Seniorenarbeit/Altenbildung
(erstellt: Februar 2016)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.SeniorenarbeitAltenbildung.100217
1. Das dynamische Feld der Altenbildung
Es mag paradox erscheinen, aber kaum ein Bereich der → Gemeindepädagogik
2. Ambivalente Leitbilder des Alterns als Herausforderung der Altenbildung
Bildungsprozesse vollziehen sich in einem vielfältigen lebensweltlichen Bedingungsgefüge und selbstreflexiv angelegte Aneignungsprozesse von Bildungsgehalten hängen nicht unwesentlich von der Vorstellungskraft und Deutungsmacht bestimmter Möglichkeitshorizonte und Zielvorstellungen ab. Von daher bedingen sich Leitbilder der Kindheit, der Jugend wie auch des späteren Erwachsenenalters und Bildungsangebote für diese Zielgruppen wechselseitig. Gerade die gesellschaftlich vermittelten Leitbilder des Alters mit ihren spezifischen Einstellungen und Erwartungshaltungen sind jedoch einem nicht unerheblichen Wandel unterworfen (Schmitt, 2004). Sie sind dabei vielfältig medial konstruiert und inszeniert. Nicht selten ist eine funktionale Dimension involviert, weil Altersbilder gesellschaftspolitische, wirtschaftliche oder wissenschaftliche Interessen spiegeln und für deren Durchsetzung in den Dienst genommen werden können. Dies zeigen auch die gegenwärtigen Diskurse zum
aktiven, erfolgreichen, produktiven oder kompetenten Altern deutlich, die Idealbilder vom best ager entwerfen, der bis ins hohe Alter verschiedenste Gestaltungsoptionen hat und seine Möglichkeiten zu nutzen weiß (Kade, 2009, 17). Nicht zuletzt die Werbung entwirft und vermittelt solche neuen Bilder des attraktiven Alters und aktiven Alterns (Thimm, 2009). Diese Bilder und Vorstellungen lösen die früheren Disengagementtheorien oder Defizitmodelle des Alterns ab, nach denen vor allem die Mängel des Alterns verarbeitet und kompensiert werden sollten. Das jetzige Aktivierungsparadigma setzt dagegen auf Empowermentstrategien und auf die Potentiale und Ressourcen der älteren Menschen. Die angestrebte Aktivität bis ins hohe Alter soll einerseits dem Wohlbefinden des Individuums durch gesellschaftliche Teilhabe dienen als auch Erfordernisse der → Gesellschaft
In diesem Kontext kommt es zu emphatischer Betonung der Bedeutung von Bildungsangeboten. Wie im Kontext des Bologna-Prozesses wird unter dieser Maßgabe Bildung allerdings nicht selten mit Aus- bzw. Fort- und Weiterbildung identifiziert (Sandkaulen, 2009, 22), indem es im Sinne → „lebenslangen Lernens
Unbenommen aller positiven Signale, die sich mit einer an den Ressourcen orientierten neuen „altersfreundlichen Kultur“ (Kruse, 2009, 76) verbinden, bleibt zu konstatieren, dass es bestimmte propagierte Formen des „aktiven Alterns“ gibt, die „den Charakter eines anstrengenden Kampfes gegen die Realität haben“ (Herms, 2014, 243). Dabei gilt es gerade im Kontext christlich geprägter Kommunikation darauf zu achten, nicht neue Formen der Exklusion zu befördern, indem unter der notwendigen Affirmation der Umstellungsprozesse im demographischen Wandel diejenigen aus dem Blick geraten, die nun doch aus den verschiedensten Gründen den Idealen der Best-Ager nicht entsprechen können (oder wollen). Es gilt eine differenzierte Wahrnehmungskompetenz für verschiedenste Ausgangslagen im Alter auszubilden. Dazu gehört die Differenzierung nach Geschlecht – Frauen und Männern altern jeweils anders – und quer dazu nach Milieu und Lebensverläufen. Prozesse der Individualisierung und Pluralisierung von Lebensstilen und Lebensorientierungen im Kontext der Spätmoderne gelten auch für das dritte und vierte Lebensalter. Zudem sind die Dimensionen des Abschieds und des Loslassens nicht nur weiterhin im Kontext der Hochaltrigkeit zu berücksichtigen, sondern über die ganze Spanne des (alternden) Lebens (Buchen, 2008) zu beachten und in religiöser Hinsicht ist der Sinn für die „Letztperspektive“ (Herms, 2014, 247) permanent wachzuhalten. Dabei spielt ein differenzierendes Ambivalenz-Konzept, das die grundlegenden Antinomien des Lebens, die im Alter deutlicher hervortreten, zur Darstellung bringen kann, eine bedeutende Rolle (Kunz, 2015, 3). Es ermutigt dazu, „das Mitten, Ausgleichen und Aushalten von Spannungen“ (Kunz, 2015, 2) in narrativen und (religiös) bildenden Kontexten zu erproben.
