Deutsche Bibelgesellschaft

Divination (AT)

(erstellt: März 2007)

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Der gesamte Mittelmeerraum und der alte Orient stellen, wenn es um Divination geht, ein kulturelles Kontinuum dar, an dem auch die israelitisch-jüdische Divination partizipiert. Unter Divination versteht man einen Kommunikationsvorgang mit dem Göttlichen. Grundsätzlich ist zwischen deduktiver und induktiver Divination zu unterscheiden. Deduktive Divination bedient sich zur Kommunikation mit dem Göttlichen medialer (z.B. Rauch, Öl) und / oder technischer (z.B. Lose, Würfel) Hilfsmittel, während induktive Divination auf solche Hilfsmittel verzichtet und eine unmittelbare Kommunikation mit dem Göttlichen anstrebt. Anders als in ihrer Umwelt (z.B. die Lebermodelle aus → Ugarit) sind aus den antiken israelitisch-jüdischen Kulturen keine oder nur sehr wenige archäologische Zeugnisse deduktiver Divination erhalten.

1. Deduktive Divination

1.1. Ablehnung der Divination

Gegen deduktive Divination wird insbesondere in der deuteronomistischen Literatur, aber auch in späteren (priesterlichen) Texten, scharf polemisiert (→ Deuteronomismus). In seiner Gleichsetzung von deduktiver Divination mit Kindopfern als paganen Kultpraktiken ist Dtn 18,9-12 (vgl. 2Kön 17,17; 2Kön 21,6) ein gutes Beispiel. Die deuteronomistische Polemik der spätvorexilischen und exilischen Zeit war so erfolgreich, dass ursprünglich neutral oder sogar positiv gewertete divinatorische Terminologie in nachexilischer Zeit fast durchgehend eine negative Beurteilung erfährt (z.B. die Verwendung der Wurzeln נחשׁ und ענן sowie קסם; zur Sache Lange, 2001).

Der Erfolg der deuteronomistischen Polemik zeigt sich auch in den priesterschriftlichen Verboten von Divination im Allgemeinen (Lev 19,26) und Nekromantie (Totenbeschwörung) im Besonderen (Lev 19,31; Lev 20,6.27). Die deuteronomistisch-priesterschriftliche Ablehnung der Nekromantie spiegelt sich auch in einer späteren Einfügung zur so genannten Jesaja-Denkschrift wider (Jes 8,19). Wie Dtn 18,9-12 vergleicht auch → Tritojesaja Divination mit Kindopfern (Jes 57,3-5). → Deuterojesaja schildert, wie Gott Omina zunichte macht, und eine Micha-Redaktion schildert die eschatologische Vernichtung von Götzenbildern, Zauberern und Zeichendeutern (Mi 5,11-13).

Die Ablehnung deduktiver Divination lebt auch in antik-jüdischen Texten weiter. Beispiele finden sich im henochitischen Wächterbuch (→ Henoch) und in der Damaskusschrift: In äthHen 8,3 werden die verschiedenen Formen der Astrologie als Teil jenen Wissens disqualifiziert, das die gefallenen Wächterengel den Menschen lehrten. Für das Wächterbuch ist Astrologie damit Teil der Ursünde. Jub 8,3f argumentiert ähnlich: Kainam habe nach der Sintflut eine vorsintflutliche Inschrift gefunden, in der er die astrologische Lehre der Wächterengel studierte. → Abraham habe demgegenüber, während er die Sterne studierte, den widergöttlichen Charakter der Astrologie erkannt und daher um Erlösung von den bösen Geistern gebetet (Jub 12,16-20). In der Damaskusschrift lehnen schließlich 12:2-3 (4QDf 5 i 18f) und 4QDe 2 i 10 die Nekromantie mit den Worten von Lev 20,27 ab.

