Exodusbuch
(erstellt: Dezember 2005)
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1. Name und Stellung im Kanon
Das zweite Buch der Bibel trägt in der antiken griechischen Übersetzung des Alten Testaments den Namen ̉Έξοδος („Auszug“), den die Vulgata latinisierend zu „Exodus“ abwandelt. Diese Bezeichnung zeigt das Hauptthema des Buches an, den Auszug Israels aus Ägypten, und findet bis heute in der Einheitsübersetzung Verwendung.
Die jüdische Tradition nennt das Buch šəmôt („Namen“) und gibt damit das Nomen aus den Anfangswörtern des Buches wieder: wə’ellæh šəmôt („Und dies sind die Namen“).
Die lutherische Tradition bevorzugt die Bezeichnung „Zweites Buch Mose“ ohne dabei den lateinischen Namen abzulehnen. In allen Traditionen ist das Exodusbuch das zweite der fünf Bücher des ersten Teils des alttestamentlichen Kanons, der als „Fünf Bücher Moses“, „Pentateuch“ oder „Tora“ bezeichnet wird.
2. Inhalt und Struktur des Buches
Das Exodusbuch verarbeitet drei Themenkomplexe, (1) den Aufenthalt Israels in Ägypten und seinen Auszug aus Ägypten, (2) die Wüstenwanderung und (3) den Aufenthalt am Gottesberg mit Gesetzesgabe und Heiligtumsbau. Deren Abgrenzung voneinander ist mitunter schwierig, weil die Themen ineinander verschränkt sind. So wird etwa Ex 18 von manchen Auslegern noch der Wüstenwanderung zugeordnet. Thema 1 wird in Gen 46-50 vorbereitet, Thema 3 zieht sich durch das gesamte Buch Leviticus hin bis Num 10. Das Exodusbuch erweist sich damit als Teil eines größeren Ganzen. Daher ist es sinnvoll, zunächst die textinternen Gliederungssysteme zu beachten.
2.1. Chronologische Gliederungssignale
Im ersten Teil wird die zeitliche Abfolge der Ereignisse durch den Generationenwechsel bestimmt. Nach
Ex 1,6
Eine ganz andere Art von chronologischer Gliederung setzt in Ex 12 ein. In
Ex 12,1
2.2. Topologische Gliederungssignale
Wie schon bei den chronologischen so ist auch bei den topologischen Gliederungssignalen zwischen dem vorderen Teil des Exodusbuches und den weiteren zu unterscheiden. Die in den ersten Kapiteln des Exodusbuches erzählten Ereignisse werden nicht systematisch verortet. Die Israeliten müssen zwei Städte bauen, →
Pitom
Wichtig werden Ortsangaben erst wieder beim Auszug. Dieser beginnt in Ramses und führt zunächst nach Sukkot (
Ex 12,37
Die →
Wüstenwanderung
2.3. Narratologische Gliederungssignale
Der deutlichste Einschnitt trennt den Aufenthalt in und Auszug aus Ägypten (Ex 1-14) von der in
Ex 15,22
Der Ägyptenteil Ex 1-14 lässt sich in Anlehnung an Utzschneider, 1996, 17-76, in vier Phasen unterteilen:
(1)
Ex 1,1-2,22
(2)
Ex 2,23-6,1
(3)
Ex 6,2-12,42
(4)
Ex 12,43-14,31
Phase 3 beinhaltet den →
Plagenzyklus
Nach der durch
Ex 15,1-21
Die Erzählung vom Aufenthalt am Gottesberg („Sinai-Perikope“) wird durch Nähe und Ferne der Akteure zu Jhwh gegliedert.
2.4. Thematische Gliederungssignale
Eine gewisse Gliederung ergibt sich zudem durch den Charakter der Reden Jhwhs innerhalb der Sinai-Perikope, von denen die wichtigsten sind: →
Dekalog
2.5. Gliederung des Buches
Aus 2.1-4. ergibt sich der Überblick der nebenstehenden Tabelle.
