Deutsche Bibelgesellschaft

Apokalyptik (AT)

(erstellt: Februar 2021)

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1. Apokalyptik und Apokalypse

1.1. Begriffliche Klärungen

Die Bezeichnungen „Apokalyptik“ und „Apokalypse“ leiten sich aus dem griechischen Wortstamm ἀποκαλύπτειν apokalýptein / ἀποκάλυψις apokálypsis „offenbaren / Offenbarung“ ab. Dabei werden Vorstellungen, Motive oder Haltungen einer Endzeiterwartung angesprochen, die sowohl im antiken Judentum als auch im frühen Christentum (→ Apokalyptik [NT]) ungefähr zwischen dem 3. Jh. v. Chr. und dem 3. Jh. n. Chr. begegnen. Trotz der terminologischen Verbindung zur antiken Sprachwelt, sind „Apokalyptik“ und „Apokalypse“ zunächst Forschungsbegriffe der Neuzeit.

Maßgeblich war für die Forschung im 19. Jh. die Überschrift aus Apk 1,1: „Offenbarung / Apokalypse Jesu Christi ...“, die den mit der Johannesoffenbarung in inhaltlicher wie formaler Hinsicht vergleichbaren Überlieferungen, zunächst nur aus antikem Judentum und Christentum, den generalisierenden Gattungsbegriff vorgab. Wesentlich für diese Zuschreibung sind die leider verloren gegangenen Notizen Carl Immanuel Nitzschs (1787-1868) im „Bericht an die Mitglieder des Rehkopfschen Prediger-Vereins über die Verhandlungen vom Jahre 1820“ (1822), die Gottfried Christian Friedrich Lücke (1791-1855) paraphrasiert, aber vor allem in Richtung auf einen weiteren Gebrauch des Terminus „Apokalyptik“, wie er auch die apokryph-pseudepigraphe Literatur (→ Pseudepigraphie) einschließt, modifiziert und präzisiert hat (vgl. Christophersen, 1999, 368-389).

In neuerer Zeit unterscheidet man die „Apokalyptik“ von der literarischen Gattung der „Apokalypse“. Mit dem Begriff „Apokalyptik“ bezeichnet die Forschung ein weites und nicht näher definierbares Konglomerat von Textsorten, Motiven und Inhalten. Bereits die Vielzahl der genannten möglichen Zuordnungen verdeutlicht, dass der Terminus unterbestimmt ist. Dennoch bleibt eine inhaltliche Annäherung nötig: Die Apokalyptik benennt Phänomene, die in strikter Naherwartung eine, allerdings nicht notwendig, durch Krisensituationen hervorgerufene Verfallenheit der jeweiligen Gegenwart an das Böse durch die Hoffnung auf eine zukünftige und zumeist jenseitige Welt zu überwinden suchen (vgl. auch → Eschatologie). Die Festlegung geschichtlicher Ereignisse und Epochen (Determinismus), ein auch ethisch verstandener Dualismus, die Personifizierung des Bösen und das häufig durch Mittlerwesen wie → Engel offenbarte Geheimwissen bestimmen weiterhin jene Literaturen und Phänomene. Von dieser noch sehr vorläufigen Beschreibung aus können nun weitere Anwendungsbereiche der Apokalyptik unterschieden werden, indem durch Soziologie, Philosophie, Geschichtswissenschaft, Rhetorik, Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft oder Politikwissenschaft nähere Bestimmungen vorgelegt werden. Allerdings hat sich in der Moderne eine Apokalyptik-Auffassung durchgesetzt, die quasi beim Weltuntergang stehen bleibt und die in der Antike wesentliche Heilsvorstellung weitgehend ignoriert, weshalb man auch von „kupierter Apokalypse“ (Vondung, 1988) spricht.

Die literarische Gattung der antik-jüdischen Apokalypse kann folgendermaßen definiert werden (nach Collins 2016, 5; vgl. Beyerle, 1999): Offenbarungsliteratur mit einem erzählerischen Rahmen. Darin eröffnet ein jenseitiges Wesen, Gott selbst oder ein Mittler (etwa Engel; vgl. angelus interpres), geheimes, himmlisches Wissen einem auserwählten Menschen bzw. Kreis von Menschen. Dieses Wissen beinhaltet eine jenseitige Realität, wobei ihre Jenseitigkeit sowohl zeitlich als auch räumlich bestimmt sein kann. Zumeist verweist die Gattung „Apokalypse“ auf eine Krisensituation, in der sie, weniger durch Trost als durch die Motivation zum Widerstand, Strategien der Krisenüberwindung entwickelt. Es begegnen weiterhin verschiedene Typen dieser Gattung: Apokalypsen mit Geschichtsrückblicken oder mit Jenseitsreisen. Darüber hinaus sind sprachliche Merkmale von Bedeutung: Texte wie die Tierapokalypse (äthHen 85-90; → Henoch / Henochliteratur) oder das Danielbuch (Kap. 2*; 7-8: → Daniel / Danielbuch) verwenden eine Vielzahl an Symbolen, die sich durch Konventionalitäten auszeichnen. Sie beziehen sprachliche Symbole konsequent auf reale Verhältnisse ihrer Entstehungszeit. In den beiden genannten Apokalypsen sind dies: Tiere, Menschenwesen oder anatomische Bestandteile von Tieren, wie Hörner, die Königtümer, Engel- und Zwischenwesen. Jenen symbolischen Apokalypsen stehen solche gegenüber, die unter Verzicht auf sprachliche Symbole die „Realität“ mehr oder weniger unmittelbar abbilden wie in Dan 10-12 (vgl. Reynolds, 2011).

Die Beschreibungen und Definitionen der literarischen Gattung führen zu prototypisch zu nennenden Texten, die in ihrer „Dynamik“ die Grenzen zwischen „Apokalypse“ und „Apokalyptik“ offenhalten (vgl. etwa das → Jubiläenbuch oder die Handschriften vom Toten Meer). Kurzum: Der Übergang von der literarischen Gattung Apokalypse zur Apokalyptik ist fließend.

Eine sich auf die antik-jüdische Apokalyptik beschränkende Zuordnung der wichtigsten Apokalypsen ergibt (vgl. Collins, 2016, 8):

1) „Historische“ Apokalypsen:

  • Daniel (Kap. 2; 7-12);
  • Tierapokalypse (äthHen 85-90);
  • Zehnwochenapokalypse (äthHen 93,1-10; 91,11-17);
  • 4. Esra;
  • syrische Baruch-Apokalypse;
  • Jubiläenbuch (vor allem Kap. 23).

Vgl. auch Apokalypse Abrahams: „Historische“ Apokalypse mit Jenseitsreise.

2) Apokalypsen mit Jenseitsreise:

  • Wächterbuch (äthHen 1-36);
  • Astronomisches Buch (äthHen 72-82);
  • Bilderreden (äthHen 37-71);
  • slawisches Henochbuch;
  • Testament Levis (Kap. 2-5);
  • griechische Baruch-Apokalypse;
  • Testament Abrahams Rez. A 10-15;
  • Zefanja-Apokalypse.

An dieser Übersicht zeigt sich, dass Apokalypsen insbesondere außerhalb des Kanons der hebräischen Bibel begegnen. Gesamtbiblisch beschränkt sich das Quellenmaterial auf Dan 2; 7-12 und die Johannesoffenbarung.

Bereits im 19. Jh. unterschied man diverse Entstehungszeiten und Entstehungsorte der Apokalypsen, was einmal in der (Wieder-)Entdeckung außerbiblischer Apokalypsen wie dem äthiopischen Henoch (→ Henoch / Henochliteratur) oder dem 4. Esra (→ Esraschriften, außerbiblische) begründet liegt und zum anderen schon früh zu notwendigen Differenzierungen führte: biblische (Dan, Apk) vs. außerbiblische Apokalyptik (Henoch-Schriften, 4Esr etc.); jüdische (äthHen bis 3Bar) vs. christliche Apokalyptik (Mk 13; Apk, AscJes, Herm); prophetische vs. apokalyptische Eschatologie; frühe (äthHen 6-11; 72-82) vs. späte Apokalyptik (syrBar, Sib, hebrHen); (späte) Prophetie (Jes 24-27; Ez, Sach 1-6; 9-14) vs. Apokalyptik (Dan 2; 7-12); Weisheit vs. Apokalyptik. Einige dieser Unterscheidungen beschäftigen die Apokalyptik-Forschung bis in die Gegenwart.