1.2. Praxis der Divination

Die Schärfe der vor- und nachexilischen Polemiken gegen deduktive Divination legt nahe, dass eine zumindest vorexilisch weit verbreitete Praxis abgelehnt wird. So belegt Jes 3,3 den Wahrsager neben dem Ältesten als Teil der Führungsschicht des vorexilischen Juda. Wie sehr Divination in vorexilischer Zeit ein Oberschichtphänomen war, demonstriert auch Spr 16,10: „Ein Orakel auf den Lippen des Königs, sein Mund wird dem Recht niemals untreu.“ Welche Art von Orakel in Spr 16,10 gemeint ist, könnte 2Kön 16,15 mit seinem Hinweis auf den bronzenen Altar zeigen, den der jüdische König → Ahas benutzt, um Opferschau vorzunehmen (לבקר Pi.). Dass die Bemerkung über Ahas’ Eingeweideschau im Jerusalemer Tempel Teil einer Polemik gegen Ahas’ Tempelbaumaßnahmen ist, wird im Kontext der üblichen Polemiken des → deuteronomistischen Geschichtswerks gegen alles nichtjahwistische zu verstehen sein und sollte nicht über den indigenen Charakter der Eingeweideschau des Ahas hinwegtäuschen.

Auf eine jüdische Eingeweideschau im Jerusalemer Tempel könnte auch der Wunsch des Beters in Ps 27,4 hinweisen, „die Freundlichkeit des Herrn zu schauen (לחזות) und in seinem Heiligtum Opferschau vorzunehmen (לבקר)“ (so zuerst Mowinckel, 1961, 146). Dabei würde der Wunsch des Beters die Ausübung induktiver und deduktiver Divination im Tempel miteinander verbinden. Im Sinne einer Befragung JHWHs durch das Mittel der Eingeweideschau könnte ferner die Opferhandlung in Ri 20,27 zu deuten sein.

Ein Hinweis auf die Verwendung einer anderen Form deduktiver Divination im vorexilischen Juda findet sich in Gen 44,5: → Josef lässt seinen Brüdern durch seinen Hausverwalter vorwerfen: „Ist es nicht dieser (Becher), aus dem mein Herr trinkt und aus dem er wahrsagt?“ Becherartige Gefäße wurden im Alten Orient im Rahmen der Lekanomantie (Ölomen) zur Divination verwendet. Josef hätte demnach Öl in den mit Wasser gefüllten Becher getropft, um an Hand der Formen der Öltropfen Rückschlüsse auf den göttlichen Willen ziehen zu können (Lange, 2001).

Auch die Nekromantie, die Befragung Verstorbener, ist für die vorexilische Zeit nicht nur im Spiegel deuteronomistischer Polemiken belegt, sondern findet sich auch in einem Bericht darüber, wie Saul den verstorbenen Propheten Samuel befragen lässt (1Sam 28), nachdem die in den Augen des Deuteronomisten legitimen Formen der Divination (Traum, Losorakel und Prophetie 1Sam 28,6.15) versagt hatten. Der Text ähnelt dabei auffallend der Erzählung von der Befragung des griechischen Sehers Teiresias durch Odysseus (Homer, Odyssee XI; Text gr. und lat. Autoren). Schließlich erinnert die Erwähnung der Eiche der Wahrsager (אלון מעוננים) in Ri 9,37 an die Verwendung von Eichen im Zeus-Orakel von Dodona (vgl. Ri 6,11.19). Neben dieser Liste indigener Formen von israelitisch-jüdischen Belegen für deduktive Divination ist zumindest ein Text erhalten, in dem JHWH sich verschiedener Formen deduktiver Divination bedienen kann, um mit → Nebukadnezar zu kommunizieren (Ez 21,26-28).