Die Entsprechungen und Nichtentsprechungen zwischen den Anordnungen zum Bau des Heiligtums und den Ausführungen werden aus folgender Synopse deutlich:
3. Textüberlieferung
Der Text des Buches Exodus ist in vier relativ eigenständigen Überlieferungssträngen greifbar: die masoretische Texttradition (MT), der samaritanische Pentateuch (Sam), die →
Septuaginta
Hauptzeuge des masoretischen Textes ist der Codex Petropolitanus (früher Codex Leningradensis genannt), die älteste, vollständig erhaltene Handschrift des Alten Testaments aus dem Jahr 1009. Der samaritanische Pentateuch, der in der Religionsgemeinschaft der Samaritaner überliefert wird, weist demgegenüber etliche Abweichungen auf, die mehrheitlich so zu erklären sind, dass der Text des Exodusbuches mit Ergänzungen aus dem Buch →
Deuteronomium
4. Entstehung
In der gegenwärtigen Forschung werden mehrere Hypothesen zur Entstehung des Exodusbuches diskutiert. Diese Modelle beziehen sich stets auf den gesamten Pentateuch oder sogar den Gesamtzusammenhang Gen - 2Kön. Im Folgenden sollen nur die Konsequenzen dieser Hypothesen für das Exodusbuch dargestellt werden. Eine ausführliche Darstellung der Pentateuch-Forschung und aller Hypothesen bietet der Artikel „Pentateuch“.
Einigkeit besteht weitgehend darin, dass das fertige Exodusbuch nicht von einem Verfasser geschrieben wurde, auch der im Luthertum gebräuchliche Name „2. Buch Mose“ kann nicht in dem Sinne verstanden werden, dass Mose der Autor dieses Buches war. Vielmehr haben im Exodusbuch mehrere Autoren ihre Handschrift hinterlassen, was daran zu erkennen ist, dass das Exodusbuch in seiner Sprache und Theologie uneinheitlich ist. Der Schluss ist unausweichlich, dass mehrere ältere Texte in diesem Buch zu einem neuen Ganzen vereint worden sind. Will man die Entstehung des Exodusbuches nachzeichnen, ist es unabdingbar, diese älteren Texte zu ermitteln (Literarkritik) und den Prozess ihrer Aufnahme in das Exodusbuch darzustellen (Redaktions- oder Kompositionsgeschichte). Über diese Geschichte der Buchwerdung (Literargeschichte) ist allerdings noch kein Konsens erzielt worden, manche meinen sogar, ganz auf die Erforschung dieser Geschichte verzichten zu müssen (etwa Dohmen, 2004).
4.1. Drei durchlaufende Erzählfäden – J, E und P
Die älteste Hypothese zur Literargeschichte des Exodusbuches und des Pentateuchs überhaupt basiert auf der Beobachtung, dass Gott an einigen Stellen mit seinem Namen jhwh (ausgesprochen „Jahwe“) bezeichnet wird, an anderen jedoch einfach „Gott“ (hebr. ’älohîm) genannt wird. Daraus entwickelte sich im 19. Jh. die sog. „Neuere Urkundenhypothese“. Danach ist das Exodusbuch (wie der gesamte Pentateuch) das Ergebnis eines Redaktionsprozesses, an dessen Anfang zwei Erzählungen aus der frühen Königszeit stehen. Die mutmaßlich ältere der beiden (10. Jh. v. Chr.) benutzt den Gottesnamen jhwh („Jahwe“) und erstreckt sich von der Schöpfungsgeschichte bis zur Landnahme, ihr Autor wird „Jahwist“ (vom Gottesnamen „Jahwe“ abgeleitet) genannt, das Werk selber oft mit „J“ abgekürzt. Die jüngere (9./8. Jh. v. Chr.) benutzt die Gottesbezeichnung ’älohîm (hebr. für „Gott“) und beginnt in den Vätergeschichten der Genesis, ihr Autor wird als „Elohist“ bezeichnet, das Werk selbst mit dem Sigel „E“ versehen. Von beiden Erzählungen wurde vermutet, dass sie auf ältere mündliche Tradition zurückgehen, die recht nahe an die erzählten Ereignisse heranreicht. Daher werden diese beiden Erzählungen auch als „Quellenschriften“ bezeichnet, weil man meint, sie als historische Quellen benutzen zu können. Die nachträgliche Separierung dieser Schriften aus dem heute vorliegenden Text bezeichnet man daher als „Quellenscheidung“.