1.2. Trägerkreise

Sieht man einmal von den Handschriften vom Toten Meer (Qumran) ab, dann existieren keine verlässlichen Selbstbeschreibungen apokalyptischer Gruppierungen im antiken Judentum. Auch die Überlieferungen der Nachbarkulturen Israels, wie Babylonien, Ägypten, Persien oder Griechenland, ohne die das Phänomen der Apokalyptik nicht verständlich wird, bieten hierzu kaum Abhilfe. Allerdings zeigen die zahlreichen motivischen Gemeinsamkeiten mit jenen Nachbarkulturen (Prophezeiungen, Enderwartung, Geheimwissen oder gestaffeltes Geschichtsbild), dass die Trägerkreise an einem mantischen Weltbild teilhaben. Die Dominanz jener mantischen Züge geht auf ein weisheitliches Denken zurück, welches → „Weisheitliches“ und → „Eschatologisches“ in einer besonderen Form der apokalyptischen Weltsicht bereits ineinander verschränkt hat. Darüber hinaus waren die antiken Apokalyptiker keine Mitglieder einer gesellschaftlichen Randgruppe, sondern hochgebildete Schreiber, modern gesprochen – „Intellektuelle“.

Detailbeobachtungen führen zu einem vielgestaltigen Bild, das auch gewisse Ungereimtheiten ausweist. So bezeugen die Handschriften aus den Höhlen vom Toten Meer zahlreiche Fragmente bekannter Apokalypsen (etwa zu Dan u. äthHen). Allerdings existieren bislang keine Hinweise darauf, dass unter den gruppenspezifischen Texten auch die Gattung „Apokalypse“ vorkommt. Somit wären die Qumraniten als „Apokalyptiker ohne Apokalypsen“ zu bezeichnen. Terminologisch problematisch ist die Verknüpfung, vor allem in der älteren Forschung, der „Hasidäer“ oder „Frommen“ mit Apokalyptikern: Etwa das apokalyptische Danielbuch verzichtet auf diesen Begriff, und seine מַשְׂכִּלִים maskilîm „Einsichtige“ (Dan 11,33.35; Dan 12,3.10) scheinen die in den → Makkabäerbüchern (→ Makkabäer) genannten Ἀσιδαῖοι Asidaíoi (vgl. 2Makk 14,6), die als Selbstbezeichnung der Makkabäer dienen, eher abzulehnen: Nach Dan 11,34 sind sie nur eine „kleine Hilfe“.

Schließlich bieten kulturell-religiöse und soziologische Zuordnungen der Apokalyptiker Orientierung: Da die Tempelschändung des Seleukiden → Antiochus IV. Epiphanes, die zur sogenannten syrischen Religionskrise führte (168/67-165/64 v. Chr.), für Apokalypsen wie Dan 2; 7-12, die Zehnwochenapokalypse (äthHen 93,1-10; 91,11-17) oder die Tierapokalypse (äthHen 85-90) von zentraler Bedeutung ist, zeichnen sich Traditionen und Tradenten durch eine dezidierte Widerstandshaltung aus (vgl. Portier-Young, 2011). Hier dokumentiert sich eine Einstellung der Trägerkreise, die ausdrücklich auf die innerweltlichen religiösen Verhältnisse abzielt, wenngleich sich die Apokalypsen generell eher durch einen starken Jenseitsbezug auszeichnen. Weitere Hinweise liefert die Henoch-Literatur: In der Wächterbuch betitelten Überlieferung von äthHen 1-36 finden sich nur vereinzelte Rückverweise auf Motive und Erzählungen des Pentateuchs bzw. der Tora. Insbesondere die Sinai-Überlieferung (Ex 19-24) wird, wie auch in der Zehnwochen- und Tierapokalypse, fast völlig ignoriert – Anspielungen finden sich lediglich in äthHen 1-5 (vgl. 1,2-9). Aus diesem Befund wird also zumindest ein gewisser Abstand der Trägerkreise zur mosaischen Tora deutlich. Allerdings sollte man von hier aus nicht auf ein nur sehr hypothetisch fassbares „Henochisches Judentum“ rückschließen (so Boccaccini, 1998, 165-196; zur Kritik: Albani, 2007). Zumal man damit nur einen kleinen Ausschnitt der zwischen dem 4./3. Jh. v. Chr. und dem 3. Jh. n. Chr. wirksamen Überlieferungskreise vor Augen hätte. Etwa die für die römische Zeit zu veranschlagenden Apokalypsen des 4Esr und syrBar verfolgten ganz andere Interessen. Berücksichtigt man außerdem die sehr unterschiedlichen Einflüsse auf die antik-jüdische Apokalyptik, wie sie aus Ägypten (→ „Töpferorakel“, → „Lamm des Bokchoris“), Mesopotamien („Literary Predictive Texts“) oder Persien („Orakel des Hystaspes“, „Bahman Yašt“ oder „Zand i Vohuman Yasn“) bekannt sind, dann ergeben sozio-religiöse Festlegungen auf einen apokalyptischen Trägerkreis wenig Sinn.

1.3. Religionsgeschichtliche Aspekte

Die Apokalyptik ist ein zeit- und raumübergreifendes Phänomen, das bereits innerhalb antiker Befunde nicht auf die jüdischen Traditionen eingegrenzt werden darf. Aufgrund der Verbreitung apokalyptischer Motive im gesamten vorderen Orient sind die Übergänge zur jüdischen Apokalyptik und zu der in der jüdischen Überlieferung frühestens in der spätpersischen bzw. frühhellenistischen Zeit begegnenden Gattung Apokalypse fließend. Es können also anhand von apokalyptischen Motiven Querverbindungen in religionsgeschichtlicher Hinsicht aufgezeigt werden.

Die vorherrschende Endzeiterwartung wird von Überwindungsvorstellungen getragen, die die Verfallenheit der Welt an das Böse, im Sinne der kollektiven Eschatologie oder auch Neuschöpfung, oder die im Diesseits nicht mehr gewährleistete Belohnung gerechten Verhaltens, im Sinne von individueller Eschatologie oder auch Auferstehung, im Blick haben. Nicht selten sind diese Erwartungen mit Gerichtsvorstellungen angereichert (vgl. äthHen 22,1-14; Dan 12,1-3 u.ö.). Sowohl im antiken Griechenland als auch im vorderen Orient finden sich hierzu Analogien. Der griechische Philosoph Platon (ca. 427-347 v. Chr.) etwa schließt seine Abhandlung über die Ordnung oder Verfassung des Staates („Politeia“) mit dem Mythos von Êr, der die Frage nach dem jenseitigen Schicksal der unsterblichen Seelen der Gerechten aufgreift, indem er den Pamphylier Êr eine Jenseitsreise unternehmen lässt (Buch 10: 614a-621d; vgl. auch Weish 1-6). Es begegnen Engel, das „himmlische Gericht“, unterschiedliche Sphären, im Himmel und in der Unterwelt, die den mehr oder weniger Gerechten, gemessen an ihrem Verhalten im irdischen Dasein, zugeschrieben werden (ähnlich äthHen 22; zur zusammenfassenden Nacherzählung des Êr-Mythos vgl. Lege, 2013, 247-256). Auch wenn Platon in diesem Mythos keine apokalyptische Gegenwelt schildert, sondern den Kreislauf von irdischer Gerechtigkeit und himmlischer Belohnung oder Bestrafung als Notwendigkeit, so kann man doch von einem auch strukturell apokalyptischen Weltbild sprechen, dessen Wirkung sich allerdings vor allem auf das Griechentum beschränkt und dessen Herkunft unbekannt ist, sieht man von eher allgemeinen Hinweisen auf die orphisch-pythagoreische Unterweltsvorstellung einmal ab.

Im antiken Griechenland kann man grundsätzlich apokalyptische Kompositionen mit Jenseitsreisen von solchen mit Endzeitprophezeiungen unterscheiden. Dabei dürften griechische Texte aus hellenistischer Zeit bereits ältere Traditionen, vor allem aus dem mesopotamischen Raum, verarbeitet haben, können also nicht für die Herkunft dieser Unterscheidung namhaft gemacht werden. Auch für die antik-jüdische Apokalyptik, insofern ihre traditionsgeschichtlichen Wurzeln zu beachten sind, können bereits im mesopotamischen Raum länger bekannte Überlieferungen und auch Einzelmotive benannt werden.