Neben den nur noch in Andeutungen erhaltenen Formen vorexilischer deduktiver Divination, haben die deuteronomistischen Texte selbst zwei andere Formen deduktiver Divination fraglos akzeptiert, das Losorakel und den allegorischen (Symbol-)Traum. Schon die vorexilische Spruchtradition signalisiert eine hohe Wertschätzung des Losorakels, wenn sie vom ihm sagt: „Streitigkeiten beendet das Los und zwischen Mächtigen trennt es“ (Spr 18,18). Diese Wertschätzung spiegelt sich auch in der deuteronomistischen Literatur wider, wenn das Josuabuch beschreibt, wie die Stämme Israels das eroberte Land durch das Losorakel unter sich verteilen (Jos 13-19). Dass das israelitisch-jüdische Losorakel eine einfache Ja-Nein-Frage beantwortet, wird in 1Sam 14,40-42 illustriert. Eine Sonderform des Losorakels sind die Urim und Tummim, die sowohl in deuteronomistischer als auch nicht-deuteronomistischer Literatur geschätzt werden (Ex 28,29f; Num 26,55f; Num 27,21; Num 33,54; Num 34,13; Num 36,2f; Dtn 33,8; Ri 20,9; 1Sam 14,41; 1Sam 28,6; Ob 11; Nah 3,10). Schließlich zeigt Ri 7,13f, dass die deuteronomistische Literatur auch die Deutung allegorischer Träume akzeptierte (zur Sache s.u.).

Dass aus persischer und hellenistischer Zeit mehr Nachrichten über die Verwendung deduktiver Divination im Judentum überliefert sind, liegt nicht an ihrer positiveren Bewertung, sondern wohl daran, dass insbesondere aus der Bibliothek von → Qumran mehr Quellentexte erhalten sind. Eine der prominenteren und allgemein akzeptierten Techniken scheint das Losorakel gewesen zu sein (Lev 16,8-10; 1Chr 24-26; Esr 2,63 (par Neh 7,65); Jo 4,3; Jon 1,7; 11QTa LVIII:18-21; Sir 14,15; Jub 8,11ff; 10,30f; 1QS VI:16.18.21f). So kann der Chronist einen Text gestalten, nach dem zur Zeit Davids die priesterlichen Dienstklassen, die Leviten und die 24 Dienstklassen der Sänger durch das Losorakel eingeteilt worden sind. Und der essenische Text 1QS VI:16.18.21f (häufig als Gemeinderegel bezeichnet) schildert, wie das Losorakel bei der Evaluierung neuer Mitglieder der essenischen Gemeinschaft eingesetzt wurde, obwohl die Essener der deduktiven Divination skeptisch gegenüberstanden (Lange, 1997b). Die im hohepriesterlichen Gewand aufbewahrten Urim und Tummim werden als eine Sonderform des Losorakels nicht nur in Lev 8,8, sondern auch noch in Book of Mysteries (4QMysta [4Q299] 65 2) und im Apocryphon of Moses (4QapocrMosesb? [4Q376] 1 i 3; → Qumran) erwähnt (van Dam). Schließlich kann das Losorakel sogar in mythischer Verklärung von Gott selbst verwendet werden, um das Schicksal ganzer Nationen oder sogar der Schöpfung festzulegen [4QTanh (4Q176) 16-18.22-23.33.51 1-3; Jes 34,17; zur Sache s. Lange, 2000]. Institutionalisiert scheint ferner auch die Verwendung des hohepriesterlichen Gewandes als eines Orakels gewesen zu sein, das falsche Propheten identifiziert (vgl. Josephus, Antiquitates Judaicae III, 214f; 4QapocrMosesb? [4Q376] 1 ii 1-4; Strugnell).