In der fortgeschrittenen Königszeit wurden diese beiden Erzählungen zu einem Werk vereinigt, den Redaktor, der dies ausgeführt hat, nennt man „Jehowist“ (Kombination aus Jahwe und Elohim), das Werk selbst „JE“. Zur Zeit des babylonischen Exils (6. Jh.) schließlich verfassten priesterliche Autoren abermals ein Werk, das von der Schöpfung bis zur Landnahme reicht, die → „
Priesterschrift
Die Exodus-Kommentare von Martin Noth (ATD 5) und Josef Scharbert (NEB) arbeiten nach diesem Modell, ebenso der ausführliche Kommentar von W.H. Schmidt (BKAT), Letzterer ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Eine komprimierte und doch zugleich umfassende Darstellung dieser Hypothese für das Exodusbuch bietet P.Weimar, Art. Exodusbuch, Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001, 1, 636-648.
Das jahwistische wie auch das elohistische „Exodusbuch“ hatten nach diesem Modell ein vom heutigen ganz erheblich abweichendes Aussehen. Die ausladenden Anordnungen und Ausführungen zum Heiligtumsbau (Ex 25-31; 35-40) stammen aus der priesterlichen Tradition, sind also erst relativ spät eingefügt worden. Aber auch das Bundesbuch (
Ex 20,22-23,33
4.2. Zwei durchlaufende Erzählfäden – J und P
Die Rekonstruktion der elohistischen Quellenschrift bereitete stets Probleme, so dass schon früh vermutet wurde, dass diese Schrift nicht mehr vollständig erhalten geblieben ist („Fragmenten-Hypothese“). Einen letzten Versuch diesen Elohisten zu rekonstruieren hat Graupner, 2002, unternommen.
Andere Forscher meinen, dass E niemals eine eigenständige Schrift war, sondern eine redaktionelle Schicht in J darstellt. Zuletzt hat Hans-Christoph Schmitt vorgeschlagen, J als Sammelwerk zu verstehen, dessen Abfassung sich über den Zeitraum von König Salomo (10. Jh.) bis in die nachexilische Zeit erstreckt, während E eine Schicht bildet, welche auf die älteren, frühkönigzeitlichen J-Texte aufgesetzt wurde (Schmitt, 2005, 208-233).
Ebenso wie Schmitt vertritt auch Christoph Levin die Auffassung, dass es neben der Priesterschrift (P) nur
einen, den Tetrateuch durchlaufenden Erzählfaden gegeben habe, und zwar den jahwistischen, der im Exodusbuch mit Ex 1,8
4.3. Ein durchlaufender Erzählfaden – P
Nach Reinhard G. Kratz hat es nur einen, den gesamten Pentateuch umfassenden Erzählfaden gegeben, die Priesterschrift (P). Davor habe es zwei konkurrierende, nicht-priesterliche Ursprungs-Erzählungen Israels gegeben, zum einen den Jahwisten (J), der jedoch nur die Urgeschichte und die Vätergeschichte der Genesis umfasst, zum andern die Exodus-Erzählung (E), welche in
Ex 2,1
4.4. Kein durchlaufender Erzählfaden
Nach Erhard Blum bildet auch P keine von der Schöpfung bis zur Landnahme durchlaufende Quellenschrift, sondern eine Komposition (KP), die eine etwas früher veröffentlichte, spät-deuteronomistische Komposition (KD) voraussetzt und überarbeitet. KD wiederum basiert auf einer älteren Erzählung, die in Ex 1 beginnt und über den Gottesberg hinaus möglicherweise bis zum Tod Mose gereicht hat (Blum, 1990, 216). Die Verbindung von Exodusbuch und Genesis wurde nach Blum, 1990 (189), von KD, nach revidierter Auffassung in Blum, 2002 (151ff), der sich damit Schmid (1999) annähert, von KP geschaffen.
