Deutsche Bibelgesellschaft

Deuteronomismus

(erstellt: Juli 2013)

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1. Zur Terminologie: deuteronomisch (dtn.) – deuteronomistisch (dtr.) – post-deuteronomistisch (post-dtr.)

In der deutschsprachigen Forschung wird oft zwischen „deuteronomisch“ (dtn.) und „deuteronomistisch“ (dtr.) unterschieden. Als „deuteronomisch“ (dtn.) bezeichnet man Texte, die zu vorexilischen Redaktionsschichten des → Deuteronomiums gehören oder deren sprachliche und gedankliche Eigenart aufweisen, als „deuteronomistisch“ (dtr.) dagegen Texte, die zu Redaktionsschichten des deuteronomistischen Geschichtswerkes gehören oder deren sprachliche und gedankliche Eigenart aufweisen und sich z.B. auch im Deuteronomium und in manchen Prophetenbüchern (insbesondere im → Jeremiabuch) finden. Im Gegensatz zum Ausdruck „dtr.“ ist die Bezeichnung „dtn.“ also auf das vorexilische Deuteronomium begrenzt. International hat sich diese Unterscheidung jedoch nicht durchgesetzt.

Der Begriff post-deuteronomistisch (post-dtr.) wird in der Regel für nachexilische Texte gebraucht, jedoch sehr unterschiedlich. Er kann zum einen Texte bezeichnen, die sekundär in einen dtr. Kontext eingefügt worden sind, ohne dass sie selbst dtr. sein müssen, zum anderen Texte, welche neben dtr. Eigenarten auch eine andere Prägung aufweisen, z.B. priesterschriftlichen Einfluss. Man sollte nur dann von „nach-dtr.“ Sprechen, wenn es sich um Textabschnitte handelt, die zwar in einen dtr. Kontext eingefügt wurden, aber nicht mehr zu der (letzten) dtr. Redaktion eines Buches oder Textzusammenhangs gehören.

2. Merkmale des Deuteronomismus

Als typisch dtr. gelten gewisse theologische Vorstellungen, insbesondere eine bestimmte Geschichtskonzeption, und geprägte sprachliche Wendungen. Beide bilden die Kriterien, die nötig sind, um einen Text als dtr. zu bezeichnen. Je nachdem, wie weit bzw. eng man diese Kriterien definiert, werden mehr bzw. weniger Texte als dtr. charakterisiert.

2.1. Charakteristika dtr. Theologie. Theologisch ist für den Deuteronomismus kennzeichnend, dass er das Ende Israels 722 v. Chr. und das Ende Judas 587 v. Chr. (→ Zerstörung Jerusalems) nach dem → Tun-Ergehen-Zusammenhang mit der Schuld des Volkes bzw. dessen Königen erklären will, um so auch angesichts des Untergangs an der Macht sowie der Gerechtigkeit JHWHs festhalten zu können. Die dtr. Geschichtsdarstellung im Buch der Könige und in Texten des Jeremiabuchs soll zeigen, dass das Volk und seine Könige ständig gegen Gottes Willen verstoßen haben. Insbesondere wird ihnen vorgeworfen, das Erste Gebot missachtet und fremden Göttern gedient (→ Monotheismus) sowie JHWH auch außerhalb Jerusalems verehrt zu haben, und das, obwohl dieser immer wieder seine Knechte, die Propheten, geschickt hat, um sein Volk an seinen Willen zu erinnern. Sofern eine künftige Heilsmöglichkeit ins Auge gefasst ist, wird diese an Konditionen gebunden, insbesondere an die → Umkehr zu JHWH und das Halten seiner Gebote. Für die dtr. Theologie ist das Verhältnis zwischen JHWH und seinem Volk durch einen → Bund (בְּרִית bərît) bestimmt, in welchem JHWH seinen Willen durch Gebote festlegt, von deren Halten bzw. Nichthalten das Glück bzw. Unglück Israels abhängen.

2.2. Typisch dtr. Stil und dtr. Wendungen. Die ausführlichste Auflistung dtr. Sprachwendungen findet sich in einer Tabelle am Ende des wichtigen Buches von M. Weinfeld. Ein typisch dtr. Satz findet sich zum Beispiel in Dtn 6,1:

„Dies sind die Gesetze und Gebote und Rechte, die JHWH, euer Gott, geboten hat, dass ihr sie lernen und tun sollt in dem Lande, in das ihr zieht, es einzunehmen, damit du dein Leben lang JHWH, deinen Gott, fürchtest und alle seine Rechte und Gebote hältst, die ich dir gebiete, du und deine Kinder und deine Kindeskinder, auf dass du lange lebest.“

Dieser Satz zeigt folgende Besonderheiten: Grammatikalisch kann man die dtr. Sprache als „barock“ bezeichnen. Viele Aufforderungen zum Gesetzesgehorsam werden mit Synonymen bzw. einem Hendiadyoin oder einem Hendiateris zum Ausdruck gebracht, wie z.B. hier „Gesetze, Gebote und Rechte“. Ferner bevorzugt der dtr. Stil verschachtelte Relativsätze. Typisch dtr. ist im obigen Beispiel auch die Motivation zum Einhalten der Gebote: ein langes Leben in dem von Gott verheißenen Land.

Weiter typisch dtr. Ausdrücke, die auch die dtr. Theologie reflektieren, sind z.B.:

● Die Apposition „dein / euer Gott“ bzw. „Gott eurer / ihrer Väter“ zur Bezeichnung JHWHs;

● „keinen anderen Göttern nachfolgen“ (hauptsächlich in Deuteronomium, den Königsbüchern und im Jeremiabuch);

● das Land, das JHWH den Vätern geschworen (eidlich verheißen) hat, ihnen bzw. den Nachkommen zu geben (sehr oft im Deuteronomium, auch im Josua- und im Jeremiabuch);

● JHWHs unerlässliches Senden seiner Knechte, der Propheten (hauptsächlich in den Königsbüchern und im Jeremiabuch);

● „seit dem Tag, an dem ihre / eure Väter aus dem Land Ägypten herausgezogen seid, bis auf den heutigen Tag“ (Deuteronomium, Königsbücher und Jeremiabuch).

3. Das deuteronomistische Geschichtswerk (dtrG)

3.1. Die Achsenstellung des Deuteronomiums

3.1.1. Exodus bis Deuteronomium. In der Hebräischen Bibel ist das Deuteronomium das letzte Buch des Pentateuchs, das mit dem Tod des → Mose (Dtn 34) endet. Die Erzählung bildet einen perfekten Abschluss zu diesem ersten Teil der Hebräischen Bibel, der sich als „Biographie des Mose“ lesen lässt: Die Bücher → Exodus, → Leviticus, → Numeri und → Deuteronomium umfassen sein ganzes Leben – von seiner Geburt (Ex 2) bis hin zu seinem Tod –, während die → Genesis eine Art Prolog zur Geschichte Moses und des Exodus bildet.

3.1.2. Deuteronomium bis 2Könige. Das Deuteronomium ist jedoch nicht nur einfach ein Testament, das die vorangehenden Erzählungen und Gesetzessammlungen abschließt. Es fungiert ebenso als Einleitung zu den folgenden „historischen“ Büchern der Hebräischen Bibel (→ Josua, → Richter, → Samuel- und → Königsbücher), die den ersten Teil der prophetischen Bücher bilden (die „Vorderen Propheten“; → Kanon). Auch die Leser einer deutschen Übersetzung dieser Bücher erkennen darin leicht Stil und Ausdrücke des Deuteronomiums wieder. Es gibt jedoch noch weitere Verbindungslinien zwischen dem letzten Buch des Pentateuchs und den Vorderen Propheten: Im Deuteronomium bezieht sich Mose wiederholt auf die Überquerung des → Jordan und die bevorstehende → Landnahme (Dtn 4,1.14; Dtn 7,1; Dtn 9,1 usw.) – also auf Ereignisse, von denen das Buch Josua berichtet. Aufgrund dieser engen Bezüge zwischen Deuteronomium und Josua haben Forscher wiederholt vorgeschlagen, den Pentateuch durch einen Hexateuch zu ersetzen, der auch das Buch Josua umfasst, gewissermaßen als den Schlusspunkt einer Erzählung, die mit Gottes Verheißungen an die Erzväter im Buch Genesis beginnt.

Das Deuteronomium bereitet den Leser jedoch nicht nur auf die Landnahmeerzählungen im Buch Josua vor, sondern auch auf die folgenden Bücher. So enthält etwa Dtn 6,12-15 die Ermahnung, keine anderen Gottheiten anzubeten:

„dann hüte dich, dass du nicht JHWH vergisst, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus. […] Ihr sollt nicht anderen Göttern folgen von den Göttern der Völker rings um euch her, denn ein eifersüchtiger Gott ist JHWH, dein Gott, in deiner Mitte. Sonst entflammt der Zorn JHWHs, deines Gottes, gegen dich, und er vertilgt dich von der Erde.“

Das Buch der Richter öffnet mit der Feststellung, dass dieser Mahnung nicht Folge geleistet wurde. Ri 2,12-14 ist eine deutliche Anspielung auf Dtn 6,12-15:

„[Sie] verließen JHWH, den Gott ihrer Väter, der sie herausgeführt hatte aus dem Land Ägypten, und sie liefen anderen Göttern nach, Göttern der Völker rings um sie her […]. Und der Zorn JHWHs entbrannte über Israel […] Und er verkaufte sie in die Hand ihrer Feinde ringsum, und sie konnten nicht mehr bestehen vor ihren Feinden.“

Damit wird die Anarchie der Richterzeit in Moses letzter Ansprache im Deuteronomium bereits vorausgesagt. Das Deuteronomium spielt jedoch auch auf die Schlussereignisse der Vorderen Propheten an, die Zerstörung Jerusalems und das Exil (vgl. bereits Dtn 6,15). Die Flüche in Dtn 28 nehmen bereits die Katastrophe in den Blick: „Und wie JHWH seine Freude daran hatte, euch Gutes zu tun und euch zu mehren, so wird JHWH dann seine Freude daran haben, euch zu vernichten und euch zu vertilgen, und ihr werdet herausgerissen werden aus dem Boden, auf den du ziehst, um ihn in Besitz zu nehmen“ (Dtn 28,63). Genau dies geschieht am Ende des zweiten Buches der Könige: „Und so führte man Juda von seinem Boden fort in die Verbannung“ (2Kön 25,21).

Die Ähnlichkeiten in Stil, Ausdruck und Inhalt zwischen den Büchern Deuteronomium, Josua, Richter, Samuel und Könige haben Forscher zu der Annahme geführt, dass diese Bücher gemeinsam ein „deuteronomistisches Geschichtswerk“ (dtrG) bildeten, das die Bücher Deuteronomium bis Könige umfasste.

Anders als die Tora (der Pentateuch) wird das dtrG in der jüdischen und christlichen Tradition nicht als eine spezifische Einheit anerkannt; die Bezeichnung entstammt erst der modernen Bibelexegese. Als „Vater“ des dtrG gilt Martin Noth, der 1943 seine Überlieferungsgeschichtlichen Studien vorlegte. Er war zwar nicht der Erste, der von deuteronomistischen Redaktionen sprach, neu war die Annahme der kompositionellen Einheit der Bücher Deuteronomium bis Könige, die er als sorgfältig ausgearbeitetes Geschichtswerk beschrieb, welches auf einen einzelnen „Autor“ (Noth spricht manchmal auch von „Redaktor“), nämlich den „Deuteronomisten“ (Dtr.) zurückgehe.