In der Bibliothek von Qumran finden sich auch die einzigen Omenlisten, die aus dem antiken Judentum erhalten sind. Beide belegen im Judentum andernorts abgelehnte Formen (vgl. äthHen 8,3f; Jub 8,3f; 12,16-20) deduktiver Divination. Eine „Zodiology and Brontology“ genannte aramäische Schrift (4Q318) beginnt mit einer an einem mesopotamischen 360-Tage-Kalender orientierten Zodiologie (griech. zōidion „Tierkreiszeichen“), in der die Tage eines Monats mit den Sternzeichen eines antiken Tierkreises korrelieren (I 1-VIII 6). Auf den kalendarischen Teil folgt die eigentliche Omenliste in Gestalt eines Brontologions (griech. brontē „Gewitter“), die auflistet, was es bedeutet, wenn es in welchem Sternzeichen donnert. Wie der 360-Tage-Kalender ist auch das Brontologion selbst von mesopotamischen Einflüssen geprägt, wenn es den Tierkreis mit dem Sternzeichen Stier beginnen lässt (vgl. MUL.APIN; Albani, 1993). Die Verwendung des 360-Tage-Kalenders macht deutlich, dass der Text „Zodiology and Brontology“ weder in Qumran verwendet wurde noch essenischen Ursprungs ist, da dort ein 364-Tage-Kalender verwendet wurde (zum Text Albani, 1993; ders., 1999; Greenfield / Sokoloff).

Die zweite Omenliste aus Qumran ist in den Handschriften 4QHoroscope (4Q186) und 4QPhysiognomy / Horoscope ar (4Q561) erhalten. Der Text verwendet physiognomische Beobachtungen, um einerseits im Rahmen einer Licht-Finsternis-Anthropologie Rückschlüsse darauf zu ziehen, aus wie vielen Teilen Licht und Finsternis ein Individuum besteht, und um andererseits astrologische Aussagen über dieses Individuum treffen zu können. Die Verbindung beider Divinationstechniken erlaubt Schlussfolgerungen über die Zukunft des so beschriebenen Individuums. Dass die Handschrift 4QPhysiognomy / Horoscope ar (4Q561) in aramäischer Sprache gehalten ist, macht einen nichtessenischen Ursprung des Werks wahrscheinlich, während die Verwendung der „Geheimschrift“ Cryptic A für eine essenische V

Die Verwendung von Astrologie ist im antiken Judentum nicht auf die wenigen Texte aus Qumran beschränkt, sondern wird insbesondere mit → Abraham in Verbindung gebracht. So kann Jub 8,16 beschreiben, wie Abraham Astrologie betreibt, um die Regenfälle eines Jahres vorherzusagen. Jub 8,17-20 schildert dann allerdings, wie Abraham sich auf Ablehnung der Astrologie besinnt. Insbesondere die griechische Literatur des antiken Judentums betont Abrahams astrologisches Wissen. Nach Artapanus hat Abraham den Pharao astrologisch unterrichtet (Eusebius, Praeparatio Evangelica IX, 18,1; Text Kirchenväter 3), und Pseudo-Eupolemos berichtet, wie Abraham die Phönizier Astrologie lehrte (Eusebius, Praeparatio Evangelica IX, 17,3-4; Text Kirchenväter 3).

Auf eine weitergehende Akzeptanz der Astrologie im Judentum zumindest in römischer Zeit deutet, dass Josephus Flavius in seiner Beschreibung des Jerusalemer Tempels zweimal die Tierkreiszeichen erwähnt (De bello Judaico V, 214.218). Spätere Reflexionen der Abbildung des Tierkreises finden sich schließlich auch in Mosaiken der Synagogen von Hamat Tiberias (4. Jh.) und von Bet Alfa (6. Jh.).

2. Induktive Divination

In der israelitisch-jüdischen Literatur sind mit → Prophetie und Traumdivination (→ Traum) zwei Formen induktiver Divination belegt, wobei Prophetie am häufigsten bezeugt ist. Sie ist jedoch keine Besonderheit israelitisch-jüdischer Divination, sondern auch aus den nordwestsemitischen (Reisebericht des Wenamun, TUAT III,5, 914-921; Inschrift des Zakkur von Hamat, KAI 202 und TUAT I, 626-628; Texte von Tell Dēr ‘Allā = DAT I [→ Sukkot; Tell Der Alla]), mesopotamischen (die sogenannten Assyrian Prophecies [Parpola; Nissinen]) und mediterranen Kulturen (etwa die Beschreibung des Sehers Theoklymenos bei Homer, Odyssee, XV, 223-281; XVII, 154; XX, 351f.; Text gr. und lat. Autoren) bekannt. Grundsätzlich kann zwischen Kultpropheten, Hofpropheten und unabhängigen Propheten unterschieden werden. Dabei könnten die israelitisch-jüdischen Kultpropheten ein Analogon zu den induktiven Orakeln der griechisch-römischen Welt (→ Divination in Griechenland; Rosenberger) darstellen. Ein Hinweis auf eine entsprechende moabitische oder edomitische Orakelpraxis könnte sich zumindest in dem sogenannten Marzeah-Papyrus erhalten haben (Cross). Und ähnlich wie sich aus der israelitisch-jüdischen Prophetie die Schriftprophetie entwickelt hat, werden griechische Orakelbücher auf Seher wie Musaios, Bakis und Orpheus zurückgeführt (Lange, 2006).