Einige Motivkonstellationen der Apokalyptik verweisen eindeutig auf mesopotamische Texte in akkadischer Sprache: Etwa die „Wächter“ der gleichnamigen Apokalypse aus äthHen 1-36 finden ihren „babylonischen Widerpart“ in mythischen Zwischenwesen, genannt „Apkallus“ (vgl. Kvanvig, 2011). Dann zeigt die Konstellation „Alter an Tagen“ und „Menschensohn“ Verbindungen zu älteren Mythen aus Mesopotamien und Ugarit. In ähnliche Zusammenhänge – des Chaoskampf-Mythos – verweist die Eingangsszene der vier aus dem Meer steigenden Tiere (Dan 7,1-8). Insbesondere die ältesten mit Henoch verbundenen Überlieferungen integrieren Motive aus der mesopotamischen Astrologie bzw. Astronomie – in der Antike noch nahezu identisch – und dem vor allem in Mesopotamien verbreiteten Kalender- und Omenwesen. So liefert etwa die babylonische Textsammlung MUL.APIN, nach dem ersten Wort „Pflugstern“ benannt und in Abschriften aus dem 7. bis 3. Jh. v. Chr. überliefert, wichtige Einsichten zu kalendarischen Fragen, die wiederum für das Verständnis des Astronomischen Buches (äthHen 72-82) von Belang sind (vgl. Albani, 1994).

Wendet man sich von den Einzelmotiven ab und eher strukturellen Auffälligkeiten zu, wie etwa Dualismen, der prophetischen Enderwartung oder den Geschichtsschemata, dann werden „Parallelen“ aus der mesopotamischen, der altägyptischen und der persischen Kultur und Religion diskutiert. Insbesondere persische Vorstellungen stehen im Verdacht, die antik-jüdische Apokalyptik stark beeinflusst zu haben. Bereits die Datierung der ältesten Apokalypsen in spät-persische bzw. früh-hellenistische Zeit liefert Anhaltpunkte. Außerdem kann ein Urzeit-Endzeit-Muster, einschließlich strukturierter Weltzeit-Epochen, als persisch-iranisches Gemeingut gelten. Wichtig sind etwa die „Orakel des Hystapes“, zum größten Teil beim Kirchenvater Laktanz (ca. 250-320 n. Chr.) in dessen Insitutiones Divinae aus dem Beginn des 4. Jh.s n. Chr. überliefert. Teilabschnitte der Orakel wird man in das 2. oder 1. Jh. v. Chr. datieren dürfen. Dabei handelt es sich um Widerstands- bzw. Propaganda-Literatur, wie sie im ägyptisch-hellenistischen Kulturraum etwa durch das „Töpferorakel“ oder die Bücher der Sibyllinen repräsentiert ist. Kosmische Umwälzungen in der Endzeit, Steigerung der Endzeitwehen oder die Trennung von Frevlern und Gerechten zeigen zahlreiche Bezüge zur jüdisch-christlichen Apokalyptik. Allerdings wird man lediglich hier und dort persisch-iranischen Einfluss, wie etwa das Weltenbrand-Motiv, in den Darstellungen des Laktanz konstatieren, ohne zuverlässig apokalyptische Traditionen iranischer, jüdischer oder christlicher Provenienz voneinander trennen zu können.

Weitere Vergleiche betreffen die Omen- oder Orakelliteratur, für die Beispiele aus Mesopotamien, Ägypten und der jüdischen Diaspora angeführt werden. Es sind im weitesten Sinne historiographische Traditionen, die einen mantisch-erzählerischen Rahmen aufweisen und nach einer Zeit der Bedrückung und des Chaos eine reich prosperierende Zukunft ansagen, nicht selten personifiziert in einem königlichen Heilsbringer. Häufig sind die Omina als vaticinia ex eventu, als Vorhersagen bereits in der Vergangenheit der Überlieferer liegender Ereignisse, formuliert. Aus Mesopotamien stammen folgende in akkadischer Sprache verfasste Kompositionen: „Text A“, „Marduk-Prophetie“, „Schulgi-Prophetie“, „Uruk-Prophetie“ sowie die „Dynastische Prophetie“ (zu Text, Übersetzung und Diskussion vgl. Neujahr, 2012, 13-73). Die Texte werden zwischen das 12. und das 4. Jh. v. Chr. datiert, der späteste Text, die „Dynastische Prophetie“, in die hellenistische Zeit.

In diesen zeitlich-ideologischen Kontext gehören auch die ägyptischen und antik-jüdischen Zeugnisse, die sämtlich aus Ägypten stammen und in das 3. und 2. Jh. v. Chr. datiert werden. Ihre Zukunftsansagen sind geprägt von Darstellungen und Überwindung des Chaos. Sie greifen auf älteres Traditionswissen zurück und strukturieren die Chaosüberwindung chronologisch nach Zeitaltern. In die genuin altägyptische Kultur gehören die → „Demotische Chronik“, das → „Lamm des Bokchoris“ und das → „Töpferorakel“.

2. Historische Quellenkunde

2.1. Die ältere Apokalyptik (4.-1. Jh. v. Chr.)

Die Forschung fand lange Zeit in den Visionen des Danielbuches die älteste jüdische Apokalypse, die in – Fortschreibungen von – Kap. 2 und in Dan 7-10 aus der Zeit der syrischen Religionskrise vor der Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels, also vor 165/64 v. Chr., stammt. Zudem werden immer wieder für Dan 2 und 7 ältere Überlieferungsstufen rekonstruiert (vgl. Albertz, 2001; Kratz, 2004). Das apokalyptische oder makkabäische Danielbuch kann recht exakt datiert werden: Die in der Geschichtsvision von Kap. 10-12 verarbeiteten historischen Angaben werden genauer, je stärker sich die Darstellung der hellenistischen Zeit nähert. Das „kleine Horn“ in Dan 7-8 (vgl. Dan 7,8; Dan 8,9) dürfte für → Antiochus IV. stehen, der 168/67 v. Chr. den Jerusalemer Tempel schändete, indem er den „Gräuel der Verwüstung bzw. des Verwüsters“ (Dan 9,27; Dan 11,31; Dan 12,11; 1Makk 1,54 [Lutherbibel: 1Makk 1,57]), wahrscheinlich ein Aufsatz auf dem Brandopferaltar, installierte. Da das Danielbuch andererseits weder die Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels noch den Tod des Seleukiden Antiochus IV. zu kennen scheint (beides: 164 v. Chr.), kann seine vorläufige Letztfassung (Kap. 1-12) vergleichsweise exakt, um 165 v. Chr., datiert werden. Bis in die gegenwärtige Diskussion gilt dieses Datum als verlässlicher historischer Fixpunkt und damit als Orientierung für ältere und jüngere Apokalypsen des Judentums.

Spätestens seit den Funden der Schriftrollen vom Toten Meer (→ Qumran: 1946/47) ist bekannt, dass sich die ältesten antik-jüdischen Apokalypsen innerhalb der in ihrer Gesamtheit nur über späte äthiopische Handschriften überlieferten Sammlung des äthiopischen Henoch finden (→ Henoch). Der Protagonist Henoch (vg. Gen 5,21-24) verknüpft in seiner Funktion als „Schreiber“ oder „Schriftgelehrter“ (äthHen 12,3-4; 14,7; 15,1; 92,1) weisheitliche und prophetische, neben mantisch-esoterischen und priesterlichen, Aufgaben (vgl. White Crawford, 2019, 77-85). Älteste aramäische Fragmente zum Wächterbuch (Kap. 1-36: 4Q201 = 4QEna ar) und zum Astronomischen Buch (Kap. 72-82: 4Q208 = 4QEnastra ar) aus Höhle 4 im Umfeld von Chirbet Qumrān (Koordinaten: N 31° 44' 28.5'', E 35° 27' 32.5'') sind wohl bereits zu Beginn des 2. Jh.s v. Chr. entstanden, so dass man die diesen Texten vorausliegenden Traditionen wohl noch für die späte Perserzeit reklamieren kann. Eine exaktere zeitliche Einordnung fällt schwer.

Das Wächterbuch erklärt durch den Fall der Wächter, die zum einen durch Schemihaza angeleitet sich Frauen unter den Menschen nehmen (äthHen 6,3.7; 9,7; 10,11; vgl. Gen 6,1-4) und zum anderen durch Aza’el himmlische Geheimnisse offenbaren (äthHen 8,1; 9,6; 10,4-8), den Einzug von Sünde, Gewalt und Blutvergießen in der Welt der Menschen. Der historische Hintergrund dieses Konzeptes könnte in den gewaltsamen Auseinandersetzungen der Nachfolger Alexanders des Großen (gest. 323 v. Chr.), der Diadochen, zu finden sein (Nickelsburg, 2001, 168-171; Gurtner, 2020, 22-34). Kommt hinzu, dass die mutmaßliche älteste Teilkomposition im Wächterbuch, äthHen 6-11, Henoch nicht einmal erwähnt.

