Jugendarbeit, evangelisch
(erstellt: Februar 2016; letzte Änderung: Februar 2022)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Jugendarbeit_evangelisch.100215
1. Einführung
Galt die Jugendphase bis in die 1980er Jahre hinein als eine relativ kurze und dabei eher instabile Übergangsphase, so sprechen wir heute von der Jugend als einer eigenständigen Lebensphase, die eben nicht mehr bloß funktional auf den Übergang von der Kindheit in die Erwachsenenwelt hin orientiert ist (→ Entwicklungspsychologie
Angebote für Kinder und Jugendliche, die von öffentlichen und freien Trägern bereitgestellt werden, haben als gemeinsame gesetzliche Grundlage das Sozialgesetzbuch VIII, Kinder- und Jugendhilfe (Deisenhofer/Deisenhofer, 2015). Dort werden sie der Jugendhilfe zugerechnet (§ 1). Jugendhilfe umfasst somit alle Formen von Jugendarbeit (§ 11) wie auch der Jugendsozialarbeit (§ 13). Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass die Jugendhilfe durch eine Vielfalt von öffentlichen und freien Trägern gekennzeichnet ist (§ 3). Darunter fallen auch die Kirchen, die in § 75 als freie Träger der Jugendhilfe anerkannt werden.
Die in den §§ 11und 13 SGB VIII formulierten Ziele der Jugendarbeit sind für alle staatlich anerkannten Formen der Jugendhilfe grundlegend:
§ 11, SGB VIII, Jugendarbeit:
„(1) Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.“
§ 13, SGB VIII, Jugendsozialarbeit:
„(1) Jungen Menschen, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind, sollen im Rahmen der Jugendhilfe sozialpädagogische Hilfen angeboten werden, die ihre schulische und berufliche Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern.“
Der hohe Grad an Selbstbestimmung und Eigenverantwortung verbandlicher, das heißt auch kirchlicher Jugendarbeit ist staatlich gewünscht und wird gesetzlich verankert in § 12, SGB VIII:
§ 12, SGB VIII, Förderung der Jugendverbände:
„(2) In Jugendverbänden und Jugendgruppen wird Jugendarbeit von jungen Menschen selbst organisiert, gemeinschaftlich gestaltet und mitverantwortet. Ihre Arbeit ist auf Dauer angelegt und in der Regel auf die eigenen Mitglieder ausgerichtet, sie kann sich aber auch an junge Menschen wenden, die nicht Mitglieder sind. Durch Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse werden Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck gebracht und vertreten.“
Eine 2006 erstellte Studie hat ergeben, dass 10,1 % aller Jugendlichen mindestens einmal Kontakt zu einem solchen Angebot der Evangelischen Jugendarbeit haben (Fauser/Fischer/Münchmeier, 2008).
2. Historische Entwicklung
Für den mitteleuropäischen Raum kann erst seit dem 18. Jahrhundert von eigenständigen Formen des Jugendalters gesprochen werden. Von daher ist es nicht überraschend, dass auch zu dieser Zeit die ersten Ansätze einer Evangelischen Jugendarbeit entstehen. Evangelische Jugendarbeit ist ein Arbeitsfeld, das der Kirche in den letzten 200 Jahren zugewachsen ist. Die ersten Vereine gehen ebenso wie die ersten Einrichtungen der Jugendsozialarbeit auf das vielfältige Engagement von Mitgliedern der Erweckungsbewegung zurück. Sie begründeten damit eine Tradition spezieller kirchlicher Arbeitsformen und Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Dabei hat es das eine Konzept der Jugendarbeit nie gegeben. Wir finden vielmehr zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Ansätze der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, die jeweils auf die Zeitumstände bezogen sind. Die Anfänge reichen zurück in die Entstehungszeit der Erweckungsbewegung im 18. Jahrhundert, als Jakob Friedrich Meyenrock 1768 in Basel die Versammlung lediger Brüder begründet. Ähnliche Vereine entstehen in den nachfolgenden Jahrzehnten an vielen Orten in Europa und USA und sind sowohl auf Frömmigkeit als auch auf soziale Notlagen bezogen. Die spätere Trennung von Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit greift für die Frühzeit noch nicht. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstehen mit den Rettungshäusern die ersten diakonischen Einrichtungen (→ Diakonie – Caritas
Die Notwendigkeit spezieller Angebote für Jugendliche war in den Kirchen allerdings lange umstritten. Erst allmählich konnten sich verschiedene Arbeitsformen der Jugendarbeit in den Kirchen etablieren. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg geschieht diese Anerkennung der Jugendarbeit als kirchliches Handlungsfeld nicht zuletzt durch die neue Konkurrenz einer staatlichen und gewerkschaftlichen Jugendpflege (Schwab, 1992). In den 1920er Jahren hat die Evangelische Jugendarbeit Anteil an der Entwicklung der Bündischen Jugend, bis diese 1933/34 staatlicherseits verboten bzw. in die Hitlerjugend zwangsweise eingegliedert wird. Der Auflösung der Verbände folgt im evangelischen Bereich eine Verlagerung der Jugendarbeit in die Kirchengemeinden. Nach 1945 etablieren sich formal unselbstständig die Evangelische Jugendarbeit der evangelischen Landeskirchen, wie auch der Vereinigung evangelischer Freikirchen, ebenso als rechtlich eigenständige Organisation ein Teil der alten Verbände (Christlicher Verein Junger Menschen (CVJM), Entschieden für Christus (EC), Verband christlicher Pfadfinder (VCP), Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Schülerinnen und Schüler (AES)) und nicht zuletzt eigenständige Einrichtungen, z.B. der offenen Jugendarbeit oder Jugendbildungs- oder Tagungsstätten.