Grundsätzlich wird in der Antike zwischen Träumen ohne und Träumen mit divinatorischer Bedeutung unterschieden. Letztere werden in der Antike als theorematische und allegorische Träume klassifiziert (zur Terminologie Artemidor, Oneirokritikon I, 1f). Bei theorematischen Träumen handelt es sich um Träume, deren Bedeutung unmittelbar verstehbar ist. Sie werden in der Forschung gerne als „message dreams“ bezeichnet. Beispiele sind Jakobs Traum in Bethel, Gen 28,10-22, oder die von den „Freunden“ Hiobs erwähnten Träume, Hi 4,12-21; Hi 33,15-18. Allegorische Träume sind dagegen symbolisch verschlüsselt und bedürfen einer Deutung. Sie werden in der Forschung als „symbolic dreams“ bezeichnet. Obwohl der Traum an sich eine Form induktiver Divination darstellt, rückt ihre Deutung die allegorischen Träume in die Nähe deduktiver Divination. Sie werden daher unten gesondert behandelt. Sowohl theorematische als auch allegorische Träume sind in der israelitisch-jüdischen Literatur bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels weit verbreitet.

Eine dritte Form der Traumdivination bildet die Inkubation. In ihr wird der Traum – meist in einem Heiligtum – rituell herbeigeführt. Insbesondere in der griechisch-römischen Welt ist die Inkubation mit der Heilung von Kranken verbunden (Asklepios-Kult; → Divination in Griechenland; Rosenberger). Obwohl die Inkubation sowohl im Alten Orient als auch in der mediterranen Welt weit verbreitet war, findet sich in der israelitisch-jüdischen Literatur nur ein Beispiel, das an eine Inkubation erinnert, nämlich die von Brandopfern eingeleitete Erzählung über den Traum Salomos zu Gibeon in 1Kön 3,4-15 (vgl. 2Chr 1,2-13).

3. Traumdeutung

Allegorische Traumdeutung dokumentiert sich in der altorientalischen und antik-mediterranen Welt sowohl in Form von Traumbüchern als auch in narrativen Texten (Überblicke finden sich bei Butler, Husser, Lieshout, Oppenheim). Bei Traumbüchern handelt es sich um Omenlisten, in denen der Traumdeuter die Bedeutungen von Träumen in jeweils unterschiedlichen Kontexten nachlesen kann. Solche Omenlisten sind aus der israelitisch-jüdischen Literatur nicht erhalten, sind aber aus der ägyptischen (Hieratisches Traumbuch [mittleres Reich; Gardiner]; Demotische Traumdeutung [ptolemäische Zeit; Volten]), mesopotamischen (Assyrian Dreambook [Oppenheim]) und griechischen Literatur (Artemidor, Oneirokritikon [2. Jh. n. Chr.]) bekannt. Ein gutes Beispiel für das Vorgehen dieser Traumbücher findet sich in der Demotischen Traumdeutung:

Wenn er süßes Bier trinkt, wird er sich freuen.

Wenn er Bäckerei-Bier trinkt, wird [er] leben.

Wenn er Lager-Bier trinkt, [bedeutet] es ihm Heil.