Vielleicht noch vor der Makkabäer-Zeit könnte die älteste Form des Gigantenbuches anzusetzen sein, die in zahlreichen aramäischen Fragmenten aus Qumran überliefert ist (Stuckenbruck, 1997). Unter Verweis auf die Engel-Ehen in Gen 6,1-4, aus denen die → „Nephilim“ (vgl. Gen 6,4; Num 13,33; hebr. ‏הַנְּפִלִים) oder „Giganten“ hervorgegangen sind, greift die Komposition die Motive vom Fall der Engel, den Gewalttaten gegen die Menschheit (vgl. äthHen 6-11), von Traum, Traum-Offenbarung und Traumdeutung (vgl. Dan 7) und vom Gericht gegen die Giganten in der „Flut“ (vgl. äthHen 10,2; 89,2-6; 106,13-17) auf. Das zeitliche Verhältnis zu Dan 7 und zum Wächterbuch ist jedoch nicht eindeutig geklärt.

In der Danielapokalyptik, die auch „Pseudo-Daniel“-Texte aus Qumran (4Q243-245) umfasst, ist die insbesondere innerjüdische Auseinandersetzung um eine Annäherung an hellenistisches Denken und seine Kultur verarbeitet. Die damit verbundenen Konflikte fanden ihren vorläufigen Höhepunkt in der Tempelschändung Antiochus’ IV. und setzten sich in den Makkabäer-Aufständen fort, die immerhin 165/64 v. Chr. zur Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels führten. Apokalypsen wie Dan 2; 7-12, die Zehnwochenapokalypse (äthHen 93,1-10; 91,11-17) oder die Tierapokalypse (äthHen 85-90), die alle in das zeitliche Umfeld dieser Ereignisse gehören, haben weniger tröstende als agitierende, den Widerstand propagierende Funktion (Portier-Young, 2011). Zudem sind einzelne Abschnitte des → Jubiläenbuches, einer ursprünglich hebräischen Nacherzählung von Gen 1 bis Ex 19 (und Kap. 24) aus der ersten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr., zu beachten, die apokalyptische Motive, vor allem in Kap. 1 und 23, aufnehmen, bis hin zu den in der Apokalyptik prominenten Kalenderfragen.

Eine relative gesicherte Datierung in das ausgehende 1. Jh. v. Chr. oder beginnende 1. Jh. n. Chr. liegt für die Bilderreden in äthHen 37-71 vor, da äthHen 56,5-7 wohl auf den Parther-Einfall in Palästina (40 v. Chr.) hinweist (vgl. Gurtner, 2020, 36). Die Komposition aus drei Bilderreden (Kap. 38-44; 45-57 und 58-69, mit dem Epilog: 70-71) zeigt insbesondere in ihrer Ausgestaltung einer Himmelsreise des Henoch, der Fortschreibung der „Menschensohn“-Tradition hin zu einer messianischen Erwartung und der Gleichsetzung des „Menschensohnes“ mit dem Protagonisten Henoch im Epilog ein späteres, elaboriertes Stadium der Apokalyptik an. Insbesondere Motive aus Dan 7 werden weiterverarbeitet. Außerdem ist im Gegensatz zu den anderen Überlieferungsstücken des äthiopischen Henochbuches bislang kein hebräisches oder aramäisches Fragment der Bilderreden, etwa aus den Handschriften vom Toten Meer, bekannt. Aus der Zeit der Bilderreden stammt auch das nur noch in einem lateinischen Manuskript überlieferte Testament Moses (oder: „Assumptio [Aufnahme / Himmelfahrt] Mosis“; vgl. → Mose-Schriften, außerbiblische), das wahrscheinlich auf ältere Traditionen aus der Zeit der antiochenischen Krise (168/67-165/64 v. Chr.: vgl. AssMos 8) zurückgreift, jedoch in der vorliegenden Form erst aus dem frühen 1. Jh. n. Chr. stammen dürfte (vgl. die Anspielung auf den Varus-Feldzug, 4 v. Chr., in AssMos 6,8-9).

Weitere Texte des endenden 2. und des frühen 1. Jh.s v. Chr. bleiben in ihrer Zuordnung und exakten Datierung unsicher. Unter den Handschriften vom Toten Meer sind zwar keine Apokalypsen doch apokalyptische Vorstellungen, zumeist in Fragmenten, überliefert. Auffällig ist, dass der überwiegende Anteil jener Überlieferungen in aramäischer Sprache abgefasst wurde, und schon deshalb kaum als „gruppenspezifisch“ zu klassifizieren ist. Hierzu gehören auch die Visionen Amrams (4Q543-549) und das Testament Qahats (4Q542), die aber nur einzelne apokalyptische Motive bieten: göttlich offenbarte, zukünftige Freude, Gericht, ethischer und kosmischer Dualismus, Visionen, Wächterengel. Qahat und Amram sind Namen einer levitischen Genealogie, die von Levi zu Mose führt (Ex 6,16-20). Wie der aramäische Text des „Testaments Levis“, bezeugt in 1Q21 und 4QLevia-f sowie in mittelalterlichen Abschriften aus einer Synagoge in Kairo (Geniza-Fragmente), in Verbindung zur christlichen Version des Testaments Levis aus den Testamenten der Zwölf Patriarchen (TestXII) steht, kann nicht eindeutig beantwortet werden (zur Rekonstruktion vgl. Davila in: Bauckham / Davila / Panayotov, 2013, 121-142). Höchst unsicher ist die Datierung der Schrift des Sem, deren syrischer Text eine späte Übersetzung einer Tradition aus dem 1. Jh. v. Chr. sein könnte (so Charlesworth, 2005). Ähnliches gilt für den rekonstruierten Text des Ezechiel-Apokryphons, dessen literarischer Befund bereits umstritten ist.

2.2. Die jüngere Apokalyptik (1. Jh. v. Chr.-2. Jh. n. Chr.)

Nach der Zeitenwende ist mit dem Aufkommen frühchristlicher Einflüsse auf die Apokalyptik eine grundsätzliche Problematik markiert: die trennscharfe Unterscheidung jüdischer und christlicher Vorstellungen. Etwa die wohl in der ägyptischen Diaspora beheimatete Zefanja-Apokalypse, im Wesentlichen in zwei koptischen Rezensionen überliefert, spricht davon, dass der Visionär durch den „Geist“ in den fünften Himmel entrückt wurde. Die Unterscheidung unterschiedlicher Himmelssphären, insbesondere die Vorstellung von sieben Himmeln (vgl. vor allem slHen), ist nicht vor dem 1. Jh. n. Chr. bezeugt. Außerdem beschreibt die kürzere sahidische Version der Zefania-Apokalypse ausführlich visionäre Unterweltsvorstellungen, einschließlich der Bestrafung von Sündern, was ähnliche Motive aus den christlichen Apokalypsen des Petrus und Paulus erinnert. Darüber hinaus finden sich in dieser Apokalypse keine eindeutig frühchristlichen Vorstellungen.

Zwei Namensgeber, die Schreiber Esra und Baruch, werden gleich mit mehreren Apokalypsen und apokalyptischen Schriften aus frühchristlicher Zeit verknüpft. Dabei handelt es sich um Quellen, deren jüdischer Kern zumindest christlich überarbeitet wurde. Besonders prominent sind die Apokalypsen des 4. Esra und des syrischen Baruch. Beide Texte besitzen zahlreiche Gemeinsamkeiten bis hin zu wörtlichen Entsprechungen. Dennoch geht die aktuelle Forschung nicht davon aus, dass eine literarische Abhängigkeit zwischen 4Esr und syrBar besteht. Vielmehr dürften beide Apokalypsen aus gemeinsamen Traditionen geschöpft haben. Für 4Esr ist neben einer syrischen vor allem die lateinische Version, für syrBar die syrische Textform maßgeblich. Die Übersetzungen von 4Esr und syrBar gehen nicht auf den verloren gegangenen, wohl aramäischen oder hebräischen, Originaltext, sondern eine in beiden Fällen nur noch sehr fragmentarisch vorhandene, griechische Version der Überlieferung zurück. Da 4Esr und syrBar den ersten jüdischen Krieg und die Zerstörung des Zweiten Tempels reflektieren (vgl. 4Esr 9,26-10,59; syrBar 32,2-4), aber keinerlei Hinweise auf den zweiten jüdischen Krieg (Bar Kochba: 132-135 n. Chr.) bieten, liegt ihre Entstehungszeit im ausgehenden 1. bzw. beginnenden 2. Jh. n. Chr. Insbesondere 4Esr 11-12, die „Adlervision“, dürfte auf die Römer verweisen. Die „zehn Flügel“ des Adlers könnten die römischen Kaiser, von Cäsar bis Domitian, und die „drei Köpfe“ die flavischen Herrscher Vespasian, Titus und Domitian (bis 96 n. Chr.) symbolisieren (4Esr 11,1; vgl. Stone, 1990).