4.5. Einseitige oder ausgleichende Redaktion?
Die These einer priesterlichen Komposition (KP) bestreitet, dass es eine selbständige Priesterschrift (P) gegeben hat, vielmehr seien die priesterlichen Texte überwiegend in Auseinandersetzung mit und in Beziehung zu den etwas älteren nicht-priesterlichen verfasst worden. Die Hauptkomposition des Exodusbuches geht nach dieser Auffassung nicht auf eine ausgleichende Hand zurück, welche die nicht-priesterliche und die priesterliche Erzählung harmonisierend vereinigt hat („Pentateuch-Redaktion“), sondern ist eine einseitige Maßnahme, die den vormals nicht-priesterlich geprägten Text in einen von priesterlichen Interessen geprägten umgestaltet. Die gegenteilige Auffassung, wonach es eine harmonisierende Pentateuch-Redaktion (auch im Exodusbuch) gegeben habe, wurde in jüngster Zeit von Otto, 1996, und Gertz, 2000, ausgearbeitet.
4.6. Erzählung und Gesetz
Alle genannten Entwürfe stimmen darin überein, dass die Erzählung bzw. Erzählungen im Bereich des Exodusbuches in ihren jeweils ältesten Fassungen das Bundesbuch und meistenteils auch den Dekalog und die Gebotsreihe
Ex 34,11-26
4.7. Berg und Wüste
Es ist ein auffälliger und oft diskutierter Befund, dass im Alten Testament nur sehr sporadisch auf die in Ex 20ff erzählte Gesetzgebung Bezug genommen wird (z.B.
Neh 9,13
Neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass der Name Sinai erst spät auf den Gottesberg übertragen wurde (Levin, 1993, 78.364; Levin, 1985, 191, etwas anders Oswald, 1998, 250, eine ganz andere These vertritt Perlitt, 1977). In den ältesten Texten des Exodusbuches ist nur von einem bewusst namen- und ortlosen Gottesberg die Rede. Der utopische Charakter und die Anonymität des Gottesberges gehören zur Konzeption dieser Erzählung (Knauf, 1988, 157; Oswald, 1998, 251-254). Die deuteronomistischen Texte sprechen von einem ebenfalls namenlosen Gottesberg in der Einöde (hebr.
chôreb). Horeb ist daher ursprünglich gar kein Name, sondern ein Appellativum (Klassenbezeichnung). Die priesterlichen Texte kennen zwar eine „Wüste Sinai“ (Ex 19,1f
5. Geschichtlicher Hintergrund
Wir fragen hier nur nach dem historischen Hintergrund der ältesten Schichten des Exodusbuches, die jüngeren Schichten stehen in Beziehung zur Redaktion des Pentateuchs insgesamt. Zu unterscheiden ist zudem der historische Bezugspunkt der sehr viel älteren Exodus-Tradition von dem der jüngeren Exodus-Erzählung. Einen historischen Anhaltspunkt für Letztere bietet die Erwähnung der Stadt →
Pitom
Etwas anders rekonstruiert Otto (2000) den historischen Hintergrund. Danach bezieht sich die Exodus-Erzählung auf Ereignisse unter König Manasse von Juda (ca. 696-642), während dessen Regierungszeit Judäer Zwangsarbeiten für den assyrischen König Asarhaddon (680-669) ausführen mussten.
Tatsächlich könnte die Exodus-Erzählung alle drei Hegemonien, die assyrische (bis etwa 612) und die ägyptische (bis 605) und die babylonische (ab 604) zum Hintergrund haben, die Namenlosigkeit des Pharao und die Nichtdatierung der Ereignisse ermöglichen eine multiple Applikation.
Akzeptiert man, dass der dritte Teil des Exodusbuches, die Gottesberg-Perikope, von Anfang an mit der Gesetzgebung verbunden war, so ergeben sich daraus weitreichende historische Schlussfolgerungen. Im Alten Orient war es eine fraglose Selbstverständlichkeit, dass der König für die Gesetzgebung zuständig war und darüber hinaus die einheits- und identitätsbildende Person schlechthin darstellte. Wenn nun die politische, kulturelle und religiöse Identität Israels im Exodusbuch ohne einen König konstituiert wird, dann handelt es sich um ein Stück Literatur, das für Menschen geschrieben wurde, die keinen König haben, oder für solche, die zwar einen haben, ihn aber ablehnen. Im ersteren Falle stammt die Exodus-Gottesberg-Erzählung aus nach-monarchischer Zeit (Oswald, 1998), im zweiten aus Oppositionskreisen, als es in Juda noch einen König gab (Otto, 2000). Auf keinen Fall kann es sich um offizielle Literatur aus monarchischer Zeit handeln, da der König völlig übergangen wäre.
