Exil / Exilszeit
(erstellt: Mai 2007)
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1. Zum Begriff „Exil“
Der Begriff „Exil“ meint in der biblischen und der von der Bibel geprägten Sprache die räumliche Trennung von dem von Jahwe verheißenen und geschenkten → Land
Der Begriff „Gola“ (auch: Golah geschrieben) geht zurück auf das hebräische Verb גלה glh „ausziehen / fortgehen“ bzw. auf das Nomen גּוֹלָה gôlāh, das sowohl „Verbannung / Wegführung / Exil“ bedeutet als auch eine „Gruppe von Exilierten“ bezeichnet. In diesem letzten Sinne wird Gola im Deutschen als Fachterminus verwendet.
In der alttestamentlichen Wissenschaft bezieht sich der Begriff „Exil“ in der Regel auf das babylonische Exil. Im Blick auf die Geschichte Israels müssen jedoch zwei Exilszeiten und Exilsbereiche unterschieden werden.
1) Nach der Eroberung → Samarias
2) Anders verhält es sich beim zweiten Exil: Die Deportation judäischer Bevölkerung ab dem Jahr 597 v. Chr. stellt den großen Einschnitt in der Geschichte Israels dar. Mit ihm endet die Zeit der politischen Selbstständigkeit des Königreichs → Juda
2. Das assyrische Exil
2.1. Die Eroberung Samarias
Die Zerstörung Samarias und die Überführung des ehemaligen Vasallenstaates → Israel
2.1.1. Aus den Inschriften aus Chorsabad
In den Inschriften → Sargons II.
Am Anfang [meiner Regierung …] die Samarier […] der mich meinen Wunsch erreichen lässt […] [27280 Einwohner] schleppte ich fort. 50 Streitwagen für mein stehendes Heer [hob ich] unter ihnen [aus …] [… Samaria] wandelte ich um und machte es größer als zuvor. Leute aus Ländern, [die ich mit meiner Hand] erobert hatte, [ließ ich darin einziehen]. [Einen General stellt ich als Statthalter über sie ein, und Tribut] und Abgabe wie bei den Assyrern legte ich ihnen auf. […] [… Die Einwohner von Assyrien und von Ägypten] vermischte ich miteinander und ließ sie Handel treiben […]. (TUAT I/4, 378)
Neben diesem insgesamt längeren Annalentext, der über verschiedene Kampagnen Sargons II. berichtet, wurde in Chorsabad eine Türinschrift ausgegraben, in der auch von der Eroberung Samarias berichtet wird. Der Inschrifttext reiht die Eroberung Samarias summarisch in weitere Eroberungen während des Syrienfeldzugs Sargons II. ein:
(Sargon) … der Samaria und das ganze „Haus-Omri“ eroberte; der Asdod und Schinuchtu plünderte; der das Land der Jonier, das inmitten des Meeres liegt, gleich einem Fische fing; der Kasku, ganz Tabal und Kilikien deportierte; der Midas, den Köniug von Musku, vertrieb; der bei Raphia Ägypten eine Niederlage beibrachte und Chanunu, den König von Gaza, als Beute zählte. (TUAT I/4, 386)
Ein weiteres Mal wird von der Eroberung und Zerstörung Samarias in der sog. „Großen Prunkinschrift“ Sargons II. berichtet:
Samaria belagerte und eroberte ich. 27290 seiner Einwohner schleppte ich fort, 50 Streitwagen hob ich unter ihnen aus, und die Übriggebliebenen ließ ich ihrer Berufsarbeit nachgehen. Einen General setzte ich als Statthalter über sie ein, und ich legte ihnen den von einem früheren König (auferlegten) Tribut (erneut) auf. Chanunu, der König von Gaza, nebst Re’e, dem Tartan von Ägypten, zogen bei Raphia, um Kampf und Schlacht zu liefern, mir entgegen. Ich brachte ihnen eine Niederlage bei. Re’e fürchtete den Lärm meiner Waffen, er floh, und sein Aufenthaltsort wurde nicht gefunden. Chanunu, den König von Gaza, nahm ich mit der Hand gefangen. Von Pharao, dem König von Ägypten, Samsi, der Königin der Araber und It’amra, Sabäer, erhielt ich als Abgabe Gold, Staub seines Gebirges, Pferde und Kamele … (TUAT I/4, 383)
Auf diese Schilderung folgen Nachrichten über weitere Kampf- und Eroberungsmaßnahmen in Syrien, Palästina und Ägypten. Samaria und Israel werden dabei nicht mehr erwähnt.
