Deuteronomistisches Geschichtswerk (DtrG)
(erstellt: August 2005)
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1. Begriff und Befund
Deuteronomistisches Geschichtswerk (DtrG) ist die in der Forschung üblich gewordene Bezeichnung für ein Werk, das von einer einheitlichen, durch das Buch Deuteronomium geprägten Sprache und Theologie bestimmt ist und die Bücher Deuteronomium bis 2. Könige umfasst – ohne das Buch Rut, das in der hebräischen Bibel nicht in diesem Zusammenhang steht (also Dtn, Jos, Ri, 1-2Sam, 1-2Kön). Das Werk beschreibt die Geschichte Israels von den letzen Tagen der Wüstenwanderung über die Landnahme bis zum Ende der Königszeit.
Gemeinsam ist den genannten Büchern, dass größere und kleinere Textpassagen in ihrer Sprache und theologischen Aussage stark an das → Deuteronomium
2. Erste Erklärungsversuche
Dass im Bereich von Dtn - 2Kön alte und voneinander unabhängige Quellen durch Redaktoren zu einem „Geschichtswerk“ zusammengestellt worden sind, hat bereits 1805 → W.M.L. de Wette
3. Die These Martin Noths
Nach → M. Noth
Theologisch zielt sein Werk darauf, die Führer des Volkes für die Katastrophe verantwortlich zu machen. Da sie zusammen mit dem Volk das im Deuteronomium formulierte „Gesetz missachtet haben“, vor allem immer wieder „von JHWH abgefallen sind“, um „anderen Göttern zu dienen“ – so typische Formulierungen –, tragen sie die Schuld. JHWH hatte das Volk gewarnt und gestraft, bis ihm schließlich keine andere Wahl blieb, als es zu vernichten. Die Darstellung der Geschichte – die nach Noth historisch begründet ist – soll zeigen, dass die Schuld für die Zerstörung Jerusalems mit all ihren Konsequenzen dem Volk selbst zuzuschreiben ist: Der Zorn Gottes steht am Ende der Geschichte, eine Zukunftshoffnung gibt es nicht mehr.
Noth begründete seine These mit vier Argumenten:
a. Die Sprache ist durchgehend deuteronomisch geprägt.
b. Die Deutung der Geschichte zieht sich durch das ganze Werk. In den eingeschobenen Reden wichtiger Gestalten – Mose am Anfang und am Ende des Deuteronomiums (Dtn 1-3
c. Das Werk wird von einem einheitlichen chronologischen Gerüst zusammengehalten (1Kön 6,1
d. Das theologische Konzept ist weitgehend einheitlich.
Die These Noths wurde von der Forschung sehr schnell weithin akzeptiert – auch auf internationaler Ebene. Sie hat große Zustimmung gefunden, wurde aber auch in ihren wesentlichen Elementen kontrovers diskutiert, kritisiert, erweitert, verworfen und verbessert. Heute wird sie allerdings in der von Noth vorgetragenen Form kaum noch vertreten, jedoch kann man sie nicht übergehen, sondern muss sich mit ihr auseinandersetzen.
4. Die Forschung nach Martin Noth
1) Die theologische Aussage des deuteronomistischen Geschichtswerks. Nach G. von Rad (1947) bietet das DtrG gegen Noth nicht nur eine Ätiologie des Gerichts. Die Schlussnotiz in 2Kön 25
2) Die literarische Schichtung des deuteronomistischen Geschichtswerks. Problematisch ist an der These Noths vor allem, dass sie das DtrG einem einzigen Verfasser zuschreibt. Die Forschung nach Noth hält das DtrG weithin für uneinheitlich und hat verschiedene Modelle entwickelt, die die Spannungen erklären sollen.