3.2. Die Vorgeschichte der dtrG-Hypothese

3.2.1. Die ersten Schritte auf dem Weg zur Idee

3.2.1.1. So wie die Rabbiner den Pentateuch (mit Ausnahme von Dtn 34) Mose zuschrieben, versuchten sie, die Autoren der Propheten unter den Hauptpersonen dieser Bücher auszumachen oder wenigstens unter den Zeitgenossen der dargestellten Ereignisse (Baba Bathra 14-15). So nahm man etwa an, dass das Buch Josua von → Josua selbst geschrieben worden sei, die Bücher der Richter und Samuel von → Samuel und die Königsbücher von → Jeremia. Dabei berücksichtigten die Rabbiner einige logische und stilistische Aspekte, die bestimmte Beobachtungen der modernen historischen Kritik gewissermaßen vorwegnahmen. Da etwa vom Tod Josuas und Samuels jeweils schon vor dem Ende ihrer Bücher berichtet werde, müsse man annehmen, dass erst spätere „Redaktoren“ sie fertigstellten. Auch die Zuschreibung der Bücher der Könige an Jeremia ist interessant, könnte sie doch darauf hinweisen, dass sich die Rabbiner der stilistischen Parallelen zwischen den Büchern Könige und Jeremia bewusst waren.

Die Rabbiner interessierten sich jedoch nicht für die zahlreichen sprachlichen, stilistischen und ideologischen Ähnlichkeiten zwischen Josua, Richter, Samuel und Könige. Auch maßen sie der Tatsache kaum Bedeutung zu, dass das letzte Buch des Pentateuchs (das Deuteronomium) auch als Einleitung zur Geschichte der Landnahme in Josua dient.

3.2.1.2. Erst im 16. Jh. gab es erste Ansätze einer im eigentlichen Sinne kritischen Untersuchung der Vorderen Propheten. In jener Zeit begannen Humanisten wie Reformatoren, die traditionelle Auffassung über die Autoren der biblischen Bücher kritisch zu hinterfragen.

Johannes Calvin (→ Calvin) weist in seinem Josua-Kommentar die Vorstellung zurück, dass Josua selbst das Buch verfasst haben könne, denn es enthalte unterschiedliche Ausdrucksformen, die nicht auf einen Verfasser zurückgehen könnten und spreche von Josua in der dritten Person. Calvin schlägt vor, dass der Priester → Eleasar, ein Zeitgenosse Josuas, der Autor des Buches sein könne bzw. sein Kompilator, der verschiedene ihm vorliegende Textstücke zusammengefügt habe. Weshalb aber sprach er sich für Eleasar aus? Griff Calvin hier lediglich einen rabbinischen Gedanken auf, demzufolge Eleasar das Buch vervollständigt habe, oder hatte er bereits ein Gespür für den „priesterlichen“ Charakter einiger darin enthaltener Texte?

Andreas Masius, ein katholischer Gelehrter, vertrat eine radikalere Position. In seiner kritischen Edition der griechischen und hebräischen Texte von Josua (1574) erblickt er in → Esra den letzten Kompilator nicht nur von Josua, sondern auch der Bücher Richter und Könige. Somit datierte er die abschließende Redaktion der historischen Bücher in persische Zeit (5./4. Jh. v. Chr.).

Ein Jahrhundert später vertrat der jüdische Philosoph Baruch Spinoza dieselbe Meinung, jedoch für den gesamten Text von Genesis bis Könige, und meinte somit, im Pentateuch und den Vorderen Propheten einen zusammenhängenden Text zu erkennen. Spinoza merkt jedoch auch an, dass das Deuteronomium die ideologische Grundlage für die Interpretation der folgenden Geschichte schaffe. In seinem Tractatus theologico-politicus (1670), schreibt er: „So zielen alle diese Bücher dahin ab, die Sprüche und Gebote Mosis zu erzählen und durch den Ausgang der Dinge zu bestätigen“ (Tractatus, 8.Kapitel). Damit hat Spinoza bereits den „deuteronomistischen“ Charakter der auf das Deuteronomium folgenden Bücher erkannt.

3.2.1.3. Gegen Ende des 18. Jh.s wurde das traditionelle Verständnis der Vorderen Propheten ernsthaft in Frage gestellt. Deutlich wurde, dass die Autoren des Deuteronomiums und der Vorderen Propheten keine Zeitgenossen der dargestellten Ereignisse sein konnten. Man hatte zudem bereits eine gewisse Ahnung von den ideologischen Linien, die die biblische Darstellung der Geschichte Israels prägen, und wenigstens Spinoza hatte schon erkannt, dass diese ideologischen Vorgaben eng mit dem Deuteronomium zusammen- oder gar von ihm abhingen. Die kritische Bibelauslegung des 19. Jh.s sollte auf diesen Entdeckungen aufbauen.

3.2.2. Die Entdeckung des „Deuteronomismus“

In einer Fußnote seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 1805 identifizierte der Gelehrte → Wilhelm M.L. de Wette das in der Regierungszeit → Josias im Tempel „gefundene“ Buch (2Kön 22) mit dem Deuteronomium bzw. mit dessen Erstausgabe. Nach de Wette wurde die Originalfassung des Deuteronomiums in der Absicht geschrieben, die Kultzentralisation unter König Josia zu legitimieren. 20 Jahre zuvor hatte bereits Voltaire dieselbe These vertreten. Der französische Philosoph stand damit kurz davor, das Deuteronomium aus dem restlichen Pentateuch zu lösen und das Buch als Werk eines anderen Autoren zu begreifen; doch es war erst de Wette, der diesen Schritt tatsächlich vollzog. Er argumentierte für die Existenz eines Tetrateuch (Genesis bis Numeri), der als Sammlung verschiedener Fragmente ohne authentisches historisches Material zu verstehen sei, wohingegen das Deuteronomium eine „mythische“ Neufassung des Tetrateuch-Materials darstelle. De Wette plädierte auch für eine sehr späte Datierung des Buches Josua. Das Buch habe nämlich einen „deuteronomistischen“ Charakter, da es auf das mosaische Gesetz verweise (z.B. Jos 1,1-9). Damit war de Wette, zusammen mit seinem Kollegen Johann S. Vater, einer der ersten Bibelwissenschaftler, der von einer „deuteronomistischen“ Redaktion sprach, um die Entstehung der historischen Bücher zu beschreiben.

Diese Vorschläge wurden aufgenommen von Bischof John W. Colenso, der eine genaue Untersuchung des hebräischen Wortschatzes des Deuteronomiums vornahm. Er betonte nicht nur die Unterschiede im Wortschatz zwischen diesem Buch und denen des Tetrateuchs, sondern auch die zahlreichen Parallelen zur Sprache der Vorderen Propheten.

3.2.3. Die Vertiefung der Idee von deuteronomistischen Redaktoren

3.2.3.1. Im Jahr 1843, genau 100 Jahre vor dem Erscheinen von Noths Studien, begann Heinrich Ewald mit der Veröffentlichung seiner sechsbändigen Geschichte Israels. Im ersten Band legt er eine umfassende Hypothese zur Redaktion der Bücher Genesis bis 2Könige vor. Er bezeichnet die Sammlung Genesis bis Josua als „großes Buch der Ursprünge“ und die der Bücher Richter, Rut (von ihm nach dem griechischen Kanon eingeordnet), Samuel und Könige als „großes Buch der Könige“. Nach Ewalds Auffassung ist diese zweite Sammlung in ihrer endgültigen Form das Ergebnis der Arbeit zweier deuteronomistischer Redaktoren. Der erste, der noch die Existenz der Monarchie voraussetze (erkennbar in 1Sam 12), habe eine ältere Erzählung von der Thronbesteigung Davids und andere Quellen eingefügt. Ewald merkt an, dass die Überlegungen dieses Redaktors gut in die Zeit Josias passen. Der zweite Redaktor habe während des babylonischen Exils die Geschichte Judas aktualisiert, um 560 v. Chr., kurz nach der Begnadigung des exilierten → Jojachin (2Kön 25,27-30). Auch habe er das Buch der Richter als Einleitung zur Geschichte der israelitischen Monarchie eingefügt, um so deutlich zu machen, dass auf den Ungehorsam gegen JHWH unausweichlich die göttliche Strafe folgt (Ri 2,6-3,6). Dieser Redaktor habe auch die religiöse Beurteilung der einzelnen israelitischen und judäischen Herrscher ergänzt. Ewalds Auffassung nach habe er damit eine Antwort geben wollen auf die Frage der Gründe für die Katastrophe der Zerstörung Jerusalems und des babylonischen Exils. Ewald weist die letzten Änderungen in dem „großen Buch der Ursprünge“ (Gen - Jos) einem Redaktor zuweist, den er als den „Deuteronomisten“ (Dtr.) bezeichnet. Dieser Deuteronomist habe, so die Einschätzung Ewalds, unter Manasse gewirkt. Er habe die Bücher von Deuteronomium bis Josua bearbeitet, während sich seine Handschrift in Genesis bis Numeri kaum nachweisen lasse. Wollen wir die Argumente Ewalds zusammenfassen, so lässt sich festhalten, dass er dtr. Bearbeitungen in Deuteronomium bis Josua und in Richter bis 2Könige findet. Ewald betont jedoch den Bruch zwischen Jos und Ri und widerspricht damit der Vorstellung von einer einheitlichen Redaktion, die das gesamte Korpus Deuteronomium bis Könige bearbeitet habe.

3.2.3.2. In der zweiten Hälfte des 19. Jh.s war die alttestamentliche Forschung so fasziniert von der Urkundenhypothese (→ Pentateuchforschung) und der Idee eines ursprünglichen Hexateuchs, dass man die Bücher Richter bis Könige zu vernachlässigen begann. Die Frage nach der dtr. Redaktion oder den dtr. Redaktionen in der Hebräischen Bibel beschränkte sich im Wesentlichen auf die Quelle „D“, identisch mit dem ursprünglichen Deuteronomium, dessen Anfänge oft zur Zeit → Hiskias oder → Josias gesehen wurden. Einige der Texte in Genesis bis Numeri jedoch schienen Ähnlichkeiten mit der dtr. Sprache und dem dtr. Stil aufzuweisen, so etwa Gen 15 (vgl. Gen 15,5 mit Dtn 1,10; Gen 15,7 mit Dtn 1,27; Dtn 4,20 usw.) oder Lev 26 (vgl. Lev 26,15.46 mit Dtn 11,1 usw.). Einige Forscher schrieben diese Texte dem Jehowisten (JE), dem Kompilator von → Jahwist und → Elohist zu (→ Pentateuchforschung); andere, wie etwa Colenso, schrieben sie dem Deuteronomisten zu, in welchem er den Redaktor des Pentateuchs bzw. Hexateuchs sah.