Dabei lohnt es sich, immer wieder an die Wurzeln des humanistischen Bildungsbegriffes im 19. Jahrhundert zu erinnern, wonach Bildung als lebenslang unabschließbarer Prozess der Selbstbildung im Umgang mit der Welt als Möglichkeit der Generierung und Beförderung humaner Freiheit verstanden wird (Sandkaulen, 2009, 24). Das heißt, auch Bildungsprozesse im Alter setzen die Freiheit der Bildungssubjekte voraus. Sie vertragen keinen Zwang und sind zudem von jeder Form der Eindimensionalität freizuhalten, d.h., sie sind möglichst multiperspektivisch anzulegen, indem Dimensionen des Ästhetischen (→ Ästhetische Bildung
Es ist also immer wieder eine → ideologiekritische
3. Religiosität, Lebenskunst und biblische Traditionen als Deutungshorizonte der Bildungsarbeit im Alter
Religionspädagogisch ist es geboten, Formen religiöser Entwicklung (→
religiöse Entwicklung
Die klischeehaft sprichwörtliche Zuschreibung „im Alter kommt der Psalter“ bildet in dieser eindimensionalen Schlichtheit in keiner Weise die gegenwärtige Realität des Verhältnisses älterer Menschen zur (christlichen) Religion bzw. gar ihr konkretes Partizipationsverhalten am kirchlichen Leben ab, deutet jedoch in einer offenen und übertragenen Lesart durchaus zutreffend auf Anforderungen im Prozess des Älterwerdens hin, die sich mit Fragen der Lebensorientierung und Ressourcen der Sinnstiftung in besonderer Weise verbinden können (Ahrens, 2011). „Die Suche nach individuellen oder überindividuellen Zugangsmöglichkeiten zu nachhaltiger Selbstbesinnung und meditativer Grundhaltung wird in einem erfüllungsorientierten ‚verlängerten Leben’ nicht fehlen dürfen. […] Selbstreferentielle und soziale Achtsamkeit sind Suchhilfen für einen solchen Weg. […] Die Stärkung und Steigerung der subjektiven Handlungs- und Gestaltungsbereitschaft dient Selbstveränderungen […] im langen Leben“ (Rosenmayr, 2003, 314). Die These, dass die Senioren des dritten Alters – je nach → Milieu
Die postulierte Offenheit für Fragen der Sinngebung verlangt jedoch mit Blick auf das konkrete Verhältnis der älteren Menschen zu Fragen der Religiosität einen differenzierten Blick, der nicht nur die Formen der Partizipation an institutioneller Religion berücksichtigt, denn grundsätzlich zeigt sich auch in diesem Bereich, dass die Senioren „nicht mehr die alten“ sind (Fürst u.a., 2003).