Allerdings kommt es bis in die Gegenwart immer wieder zu Spannungen zwischen der verbandsorientierten und der gemeindeorientierten Jugendarbeit.
3. Theologische Begründung
Eine Begründung für die Evangelische Jugendarbeit kann durch den Hinweis auf die mit der → Kommunikation des Evangeliums
Eine Kirche, die ihren so bestimmten Sendungsauftrag gegenüber Kindern und Jugendlichen ernst nimmt, wird von daher zu fragen haben, wie sie sich sowohl mit ihrer Gemeindearbeit (→ Gemeindepädagogik
Aber Jugendarbeit ist nicht nur Dienst der Kirche an der Jugend, sondern Jugendliche sind auch selbst Kirche. Hier hat der Bezug auf die Taufe sein Recht: durch die Taufe zu Beginn des Lebens wird in besonderer Weise deutlich, dass Gottes Gnadenzuspruch kein Verdienst einer bestimmten Frömmigkeitspraxis ist, sondern den Menschen durch Christi Erlösungstat am Kreuz zugesprochen wird. Weil Jugendliche durch die Taufe ein Teil der Kirche Jesu Christi sind, haben sie auch einen Anspruch auf Raum in dieser Kirche. Jugendliche sind nicht „die Zukunft“ der Kirche, sie sind ein äußerst lebendiger Teil ihrer Gegenwart! Somit wird eine subjektorientierte Jugend- und Gemeindearbeit (→ Subjekt
4. Arbeitsformen
Evangelische Jugendarbeit präsentiert sich heute in gemeindlicher und zugleich verbandlicher Form. In der Kirchengemeinde gilt Jugendarbeit als wichtiger Bestandteil der Gemeindearbeit. Kinder- und Jugendgruppen werden hier von Ehrenamtlichen (→ Ehrenamt
In vielen Gemeinden gibt es einen Jugendausschuss, in dem Erwachsene und Jugendliche organisatorische und finanzielle Fragen zur Jugendarbeit klären. Auf Dekanatsebene werden Belange der Jugendarbeit in der Dekanatsjugendkammer verhandelt, in der Hauptberufliche und Ehrenamtliche zusammenarbeiten, und im Dekanatsjugendkonvent, der aus jugendlichen Delegierten der einzelnen Kirchengemeinden (→ Gemeinde
4.1. Gemeindejugend
Die Gemeindejugendarbeit strukturiert sich heute in Gruppenangeboten, offenen Angeboten und Projektarbeit (→ Projekt(unterricht)
4.2. Jugendverbände
Neben der Gemeindejugendarbeit gibt es eine Vielzahl von Jugendverbänden, die entweder bundesweit oder bezogen auf einzelne Landeskirchen aktiv sind. Im Bereich der Evangelischen Kirche sind sie in der Arbeitsgemeinschaft Evangelische Jugend e. V. (aej) zusammengefasst, die als Arbeitsgemeinschaft auf Bundesebene die Interessen ihrer Mitglieder bündelt und gegenüber den Bundesministerien vertritt und nicht zuletzt zum Ansprechpartner der EKD für die Belange der Evangelischen Jugend wird.
In der AEJ sind derzeit folgende Einzelverbände vertreten:
- Arbeitsgemeinschaft Evangelische Schülerinnen- und Schülerarbeit (AES)
- Arbeitsgemeinschaft MBK. Missionarisch-biblische Dienste unter Berufstätigen und Jugendlichen e. V.
- Christliche Pfadfinderschaft Deutschlands e. V. (CPD)
- Christlicher Verein junger Menschen – Gesamtverband Deutschland e.V. (CVJM)
- Deutscher Jugendverband „Entschieden für Christus“ (EC) e. V.
- Johanniter-Jugend in der Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. (JJ) Ring missionarischer Jugendbewegungen e. V.
- netzwerk-m e. V.