3.2.3.3. Julius Wellhausen (→ Wellhausen) erklärte die Präsenz von dtr. Elementen in den Büchern Richter bis Könige folgendermaßen: Sie gingen zurück auf verschiedene, aufeinander aufbauende Redaktionen aus der Zeit Josias bis zum babylonischen Exil; die Bücher Richter und Samuel hätten bereits vor dem Eingriff dieser Redaktoren existiert, dies treffe jedoch nicht auf die Königsbücher zu. Es ließe sich unmöglich feststellen, ob dieselben dtr. Redaktoren all diese Bücher bearbeitet haben oder ob für jedes dieser Bücher verschiedene Redaktoren anzunehmen seien. Diese Frage beschäftigte Wellhausen jedoch wenig. Er erkannte weiterhin redaktionelle Texte im dtr. Stil auch im Hexateuch, interessierte sich jedoch kaum für die Frage, in welcher Verbindung die „deuteronomistischen“ Texte in Genesis bis Josua zu denen von Richter bis Könige standen. Das Wellhausen-Modell traf nicht nur in Deutschland, sondern auch in der englisch- und französischsprachigen Welt auf breite Zustimmung. In seinem Kommentar zum Deuteronomium präsentiert Samuel R. Driver eine detaillierte Auflistung des dtr. Wortschatzes und schließt auf einen klar erkennbaren Einfluss des Deuteronomiums auf die historischen Bücher (S. XCI).

3.2.3.4. In jener Zeit wurde zunehmend deutlich, dass auch andere Bücher der Hebräischen Bibel dtr. Bearbeitungen erfahren hatten. Bernhard Duhm (→ Duhm) schrieb mehr als die Hälfte des Buches Jeremia dtr. Redaktoren zu, die seiner Auffassung nach vom 6. bis 1. Jh. v. Chr. tätig waren. Duhm schätzte diese Deuteronomisten wenig, da er sie für unbeholfene und theologisch minderbemittelte Schreiber hielt, deren einzige Besessenheit dem Gesetz des Mose galt. Obwohl er ihre Arbeit gering schätzte, war Duhm offensichtlich der erste, der die Möglichkeit in Erwägung zog, dass die „deuteronomistische Schule“ nach dem Ende der Exilzeit gewirkt haben könnte.

Zu Beginn des 20. Jh.s war die These von der Existenz dtr. Texte im Penta- bzw. Hexateuch bereits weitgehend akzeptiert. Es sollte jedoch noch weitere 40 Jahre dauern, bis mit Martin Noth ein Forscher eine umfassende Theorie vorlegte, die ihre Herkunft erklären konnte.

3.3. Martin Noths Hypothese eines einheitlichen dtrG

3.3.1. Voraussetzungen und Hintergründe der Hypothese

Als Noth seine Überlieferungsgeschichtliche Studien verfasste, konnte er sich auf die Arbeiten de Wettes, Ewalds, Wellhausens, Drivers und anderer stützen, die den „deuteronomischen Stil“ bereits definiert und die Präsenz dtr. Redaktionen in den historischen Büchern nachgewiesen hatten. Da jedoch zu jener Zeit die Mehrheit der Forscher an die Existenz eines Hexateuchs glaubte, bestand wenig Interesse, die Kontinuität zwischen Deuteronomium und Josua einerseits und die Kohärenz zwischen dem Deuteronomium und den Vorderern Propheten andererseits zu erklären.

Noths Ansatz war stark der Methode der „Überlieferungsgeschichte“ verpflichtet. Der überlieferungsgeschichtliche Ansatz interessiert sich für die Entwicklung und Entstehung der größeren Einheiten, des Pentateuchs, der → Chronikbücher und des deuteronomistischen Geschichtswerks. Die Aufgabe der Hexateuch-Hypothese ergab sich aus Noths Arbeit am Buch Josua, bei der er mehrere Theorien seines Lehrers → Albrecht Alt übernahm. Alt hatte nachgewiesen, dass Jos 3-9 eine von den ätiologischen Berichten über den Aufstieg des Stammes Benjamin unabhängige Sammlung bildet. Er hatte weiterhin die Auffassung vertreten, dass sich die Liste der Gebietsgrenzen in Jos 13-19 aus Dokumenten vor der Königszeit und aus der Zeit Josias zusammensetze. Damit hätten diese Texte nichts mit den Quellen des Pentateuchs zu tun und somit gibt es keinen Hexateuch. Diese Argumente gegen eine Präsenz der Pentateuch-Quellen im Buch Josua öffnete den Weg für eine grundlegende Neubewertung der Entstehung der historischen Bücher, welche Noth in seinen Studien von 1943 entwarf.

3.3.2. Die Überlieferungsgeschichtlichen Studien

Noth schrieb diese Studie, die zu einem der wichtigsten Beiträge der alttestamentlichen Exegese werden sollte, im Jahr 1943, während des Zweiten Weltkrieges, in Königsberg. Die Existenz dtr. Redaktion(en) der Vorderen Propheten hielt er für gesichert; das Neue seines Ansatzes war die Art und Weise, auf die er versuchte nachzuweisen, dass die dtr. Texte auf eine in sich geschlossene, einheitliche Redaktion zurückgehen könnten, auf einen einzelnen Redaktor, den Deuteronomisten („Dtr.“).

Nach seiner Auffassung finden sich Beweise für die Existenz einer solchen Redaktion in der Beobachtung, dass „Dtr an allen wichtigen Punkten des Geschichtsverlaufs die führend handelnden Personen mit einer kürzeren oder längeren Rede auftreten läßt […]. Anderwärts werden die zusammenfassenden Geschichtsbetrachtungen, sei es daß sie sich zur Wiedergabe in Redeform nicht eigneten oder passende geschichtliche Personen als Sprecher nicht zur Verfügung standen, von Dtr selbst in erzählender Form dargeboten.“ (5). Derartige Passagen finden sich in Jos 1,1-9; Jos 12,1-6; Jos 23,1-16; Ri 2,11-3,6; 1Sam 12,1-15; 1Kön 8,14-53; 2Kön 17,7-23.

Diese Texte gliedern die dtr. Darstellung der Geschichte Israels in verschiedene Zeitabschnitte: die Landnahme unter Josua (Jos 1; Jos 12 und Jos 23), die Zeit der Richter (Ri 2,11 - 1Sam 12), die Anfänge der Monarchie (1Sam 12 - 1Kön 8), die Geschichte der Königreiche Juda und Israel bis zum Fall Samarias (1Kön 8 - 2Kön 17), die letzten Tage Judas. Das Ende des dtrG findet sich in den letzten Versen des Königsbuches (2Kön 25,27-30), die von der Befreiung Jojachins aus seiner babylonischer Gefangenschaft berichten. Da dieses Ereignis um das Jahr 562 v. Chr. zu datieren ist, schließt Noth, dass das dtrG kurz nach 560 v. Chr. entstanden sein müsse. Was den Anfang des dtrG betrifft, zeigt sich Noth deutlich unentschiedener. Jos 1 bildet keinen „richtigen“ Anfang, da es auf das Ende des Deuteronomiums anspiele und auch die Niederlassung der transjordanischen Stämme voraussetze. Somit müsse das DtrG bereits im Pentateuch ansetzen, und Noth sucht einen passenden Anfangspunkt via negationis. So stellt er fest, dass es in Gen bis Num keine „dtr.“ Redaktion gebe, eine Einschätzung, die heute kaum geteilt wird. Das Buch Deuteronomium sei damit der wahrscheinlichste Ausgangspunkt, zumal es deutliche Anspielungen auf die dtr. Eroberungsgeschichte in Josua aufweise und diese in gewisser Weise einleite (vgl. Dtn 31,1-13; Dtn 34*).

Noths Auffassung nach fügte der Deuteronomist das sogenannte Urdeuteronomium (Dtn 5-30*) in seine Geschichtsdarstellung ein, und gab ihm einen neuen Rahmen. Das Deuteronomium, nun konzipiert als Testament Moses, bildet die ideologische Grundlage der folgenden Geschichte und damit ihren hermeneutischen Schlüssel.

Ausgehend vom Deuteronomium erzählt der Deuteronomist die Geschichte Israels von den Anfängen unter Mose in der Wüste bis zum Fall Jerusalems und zum babylonischen Exil. Es ging ihm darum zu zeigen, dass das Ende des Königreiches Juda der Unfähigkeit seines Volkes und seiner Führer zuzuschreiben sei, die Vorschriften des deuteronomischen Gesetzes zu beachten. Im Gegensatz zu der unter seinen Zeitgenossen zweifellos verbreiteten Auffassung war die Katastrophe von 597/587 kein Beweis dafür, dass der Nationalgott JHWH von den babylonischen Gottheiten besiegt worden war. Die Eroberung Jerusalems müsse vielmehr als Strafe JHWHs gegen sein Volk verstanden werden.

Noth betrachtet den Deuteronomisten auch als Historiker, vergleichbar den griechischen und römischen Geschichtsschreibern, die ebenfalls alte Traditionen neu bearbeiteten. Die Haltung des Deuteronomisten gegenüber seinem Material ist für Noth die eines „ehrlichen Maklers“. Er integriert in sein Werk alle ihm zur Verfügung stehenden alten Materialien, auch wenn diese seiner eigenen Sicht der Dinge widersprechen. Aus diesem Grunde sprach Noth von dtrG als einem wahren „Geschichtswerk“. Was das soziale Milieu betreffe, so ist es „nicht erkennbar, daß Dtr. sein Werk im Auftrag eines einzelnen oder einer bestimmten Gruppe geschrieben habe. Wir haben es also wohl mit der aus eigener Initiative unternommenen Arbeit eines Mannes zu tun.“ (1967, 110). In seiner abschließenden Fußnote (1967, 110, Anm. 1) schlägt Noth vor, dass der Deuteronomist in Palästina gelebt haben könne, wahrscheinlich in der Gegend von → Mizpa, der provisorischen „Hauptstadt“ Judas unter babylonischer Herrschaft.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das dtrG, welches die Bücher Deuteronomium bis Könige umfasst, nach Noth während der babylonischen Besetzung Judas um 560 v. Chr. entstand. Der Deuteronomist ist für ihn zugleich ein verlässlicher Herausgeber alter Dokumente und Materialien und ein Autor, der die erste umfassende Darstellung der Geschichte Israels entwickelt habe, inklusive einer Periodisierung – all dies, um die abschließende Katastrophe zu erklären.

Es lässt sich fragen, ob Noths Deuteronomist nicht auch, wenigstens zum Teil, seine persönliche soziale Situation widerspiegelt: ein einzelner Intellektueller, der vor dem möglichen Ende der Geschichte seiner Nation steht. Was auch immer die möglichen Verbindungen zwischen dem gesellschaftlich-politischen Kontext des Werkes von Noth und seiner Präsentation des dtrG sein mögen, gehen sie nicht notwendigerweise zulasten der Gültigkeit seiner Hypothese. Sie können jedoch helfen, einige der wichtigsten Änderungen zu verstehen, die diese Hypothese nach dem Erscheinen der Überlieferungsgeschichtlichen Studien erfuhr.

3.3.3. Erste Reaktionen auf Noths Modell

Noths These erfuhr eine indirekte Bestätigung durch die Arbeiten Alfred Jepsens und Ivan Engnells. Jepsen hatte 1939 eine Untersuchung über die Entstehung der Königsbücher verfasst, die erst im Jahr 1953 erschien. Darin postuliert er eine prophetische Redaktion der Königsbücher, um 550 v. Chr., die Noths Deuteronomistem ähnelt. Engnell, unterteilte den Enneateuch in ein „P-Werk“ (Gen - Num) und ein „D-Werk“ (Dtn - Kön), was mit der von Noth vorgenommenen Abgrenzung des dtrG übereinstimmte, wenn auch Engnell die Entstehung der Werke auf mündliche Überlieferung und nicht auf einen Autor bzw. Redaktor zurückführte.