(Papyrus Carlsberg XIV a 2-4; Übersetzung nach Volten, 90f)

Die Omendeutung besteht jeweils aus einer Beschreibung des Traumes in Form einer Protasis (z.B. „wenn er süßes Bier trinkt“) und einer ihr korrespondierenden Deutung in Gestalt einer Apodosis (z.B. „wird er sich freuen“). In der Deutung werden aus der Menge der Symbole eines Traumes und ihrer Polyvalenzen einzelne Elemente isoliert (Atomisierung) und in das Leben des Träumers gestellt (Rekontextualisierung). Etwa die Süße des Bieres und die Freude des Träumers.

Dieses hermeneutische Prinzip von Atomisierung und Rekontextualisierung wird auch in den Traumdeutungserzählungen der israelitisch-jüdischen Literatur verwendet. Ein repräsentatives Beispiel ist Ri 7,13f. Der Text schildert, wie sich Gideon vor einer Schlacht an zwei feindliche, midianitische Soldaten anschleicht und sie belauscht:

Und siehe, ein Mann erzählte seinem Freund einen Traum. Und er sagte: „Siehe ich habe geträumt: Siehe ein Laib Gerstenbrot rollte ins midianitische Lager und er kam an das Zelt und stieß es um, sodass es einfiel. Und er kehrte es um, das oberste zu unterst. Und das Zelt ist gefallen.“ Und sein Freund antwortete und sagte: „Das ist nichts anderes als das Schwert Gideons, des Sohnes Joaschs, des Israeliten. Gott hat Midian und das ganze Lager in seine Hand gegeben.“

Der Freund isoliert das umgestoßene Zelt aus dem Traum des Midianiters (Atomisierung) und stellt es in den Kontext der unmittelbar bevorstehenden Schlacht mit den Israeliten (Rekontextualisierung). Als Teil des → Deuteronomistischen Geschichtswerks zeigt Ri 7,13f, dass in vorexilischer bzw. exilischer Zeit die allegorische Traumdivination eine selbst für deuteronomistisches Denken akzeptable Form deduktiver Divination darstellte.

Angesichts der deuteronomistischen Akzeptanz allegorischer Traumdivination verwundert es nicht, dass sie in der Erzählliteratur des perserzeitlichen und hellenistischen Judentums häufiger belegt ist (z.B. Dan 4; Est 1,1a-l; Est 10,3a-k; 1QapGen ar XIX:14-21; 2QEnGiants ar [2Q26]; 4QEnGiantsb ar [4Q530] II-III; 6QpapEnGiants [6Q8] 2). Für die elephantinischen Juden (→ Elephantine) könnte sich auf dem Ostrakon KAI 270 A + B sogar ein Traumbericht mit korrespondierender Deutung erhalten haben. Im Fall der → Josefsgeschichte kann allegorische Traumdivination (Gen 37,6-11; Gen 40,6-19; Gen 41,1-36) in der nachexilisch anzusetzenden Rubenschicht der Erzählung (Schmitt) die in der vorexilischen Judaschicht von Josef verwendete Divinationspraxis der Lekanomantie (Ölomen) ersetzen (Lange, 2001).

In der überwiegenden Mehrzahl der israelitisch-jüdischen Texte zur allegorischen Traumdivination sagen die allegorischen Träume und ihre Deutungen nur etwas über die Zukunft des Träumers aus. Die Träume des Pharaos und ihre Bedeutung für die Zukunft Ägyptens (Gen 41,1-36) und der Traum Mordechais (Est 1,1a-l; Est 10,3a-k) mit seiner Bedeutung für die Geschichte der Juden im persischen Reich zeigen jedoch, dass der allegorischen Traumdivination schon immer ein überindividuelles, historisches Potential innewohnte, welches sich im antiken Judentum in Gestalt der Apokalypsen und der Pescharim entfaltet hat (s.u.).