In diese Epoche gehört auch die in Teilen midraschartige Apokalypse Abrahams (→ Abraham 4.1.6.), deren nur noch in alt-kirchenslawischer Sprache erhaltener Text die Zerstörung des Zweiten Tempels immer wieder in den Mittelpunkt der Darstellung rückt. Der vom Götzendienst konvertierte Abraham (ApcAbr 1-8) begibt sich auf eine Himmelsreise (ApcAbr 9-32) und „sieht“ dort das zukünftige Schicksal der Welt.

Auch das Diaspora-Judentum dieser Zeit formte und tradierte Apokalypsen und apokalyptische Vorstellungen. Die ausführlichste, wohl in der ägyptischen Diaspora entstandene Apokalypse ist der slawische Henoch (slHen). Die in zwei alt-kirchenslawischen Rezensionen überlieferte Komposition setzt bereits das äthiopische Henochbuch voraus und bezeugt verwandte Motive aus anderen, späten Apokalypsen. Ursprünglich dürfte slHen in griechischer Sprache verfasst worden sein, während erst 2009 benannte, jedoch bisher nicht auffindbare und nur durch Fotos und Transkriptionen bekannte, koptische Fragmente zu Kap. 36-42 (so Joost Hagen, Leiden) hinsichtlich ihrer Echtheit und Zugehörigkeit zum slHen eher skeptisch beurteilt werden (Böttrich, 2013). Immerhin würden sie ex post den Entstehungsort Ägypten für den slHen stützen. Die vor allem im dritten Abschnitt (slHen 69-73) betonte Opfertätigkeit scheint den noch bestehenden Tempelkult in Jerusalem vorauszusetzen, was einige Interpreten zu einer Datierung noch vor 70 n. Chr. bewogen hat. Trifft dies zu, dann läge im slHen eine der wenigen Apokalypsen vor, die sich nicht ausdrücklich auf eine – noch benennbare – Krisensituation bezieht.

Im Testament Abrahams (→ Abraham 4.1.7.) wird der Erzvater und Protagonist mit seinem Tod konfrontiert, den er jedoch nicht akzeptiert, woraufhin er auf eine kosmische Reise geschickt wird. Die in den beiden griechischen Textrezensionen belegten Vorstellungen eines Jenseitsgerichtes und des personifizierten Todes verweisen auf Ägypten als Entstehungsort. Die zeitliche Einordnung eines, allerdings nur noch aus den Rezensionen rekonstruierbaren Urtextes im frühen 2. Jh. n. Chr. orientiert sich an den jüdischen Diaspora-Aufständen unter dem römischen Kaiser Trajan (115-117 n. Chr.), da sie im Testament Abrahams offenbar keinen Niederschlag gefunden haben. Zudem weist die im Testament Abrahams betonte Gerichtsvorstellung in ihrer gegenüber der alttestamentlichen Prophetie deutlichen Brechung den Weg hinein in die dem Judentum und Christentum gemeinsame Motivik vom endzeitlichen Gericht (vgl. Beyerle, 2010).

Jüdische und christliche Vorstellungen überschneiden sich auch in der griechischen Baruch-Apokalypse (vgl. grBar 4; 11-15). Das Proömium in grBar Pr. 1-2 verdeutlicht mit dem Wehklagen Baruchs über die Gefangenschaft Jerusalems, dass die Zerstörung des Zweiten Tempels bereits zurückliegt. Neben einer griechischen existiert eine, allerdings abweichende und kürzere, slawische Version. Wenn die Ursprache Griechisch war und man darüber hinaus die inhaltlichen Überschneidungen mit dem slawischen Henochbuch und dem Testament Abrahams berücksichtigt, dann liegt auch für die griechische Baruch-Apokalypse eine Entstehung in Ägypten nahe. Zudem scheint die Kombination aus Motiven zum „Weinstock Israel“ (grBar 1,2) und zu seiner Nutzlosigkeit (4,8-10) implizite Kritik der jüdischen Diaspora an Jerusalem auszudrücken. Insgesamt bleibt die genaue Datierung höchst umstritten: 2.-4. Jh. n. Chr.

Begreift man auch für die Spätzeit Apokalypsen als Krisen- oder Krisenbewältigungsliteratur, dann sind insgesamt mehrere aus jüdischer Sicht einschneidende Krisen im 1. und 2. Jh. n. Chr. zu verzeichnen. Die Zerstörung des Zweiten Tempels (70 n. Chr.) findet dabei in den späten Apokalypsen einen starken Reflex. Demgegenüber spielen die Diaspora-Aufstände unter dem römischen Kaiser Trajan (115-117 n. Chr.) und der Bar Kochba-Aufstand unter Kaiser Hadrian (132-135 n. Chr.) nur am Rande eine Rolle. Man sollte daher eine allzu schematische Orientierung an herausragenden Krisen bei der historischen Auswertung der Apokalyptik vermeiden.

3. Religiöse Überzeugungen der Apokalyptik

In den Religionsgeschichten und theologischen Abhandlungen spielte die antik-jüdische Apokalyptik lange eine eher untergeordnete Rolle. Sie galt häufig als Randphänomen. Erst mit einer Streitschrift von Klaus Koch (1970) haben sich auch im deutschsprachigen Raum die Gewichte in der neueren Forschung zugunsten der Apokalyptik verlagert. Insgesamt unterliegt das religiöse Weltbild der Apokalyptik starken Wandlungen, zumal zwischen den ältesten und jüngeren Quellen gut 500 oder 600 Jahre liegen (s.o., 2.). Um nur zwei wichtige Vorstellungen aufzugreifen: Die Erwartung einer endzeitlichen Erlösergestalt (Messianismus) spielt in der älteren Apokalyptik fast keine Rolle, während späte Texte wie äthHen 37-71, 4Esr oder syrBar hier einen deutlichen Akzent setzen. Ähnliches lässt sich zur Thematik „Neuschöpfung“ festhalten, die als ewige und in leuchtender Macht begegnende Erscheinung eines „neuen Himmels“ in der älteren Apokalyptik lediglich in der Zehnwochenapokalypse bezeugt ist (äthHen 91,16; vgl. 72,1; Jub 1,29), dann aber verstärkt in den späten Texten, etwa im syrBar und 4Esr (vgl. syrBar 32,6; 4Esr 7,75), wiederkehrt.

3.1. Die Offenbarung endzeitlicher Geheimnisse

Wichtig bei dieser Konstellation ist, dass der Geheimnischarakter der Offenbarung, auch in der „Deutung“, gewahrt bleibt: Etwa die Deutungen der Vision in Dan 7,15-28 erläutern nur teilweise die Metaphern und Bilder des von Daniel Geschauten (Dan 7,2-14), wenn sich in Dan 7,19-28 die Interpretation ganz auf das „vierte Tier“ konzentriert. Stärker inhaltlich verdeutlicht Dan 2,20-23, woran „Offenbarung und Geheimnis“ geknüpft werden, nämlich an die Verleihung von eschatologischer Kenntnis und Weisheit durch Gott. Noch unmissverständlicher redet Dan 2,28 vom „Gott im Himmel, der Geheimnisse offenbart“. Das persische Lehnwort für „Geheimnis“ (‏רָז rāz) kommt nur im aramäischen Danielbuch des Alten Testaments vor (Dan 2,18-19.27-30.47; Dan 4,9).