Da die erste Auflage der Überlieferungsgeschichtlichen Studien nur einem kleinen Kreis von Forschern bekannt wurde, setzte die eigentliche Rezeption der These von einem dtrG erst mit der zweiten Auflage im Jahr 1957 ein. Daraufhin bürgerte sich in alttestamentlichen Kreisen der Begriff vom „dtr. Geschichtswerk“ ein. Aber obwohl das Konzept als solches bei der großen Mehrheit der Forscher auf Zustimmung stieß, galt dies nicht für alle Vorstellungen, die Noth damit verband. Einige bezweifelten, dass der Deuteronomist eine Einzelperson war, und dachten vielmehr an eine Gruppe oder Schule von Schriftgelehrten, während andere es für wahrscheinlicher hielten, dass der Deuteronomist (nach Noth ein Angehöriger judäischer intellektueller Kreise) unter den nach Babylon Deportierten zu suchen sei. Andere wiederum fragten sich, ob der Deuteronomist eine solch lange Geschichte geschrieben hätte, wenn er tatsächlich keinerlei Zukunftshoffnung hatte.

Schließlich gab es auch Forscher, die die gesamte Hypothese eines dtrG skeptisch beurteilen, so etwa Otto Eißfeldt (→ Eißfeldt), der die Eigenart der „deuteronomistischen“ Passagen in den verschiedenen Büchern der Vorderen Propheten betonte: Ihm erschien die Vorstellung einer einzelnen, in sich geschlossenen dtr. Redaktion viel zu einfach, um damit der Komplexität der sogenannten „deuteronomistischen“ Passagen innerhalb der Bücher Deuteronomium bis Könige gerecht werden zu können (vgl. die chronologischen Widersprüche innerhalb von Jos 1-3 oder die verschiedene Gründe, die Ri 2,11-3,6 für den Fortbestand der Völker im Land anführt). Zur damaligen Zeit waren solche Stimmen eher marginal, jedoch erfuhr Noths Modell schnell entscheidende Modifikationen.

3.4. Frank Moore Cross’ Hypothese einer doppelten Redaktion

Noth zufolge hatte der Deuteronomist eine höchst pessimistische Sicht der Geschichte Israels, weshalb er sich für Texte, die mit einem solchen Pessimismus schwer in Einklang zu bringen sind, wenig interessierte, wie zum Beispiel die Verheißung einer ewigen Dynastie an David in 2Sam 7. Auch die Wendung „bis auf den heutigen Tag“ scheint an vielen Stellen die Existenz der Monarchie vorauszusetzen (so etwa in 1Kön 8,8; 1Kön 9,21). Und bildet 2Kön 25,27-30 tatsächlich einen angemessenen Abschluss des dtrG? In diesem Abschnitt findet sich keinerlei theologischer Kommentar, der den Aufstieg Jojachins in der babylonischen Gefangenschaft interpretiert.

Auf der Grundlage solcher und anderer Beobachtungen verteidigte Frank Moore Cross in einem Artikel von 1968 (wieder veröffentlicht 1973) die Existenz einer ersten Ausgabe des dtrG, die in die Zeit Josias zu datieren sei, und kehrte damit im Grunde zu Wellhausen zurück. In seiner Analyse der Bücher Samuel und Könige macht Cross zwei große Themen des dtrG aus: die enge Verbindung zwischen JHWH und der Dynastie Davids sowie die „Sünde Jerobeams“, d.h. den Bau von jahwistischen Heiligtümern in → Dan und → Bethel, nach der Trennung Israels vom Hause Davids (1Kön 12). Diese beiden Themen laufen in der Erzählung von der Herrschaft Josias zusammen. In 2Kön 23,15 heißt es: „Und auch den Altar, der in Bethel stand, die Kulthöhe, die Jerobeam gemacht hatte, der Sohn von Nebat, der Israel zur Sünde verführt hatte, auch jenen Altar und die Kulthöhe riss er (= Josia) nieder“. Daneben bezeichnet 2Kön 22,2 Josia explizit als würdigen Nachfolger Davids.

Die Edition des dtrG unter Josia schloss mit 2Kön 23,25a: „Und kein König vor ihm war ihm gleich, ihm, der zurückgekehrt ist zu JHWH von seinem ganzen Herzen, von seiner ganzen Seele und mit all seiner Kraft, ganz nach der Weisung des Mose“. Dieser Vers verweist auf Dtn 6,4-5, ein Aufruf, der oft als Anfang des Urdeuteronomiums angesehen wurde. Nach dem Fall Jerusalems wurde das dtrG aus der Zeit Josias durch einen zweiten Redaktor vervollständigt, der die Erzählung in den Königsbüchern um 2Kön 23,25b-25,30 ergänzte; er interpolierte auch jene Texte, die an anderer Stelle auf das → Exil anspielen (z.B. Dtn 28,36-37.64-68; Jos 23,11-16; 1Sam 12,25 usw.).

Das Modell einer doppelten Redaktion von dtrG wurde unter amerikanischen und anderen Forschern aus dem englischsprachigen Raum bald maßgebend. Eine beeindruckende Zahl von Cross-Schülern untermauerte die Theorie ihres Lehrers, so etwa Richard Nelson, der in seiner Dissertation (veröffentlicht 1981) nachzuweisen versuchte, dass sich der Stil von 2Kön 23,25b-25,30 erheblich von dem der anderen dtr. Texte unterscheide und dass sein nachahmender Charakter eindeutig auf einen zweiten, exilischen Redaktor hinweise.

Diese Neuformulierung der These eines dtrG brachte die Nothsche Interpretation ins Wanken. Cross teilte die Auffassung Noths, dass klar zwischen dem Tetrateuch und dem dtrG zu unterscheiden sei, jedoch implizierte eine Erstausgabe des dtrG unter Josia eine gänzlich andere Theologie, als Noth sie dem Deuteronomisten unterstellte. In der Darstellung Cross’ wurde das dtrG zu einem Propagandawerk der Kultreform Josias und seiner militärischen Ambitionen.

3.5. Rudolf Smends Hypothese mehrerer exilischer Redaktionen

In der deutschsprachigen Forschung nahmen die Dinge eine gänzlich andere Wendung. In einem 1971 veröffentlichen Artikel legte Rudolf Smend, ein früherer Assistent von Noth, die Grundlagen für eine Neubestimmung des dtrG, die zur „Göttinger Schule“ werden sollte. Smend stützte seine Ausführungen auf die Beobachtung, dass einige dtr. Texte offensichtlich mehrschichtig sind. Noth hatte bereits den sekundären Charakter einiger „dtr.“ Texte festgestellt, ohne sich jedoch besonders für deren Herkunft oder Kontext zu interessieren.

Smends Studie basiert auf einer Analyse von Jos 1,1-9. In dieser Passage wendet sich JHWH in einem Heilsorakel an Josua, der wie ein König vor einer Schlacht porträtiert ist. Die Rede JHWHs scheint in Jos 1,6 einen Abschluss zu finden; in Jos 1,7 wendet sich JHWH erneut an Josua, diesmal jedoch, um ihn dazu zu ermahnen, das Gesetz des Mose Tag und Nacht zu studieren. Offensichtlich stammt dieser Vers zusammen mit V. 8-9 von einer späteren Bearbeitung, die die Ideologie und die kriegerische Sprache des Josua-Buches korrigieren und das Augenmerk auf den Gesetzesgehorsam lenken will. Ähnliche Zusätze macht Smend in Jos 13,1b-6; Jos 23 und Ri 1,1-2,5; Ri 2,20-21.23 aus. Anders als die anderen dtr. Texte, die von der Eroberung Kanaans berichten, behaupten diese, dass die Landnahme nicht vollständig erfolgt sei und andere Völker im Land verblieben seien. Smend schreibt diese späten Zusätze einer redaktionellen Schicht zu, die er als „nomistisch“ bezeichnet (DtrN), aufgrund ihres Beharrens auf dem Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gesetz (nomos). Die erste exilische Edition des dtrG (also Noths Deuteronomisten) bezeichnet er als DtrH (der deuteronomistische Historiker).

Walter Dietrich, ein Smend-Schüler, entdeckte eine weitere dtr. Schicht, geprägt von einem Interesse an der Prophetie, die er als DtrP (der prophetische Deuteronomist) bezeichnete. Dietrichs Auffassung nach gehören die meisten der prophetischen Geschichten und Orakel in den Samuel- und Königsbüchern nicht zur Erstausgabe des dtrG, sondern entstammen der Feder des DtrP, der zeigen wollte, dass all das, was JHWH durch die Propheten ankündigt, sich tatsächlich bewahrheitet. Deshalb gibt DtrP jedem Orakel einen Hinweis auf seine Erfüllung bei (vgl. z.B. 1Kön 14,7-13* und 1Kön 15,29; 2Kön 21,10-14 und 2Kön 24,2).

In zwei 1975 bzw. 1977 erschienenen Studien wandte Timo Veijola dieses neue Dreiredaktionen-Modell auf die Samuel-Bücher an. Aus seiner Sicht bot das diachrone Modell der Göttinger Schule eine überzeugende Erklärung für die komplexe, in sich widersprüchliche Position des dtrG gegenüber der Institution der Monarchie. Während DtrH die Monarchie noch positiv bewertete (1Sam 9-10), bezog DtrP eine kritische Position gegenüber der davidischen Dynastie (vgl. 1Sam 12). DtrN schließlich, der sich grundsätzlich auch gegen die Monarchie aussprach, versuchte jedoch, David und Salomo, die Begründer der judäischen Dynastie, in positiverem Licht erscheinen zu lassen (vgl. 1Sam 8,6-22; 1Kön 1,35-37; 1Kön 2,3.4a).

Die Smend-Schule steht Noth insofern nahe, als auch sie die dtr. Schichten in die Exilzeit datiert; sie gibt jedoch die Vorstellung von einem einzigen Autor bzw. Redaktor auf. Smend zufolge kann DtrN weiter unterteilt werden in DtrN1, DtrN2, usw. – eine Sicht, die einer Inflation dtr. Schichten prinzipiell Tür und Tor öffnet und damit theoretisch der Vorstellung von einem einheitlichen, in sich geschlossenen dtrG widerspricht.

3.6. Die „Neu-Nothianer“

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – diesen Verfeinerungen und Multiplikationen dtr. Schichten sprachen sich einige Forscher für eine Rückkehr zum Nothschen Modell eines einzelnen Deuteronomisten aus, der während der Exilzeit wirkte. Dies gilt besonders für John Van Seters, der das Modell Noths jedoch in zwei wichtigen Punkte modifizierte.