a) Das Zweistufenmodell oder Blockmodell. F.M. Cross (1968) nimmt – ausgehend von der Spannung zwischen Hoffnung auf der einen und hoffnungslosem Zorngericht auf der anderen Seite – zwei deuteronomistische Werke an. Das erste (Dtr I) datiert noch in die Königszeit, da die Zusage einer ewigen Dynastie in 2Sam 7,16
b) Das Schichtenmodell (Göttinger Schule). Der Lösung des Problems der zahlreichen Unstimmigkeit in Dtn - 2Kön gelten die Studien von R. Smend jr. (1971) und in Anschluss an ihn, mit manchen Unterschieden, die Arbeiten von T. Veijola und E. Würthwein. Die Unstimmigkeiten werden auf mehrere redaktionelle Bearbeitungen zurückgeführt. Smend unterscheidet grundsätzlich drei Schichten:
1. Die Grundlage des Geschichtswerkes wurde von einem deuteronomistischen Historiker (DtrH), der gleichzeitig Hauptautor des ganzen Werkes ist, in exilischer Zeit geschaffen.
2. Eine erste Bearbeitungsschicht, die DtrH erheblich ausbaut, enthält vor allem prophetische Texte. Smend bezeichnet ihren Verfasser deswegen als prophetischen Deuteronomisten (DtrP).
3. Das Hauptinteresse der dritten Schicht gilt dem Gesetz. Mehrere nomistische Deuteronomisten (DtrN) erweiterten das bisher entstandene Werk und verliehen der in ihm vertretenen deuteronomistischen Theologie ihr endgültiges Profil.
In neueren Arbeiten, die das Schichtenmodell weiterentwickeln, wird die Zahl der Schichten und mit ihnen der Abkürzungen vermehrt und fast unübersichtlich. Beide Modelle haben dazu geführt, dass man heute häufig – allerdings mit großen Unterschieden im Einzelnen – einen vorexilischen Deuteronomisten sowie exilische und nachexilische Redaktionen annimmt (vgl. z.B. Hoffmann; H. Weippert; Lohfink; Braulik).
5. Zur aktuellen Diskussion
Die Diskussion über das DtrG und über seine Theologie ist nach wie vor im Fluss. Bisherige Ansätze verfeinernd werden immer wieder neue Bearbeitungsschichten angenommen. Ein allgemeiner Konsens ist nicht abzusehen.
Die neuere Diskussion um die Entstehung des Pentateuchs hat dazu geführt, dass die These eines deuteronomistischen Geschichtswerks als Zusammenhang von Dtn - 2Kön grundsätzlich in Frage gestellt wird (z.B. Kratz). Zum einen findet man auch im Pentateuch immer mehr deuteronomistisch geprägte Texte, also Verbindungen zum Bereich des DtrG, die einen Einschnitt zwischen Numeri und Deuteronomium in Frage stellen, zum anderen fordern die Landnahmeverheißungen in Gen - Num eine Landnahmeerzählung, die entweder – so Noth – bei der Verbindung mit dem DtrG weggefallen sein muss – doch wie will man das nachweisen? – oder im Josuabuch vorliegt. Wenn sie dort vorliegt, ist das Josuabuch aber an den Pentateuch gebunden, bildet mit ihm den Hexateuch, und Noths These vom DtrG als einem ursprünglichen Erzählzusammenhang von Dtn - 2Kön wird problematisch.
Nach E. Zenger wurde dem deuteronomistischen Geschichtswerk das jahwistisch/elohistische Geschichtswerk vorangestellt (Münsteraner Pentateuchmodell). Jahwistisch/elohistisches Geschichtswerk und DtrG bilden dadurch eine Einheit, eine umfassende Geschichtsdarstellung von der Schöpfung bis zur Zerstörung Jerusalems und dem Exil. Zenger spricht in dem Zusammenhang von einem „großen deuteronomistischen Geschichtswerk“ (großen DtrG). Diese These wird jedoch kontrovers diskutiert.
Allgemein anerkannt ist, dass die Schichten des DtrG nicht so heterogen sind wie im Pentateuch. Die verschiedenen Autoren bewegen sich sprachlich und theologisch auf gleichem Boden und spätere bauen auf frühere auf. Man kann daher von einer „deuteronomistischen Schule“ sprechen, die für die Komposition des DtrG verantwortlich ist.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Zenger, E. (Hg.), 2004, Einleitung in das Alte Testament, 5. Aufl., Stuttgart
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