6. Theologie
Das Exodusbuch erzählt die Geschichte eines Herrschaftswechsels: Das Volk Israel verlässt die Herrschaft des Pharao und kommt unter die Herrschaft Jhwhs. Die (für moderne Leser) doppelte Bedeutung des hebräischen Wortes ’bd („dienen“) lässt diese thematische Linie deutlich hervortreten. Im ersten Teil des Buches sind die Israeliten ’ăvādîm (= Sklaven, Knechte) des Pharao, im zweiten ’āvədû („dienen“, „kultisch verehren“) sie ihrem Gott Jhwh. Nicht zwei weltliche Herrscher stehen einander gegenüber, auch nicht ägyptische Götter und Jhwh, sondern Pharao und Jhwh. Jhwh nimmt gegenüber Israel überwiegend die Rolle des Königs ein, Mose dagegen nur partiell. Der Auszug gelingt erst, wenn Gott selbst aktiv wird und Mose lediglich das Wirken Jhwhs sichtbar macht. Und als Gesetzesübermittler gewinnt Mose keinerlei Spielraum zu eigenmächtigem Handeln, anders als Aaron, der sich in Ex 32 als souveräner oberster Kultherr eine königliche Rolle anmaßt. Auf der anderen Seite geht es beim Übergang von Pharao-Dienst zum Jhwh-Dienst nicht um eine Abkehr vom Politischen hin zum Religiösen. Am Gottesberg bzw. in der Wüste Sinai konstituiert sich nicht eine Kultgemeinde, sondern ein alles umfassendes Gemeinwesen, dem im Vergleich zu anderen politischen Gebilden lediglich der König fehlt.
Ganz wichtig und dementsprechend breit dargestellt ist das transportable Wüstenheiligtum. Israels Zugehörigkeit zu Jhwh wird komplementiert durch die Zugehörigkeit Jhwhs zu Israel. Gott offenbart sich künftig am Zelt der Begegnung und erklärt sich zum Gott Israels: „Ich werde mitten unter den Israeliten wohnen und ihnen Gott sein“ (
Ex 29,45
Die Exodus-Erzählung (Ex 1-14) ist zwar an einer älteren Exodustradition orientiert, bietet aber nur zum geringsten Teil eine historische Reminiszenz an vergangene Ereignisse, sondern entfaltet in erster Linie eine Theologie des Machterweises Jhwhs. Die Auseinandersetzung mit den Ägyptern dient dem Erweis der Mächtigkeit Jhwhs im Gegenüber zu Pharao und analog dazu dem Gegenüber von Mose und den ägyptischen Divinatoren. Die Namenlosigkeit der beiden Pharaonen verhindert die Beschränkung auf ein einmaliges Geschehen, erlaubt vielmehr die Ausweitung auf allgemeine Gültigkeit. Für das theologische Verständnis der Gottesberg- / Sinai-Perikope (Ex 18-40) ist die Erkenntnis ausschlaggebend, dass es diese nie ohne Gesetzgebung gegeben hat, auf jeden Fall das Bundesbuch, aber wohl auch die Grundschicht des Dekalogs haben von Anfang an dazu gehört.
Somit lassen sich für die beiden Hauptteile des Exodusbuches je ein Hauptanliegen benennen: In Ex 1-14 steht der Erweis Jhwhs als rettender Gott für Israel im Vordergrund, in Ex 18-40 gibt Jhwh seinem Volk eine eigene rechts- und kultpolitische Verfassung. Beide Teile sind so aufeinander bezogen, dass der Selbsterweis Jhwhs als rettender und befreiender Gott die Voraussetzung dafür ist, dass er seinem Volk diese Verfassung geben kann. Umgekehrt ist die Bindung des Volkes an Jhwh als seinen Gesetzgeber und Jhwhs Bindung an Israel als dessen Gott, wie es am Gottesberg / Sinai geschieht, undenkbar ohne den vorausgegangenen Beweis der Mächtigkeit und Zuverlässigkeit Jhwhs.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001.
- Anchor Bible Dictionary, New York u.a. 1992.
2. Kommentare
- Dohmen, Chr., Exodus 19-40 (HThKAT), Freiburg 2004.