Im Gegensatz zu Noth, der den Deuteronomisten im Wesentlichen für einen „ehrlichen Makler“ hielt, der eine große Zahl alter Traditionen integriert habe, ging der Deuteronomist nach Van Seters’ Einschätzung äußerst frei mit den Traditionen um, die ihm zur Verfügung standen, um seine eigene Darstellung der Geschichte Israels zu erarbeiten, so dass es in den meisten Fällen sinnlos sei, sich um die Rekonstruktion der Originaldokumente zu bemühen. Während Noth die Widersprüche und Spannungen innerhalb von Deuteronomium bis Könige auf den Respekt des Deuteronomisten gegenüber seinen Quellen zurückführt, hält Van Seters die meisten ideologischen und theologischen Divergenzen im dtrG für spätere Zusätze zum Originalwerk. Dies gilt besonders für die sogenannte “→ Thronnachfolgegeschichte“ oder „Hofgeschichte“ von 2Sam 2-4*; 2Sam 9-20*, 1Kön 1-2*. Diese Geschichte macht aus David einen Mörder (2Sam 12) und einen sehr schwachen, verzagten König, was dem positiven Bild, das der Deuteronomist von ihm zeichnet, diametral entgegensteht. Van Seters betrachtet die „Hofgeschichte“ als späten und gänzlich fiktiven Zusatz, der um 550 v. Chr. geschrieben wurde. Damit ist das dtrG von Van Seters erheblich kürzer als das von Noth, da eine große Zahl von vermeintlich „deuteronomistischen“ Texten nun als spätere, „post-deuteronomistische“ Zusätze zu gelten hat (z.B. Jos 2; 1Kön 13* sowie die gesamte Thronnachfolgeerzählung).

Steven L. McKenzie vertritt eine Position, die der von Van Seters ähnelt, und denkt ebenfalls an einen einzelnen dtr. Autor aus der Zeit des Exils. In seinem Artikel über 1Sam 8-12 aus dem Jahr 1996 (englisch 2000) legt er dar, dass der dtr. Historiker kurz nach 587/586 in → Mizpa zu suchen sei, was auch erklären könne, weshalb sich im DtrG Texte finden, die weiterhin von Interesse für die davidische Dynastie zeugen. Wie Van Seters spricht er eine große Anzahl von Texten der Erstausgabe des dtrG ab, wie zum Beispiel die Erzählungen über Propheten (1991, in diesem Buch hatte er noch die Annahme eines dtrG unter Josia vertreten, änderte aber bald darauf diese Position).

Die Ansätze von Van Seters und McKenzie betonen erneut die Kohärenz des dtr. Werkes, auch wenn ihr dtrG schmaleren Umfangs ist als das von Noth. Das Hauptproblem dieses Ansatzes ist jedoch, dass die meisten der post-dtr. Zusätze zu DtrG keinen eindeutigen geschichtlichen und ideologischen Kontext haben. Offen bleibt auch die Frage, wie sich diese Schichten zur dtr. Edition des Tetrateuchs und einiger Bücher der Vorderen Propheten verhalten.

3.7. Neuere Kritik an der Hypothese des deuteronomistischen Geschichtswerkes

Die Vervielfachung der dtr. Schichten, besonders durch die Göttinger Schule, stellt bereits die Annahme eines einheitlichen dtrG in Frage. Zahlreiche Forscher scheinen deshalb versucht, die Vorstellung eines in sich geschlossenen dtrG aufzugeben.

Claus Westermann greift die alten Kritikpunkte gegen Noth wieder auf: Die verschiedenen Bücher, die das sogenannte dtrG bilden, haben weder einen einheitlichen dtr. Sprachgebrauch noch eine einheitliche dtr. Theologie. Anders als die Königsbücher enthält das Richterbuch ein zyklisches Geschichtsbild, während sich in den Samuelbüchern kaum charakteristische Züge der dtr. Sprache ausmachen lassen. Westermann zieht deshalb den Schluss, dass jedes Buch der Vorderen Propheten einem jeweils eigenen Sitz im Leben entstamme. Auch wenn es verschiedene Redaktoren gegeben habe, hätten diese die alten mündlichen Traditionen treu wiedergegeben, weshalb die Texte der Vorderen Propheten als Quasi-Augenzeugenberichte der dargestellten Ereignisse zu bewerten seien.

Ernst Würthwein, A. Graeme Auld und Erik Aurelius vertreten die Ansicht, dass der älteste Kern des „dtrG“ in Könige zu finden sei. Später, im Zuge eines mehrstufigen Prozesses, seien die Bücher Samuel und Richter diesem Kern hinzugefügt worden, noch später dann das Deuteronomium und der Tetrateuch. E. Axel Knauf gelangt zu ähnlichen Schlussfolgerungen und argumentiert, dass nur (die Samuel- und) die Königsbücher als „dtrG“ zu bezeichnen seien. Aus seiner Sicht stellt das Deuteronomium keine passende Eröffnung eines dtrG dar. Nach der dtr. Ideologie sollte die Geschichte Israels mit dem Exodus beginnen. Wenn man allerdings die These einer „großen deuteronomistischen Geschichte“ vertreten wollte, die auch Exodus und Numeri umfasst, stellen sich neue Fragen. Wie etwa lässt sich die Präsenz von Texten wie Dtn 1-3 erklären, welche die in Ex und Num erzählten Ereignisse zusammenfassen? Schließlich argumentiert Knauf, dass das sogenannte dtrG in den historischen Zusammenfassungen und den „historischen“ Psalmen an keiner Stelle erwähnt werde, im Gegensatz zum Pentateuch (z.B. Ps 74; Ps 95), zum Hexateuch (Ps 105; Ps 114) oder dem Enneateuch, welcher die Bücher Genesis bis Könige umfasst (z.B. Ps 78; Ps 106). Es gibt tatsächlich einige nachexilische Texte, die versuchen, einen Hexateuch (Jos 24) oder einen Enneateuch (Neh 9) zusammenzufassen oder gar zu schaffen. Jedoch findet sich ebenfalls in Ps 136 (der mit der Eroberung Transjordaniens schließt, so wie Numeri) eine Zusammenfassung des Tetrateuchs; dieser Psalm scheint nahezulegen, dass das Deuteronomium zu den folgenden Büchern gehört.

Gegen Hartmut Rösel und andere, die meinen, dass es kein übergreifendes dtr. Thema gebe, das die Bücher von Deuteronomium bis Könige miteinander verbinde, finden sich einige Indizien für einen dem dtrG eigenen Sprachgebrauch, der sich vom Deuteronomium bis zu den Königsbüchern erstreckt. So ist zum Beispiel die Warnung vor den „anderen Götter“ (אֱלֹהִים אֲחֵרִים ’elohim ’aḥerim) im gesamten dtrG ein gängiger Ausdruck, in Exodus jedoch nur zwei oder drei Mal belegt (Ex 20,3 = Dtn 5,7; Dtn 22,13; Ex 34,14 [sing.]; außerhalb des dtrG findet er sich 18-mal in den dtr. Abschnitten von Jeremia, einmal in Hos 3,1 sowie in den Chronikbüchern). Das Thema der Verehrung anderer Götter und des Abfalls von JHWH durchzieht die Bücher Deuteronomium bis Könige als Haupterklärung für die Katastrophe des Exils und der gleichzeitigen Zerstörung Israels und Judas.

Das Exil selbst, die Deportation aus dem Land, das Israel gegeben wurde, ist ein weiteres Leitmotiv, das das gesamte dtrG durchzieht. Mit Ausnahme von Lev 26,27-33, einem sehr späten Text, finden sich im Tetrateuch keine direkten Anspielungen auf das Exil. Selbstverständlich lassen sich einige Texte im Licht der Ereignisse von 597/587 deuten (so etwa Ex 32; Num 13-14), jedoch ohne dass sie eine explizite Erwähnung des Exils enthalten.

Ein weiteres Argument für die Einheit von Deuteronomium bis Könige besteht darin, dass das Deuteronomium, als eine große Rede des Mose am Ende seines Lebens konzipiert, das perfekte Modell für die Reden und Testamente (→ Abschiedsreden), die in den anderen historischen Büchern aufeinander folgen (besonders Jos 23; 1Sam 12; 1Kön 8), bietet.

Diese Beobachtungen erlauben es, die Bücher Deuteronomium bis Könige weiterhin als ein „dtrG“ zu bezeichnen, jedoch anders, als es Noth verstanden hat.

3.8. Der aktuelle Diskussionsstand

Angesichts der Vielzahl der Modelle, die in den vergangenen 50 Jahren entwickelt wurden, und angesichts der jüngsten Stimmen, die dafür plädieren, diese Hypothese eines dtrG ganz fallen zu lassen, entsteht der Eindruck einer großen Dissonanz.

Jede der oben vorgestellten Hypothesen enthält jedoch interessante Beobachtungen. Das Cross’sche Modell bietet eine einleuchtende Erklärung für die Texte, die von JHWHs immerwährenden Verheißungen zu David sprechen und optimistisch in die Zukunft blicken. Texte wie 2Sam 7 oder die Kriegserzählungen von Jos 6-11 scheinen noch unberührt von der Erfahrung des Exils bzw. lassen sich besser im Kontext der späten vorexilischen Zeit verstehen, in der die assyrische Vormachtstellung ihrem Ende entgegenging und das Königreich Juda eine gewisse Autonomie genoss.

Jedoch bietet der von Cross vorgeschlagene historische Kontext für die meisten Texte des dtrG keine überzeugende Erklärung, insofern sie die Zerstörung Jerusalems und des Tempels bereits voraussetzen: Diese können nicht einfach nur „Aktualisierungen“ eines bestehenden Dokumentes sein. Die Göttinger Schule betont zu Recht die Katastrophe des Exils als das zentrale Thema des dtrG, was besonders an den wiederholten Mahnungen JHWHs gegenüber seinem Volk und dessen Königen und an der Androhung des Landverlustes deutlich wird. Die These von der Existenz mindestens dreier redaktioneller Schichten verweist auf die Komplexität der dtr. Texte in Deuteronomium - Könige.

Auf der anderen Seite steht die Vervielfachung der dtr. Schichten in gewisser Weise im Zusammenhang mit der jüngsten Kritik an der Theorie des DtrG als solcher: Dass es Unterschiede zwischen der redaktionellen Bearbeitung des Richterbuchs im Vergleich mit den Königsbüchern gibt, ist eine Tatsache, die ernst zu nehmen ist. Somit ist zu überlegen, ob die Aspekte, die von Vertretern der unterschiedlichen Hypothesen diskutiert werden, nicht Grundlage für einen Kompromiss bilden könnten.

Iain W. Provan betont in seiner Arbeit über die Königsbücher, dass der dtr. Schule am meisten an der Abschaffung der bamôt (Heiligtümer unter freiem Himmel; → Kulthöhe) gelegen ist, die nach den Königsbüchern von Hiskia vollendet wurde. Damit schließt die dtrG-Ausgabe unter Josia für Provan mit 2Kön 18-19. Außerdem habe die erste Edition nicht aus dem Komplex Deuteronomium bis Könige bestanden, sondern nur in einer ersten Version der Bücher Samuel bis Könige. Das Deuteronomium, Josua und Richter seien erst später, in neubabylonischer Zeit, hinzugefügt worden. Damit beschränkte sich das ursprüngliche dtrG auf die Geschichte der israelitischen und judäischen Monarchie – und dies deckt sich mit der zuvor von Knauf, Auld und anderen vorgeschlagenen Position.

