.

5.1. Der Pädagogische Zugang

Der seit den 1990er Jahren entwickelte Theorie-Ansatz einer Pädagogik des Jugendraums (Böhnisch/Münchmeier, 1990) versteht Jugendarbeit in ihrer Funktion als Sozialisationsfeld. Die Jugendarbeit wird als Teil der Gesamtumwelt Jugendlicher gesehen. Hierzu gehören heute selbstverständlich auch virtuelle Welten (Wagner, 2014) (→ Spiele, digitale; → Selfies). Wie Angebote der Jugendarbeit angenommen werden und was daraus wird, entscheiden die Jugendlichen in Absprachen mit den Hauptberuflichen oder Ehrenamtlichen (→ Ehrenamt) selbst. Was sie brauchen, sind Räume zur Selbstinszenierung, damit sie sich zu anderen in Beziehung setzen können. Dabei spielen jugendkulturelle Angebote, in denen die eigene Expressivität sowohl real als auch virtuell ausgelebt werden kann, eine besonders wichtige Rolle (Kopp/Hügin/Kaupp/Borchard/Calmbach, 2013). So sollen für die Jugendlichen Möglichkeiten zu einer selbstbestimmten Lebenspraxis eröffnet werden. Im Vordergrund stehen dabei „das selbstentdeckende Lernen, die partizipative und eigenständige Entwicklung von Meinungen, Haltungen und Werten [(→ Wertebildung)], das nicht-intendierte Erlernen von Alltagskompetenzen unter Realbedingungen sowie das konkrete, aktivierende Tun, beispielsweise durch konkrete Übernahme von sozialer Verantwortung.“ (Rauschenbach/Borrmann/Düx/Liebig/Pothmann/Züchner, 2010, XI.). Evangelische Jugendarbeit wird demzufolge gut daran tun, dies auch im Umgang mit religiösen Fragen zu berücksichtigen. Auch die religiöse Kommunikation muss partizipatorisch gestaltet sein. Es geht nicht darum, dass Jugendliche vorgegebene religiöse Inhalte unreflektiert übernehmen. Vielmehr müssen ihren Suchprozessen in Glaubensfragen Räume angeboten werden, in denen sie herausfinden können, ob ihnen der christliche Glaube, wie er von anderen gelebt wird, etwas zu sagen hat. Verkündigung hat dabei die Aufgabe, die Relevanz des Evangeliums für die Gegenwart der Jugendlichen aufscheinen zu lassen. Es bleibt aber auch hier die Gestaltung eigener Frömmigkeit letztlich abhängig von selbst verantworteten Bildungsprozessen (Käppler/Morgenthaler, 2013). Glaube bildet sich durch wiederholte Formen der Aneignung innerhalb einer Biografie (→ Biografie/Lebensgeschichte/Lebenslauf; → Lebenskunst) und nicht allein durch die Vermittlung von Inhalten.

5.2. Die strukturelle Verfasstheit

Der genauere Blick auf die Evangelische Jugendarbeit zeigt immer eine untrennbare Zwiegestalt: Sie begründet sich als ein Mitgliedsverband in der staatlichen Jugendhilfe (§11-13 SGB VIII) und gestaltet ebenso ihren kirchlichen und geistlichen Auftrag als Teil der evangelischen Kirche und ihrer jeweils konkreten Gemeinde. Inhaltlich entwickelt evangelische Jugendarbeit das Feld ihrer Inhalte um die beiden Brennpunkte 1. religiöse Bildung (→ Bildung, religiöse) mit dem Leben und der Weitergabe des Glaubens, sowie 2. der politischen Bildung mit der Verantwortungsübernahme für → Demokratie und Teilhabe. Diese doppelte Identität wird zuweilen kirchlicherseits in Frage gestellt, sichert jedoch strukturell, personell, finanziell und auch konzeptionell-inhaltlich die Weite, Offenheit und Selbstbestimmung für die jugendlichen Akteurinnen und Akteure der Evangelischen Jugendarbeit. Die jugendlichen Akteurinnen und Akteure selbst werden dabei immer wieder neu klären müssen, ob die beschriebenen Arbeitsformen und die strukturellen Ausprägungen den Handlungsspielraum Evangelischer Jugendarbeit erhalten bzw. gegebenenfalls vergrößern, oder ob sie davon begrenzt bzw. eingeengt wird. Dies einzuschätzen ist Teil selbstkritischer Reflexion des eigenen Handelns und liegt daher weder auf der Seite des Gesetzgebers noch bei der Kirchenleitung, sondern in der Hand der aktiven Jugendlichen.