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- Scharbert, J., Exodus (NEB.AT 24) Würzburg 1989.
- Schmidt, W.H., Exodus (BK II,1-4, II,2,1) Neukirchen-Vluyn 1974-1995.
3. Weitere Literatur
- Aurelius, E., Zukunft jenseits des Gerichts, Eine redaktionsgeschichtliche Studie zum Enneateuch (BZAW 319), Berlin 2003.
- Blum, E., Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin 1990.
- Blum, E., Das sog. „Privilegrecht“ in Exodus 34,11-26, Ein Fixpunkt der Komposition des Exodusbuches?, in: M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus, Redaction – Reception – Interpretation (BEThL 126), Leuven 1996, 347-366.
- Blum, E., Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus, Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: Gertz, J.C. / Schmid. K. / Witte, M. (Hgg.), Abschied vom Jahwisten, Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), 119-156.
- Crüsemann, F., Die Tora, Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, München 1992.
- Gertz, J.C., Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung, Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch (FRLANT 186), Göttingen 2000.
- Graupner, A., Der Elohist, Gegenwart und Wirksamkeit des transzendenten Gottes in der Geschichte (WMANT 97), Neukirchen-Vluyn 2002.
- Janowski, B., Tempel und Schöpfung, Schöpfungstheologische Aspekte der priesterschriftlichen Heiligtumskonzeption, in: JBTh 5 (1990), 37-69; auch in: ders., Gottes Gegenwart in Israel, Beiträge zur Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1993, 214-246.
- Knauf, E. A., Midian, Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. (ADPV) Wiesbaden 1988.
- Kratz, R.G., Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik (UTB 2157), Göttingen 2000.
- Levin, Chr., Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993.
- Levin, Chr., Der Dekalog am Sinai, VT 35 (1985), 165-191.
- Noth, M., Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948.
- Oswald, W., Israel am Gottesberg, Eine Untersuchung zur Literargeschichte der vorderen Sinaiperikope Ex 19-24 und deren historischem Hintergrund (OBO 159), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1998.
- Otto, E., Mose und das Gesetz, Die Mose-Figur als Gegenentwurf Politischer Theologie zur neuassyrischen Königsideologie im 7. Jh. v. Chr., in: ders. (Hg.), Mose, Ägypten und das Alte Testament (SBS 189), Stuttgart 2000, 43-83.
- Otto, E., Die nachpriesterliche Pentateuchredaktion im Buch Exodus, in: M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus, Redaction – Reception – Interpretation (BEThL 126) Leuven 1996, 61-111.
- Perlitt, L., Sinai und Horeb, in: H. Donner u.a. (Hgg.), Beiträge zur alttestamentlichen Theologie (FS W. Zimmerli), Göttingen 1977, 302-322.
- Schmid, K., Erzväter und Exodus, Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments (WMANT 81), Neukirchen 1999.
- Schmitt, H.-C., Arbeitsbuch zum Alten Testament, Grundzüge der Geschichte Israels und der alttestamentlichen Schriften, Göttingen 2005.
- Utzschneider, H., Gottes langer Atem, Die Exoduserzählung (Ex 1-14) in ästhetischer und historischer Sicht (SBS 166), Stuttgart 1996.
- Von Rad, G., Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch (BWANT 4. Folge, Heft 26), Stuttgart 1938, zitiert nach: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament I, (TB 8) München 3. Aufl. 1965, 9-86.
- Wellhausen, J., Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 4. Aufl. 1895.
Abbildungsverzeichnis
- Mose vor dem brennenden Dornbusch (Mosaik in San Vitale in Ravenna; 6. Jh.).
- Der Auszug aus Ägypten (Jüdische Haggada aus Mähren; Tschechischer Maler; um 1740).
- Gott spricht mit Mose (‚Bible historiale’ des Guiart des Moulins; 14. Jh.)
- Die Auffindung des Mose (Raffael; 1483-1520).
- Gott gibt Mose am Gottesberg die Zehn Gebote (Mosaik in der Kirche des Katharinenklosters am Fuß des Mosebergs auf dem Sinai; 6. Jh.).
- Die Anbetung des Goldenen Kalbs (Nicolas Poussin; 1633-1637).
- Mose zerstört die Tafeln des Gesetzes (Rembrandt; 1659).
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