Norbert Lohfink (1981) geht von der Existenz einer Eroberungserzählung aus, die sich auf Deuteronomium und Josua beschränke (Dtn 1 - Jos 22*). Diese ursprüngliche Eroberungserzählung bezeichnet er als „DtrL“ („L“ steht für Landeroberung), datiert ihre Entstehung in die Zeit Josias und versteht sie als Propagandaschrift für die Expansionspolitik des Königs.

Diese Beobachtungen bestätigen die Hypothese, dass der Beginn der dtr. literarischen Arbeit in die neuassyrische Zeit fiel. Die bloße Existenz einer Schreibertätigkeit unter Josia erlaubt jedoch nicht die Datierung des dtrG in der von Noth beschriebenen Form in jene Zeit. Viel wahrscheinlicher ist, dass ein solch umgreifendes „Geschichtswerk“ nicht vor dem Exil entstand, als die ehemaligen königlichen Schreiber versuchten, die nationale und theologische Krise der Jahre 597/587 zu verarbeiten.

Sollten die dtr. Schreiber bereits unter Josia aktiv gewesen sein, muss ihre literarische Tätigkeit auf die eine oder andere Weise den Interessen des Hofes verpflichtet gewesen sein. Es handelte sich dann nicht um eine gehobene historiographische Schreibübung, sondern ganz konkret um Propagandaliteratur. Eine erste Fassung von Samuel bis Könige* könnte so entstanden sein, um die Herrschaft Josias zu legitimieren, der als würdiger Nachfolger Davids präsentiert wird, während ein im Geist der assyrischen Eroberungserzählungen redigiertes Dokument (Dtn - Jos*) die Politik Josias rechtfertigen und die Gebietsansprüche Judas als Gottesauftrag darstellen sollte. Ein solcher Kompromiss zwischen den verschiedenen Analysen der Entstehung von dtrG scheint eine Lösung zu bieten, welche in Bezug auf die Theorie des dtrG die meisten Beobachtungen und Kritikpunkte vereinen kann.

Danach wären drei prinzipielle Etappen anzunehmen: a) die Anfänge des Deuteronomismus unter Josia: Dazu gehören die erste Ausgabe des Deuteronomiums und des Buches Josua sowie die Geschichte der Königszeit in den Büchern Samuel und Könige; b) die Ausarbeitung eines „dtrG“ in der babylonischen oder frühen Perserzeit, das die Gründe für die Zerstörung Jerusalems und die Deportation des Königs und der „Oberen Zehntausend“ (2Kön 24,14) liefert; c) Überarbeitungen in der Perserzeit, welche eine Diasporaperspektive an den Tag legen (1Kön 8,46-53 u.a.).

So dürfte die Abfassung und Pflege des dtrG in der Hand von mehreren Schreibern liegen, was dann auch Abweichungen in Sprachgebrauch und Syntax erklären könnte. Vielleicht hat es das dtrG nie auf einer einzigen, sondern auf mehreren Schriftrollen gegeben, so dass man von einer dtr. Bibliothek sprechen kann, zu der neben den die Bücher Deuteronomium bis Könige umfassenden Schriftrollen auch andere wie Jeremia oder die Moseerzählung hinzukamen.

Die verschiedenen Visionen der sukzessiven Ausgaben des dtrG schlagen sich auch in deren Schlussversen nieder.

1. 2Kön 23,25. „Wie er war vor ihm kein König, der von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit seiner ganzen Kraft zu Jhwh umkehrte, ganz nach der Tora Moses“. Die josianische Ausgabe der Königsbücher will die Daviddynastie und deren größten Repräsentanten Josia feiern.

2. 2Kön 25,21. „Und so führte man Juda von seinem Boden in das Exil“. Diese wohl das exilische dtrG ursprünglich beschließende Bemerkung stellt das Exil als Abschluss der ganzen Geschichte dar, und kreiert gleichzeitig den Mythos vom „leeren Land“ (→ Zerstörung Jerusalems), der suggeriert, dass ganz „Israel“ aus seinem Land verbannt wurde, was sowohl den geschichtlichen Fakten als auch anderen biblischen Berichten widerspricht. Mit dieser Idee kommt eine Gola-Ideologie zum Ausdruck, nach welcher das „wahre Israel“ ein „exilisches“ Israel ist.

3. 2Kön 25,22-26. Falls 2Kön 25,21 das ursprüngliche Ende des dtrG war, muss davon ausgegangen werden, dass dieses bald durch den Zusatz von V. 22-26 erweitert wurde, der die Information über die anarchische Situation im Lande (welche in Jer 40-42 ausführlich dargestellt wird) aufnimmt, damit in gewisser Weise V. 21 korrigiert und nun mit der Flucht der verbleibenden Bevölkerung nach Ägypten endet: „Dann machte sich das ganze Volk auf … und sie zogen nach Ägypten …“. Da sich ähnliche Informationen auch im Jeremiabuch finden, könnte dieser Abschnitt angefügt worden sein, als das Buch Jeremia in die dtr. Bibliothek integriert wurde.

4. 2Kön 25,27-30. Wie ist nun aber der Abschnitt 2Kön 25,27-30 einzuordnen, mit welchem die Königsbücher in ihrer jetzigen Form zum Abschluss gelangen? Der Bericht über die Verbesserung der Situation Jojachins, der einen Ehrenplatz an der Tafel des babylonischen Königs erhält, wurde nach Noth „hinzugefügt, weil dieses – für die Geschichte an sich belanglose – Ereignis nun einmal noch mit zur Darstellung des Geschickes der judäischen Könige gehörte“ (1967, 87). In keinem Fall sei sie „in dem Sinne gemeint …, daß damit das Morgenrot einer neuen Zukunft erschienen sei“ (Noth, 1967, 108). Die etwas lakonische Behandlung dieser Verse durch Noth stieß schnell auf Widerspruch; oft las man in ihnen eine mehr oder weniger diskrete Hoffnung auf den Fortgang der davidischen Dynastie oder sogar auf das Kommen eines messianischen Königs. Allerdings wird damit der Text wohl doch überinterpretiert. Literarisch bedeutsam sind die Parallelen, die zwischen dem Schicksal Jojachins und den Diaspora-Romanen in Gen 37-50 (→ Josefserzählung), Dan 2-6 (→ Danielerzählungen) und in → Ester bestehen. In allen diesen Texten wird berichtet, dass ein Exilierter aus seinem Gefängnis geholt wird und eine hohe Stellung am Hof des ausländischen Königs erhält (vgl. 2Kön 25,28; Gen 41,40; Dan 2,48; Est 10,3); diese neue Stellung wird jedes Mal durch einen Kleidungswechsel symbolisiert (2Kön 25,29; Gen 41,42; Dan 5,29; Est 6,10-11; Est 8,15). In den Diasporaerzählungen geht es darum zu zeigen, dass das Land des Exils zu einem Land werden kann, in dem man gut und lange leben und sogar Karriere machen kann. 2Kön 25,27-30 könnte ähnlich interpretiert werden: das Schicksal Jojachins symbolisiert die Transformation der Exilssituation in eine Diasporasituation.

3.9. Die Auflösung des dtrG

Das dtrG wurde schließlich um 400-350 v. Chr. „aufgelöst“, als das Buch Deuteronomium zum letzten Buch der Tora wurde und die Diskussion um Hexa- oder Pentateuch zugunsten des Pentateuchs entschieden wurde (Römer / Brettler).

In diesem Kontext wurde das Deuteronomium von einer Pentateuchredaktion dahingehend überarbeitet, dass die Trennung zwischen Deuteronomium und Josua deutlich wird und dass das Deuteronomium nun vor allem als Abschluss des Pentateuchs erscheint. Dies ist in Dtn 34,10-12 der Fall: „Und es stand kein Prophet mehr auf in Israel wie Mose, den er [Jhwh] von Angesicht zu Angesicht gekannt hat …“. Dieser Vers zeigt, dass die ganze folgende Geschichte nicht mehr auf demselben Niveau stehen wird. Die Aussage von Dtn 34,10 korrigiert im Übrigen das dtr. Prophetenbild, das in Dtn 18,15 zum Ausdruck kommt: „Einen Propheten wie mich wird dir Jhwh, dein Gott, erstehen lassen (יָקִים jāqîm) aus der Mitte deiner Brüder, auf den sollt ihr hören“. Gegen die dtr. Idee, nach der Mose der erste einer langen Reihe von Propheten ist, stellt die Pentateuchredaktion die Unvergleichlichkeit Moses, den einzigen Mittler des göttlichen Gesetzes.

Die Zugehörigkeit des Deuteronomiums zu den vorangehenden Büchern wird ebenfalls durch die Einfügung der Patriarchennamen an strategisch wichtigen Stellen des Deuteronomiums bewerkstelligt, so z.B. ganz zu Anfang (Dtn 1,8) und am Ende des Buches (Dtn 34,4). Dass es sich dabei um eine Pentateuchredaktion handelt, geht schon daraus hervor, dass eine solche Gleichsetzung der dtr. Väter mit den Patriarchen in den Vorderen Propheten nicht stattfindet. Diese Patriarchenredaktion, die mit der Pentateuchredaktion gleichzusetzen ist, durchzieht sämtliche Bücher der Tora und unterstreicht auch damit deren Kohärenz: Gen 50,24; Ex 3,15-16; Ex 4,5; Ex 32,13; Ex 33,1; Lev 26,42; Num 32,11; Dtn 1,8; Dtn 9,27; Dtn 34,4.

4. Deuteronomismus außerhalb des dtrG

4.1. Im Tetrateuch (Gen bis Num)

Heute geht man oft davon aus, dass sich dtr. Redaktionen auch im Tetrateuch (Gen - Num) und in einigen prophetischen Büchern finden. Einige Forscher nehmen etwa an, dass die sogenannte jahwistische Quelle (→ Jahwist), die üblicherweise ins 10. oder 9. Jh. datiert wurde, besser als das Werk eines Deuteronomisten der zweiten oder dritten Generation zu verstehen sei (Van Seters; Rose). Ein anderes Modell nimmt als Grundlage des Pentateuchs einen Kompromiss zweier Großkompositionen – D und P – an und hält damit den Großteil der nichtpriesterlichen Texte für das Werk eines deuteronomistischen Milieus (Blum; Johnstone). Betrachtet man die Existenz einer deuteronomistischen Redaktion im Pentateuch als gesichert, bleibt jedoch eine weitere Frage zu beantworten: Gab es jemals den Versuch, eine „große Geschichte“ der Ursprünge zu entwerfen, die von Genesis bis Könige reicht?

Genauer gesagt wirft die Debatte um deuteronomistische Redaktionen und den „Deuteronomismus“ im Tetrateuch die wichtige Frage auf, welche Kriterien eigentlich erfüllt sein müssen, damit wir einen Text als „deuteronomistisch“ bezeichnen können. Die einzige Möglichkeit, willkürliche Definitionen zu vermeiden, ist eine Kombination theologischer und stilistischer Kriterien. Dann wird es schwierig, viele deuteronomistische Texte in den Erzväter-Erzählungen der Genesis auszumachen. Das friedliche Zusammenleben Abrahams und seiner Nachbarn widerspricht der streng separatistischen Sicht bezüglich der Völker des Landes in dtr. Texten (vgl. Dtn 7,1-5).