Dagegen steht רז rāz in den Texten vom Toten Meer (→ Qumran), zumeist in endzeitlichen Zusammenhängen, weit über einhundertmal. Etwa in der den Endzeitkampf der „Söhne des Lichts“ gegen die „Söhne der Finsternis“ beschreibenden Kriegsrolle (1QM), dem Kommentar zum Habakukbuch oder in der Weisheitsschrift 4QInstruction, die umfänglich apokalyptisches Gedankengut aufgenommen hat, findet sich רז rāz auch im Hebräischen: 4QInstruction spricht mehrmals vom „Geheimnis des Werdenden“. Das Partizip Nif‘al von hebr. ‏היה hājāh ist als futurum instans aufzufassen. D.h. bei Gott ist bereits festgelegt, was in Zukunft geschehen wird.

Dem sich in der rechtmäßigen Offenbarung artikulierenden Verhältnis von Gott bzw. seiner himmlischen Sphäre und der irdischen Welt dient die Unrecht und Verderben signalisierende Aufdeckung von Geheimnissen als Gegenbild. Etwa im Wächterbuch wird dieses Gegenbild beschrieben, wenn Aza’el den Menschen Geheimwissen offenbart, das zu Gottlosigkeit und Verwüstung führt (äthHen 8,1-4). Ist es doch allein Henoch, der in Visionen und kosmischen Reisen sogar den himmlischen Thron (äthHen 14) oder die Kammern der Toten sieht (äthHen 22), also in legitimer Weise an der Offenbarung partizipiert. Kompositorisch betont dies auch der wohl später hinzugesetzte Vorspann des Wächterbuches in äthHen 1-5, wonach in geradezu legitimatorischem Bezug auf die Sinaioffenbarung (Ex 24) die rechtmäßige göttliche Offenbarung mit dem endzeitlichen Gericht folgt (äthHen 1,2-9). Hierdurch wird Gottes zukünftiger Plan mit Henoch, den Wächtern und der Welt, wie er sich im gesamten Wächterbuch abbildet, gleichsam vorweggenommen (äthHen 1 als „proleptische Periphrase“: Beyerle, 2005). Damit verweist die Motivkonstellation von „Geheimnis und Offenbarung“ auf ein wichtiges Kennzeichen der Apokalyptik, den feststehenden Plan Gottes oder die Determination (vgl. Bartelmus, 2011).

3.2. Geschichtsauffassungen

Ähnlich wie das „Geheimnis“ mit der Offenbarung ist in apokalyptischen Texten die Geschichtskonzeption mit der Idee der Festlegung eines Ablaufplans der Zukunft, eben der Determination, verbunden. Die Verknüpfung von Geschichte (→ Geschichte / Geschichtsschreibung) und Determination begegnet in allen Apokalypsen, die sich durch eine Periodisierung der Geschichte auszeichnen: Dan 2; 7-12; Tierapokalypse (äthHen 85-90); Zehnwochenapokalypse (äthHen 93,1-10; 91,11-17); Jub 23; 4Esr oder syrBar. Darüber hinaus sind auch Überlieferungen mit apokalyptischen Motiven und Konzeptionen betroffen wie die Sibyllinenorakel (Sib 3) und die Assumptio Mosis. Die Einteilung der Geschichtsepochen vollziehen die Texte zumeist in metaphorischen Wendungen wie dem Bild einer Statue, der Tier-Metaphorik (Tierapokalypse) oder der Zeiteinheit „Jahrwochen“ (Dan 9 und Zehnwochenapokalypse).

In der Danielapokalypse dient die im Traumgesicht erschienene Statue in Dan 2 als Symbol für die Abfolge von vier Königreichen: Babylonier, Meder, Perser, Griechen (vgl. Dan 7). In der Tierapokalypse beschreibt die Tier-Metaphorik die Epochen der Geschichte Israels. In der Komposition der Tierapokalypse wird auf die Determination insbesondere durch zwei unterschiedliche Motive angespielt: Zum einen werden beim Endgericht in einer Thronratszene vor Gott die himmlischen Bücher geöffnet, die Strafengel ihrerseits bestraft (vgl. das Wächterbuch) und das Gericht an den „blinden Schafen“ (Sündern) vollzogen. Dies suggeriert, dass im Himmel bereits über das Schicksal der Gerichteten entschieden war. Zum anderen assoziiert die strenge Periodisierung der Geschichte einen festen Ablauf der Ereignisse bis zum endzeitlichen Gericht.

Die Verknüpfung der Idee der Determination, also der Festlegung von Ereignissen, mit der Periodisierung von Geschichtsepochen zielt auf ein Ende, das zwar irdische Drangsale, Ungerechtigkeit und Chaos überwindet, versteht dieses Ende jedoch nicht notwendig als Zeitpunkt. Außerdem zeigen die apokalyptischen Überlieferungen ganz unterschiedliche Periodisierungsschemata: Es überwiegen Siebener-Strukturen (Heptaden: vgl. Berner, 2006), die aber auch variiert werden können oder abweichenden Zählungen folgen, etwa einem Vierer-Schema in der Tier- (äthHen 89,68-90,12) und Danielapokalypse (Dan 2; 7). In der „Adler-Vision“ in 4Esr 11-12 ist ebenfalls die Rede von vier Tieren, wobei der Schwerpunkt der Darstellung auf dem Adler als viertem Tier ruht. Somit hat die Vision insbesondere die Gegenwart der Überlieferung (4Esr 11,36-46; 12,11) im Blick, also die Zeit kurz nach dem Tod des flavischen Kaisers Domitian (96 n. Chr.). Die der Esra-Apokalypse zeitgenössische syrische Baruchapokalypse stellt außerdem das Vierer-Schema (syrBar 39-40) neben die periodische Nacherzählung der biblischen Geschichte, von Adam bis zum messianischen Zeitalter (syrBar 56-74: vgl. Hogan, 2009; Henze, 2011). In den Geschichtsrückblicken der Apokalypsen sind Gottes und des Menschen Geschichte eng miteinander verwoben, was bedingt, dass die auf den kommenden Äon zielenden und zur apokalyptischen Krisenbewältigung dienenden „Historien“ nahezu ununterscheidbar Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft beleuchten.

3.3. Weltzeitalter und Dualismus

Sowohl die Vorstellung von Weltzeitaltern oder Äonen als auch das, wenngleich in seiner Herkunft nicht geklärte, dualistische Denken werden als komplementäre Merkmale einer apokalyptischen Weltauffassung angesehen. Zwar kann die Sache bereits in älteren Apokalypsen beobachtet werden, terminologisch (vgl. „Äon“, „Kosmos“) bleibt der Befund auf wenige, späte Texte beschränkt. Das für die Apokalyptik also nur eingeschränkt prominente Strukturmoment des „Äonendualismus“ besteht in der strikten räumlichen und zeitlichen Trennung zweier Sphären: einer dem Bösen verfallenen und deshalb dem Untergang geweihten, irdischen, die Gegenwart bestimmenden sowie einer heilvoll auf Hoffnung orientierten, den Gerechten vorbehaltenen und auf Ewigkeit hin konzipierten, jenseitigen, die Zukunft bestimmenden Sphäre. Zeitlich ist jene Trennung durch ein Geschichtsschema gewährleistet, das die zukünftige „Welt“ durch Neuinterpretationen bereits bekannter Epochenzeitalter in eine unerreichbare Ferne rückt: etwa wenn der Daniel-Midrasch zu den 70 Jahren aus Jer 25,11-12; Jer 29,10 in Dan 9,24-27 jene ursprünglich als Frist zur Befreiung aus dem babylonischen Exil verstandene Angabe als „70 Jahrwochen“, was 490 (7 mal 70) Jahren entspricht, neu interpretiert. Auch auf räumlicher Ebene kommt eine Hermeneutik der Fortschreibung und Schriftinterpretation zum Tragen, die z.B. spät-prophetische Motive wie die „Neuschöpfung“ (vgl. Jes 43,19; Jes 65,17; Jes 66,22) auf eine strikte Trennung von Himmel und Erde hin auslegt (vgl. äthHen 72,1; 91,16; syrBar 32,6; 4Esr 7,75). Daneben werden auch Tempelkonzepte bemüht, um die bereits in den architektonischen Grundstrukturen vieler Heiligtümer der Levante und des Vorderen Orients greifbare, räumlich gestufte Abgrenzung zur Unterscheidung von irdischer und himmlischer Sphäre zu nutzen (vgl. äthHen 14; Beyerle, 2017).