Die verbreitete Verwendung von allegorischer Traumdivination in der israelitisch-jüdischen Literatur sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch kritische Stimmen finden. So qualifiziert etwa die deuteronomistische Jeremiaredaktion (Jer 23,25-28a.32; Jer 27,9f) die Nachtvisionen → Sacharjas (s.u.) mit ihren hochgespannten zionstheologischen Heilsprophezeiungen als treubrecherische Prophezeiungen (Lange, 2002). Sir 34,1-8 unterscheidet zwischen unmittelbar verständlichen Träumen, die von Gott gesandt sind, und trügerischen Orakelträumen, die nur eine Phantasie des Herzens sind (Sir 34,5). Die kritische Haltung des Jubiläenbuches gegenüber allegorischer Traumdivination dürfte schließlich von der Verwendung allegorischer Träume in den antik-jüdischen Apokalypsen (s.u.) geprägt sein. In Jub 34,10-12; 39,16-18; 40,1-6 werden die allegorischen Träume Josefs (Gen 37,5-11), des Bäckers und des Mundschenks (Gen 40,6-19) und des Pharaos (Gen 41,1-36) sowie ihre Deutungen gänzlich aus dem nacherzählten Genesis-Text gestrichen bzw. in theorematische Träume verwandelt (Lange, 1997a).

4. Aufnahmen der (Traum-)Divination: Apokalypsen und Pescharim

Schon in nachexilischer Zeit berichtet das → Sacharjabuch von Traumvisionen (Sach 1,7-17; Sach 2,1-4; Sach 3; Sach 4; Sach 5,1-4; Sach 5,5-11; Sach 6,1-8), in denen Aussagen über die Geschichte Israels getroffen werden. In Sach 2,1-4 werden vier Hörner von einem Deuteengel z.B. als alle Völker gedeutet, die Israel zerstreut haben. Das Beispiel zeigt: 1) Auch Protosacharja verwendet die Hermeneutik von Atomisierung und Rekontextualisierung. 2) Anders als in den einige Jahrhunderte jüngeren Apokalypsen wird in Sach 2,1-4 nicht jedes Bildelement einzeln auf die Geschichte Israels übertragen, sondern das ganze Traumbild dient als metaphorische Chiffre, die die Jetztzeit Israels betrifft. Die Traumvisionen Sacharjas stehen dabei in einer zumindest in die frühe Eisenzeit zurückreichenden Tradition von Traumprophetie (vgl. etwa DAT I).

Die metaphorische Verwendung allegorischer Träume in der nachexilischen Prophetie führte in den Apokalypsen zu einer Ausweitung des Bedeutungsgehaltes von Symbolträumen auf die Geschichte Israels im Ganzen (Dan 2; Dan 7; Dan 8; äthHen 85-90; 4QapocrDan ar [4Q246] ii; 1QapGen ar XIII:?-XV:20; 4QFour Kingdomsa-b ar [4Q552-553]). Ein gutes Beispiel ist die Abfolge der Hörner des Widders und des Ziegenbocks in Dan 8. Anders als in Sach 2,1-4 interpretiert der Deuteengel des Danielbuchs sie als eine Abfolge von Königreichen und Königen (Meder, Perser, Alexander der Große, vier Diadochenreiche, → Antiochus IV. Epiphanes; Dan 8,15-25).

Die Hermeneutik von Atomisierung und Rekontextualisierung der allegorischen Traumdivination hat auch in den ältesten Kommentaren des Judentums, den Pescharim, einen Niederschlag gefunden. Aus den in den Pescharim zitierten Lemmata werden jeweils einzelne Elemente isoliert (Atomisierung) und eschatologisch auf die Geschichte der essenischen Gemeinschaft gedeutet (Rekontextualisierung; vgl. Fishbane). Die divinatorische Hermeneutik der Pescharim sensibilisiert dafür, dass solche divinatorischen Deutestrategien auch schon früher in der israelitisch-jüdischen Literatur verwendet wurden (Lange, 2005).

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Abbildungsverzeichnis

  • Tierkreis; Fußbodenmosaik in der Synagoge von Bet Alfa (6. Jh.).

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