Der einzige Text der Genesis, der sich deuteronomistischen Texten stilistisch und ideologisch annähert, ist Gen 24. Die Geschichte des Abraham-Dieners, der für Isaak eine Frau aus seiner mesopotamischen „Verwandtschaft“ suchen soll, spiegelt zweifellos das Denken der Perserzeit wider, als ein Teil der ehemaligen Exilierten sich selbst – und die babylonische Gola (die jüdische Gemeinschaft, die nach dem Fall des Babylonischen Reiches in Mesopotamien verblieben war) – als das einzige „wahre Israel“ betrachteten. Doch macht diese eine Erzählung die Genesis nicht zu einem deuteronomistischen Buch.

Sehr anders stellt sich die Situation für das Buch Exodus dar, das zahlreiche deuteronomistische Merkmale und Texte enthält, so die „Völkerliste“ in der Geschichte von der Berufung des Mose (Ex 3,8) oder die Vorschriften in Ex 23,23-33 zur Abgrenzung von fremden Völkern bzw. zu ihrer Vertreibung. Dies deutet auf die Möglichkeit eines großen „deuteronomistischen“ Geschichtswerkes hin, das sich von Ex 2 (?) bis zum Ende von 2Kön erstreckt (Schmid). Eindeutig erkennbar ist heute ein inhaltlicher und theologischer Einschnitt zwischen Genesis und Exodus: Diese Bücher bieten zwei einander entgegenstehende Ursprungsmythen (den genealogischen Mythos und den des Exodus), die möglicherweise sehr spät von priesterlichen Redaktoren zusammengestellt wurden (de Pury; Römer 1990; Schmid 1999).

4.2. Im Deuteronomium

Dass das → Deuteronomium kein literarisch einheitliches Werk darstellt, hat seit de Wettes Entdeckungen (s.o.) zu vielfältigen Unterscheidungen zwischen primären, sekundären, tertiären und noch späteren Schichten im Deuteronomium geführt. Während die ältesten, primären Ausgaben meist für vorexilisch gehalten und mit der Kultreform Josias 622 v. Chr. verbunden sowie als „(ur)deuteronomisch“ etikettiert werden, hat sich, auch in Folge des einflussreichen Kommentars von Carl Steuernagel (1923), die Erkenntnis durchgesetzt, dass viele Texte im Deuteronomium als dtr. zu bezeichnen sind. In vielen Fällen sollte „dtr.“ dabei nur bedeuten „nicht zum ursprünglichen Deuteronomium gehörig“.

Im Blick auf diese sehr simple Differenzierung hat sich ein gewisser Konsens ausgebildet, dass insbesondere der vordere und hintere Rahmen des Deuteronomiums zu den potentiell dtr. Texten gehört, also die Texte in Dtn 1-11, d.h. die nacherzählenden in Dtn 1-3 und die paränetischen Kapitel in Dtn 4-11, ebenso wie die Texte in Dtn 29-31 und Dtn 34. Außerdem haben differenzierte Untersuchungen des Gesetzeskerns ergeben, dass auch dieser intensiv überarbeitet und ausgeweitet, also auch Dtn 12-28 dtr. redigiert worden ist. Das ist z.B. für das Zentralisationsgesetz in Dtn 12, in welchem wohl nur die Verse 13-18 zum „Ur-Dtn“ gehören, oder das Ämtergesetz in Dtn 16,18-18,22 ebenso unstrittig wie für das Segen-Fluch-Kapitel in Dtn 28, in welchem ebenfalls ein älterer aus der assyrischen Zeit stammender Text in der Exilszeit erheblich überarbeitet wurde. Insofern liegt das Deuteronomium heute ganz wesentlich in einer dtr. redigierten Gestalt vor.

Damit stellt sich die Frage, ob das Ur-Deuteronomium außer den Gesetzestexten in Dtn 12-26* und der Einleitung in Dtn 6,4ff* und dem Abschluss in Dtn 28* überhaupt erzählendes Material beinhaltete bzw. bereits als Moserede konstruiert war.

Die Frage nach der genauen Zuordnung der dtr. Schichten im Deuteronomium zu den dtr. Schichten in Jos-Kön ist oft schwierig. Demzufolge benennt der neueste Deuteronomium-Kommentar von Eckart Otto (2012), der die Noth’sche Theorie ablehnt, seine beiden dtr. Schichten ad hoc nach inhaltlich-funktionalen Gesichtspunkten, nämlich als „dtr. Horebredaktion“ – also jene Redaktionsschicht, die die Horebereignisse und den Horebbund in das Deuteronomium eingeführt hat – und als „dtr. Moabredaktion“, die einen vom Horebbund unterschiedenen Moabbund einführt. Diese beiden Redaktionen übergreifen nach Otto lediglich die Bücher Deuteronomium und Josua, nicht ein für ihn imaginäres DtrG. Andererseits postuliert Otto aber zu Recht, dass einige der in den letzten Jahrzehnten für dtr. gehaltenen Texte eigentlich post-dtr. und post-priesterschriftlich sein dürften. Das gilt ganz sicher für den offenkundig die priesterschriftliche Darstellung von Gen 1 voraussetzenden Text Dtn 4 (vgl. Dtn 4,16-19) mit seiner „mosaischen Gnadentheologie“ in Dtn 4,29 und den monotheistischen Aussagen in Dtn 4,36.39, aber z.B. auch für Dtn 30,1-10, wo von der „Beschneidung des Herzens“ gesprochen wird.

4.3. In den Prophetenbüchern

4.3.1. Jeremia

Bereits → Bernhard Duhm hatte das Buch → Jeremia als Resultat dtr. Redaktoren bestimmt, die seiner Auffassung nach vom 6. bis 1. Jh. v. Chr. tätig waren und die wenigen authentischen Worte des Propheten überarbeitet haben, um aus Jeremia einen Gesetzesprediger zu machen. Ein präziseres, von der Urkundenhypothese beeinflusstes Model legte → Sigmund Mowinckel vor. Er unterschied im Jeremiabuch vier Urkunden, die von verschieden Redaktoren miteinander kombiniert wurden: A (die Worte Jeremias, enthalten in Jer 1-25), B (die Jeremia-Erzählung in Jer 26-44*), C (die dtr. Prosareden in Jer 7; Jer 11; Jer 18; Jer 21; Jer 24; Jer 25; Jer 32; Jer 34; Jer 35; Jer 44*), D (die Heilsorakel in Jer 30-33*). Im Gegensatz zu Mowinckel, der die dtr. Texte des Jeremiabuchs als eigenständige Quelle verstand, betonten Wilhelm Rudolph und James Ph. Hyatt zu Recht, dass diese Texte andere und ältere Texte voraussetzen und somit von einer dtr. Redaktion des Jeremiabuchs ausgegangen werden muss. Diese Idee wurde von Ernest Nicholson und insbesondere von Winfried Thiel untermauert, der im Jeremiabuch zwei unterschiedliche dtr. Bearbeitungen herausarbeitete, z.B. in Jer 16,10-15, wo eine erste dtr. Gerichtsankündigung in Jer 16,10-13, durch eine zweite dtr. Bearbeitung aktualisiert wird, die eine Restauration des exilierten Israels in Aussicht stellt. Diese zweite dtr. Redaktion ist sicher später als die exilische dtr. Redaktion von Deuteronomium bis Könige und weitaus mehr auf eine Zukunftsperspektive ausgerichtet.

Allerdings blieb die Annahme einer oder mehrerer dtr. Redaktionen im Jeremiabuch nicht unwidersprochen. So nahmen z.B. Helga Weippert und William Holladay an, dass es sich bei dem sogenannten dtr. Stil im Jeremiabuch um eine im 7. Jh. v. Chr. geläufige Prosasprache handelt, der sich der Prophet Jeremia sowie die Autoren des Deuteronomiums bedient hätten. Diese Lösung hat wenig Zustimmung erfahren, da sie nicht erklärt, warum andere zeitgenössische Texte nicht in derselben Sprache geschrieben sind und warum sich im Buch Jeremia sich sehr verschiedene Stile finden.

In der neueren Forschung wird wie in Bezug auf das dtrG die Existenz einer kohärenten dtr. Redaktion bestritten. Ausgehend von der Beobachtung, dass sich der dtr. Stil auch noch in sehr späten Texten des Jeremiabuchs findet, die später als die Vorlage der → Septuaginta geschrieben wurden, kehren einige Forscher zur Position B. Duhms zurück und führen die dtr. Texte auf einen Jahrhunderte währenden redaktionellen Prozess zurück. William McKane spricht von einem „rolling corpus“, Konrad Schmid von einer „Denktradition“, Hermann-Josef Stipp spricht anstatt von dtr. von deutero-jeremianischen Texten. Allerdings stellen einige dtr. Texte, ähnlich wie die Reflexionskapitel im dtrG, eine Art zusammenhängendes Gerüst dar, so dass man die Annahme einer oder mehrerer planmäßiger dtr. Redaktionen nicht vorschnell ausschließen sollte (so auch vorsichtig Christl Maier). Thomas Römer und Gunther Wanke nehmen zwei dtr. Redaktionen an, Rainer Albertz drei (I: Jer 1-25*, um 560-550; II: Jer 1-25* + Jer 26-44*; Schlüsseltexte: Jer 1 (Berufung), Jer 7; Jer 35; Jer 45, um 540; III: fügt um 525-520 die Heilsorakel in Jer 30-34* ein).

Wenn auch zur Zeit kein Konsens über den Charakter der dtr. Texte des Jeremiabuchs bestehet, wird deren Existenz kaum geleugnet; damit besteht dann aber auch eine Beziehung zum dtrG (Dtn-Kön), und es ist durchaus möglich, dass die Deuteronomisten das Buch Jeremia als Ergänzungsschrift zum dtrG konzipiert haben.

4.3.2. Jesaja

In Bezug auf das Buch → Jesaja bleibt die Frage einer dtr. Redaktion, die insbesondere von Jacques Vermeylen und Otto Kaiser angenommen wurde, höchst umstritten. Zu beobachten sind verschiedene ideologische und auch editorische Verbindungen zwischen Jesaja und dem dtrG, vor allem zwischen Jes 36-39 und 2Kön 18-20, doch gibt es relativ wenige Hinweise auf eine dtr. Terminologie im Buch Jesaja. Deswegen steht die Mehrzahl der Forscher der Idee einer dtr. Redaktion im Jesajabuch kritisch gegenüber. Mehrere redaktionsgeschichtliche Modelle postulieren für die Entstehung von Proto-Jesaja eine erste Redaktion zur Zeit → Josias und eine zweite während oder kurz nach der babylonischen Zeit (Barth, Bosshard-Nepustil), also zeitgleich mit den Entstehungsphasen des dtrG. Allerdings genügt dies nicht, um diese Redaktionen mit dem dtr. Milieu in eins zu setzen. So hat Erich Bosshard-Nepustil im Jesajabuch eine Assur-Babel-Redaktion herausgearbeitet, die das dtrG zwar voraussetzt, aber von diesem in Sprache und Theologie deutlich abweicht.