Dualistisches Denken kann sowohl die kosmische als auch die anthropologische oder psychologische Perspektive betreffen. So stehen „Licht und Dunkelheit“ (vgl. 1QM) neben dem „guten und bösen Trieb“ (vgl. 4Esr). Darüber hinaus lassen sich weitere Dimensionen dualistischen Denkens benennen: metaphysisch, räumlich, eschatologisch, ethisch, soteriologisch, theologisch oder physisch (vgl. Frey, 1997). Wichtig ist die Einsicht, dass Dualismen keineswegs per se Kriterien apokalyptischer Weltsicht darstellen, begegnen sie etwa auch in der Weisheit (vgl. 1QS 3,13-4,26; 4QInstruction: vgl. Beyerle, 2014). Allerdings sind bestimmte Formen dualistischer Weltauffassung besonders „Apokalypse-affin“ zu nennen, wie etwa der kosmische oder der eschatologische Dualismus.

3.4. Angelologie und Messianismus

Zur Apokalyptik gehören Engelwesen und – mit Einschränkung – auch messianische Gestalten. Als Zwischenwesen werden sie dem einen Gott untergeordnet, wenngleich manche Quellen Spuren eines den jüdischen Monotheismus aufweichenden Dytheismus zeigen (vgl. Schäfer, 2017). Besonders auffällig ist der Befund zum Messianismus: So verzeichnet die hellenistische Epoche (zwischen dem 3. und 1. Jh. v. Chr.) ein starkes Zurücktreten messianischer Figuren in der jüdischen Apokalyptik. In den genrespezifischen Apokalypsen kann man gar ein völliges Fehlen eschatologischer Heilsbringer diagnostizieren (vgl. Collins, 2010, 37-41). Die Gründe hierfür liegen weitgehend im Dunkeln. Vielleicht drückt sich in diesem Befund eine subtile Kritik am hellenistischen Herrscherkult aus. Allerdings wird man stets Unwägbarkeiten der bei außerkanonischen Quellen vorherrschenden Zufallsbefunde berücksichtigen müssen. Eine der wenigen Ausnahmen für die Messias-Erwartung in jüdischen Apokalypsen der hellenistischen Zeit könnte die allegorische Erwartung eines „weißen Bullen“ in der Tierapokalypse (äthHen 90,37-38) sein. Allerdings sind sowohl die literarische Integrität der Verse als auch die Deutung und Philologie der Allegorie in der Literatur umstritten.

Traditionsgeschichtlich ist der Messianismus der persischen und hellenistisch-römischen Zeit vor allem in den Königsideologien der israelitischen Literatur verankert, die sich vor allem altägyptischen Einflussnahmen verdanken (vgl. Ps 2; 2Sam 7; aber auch: Jes 9; Jes 11; Sach 9,9-19 sowie Sach 1-6).

Auch die Engelvorstellung geht auf ältere Traditionen zurück, findet jedoch erst unter persisch-hellenistischem Einfluss eine Ausgestaltung im Sinne einer Funktionalisierung, etwa als Offenbarungsmittler (vgl. Uriel im „Astronomischen Buch“: äthHen 72,1; 74,2; 75,3; 78,10; 79,6), und Hierarchisierung (vgl. Michael, der „große Prinz“ in Dan 12,1; vgl. Dan 10,20-21; Dan 11,5). Auch dem Engel → Gabriel wird man eine herausgehobene Sonderrolle zuerkennen können, insofern er mit dem → „Menschensohn“ in Dan 7 zu identifizieren ist. Da der aramäische Ausdruck כְּבַר אֱנָשׁ kəvar ’änāš in Dan 7 wörtlich mit „wie ein einzelner Mensch“ wiederzugeben ist und in der „Ziegenbockvision“ (Dan 8,15-16) der Engel Gabriel vorgestellt wird als einer, dessen „Aussehen wie das eines Mannes“ war, zugleich aber die kollektive Lesart des „Menschensohnes“ als „Israel“ textlich, semantisch und grammatisch in Dan 7 kaum plausibel ist, spricht vieles für jene individuell-angelologische Interpretation (vgl. Beyerle, 2005a).

Offensichtlich laufen im Traditionsgefüge „Menschensohn“ angelologische und messianologische Vorstellungen zusammen. Einerseits ist der „Menschensohn“ in der danielischen Apokalyptik Protagonist einer Thronvision, wenn er „mit den Wolken des Himmels“ zum „Alten an Tagen“ kommt (Dan 7,13), dessen Thron – wie auch der Thron des „Menschensohnes“ selbst? – von „Tausendmal Tausend“, also Engelsgestalten, umgeben ist, die ihm dienen (Dan 7,9-10). Andererseits kennen die Bilderreden (äthHen 37-71) in späteren Fortschreibungen der Daniel-Apokalyptik den „Menschensohn“ als messianische Figur (vgl. auch 4Esr 13), der auf dem „Thron seiner Herrlichkeit“ (äthHen 62,5) Herrschaft und Gericht vollzieht und als präexistenter Erlöser (äthHen 48,2-6) Geheimnisse offenbart (vgl. äthHen 46; 62). Dann begegnet in 4Q246 die Vorstellung einer Epoche großer Bedrängnis, deren Ende mit einer Gestalt erwartet wird, der „alle dienen“ (4Q246 I,8; vgl. Dan 7,10). Wie im Danielbuch folgt auch in 4Q246 auf eine Phase der Drangsal das Aufrichten einer ewigen Königsherrschaft. Wie in Dan 7 ist eine Sohnesgestalt in das eschatologische Geschehen einbezogen. In beiden Überlieferungen wird die Parallelsetzung von Individuum, „Gottes-“ und „Menschensohn“, und Kollektiv, „Gottesvolk“ und „Volk der höchsten Heiligen“, betont. Beide erscheinen als mit der endzeitlichen Königsherrschaft verbunden (vgl. Dan 7,27 und 4Q246 II,5, vgl. Z. 9).

Insgesamt besitzt die Apokalyptik offensichtlich eine unterschiedlich große Nähe zu den Motiven „Engel“ und „Messias“. Während die Zwischenwesen, vom angelus interpres bis zu den Wächtern, nicht zuletzt durch ihre auch definitorisch verankerte Funktion der Offenbarungsmittlerschaft, zum Kern-Inventar apokalyptischer Texte gehören, beschränkt sich die Verarbeitung „messianischer“ Motive im Wesentlichen auf jene Apokalyptik, die nach der Zeitenwende verfasst wurde.

3.5. Pseudepigraphie

Für die Pseudepigraphie gilt, dass sie kein notwendiges Kriterium für die Gattung Apokalypse darstellt. Etwa die Johannesapokalypse im Neuen Testament wird auf einen realen Autor, Johannes von Patmos, zurückgeführt (Apk 1,4.9; Apk 22,8). Mit Pseudepigraphie bezeichnet die Forschung ein in der gesamten Antike verbreitetes Phänomen, wonach sich Schriften mit einem aus der Vergangenheit mehr oder weniger bekannten Namen schmücken, um damit folgende Funktionen zu erfüllen: eine Legitimierung bzw. Autorisierung der Überlieferung, die Aufwertung der Überlieferungsinhalte durch das vermeintlich hohe Alter des pseudepigraphen Überlieferungsträgers, die Konstruktion von vaticinia ex eventu, also die Einkleidung eines bereits vollzogenen Ereignisses der Vergangenheit in eine Zukunftsansage, und schließlich die Etablierung einer elitären Gruppe, etwa die „ewige Pflanzung der Gerechtigkeit“ in der Zehnwochenapokalypse (äthHen 93,10; vgl. 10,16). Neben den prominenten Gestalten → Abraham, → Moses und → Henoch begegnen auch → Esra, → Baruch oder → Levi als Pseudonyme von Überlieferungsträgern. Pseudepigraphie und Historiographie bilden nun Schnittmengen in der antik-jüdischen Apokalyptik, indem beide Phänomene legitimierende bzw. autorisierende Funktionen übernehmen. Historiographisch kommt den Geschichtsereignissen von „Sintflut“, „Exodus“ und „Exil“ paradigmatische Bedeutung zu. Die jeweilige Zeitverortung der Apokalyptiker wird, analog zu den drei genannten „Geschichtsereignissen“, im Sinne der Krisen- oder Achsenzeit verstanden. Die damit verbundenen Brüche in der Geschichte Israels werden schließlich durch die pseudonymen Autoritäten überbrückt, ja überwunden. Wie das Testament Abrahams, eine Komposition mit apokalyptischer Weltsicht, zeigt, bedienen Pseudepigraphen ein breites Spektrum an Gattungen, von der „Satire“ bis zum „Drama“ (vgl. Hogan, 2009). Daniel steht für die Zeit vom babylonischen Exil bis in die Endzeit und nimmt Züge eines mantischen Weisen an (vgl. Dan 9; 12). Ähnliches wäre über Baruch festzuhalten, während Henoch die Zeit der Sintflut überbrückt. Pseudepigraphie und Historiographie, im Sinne einer Deutung der eigenen Heils- bzw. Unheilsgeschichte, sind also in der Apokalyptik eng aufeinander bezogen.