Um die Bedeutung von Religion über die funktionale Engführung im Sinne eines Coping-Stils hinaus für ältere Menschen in den Blick zu nehmen, bietet sich der → Religionsmonitor
Dieses Ergebnis korreliert in sehr interessanter Weise mit der EKD-Studie „Uns geht’s gut“ (Ahrens, 2011), wonach festzuhalten ist, dass sich die ältere Generation heute in ihrem Partizipationsverhalten wenig von den anderen Altersgruppen in der Kirche unterscheidet, mit Ausnahme der Hochaltrigen, die noch immer eine tendenziell stärkere Verbundenheit erkennen lassen. Ansonsten werden sich auch bei den nachwachsenden Alten voraussichtlich die Formen distanzierter Kirchlichkeit mit einem allenfalls punktuellen gemeindlichen Engagement weiter verstärken. Dies ist freilich umso mehr ein Grund, sich wenigstens mit den Voraussetzungen für ein bleibendes Interesse an Religion und Kirche genauer auseinanderzusetzen. Zunächst zeigt sich auch hier die Tendenz der Coping-orientierten Untersuchungen, dass Religiosität sich mit Lebenszufriedenheit verbindet. „Darüber hinaus koppelt die Religiosität an positive beziehungsweise aktive Altersbilder an. Mit zunehmender Religiosität wächst der Zuspruch zu den Vorstellungen, dass man selbst mit dem Älterwerden an innerer Stärke gewinnt und sich die eigenen Fähigkeiten erweitern, dass ältere Menschen Alterungsprozesse aktiv hinauszuzögern versuchen und weise werden“ (Ahrens, 2011, 5). Die Befragten stellen demnach eine interessante Verbindung zwischen Religiosität, → Lebenskunst
Hier klingen zentrale Motive von Weisheitskonzepten und → Lebenskunst
In diesem Zusammenhang ist auch die biblische Tradition mit ihrer vielstimmigen Rede vom Altern in den so bestimmten Dialog mit den älteren Menschen und ihren Vorstellungen vom guten Leben einzubringen. Dabei kann es sich als Stärke erweisen, dass gerade die biblischen Texte von einer deutungsoffenen Ambivalenz in der Wahrnehmung des Alterns – über die kulturellen Differenzen hinweg – zeugen, die anregend bleiben. So finden sich eine Fülle von Anschlussstellen für die gegenwärtige Lebensdeutung im Alter, von denen nur einige genannt seien: die Kennzeichnung des Alters als Segen und Geschenk, als eines der höchsten Güter angesichts der Endlichkeit von Leben, damit verbunden die Ehrung und Wertschätzung des Alters (→
Lev 19,32
4. Themenfelder und Gestaltungsoptionen von Seniorenarbeit und Altenbildung
Das Handlungsfeld der Seniorenarbeit und der Altenbildung partizipiert an den wesentlichen Grundüberlegungen der gegenwärtigen → Gemeindepädagogik
Gilt die Bedeutsamkeit erfahrungsbasierten Lernens (→ Erfahrung
Eingedenk dieser Rahmenbedingungen schlägt Mulia für den Kernbereich der kirchlichen Altenbildung in Anlehnung an Kade vier umfassende thematische Felder vor: Biografie; Produktivität/freiwilliges Engagement und Zivilgesellschaft; Kultur, Kunst und Ästhetik (→ Bildung, ästhetische
In einem besonderen Fokus stehen dabei die Bemühungen, die im Kontext biographiebezogenen Lernens im Alter die Aspekte der Ausbildung narrativer Identität, Selbstreflexion und (religiöser) Sinnorientierung zu verbinden erlauben (Evers, 2003; Mulia, 2011; Blasberg-Kuhnke/Wittrahm, 2007; Kumlehn, 2009; 2012; 2014). In der Altenbildung könnte eine religiös-hermeneutische Lebenskunst im Zentrum stehen, die mit den älteren Menschen im Ausgang von der eigenen Tradition und den Erfahrungen der eigenen Lebensgeschichte eine Wahrnehmungs-, Frage- und Vergewisserungskultur pflegt. Den Fragen nach dem Selbst, den Erfahrungen seines Gewordenseins, den Suchbewegungen und den damit verbundenen Hoffnungen und Erwartungen für die verbleibende Zeit ist dabei vorrangig Raum zu geben. Im christlichen Kontext müssen diesbezüglich die Spannungsfelder von →
Freiheit
Im Sinne der grundlegenden Einsichten in die Weisen der Selbstbildung ist dann genauer zu fragen, welche Problem- und Themenstellungen für die noch aktiven Alten zu Katalysatoren der Frage nach dem Selbst und seinen Quellen werden können und anhand welcher biblischer Traditionen bzw. anderer geeigneter narrativer Stoffe diese Fragen aufgenommen, verfremdet und vertieft werden können. Eine religions- und kulturhermeneutisch sensibilisierte Theologie kann sich noch sehr viel differenzierter auf die Lebenswelt der Älteren einstellen und bisher eher randständige Phänomene als Auslöser für Prozesse der Selbstvergewisserung interessant werden lassen. Neben den spirituellen Sehnsüchten, die sich mit dem Reisen verbinden, der Reflexion von Krankheit und Gesundheit und veränderten Erfahrungen der eigenen → Leiblichkeit
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