- Verband der christlichen Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP)
Dazu
- fünf freikirchliche Jugendwerke
- aus den 20 Landeskirchen die jeweilige Evangelische Jugend
sowie
- acht außerordentliche Mitglieder
Die Verbände vertreten bewusst ein bestimmtes Profil in ihrer Jugendarbeit, seien es nun z.B. die Pfadfinderarbeit oder missionarisch-biblische Dienste. Jugendliche finden hier also ein je spezifisches Programm. Der größte evangelische Jugendverband ist der Christliche Verein junger Menschen (CVJM), den es in Deutschland seit 1883 gibt. Der CVJM erreicht in Gruppen- und Projektangeboten derzeit ca. 330.000 Jugendliche. Von Anfang an waren für ihn die missionarische Jugendarbeit und die Mitwirkung von Laien in einem überkonfessionellen Modell kennzeichnend. Das Programmangebot von heute ist sehr vielseitig. Hierzu gehören Freiwilligendienste, Sportangebote (→ Sport(gruppen)
4.3. Jugendkirchen
Zwischen Gemeindejugend und Jugendverband ist mit dem Konzept der → Jugendkirche
4.4. Jugendsozialarbeit
Ein Beispiel für die Evangelische Jugendsozialarbeit ist die EJSA (Evangelische Jugendsozialarbeit), die 1947 in Bayern entstanden ist. Anders als in klassischen Jugendverbänden sind in der EJSA keine Jugendlichen, sondern unterschiedliche Arbeitsfelder mit einer gemeinsamen Verwaltung zusammengeschlossen. Berufsbezogene Jugendhilfe, schulbezogene- und migrationsbezogene Jugendsozialarbeit sind ebenso Bestandteil dieses Arbeitsfeldes wie die gesellschaftspolitische Jugendbildung, die Seminare und Projekte (→ Projekt(unterricht)
5. Herausforderungen
Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen der späten Postmoderne wirken sich natürlich auch auf das Leben von jungen Menschen in all seinen Bezügen aus. Diesen Dynamiken, oft verdichtet in Begriffen wie Globalisierung, → Pluralisierung
5.1. Der Pädagogische Zugang
Der seit den 1990er Jahren entwickelte Theorie-Ansatz einer Pädagogik des Jugendraums (Böhnisch/Münchmeier, 1990) versteht Jugendarbeit in ihrer Funktion als Sozialisationsfeld. Die Jugendarbeit wird als Teil der Gesamtumwelt Jugendlicher gesehen. Hierzu gehören heute selbstverständlich auch virtuelle Welten (Wagner, 2014) (→ Spiele, digitale
5.2. Die strukturelle Verfasstheit
Der genauere Blick auf die Evangelische Jugendarbeit zeigt immer eine untrennbare Zwiegestalt: Sie begründet sich als ein Mitgliedsverband in der staatlichen Jugendhilfe (§11-13 SGB VIII) und gestaltet ebenso ihren kirchlichen und geistlichen Auftrag als Teil der evangelischen Kirche und ihrer jeweils konkreten Gemeinde. Inhaltlich entwickelt evangelische Jugendarbeit das Feld ihrer Inhalte um die beiden Brennpunkte 1. religiöse Bildung (→ Bildung, religiöse
Jugendarbeit ist in ihrem Selbstverständnis neben Schule und Ausbildung ein wesentlicher Bereich einer umfassenden und auf Mündigkeit zielenden → Bildung
5.3. Die inhaltlich-konzeptionelle Ausrichtung
Evangelische Jugendarbeit knüpft an den Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen an (Kirchenamt der EKD, 2010) (→ Lebenswelt
Anderseits wird Evangelische Jugendarbeit sich in ihrem Rahmen der christlichen Weltverantwortung stellen, das heißt sie wird sich inhaltlich mit den drängenden Themen und Fragen mittelbar und unmittelbar betroffener junger Menschen auseinandersetzen. Gegenwärtig rücken dabei für Jugendliche aktuelle Herausforderungen wie z.B. der → Klimawandel
6. Ausblick
Mit der Jugendarbeit muss sich auch die Kirche einem permanenten Wandel unterziehen. Als bloße Nachwuchspflege für bestehende kirchliche Strukturen wäre die Kinder- und Jugendarbeit missverstanden. Evangelische Jugendarbeit hat im Laufe ihrer Geschichte immer wieder bewiesen, dass sie auf vielfältige Weise zu einem Ort innovativer Veränderungen auch für die gesamte Kirche geworden ist. Neue Formen der Gemeindearbeit, neue musikalische Impulse, aber auch neue Strukturüberlegungen für kirchliche Reformen hatten ihren Ausgang oft in der Jugendarbeit. Insofern gilt auch von dieser Überlegung her, dass Jugendarbeit ein notwendiger Akteur in der Kirche für die Kirche bleibt.
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