4. Apokalyptik in den Schriftrollen vom Toten Meer

Die Handschriften vom Toten Meer (→ Qumran) verteilen sich auf mehrere Fundorte entlang der Westküste des Toten Meeres bzw. ihrer Umgebung (etwa Wādī Murabba‘āt [Koordinaten: N 31° 35' 18'', E 35° 22' 22''] und Naḥal Ḥever [Koordinaten: N 31° 24' 59'', E 35° 21' 32'']). Unter den seit dem Winter 1946/47 gefundenen, größtenteils höchst fragmentarischen, gut eintausend Texten stammen die meisten aus den elf bzw. zwölf Höhlen in der Nachbarschaft der antiken Ortslage Chirbet Qumrān (Koordinaten: N 31° 44' 28.5'', E 35° 27' 32.5''). Unter den Handschriften finden sich sowohl Apokalpysen als auch Texte mit apokalyptischer Weltanschauung. Während es sich bei Ersteren um älteste Zeugen bereits anderwärts bekannter „biblischer“ oder pseudepigrapher Schriften handelt (etwa zu Dan oder äthHen), die zumeist in aramäischer Sprache abgefasst sind, bieten auch jene Handschriften vom Toten Meer, die aufgrund sprachlicher Kriterien als „gruppenspezifisch“ charakterisiert werden, Denkfiguren und Motive einer apokalyptischen Weltsicht, zumeist in hebräischer Sprache. Grundsätzlich darf man sich bei den zumeist aus dem Forscherkontext stammenden Bezeichnungen mancher Kompositionen nicht irreführen lassen. Namen oder Markierungen wie „Aramaic Apocalypse“ (4Q246; 4Q489; 6Q14) oder „Messianic Apocalypse“ (4Q521) spiegeln Einschätzungen der Bearbeiter dieser Texte wider und liefern keine Orientierung für den konkreten Bestand an Apokalypsen in den Handschriften vom Toten Meer.

4.1. Die Apokalypsen unter den Schriftrollen vom Toten Meer

Als literarische Apokalypsen lassen sich die Fragmente zum Astronomischen Buch (4QEnastra-d ar [= 4Q208-211]; vgl. äthHen 72-82), zum Wächterbuch (4QEna-e ar [= 4Q201-202; 4Q204 1 i-xiii; 4Q205 1 xi-xii; 4Q206 1 xx-xxii u. xxvi-xxviii]; vgl. äthHen 1-36) und das Sammelwerk vom „Neuen Jerusalem“ (1Q32; 2Q24; 4Q554; 4Q554a; 4Q555; 5Q15; 11Q18) identifizieren. Der „historische“ Typus kann nochmals in solche Apokalypsen, die symbolisch „verschlüsselt“ begegnen, und solche, die keine Symbolsprache ausweisen, unterteilt werden. Bei Ersteren können neben den aramäischen Fragmenten aus dem Traumbuch, einschließlich der Tierapokalypse, in äthHen 83-90 (vgl. 4QEnc-g ar [= 4Q204 4; 4Q205 2 i-iii; 4Q206 4 i-iii; 4Q207 4; 4Q212 1 i 1 - ii 21]) und dem „Aramäischen Danielapokryphon“ oder „Son of God“-Text („Aramaic Apocalypse“ [= 4Q246]) die beiden Abschriften von den „Vier Königreichen“ (4Q552-553; 4Q553a) berücksichtigt werden. Den letzteren, nicht-symbolischen Texten können Fragmente des „Jeremia Apokryphons“ (4QapocrJer A [= 4Q383]; 4Qpap apocrJer B? [= 4Q384]; 4QapocrJer Ca-f [= 4Q385a; 4Q387; 4Q388a; 4Q389-390; 4Q387a]), dann die „Pseudo-Daniel-Texte“ (4QpsDana-b ar [= 4Q243-244]; 4QpsDanc ar [= 4Q245]) sowie die „Worte Michaels“ (4QWords of Michael ar [= 4Q529]; 6QpapUnclassified Fragments ar [Words of Michael?; 6Q23]) zugeordnet werden. Darüber hinaus sind weitere Texttypen zu verzeichnen, nämlich Offenbarungstexte, die zu einer näheren Klassifizierung zu fragmentarisch sind (wie etwa 4Q489), und eine ganze Reihe „eschatologischer“ Kompositionen, worunter die Kriegsrolle (1QM), die „Gemeinschaftsregel“ (1QSa) oder auch die „Messianische Apokalypse“ (4Q521) rechnen. An dieser Auflistung fällt auf, dass, bis auf die nur „apokalyptisch“ zu nennenden Texte 1QM und 1QSa, keine der Apokalypsen gruppenspezifischer Herkunft ist (vgl. → Qumran-Handschriften). Gruppenzugehörigkeit kann insbesondere bei jenen Quellen wahrscheinlich gemacht werden, die als „apokalyptisch“ oder im Sinne „apokalyptischer Eschatologie“ zu charakterisieren sind.

4.2. Das Offenbarungsmotiv in den Schriftrollen

Die sogenannte apokalyptische Eschatologie subsumiert unterschiedliche hermeneutische Muster: Sie kann räumlich oder zeitlich orientiert sein, sie begegnet als Zukunfts-, und auch als reale Verwirklichung von Hoffnung. Alle diese Muster finden ihren Kulminationspunkt in der „Offenbarung“. So vermittelt jene „Offenbarung“ Wissen, das eine jenseitige Realität erschließt, wobei ihre Jenseitigkeit sowohl zeitlich als auch räumlich bestimmt sein kann (s. Abschnitt 1: zur Definition von Apokalypse). Bei aller Vorsicht, zu der eine Orientierung an Begrifflichkeiten grundsätzlich gemahnt, wird man nicht leugnen können, dass Apokalypsen und Apokalyptik gleichermaßen eng mit dem Offenbarungsmotiv verknüpft sind. Geht man nichtsdestoweniger zunächst von der terminologischen Basis aus, also vor allem dem hebräisch-aramäischen Wortstamm für „offenbaren“ (glh / glj), dann lässt sich an den Handschiften vom Toten Meer zeigen, dass die apokalyptische Eschatologie oder Weltsicht mit gruppenspezifischen Anschauungen verbunden erscheint. Etwa die „Gemeinderegel“ (1QS) bezeugt ein vergleichsweise rigides Glaubenssystem, das sich aus einem Selbstverständnis der Gemeinde als „Tempel“ oder „Heiligtum“ speist (vgl. 1QS 6,1-6; 8,4-8). Zu diesem Selbstverständnis gehört die Forderung nach strikter Einhaltung der Reinheitsgebote (1QS 2,26-3,6) sowie eine dualistische Wirklichkeitsauffassung (1QS 3,13-4,26; vgl. auch 1QM). In der „Kriegsrolle“ werden die „Erwählten“ auf die endzeitliche Schlacht vorbereitet und als „Hörende auf (die) ehrbare Stimme und Schauende heiliger Engel, Offenbahrungsempfänger (hebr. glh) mit (dem) Ohr und Hörende tiefster Angelegenheiten“ bezeichnet (1QM 10,8-11). Der Abschnitt verbindet die Macht des unvergleichlichen Gottes Israels mit der Erwählung „Israels“. Das Volk ist auf die eschatologische Schlacht vorbereitet, da es die Stimme hört und die Offenbarung vernimmt, und zwar im Angesicht heiliger Engel. Offensichtlich werden in 1QM 10, quasi im Offenbarungsmodus, zeitliche und räumliche Endzeiterwartungen miteinander kombiniert.

In einem Kommentartext (Pescher) zum Buch Habakuk wird außerdem die unmittelbar bevorstehende Endzeiterwartung mit der Tora-Observanz verknüpft (1QpHab 7,10-12; vgl. 8,1-3). Eine ähnliche Kombination aus Tora und Eschatologie weist die Hymnenrolle (1QHa) aus, die ebenfalls gruppenspezifische Sprachmerkmale bezeugt.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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