Jugendarbeit ist in ihrem Selbstverständnis neben Schule und Ausbildung ein wesentlicher Bereich einer umfassenden und auf Mündigkeit zielenden → Bildung. „Zwischen Familie, Schule und lose selbstorganisierten Gleichaltrigentreffen ist (evangelische) Kinder- und Jugendarbeit ein institutioneller Rahmen der Integration junger Menschen in die Gesellschaft und ihre Normen.“ (Corsa/Freitag, 2018, 92). Zugleich sind damit Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen mitzubedenken. In diesem Sinne hat Jugendarbeit auch eine wichtige politische Dimension, indem sie durch ihre institutionellen Vertreterinnen und Vertreter und ihre inhaltliche Gestaltung nachhaltig für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen eintritt.

5.3. Die inhaltlich-konzeptionelle Ausrichtung

Evangelische Jugendarbeit knüpft an den Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen an (Kirchenamt der EKD, 2010) (→ Lebenswelt). Sie wird also im Grundsatz einerseits immer wieder neu nach lebendigen, passenden und von Jugendlichen selbst getragenen Formen des christlichen Glaubens suchen. Dabei bleibt die Evangelische Jugendarbeit nicht unberührt von der institutionellen Erosion der evangelischen Kirche. So steht sie unter dem internen kirchlichen Erwartungsdruck religiöse Sozialisationsangebote und -möglichkeiten bereitzustellen (→ Sozialisation, religiöse). Die Herausforderung wird an dieser Stelle darin bestehen, eigenständige, auch experimentelle Räume für Glaubenserfahrungen zu öffnen, sich dabei auch mit den traditionellen Inhalten des christlichen Glaubens auseinanderzusetzen und in alledem den jungen Menschen die Freiheit eigener Entfaltung zu lassen.

Anderseits wird Evangelische Jugendarbeit sich in ihrem Rahmen der christlichen Weltverantwortung stellen, das heißt sie wird sich inhaltlich mit den drängenden Themen und Fragen mittelbar und unmittelbar betroffener junger Menschen auseinandersetzen. Gegenwärtig rücken dabei für Jugendliche aktuelle Herausforderungen wie z.B. der → Klimawandel (Fridays for future), die (Mit-)Gestaltung des digitalen Wandels, oder die kulturelle Vielfalt (→ Interkulturalität/Ethnische Vielfalt/Minderheiten/Migration) aufgrund stetiger weltweiter → Migration in den Blick. Damit verbunden sind Fragen der → Gerechtigkeit und Teilhabe und folglich auch der Integration und der Überwindung von Armut bei Kindern und Jugendlichen (Stürzer/Täubig/Uchronski/Bruhns, 2012). Eine dem katholischen Handbuch kirchlicher Jugendarbeit (Kaupp/Höring, 2019) entsprechende zusammenfassende, aktuelle, konzeptionelle und praxisorientierte Gesamtdarstellung evangelischer Jugendarbeit fehlt derzeit im deutschen Sprachraum (zuletzt Kaiser, 2013; mit speziellerem Fokus auf die diakonische Jugendhilfe Albrecht, 2018).

6. Ausblick

Mit der Jugendarbeit muss sich auch die Kirche einem permanenten Wandel unterziehen. Als bloße Nachwuchspflege für bestehende kirchliche Strukturen wäre die Kinder- und Jugendarbeit missverstanden. Evangelische Jugendarbeit hat im Laufe ihrer Geschichte immer wieder bewiesen, dass sie auf vielfältige Weise zu einem Ort innovativer Veränderungen auch für die gesamte Kirche geworden ist. Neue Formen der Gemeindearbeit, neue musikalische Impulse, aber auch neue Strukturüberlegungen für kirchliche Reformen hatten ihren Ausgang oft in der Jugendarbeit. Insofern gilt auch von dieser Überlegung her, dass Jugendarbeit ein notwendiger Akteur in der Kirche für die Kirche bleibt.

Literaturverzeichnis

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