4.3.3. Ezechiel

Auch für das Buch → Ezechiel ist die Existenz einer dtr. Redaktion erwogen worden (Garscha). In der Tat finden sich dtr. Ausdrücke in Bezug auf das Land, das JHWH den Vätern zugeschworen bzw. gegeben hat. Allerdings zeigt sich bereits hier eine Mischung zwischen dtr. und priesterlichem Sprachgebrauch (z.B. die Verwendung von נָשָׂא יָד nāsā’ jād „die Hand heben“ anstelle des dtr. שׁבע šb‘ Nif. „schwören“). Der Geschichtsrückblick in Ez 20 bietet ebenfalls eine Mischung dtr. und priesterlichen Gedankenguts und entsprechender Sprache, so dass man eher mit späten Redaktoren rechnen muss, die ähnlich wie im → Heiligkeitsgesetz „D“ und „P“ miteinander ausgleichen bzw. harmonisieren wollten.

4.3.4. Zwölfprophetenbuch

Im → Zwölfprophetenbuch sind die Bücher → Hosea, → Amos und → Micha die wahrscheinlichsten Kandidaten für eine dtr. Redaktion.

In Bezug auf Hosea wird seit langem diskutiert, ob der Prophet so etwas wie ein „geistiger Vater“ des Deuteronomismus ist oder ob die vielen Texteinheiten, die insbesondere in Hos 4-14 eine Beziehung zum Deuteronomismus aufweisen, das Ergebnis dtr. Redaktionen sind. Letztere These wurde insbesondere von Gale Yee vertreten, die zwei dtr. Redaktionen der Sammlung von authentischen Hosea-Worten postulierte. R1 aus der Zeit Josias interpretiert die Verfehlungen des Nordreichs hauptsächlich als kultische Verstöße (Hos 2,10a.11.13-15a; Hos 4,1-2.4.5a.6b.13b.15-16a.17a.18*.19b; Hos 5,5*-7; Hos 6,4.6-7.11; Hos 8,1-4a.5*.6.11-12; Hos 9,1.5.7.10.15; Hos 10,1-8.15), wohingegen R2 in der Zeit des babylonischen Exils die Anklagen auf Juda ausweitet, aber auch Heilsorakel einfügt, die eine Restauration des zu JHWH zurückkehrenden Volkes in Aussicht stellen (Hos 1,1.5.6*-7; Hos 2,1-3.8-9.10b.15b-18*.19-20.22b-25; Hos 3,1-5; Hos 4,3.6a.7.12*.13a.14.16b.17b; Hos 5,2b.4.13b.15-6,3; Hos 6,5.6.11b-7,1*; Hos 7,4.10.12*.15*.16; Hos 8,4b-5*.6*-7.13-14; Hos 9,2-4.6.8-9.14.17; Hos 10,9-10.12.13b-14; Hos 11,1-11; Hos 12,1b.5-7.10-12.14; Hos 13,1-11.14; Hos 14,2-10). Nach Yale sind die zwei dtr. Redaktionen identisch mit denen, die Cross für das dtrG eruiert hat. Dies scheint jedoch aufgrund der ausgesprochenen Heilserwartung der zweiten Schicht kaum möglich. Deswegen hat Jakob Wöhrle wohl zu Recht den dtr. Anteil des Hoseabuchs näher eingegrenzt und auf eine exilische dtr. Redaktion beschränkt (Hos 1,1; Hos 3,1-5*; Hos 4,1*.10.15; Hos 8,1b.4b-6.14; Hos 13,2-3; Hos 14,1). Wie für Jeremia wird allerdings auch für Hosea die These durchgehender dtr. Redaktionen bestritten und durch Fortschreibungsmodelle ersetzt (Nissinen, Rudnig-Zelt).

Für das Buch Amos hatte erstmals Werner H. Schmidt die Existenz einer dtr. Redaktion postuliert, welche insbesondere in Am 1,1*.2-9.13; Am 2,4-5.10-12; Am 3,1a.7; Am 5,25-26 zu finden sei. Diese These, die von Vermeylen und anderen aufgenommen und weitergeführt wurde (Alvarez Barredo, Albertz, Wöhrle), stellt erneut vor die Frage, wie diese dtr. Redaktion(en) mit dem dtrG zu korrelieren sind.

Für eine dtr. Redaktion im Micha-Buch haben sich u.a. Alvarez Barredo, Schart, Nogalski, Albertz und Wöhrle ausgesprochen. Wöhrle, der sich auf die Analysen seiner Vorgänger stützt, weist dabei folgende Verse und Textpassagen der dtr. Bearbeitung zu: Mi 1,1.5b-7.12b; Mi 5,9-13; Mi 6,2-4.9*.10-15.

Auch für Zefanja (→ Zefanja) wird bisweilen mit einer dtr. Redaktion gerechnet (Seybold, Nogalski, Albertz). Wöhrle wiederum identifiziert als dtr. Zef 1,1.4-6.13b; Zef 2,1-3*.4-6.8-9a; Zef 3,1-4.6-8a.11-13. Die mannigfachen Anspielungen auf 2Kön 22-23 in Zefanja sind unbestreitbar, allerdings ist die Redaktionsgeschichte des Buches sehr unklar; deswegen kann man auch Zefanja insgesamt als einen späten post-dtr. Traktat der Perserzeit verstehen (Küng).

Die Frage nach dtr. Redaktion(en) in den Büchern Hosea, Amos, Micha und Zefanja hängt auch mit der Frage der Existenz eines Vierprophetenbuches zusammen, das bisweilen als die erste Stufe der Entstehung des Dodekaprophetons angesehen wird (Schart, Nogalski, Albertz, Wöhrle). Diese Hypothese, wenn auch nicht generell anerkannt, erkennt den dtr. Einfluss bei der Entstehung des Kanonteils „Propheten“ der Hebräischen Bibel.

4.4. Im Psalter

Dtr. Redaktionen bzw. dtr. Einfluss im Psalter werden in Bezug auf die → Asaf-Psalmen (Ps 50; Ps 73-78) diskutiert. Insbesondere Ps 78 weist eine große Nähe zu dtr. Gedankengut auf, kann aber auch bereits als späte Nachwirkung dtr. Theologie verstanden werden (Witte). Timo Veijola hat den dtr. Charakter von Ps 89 unterstrichen und diesem einem Mitglied der dtr. Schule zugeschrieben (vgl. auch Marttila, der auf Ähnlichkeiten zu Ps 132 aufmerksam macht). Im Gegenzug betont Michael Emmendörffer, dass Psalmen wie Ps 44; Ps 74; Ps 89 u.a. zwar die dtr. Theologie voraussetzen, „deren Anliegen (der Schuldaufweis des Volkes und die ‚Rechtfertigung’ Gottes) aber gerade nicht positiv aufgenommen und weitergeführt, sondern – zum Teil in deuteronomistischer Travestie – auf schärfste kritisiert wird“ (293).

Auch die anderen sogenannten Geschichtspsalmen (Mathias) nehmen zwar in Ps 105; Ps 106; Ps 136 dtr. Gedankengut auf, setzen aber wohl bereits einen (Proto-)Pentateuch voraus, zumindest aber die Verbindung von „P“ und „D“ (Römer).

5. Wer waren die Deuteronomisten?

In der heutigen Diskussion besteht bis auf wenige Gegenstimmen (Van Seters, McKenzie) weitgehende Einigkeit darüber, dass das Sigel „Dtr.“ kein freischaffendes Individuum bezeichnet, sondern eine Gruppe von judäischen Intellektuellen. Von einer „dtr. Bewegung“ sollte man jedoch nicht sprechen (so zu Recht Lohfink), da der „Deuteronomismus“ kein vom Volk getragenes Phänomen war, sondern auf eine kleine Gruppe beschränkt blieb. Wenn man den Terminus „Schule“ in diesem begrenzten Sinn verwendet, kann man von einer „dtr. Schule“ sprechen, die bestimmte Schriftrollen edierte und pflegte. Die Beobachtung, dass innerhalb der Bücher des dtrG stilistische Unterschiede bestehen (z.B. zwischen Richterbuch und Königsbüchern) oder auch zwischen dem dtr. Jeremiabuch und dem dtrG, kann dann so erklärt werden, dass verschiedene Deuteronomisten für die Pflege verschiedener Schriftrollen zuständig waren. Wahrscheinlich hat es das dtrG nie auf einer einzigen Schriftrolle gegeben, sondern in verschiedenen Rollen, die Bestandteile einer „dtr. Bibliothek“ waren, zu der auch Bücher wie Jeremia, eine „Vita Mosis“ und vielleicht auch ein Vierprophetenbuch gehörten.

Falls man die Ursprünge des Deuteronomismus im ausgehenden 7. Jh. ansetzt, ist der Wirkungsort der Deuteronomisten sicher im Tempel- und Palastbetrieb in Jerusalem zu lokalisieren. Texte wie 2Kön 22-23 und Jer 36 suggerieren, dass die Mitglieder der Familie der Schafaniden (→ Schafan) wohl zu den Deuteronomisten, einer Reformbewegung, die den jungen König Josia beeinflusste, gehörten. Nach der Zerstörung des Tempels befanden sich, entgegen der Annahme Noths, die Deuteronomisten wohl zum Großteil unter den nach Babylon deportierten Intellektuellen. Dies zeigt die Theorie des „leeren Landes“ in 2Kön 25,21 und die Golah-Perspektive, die in 1Kön 8 zum Ausdruck kommt. Rainer Albertz hat die These aufgestellt, dass die Deuteronomisten in zwei Parteien gespalten waren: Die Verfasser des dtrG setzten sich aus einflussreichen national-religiösen königstreuen oder königlichen Familien zusammen, die in Babylon weiterhin auf das Fortdauern des Königtums hofften, während die Deuteronomisten des Jeremiabuchs, die in Jerusalem verbliebenen Schafaniden seien, die am Königtum nicht mehr interessiert waren und eine soziale Reform einleiten wollte. Damit sind die Unterschiede zwischen dem dtrG und dem dtr. Jeremiabuch wohl doch etwas überspitzt gesehen. Möglich ist jedoch die Annahme, dass von den Deuteronomisten auch einige in Juda verblieben waren und im Dienst der Babylonier arbeiteten. In der Perserzeit stellten die Deuteronomisten neben den Priestern eine einflussreiche Gruppe von Beamten und Schriftkundigen dar, die sich mit ihren priesterlichen Kollegen schließlich auf die Promulgation des Pentateuchs einigten.

6. Wirkungsgeschichte

Dtr. Stil und dtr. Theologie haben eine lange Nachwirkung im jüdischen und frühchristlichen Schrifttum. In der Hebräischen Bibel ahmen die Gebete in Neh 9 und Dan 9 dtr. Sprache nach. Dtr. Stil und Gedankengut findet sich auch im 1. Makkabäerbuch (→ Makkabäerbücher), → Baruchbuch, → Judit oder → Tobit (von Weissenberg u.a.). Auch im Neuen Testament lassen sich dtr. Ideen belegen, insbesondere im Lukasevangelium, welches seine Christologie mit dem dtr. Thema des dem Volk gesandten und verstoßenen Propheten konstruiert (Steck), ein Thema, das selbst im Koran einen Nachklang findet. In der Apostelgeschichte kann die Rede des Stephanus in Apg 7 als Nachahmung der dtr. Reflexionsreden verstanden werden (Römer / Macchi). Wie im dtrG resümiert Stephanus die vergangene Geschichte und wirft seinen Hörern vor, die göttlichen Weisungen missachtet zu haben.

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