Auch in der sog. „Kleinen Prunkinschrift“ wird von der Eroberung Samarias berichtet. Dabei steht Samaria nicht im Fokus des Berichts, sondern wird unter weitere eroberte Städte subsumiert:
Jamani von Asdod fürchtete meine Waffen, er verließ seine Gattin, seine Söhne und seine Töchter, floh zur Grenze von Ägypten, das im Bereiche von Meluchcha liegt, und ließ sich dort wie ein Dieb nieder. Über sein ausgedehntes Land und seine wohlhabenden Untertanen setzte ich einen General als Statthalter ein, und ich erweiterte den Machtbereich Assurs, des Königs der Götter. Den König von Meluchcha warf Furcht vor dem Schreckensglanz Assurs, meines Herren, nieder. Man schlug ihn an Händen und Füßen in eiserne Fesseln, und er ließ ihn nach Assyrien bis in meine Gegenwart bringen. [Ich eroberte und] plünderte Schinuchtu, Samaria und das ganze „Haus Omri“. Die Joniter mitten im Meere des Sonnenuntergangs fing ich gleich einem Fische. Ich deportierte Kasku, Tabal und Kilikien. Ich vertrieb Midas, den König von Musku. Bei Raphia brachte ich Ägypten eine Niederlage bei. Chanunu, [den König] von Gaza, zählte ich als Beute. (TUAT I/4, 385)
Die letzte Erwähnung der Eroberung Samarias findet sich auf der Zylinder-Inschrift Sargons II. Sie berichtet von Sargons II. Eroberung verschiedener Gebiete und der an die Eroberung anschließende Umsiedlungsmaßnahmen:
(Sargon) … der das weite „Haus-Omri“ zum Wanken brachte; der bei Raphia Ägypten eine Niederlage beibrachte und Chanunu, den König von Gaza, gefangen nach der Stadt Assur führte; der die Tamudi, Ibadidi, Marsimani und Chajappäer eroberte, deren Rest umgesiedelt wurde und die ich in „Haus-Omri“ wohnen ließ. (TUAT I/4, 386)
2.1.2. Die Kalach-Inschrift
Die in Kalach (→ Kalchu
Die Samarier, die gegen meinen königlichen [Vorgänger] Groll hegten und, um keine Untertänigkeit zu bezeugen und keinen Tribut zu liefern, […] Krieg führten – in der Kraft der großen Götter, meiner Herren, kämpfte ich mit ihnen. 27280 Einwohner nebst Streitwagen und den Göttern, auf die sie vertrauten, rechnete ich als Beute. 200 Streitwagen für mein königliches Heer hob ich unter ihnen aus, und ihre Reste siedelte ich in Assyrien an. Samaria wandelte ich um und machte es größer als zuvor. Leute aus Ländern, die ich mit meiner Hand erobert hatte, ließ ich darin einziehen. Einen General stellte ich als Statthalter über sie ein, und ich zählte sie zu den Einwohnern Assyriens. Ich ließ den Schreckensglanz Assurs, meines Herren, die Einwohner von Ägypten und Arabien niederschlagen. Bei der Erwähnung meines Namens klopften ihre Herzen und erschlafften ihre Arme. Die versiegelte Grenze von Ägypten öffnete ich, [die Einwohner] von Assyrien und Ägypten vermischte ich miteinander und ließ sie Handel treiben. (TUAT I/4, 382)
2.1.3. Der Assur-Freibrief Sargons II.
Der sog. „Assur-Freibrief“ Sargons II. wird zu den Funden in Ninive gerechnet, wobei seine tatsächliche Herkunft unbekannt ist. In diesem Brief wird von der Eroberung und Zerstörung Samarias im Zusammenhang mit der Zerschlagung von Aufständen gegen die assyrische Oberherrschaft auf der syro-palästinischen Landbrücke berichtet:
In meinem zweiten Regierungsjahre, nachdem ich den Königsthron bestiegen hatte und mit der Krone der Herrschaft angetan worden war, zerschlug ich die Streitmacht der Chumbanigasch, des Königs von Elam, und brachte ihm eine Niederlage bei. Ilubi’di von Hamat, dem kein Thron zustand, der keinem Palast gewachsen war, der / den bei der Hirtenschaft über die Leute das Geschick […], der gegen Assur, sein Land und sein Volk Böses plante und Missachtung bezeigte […], versammelte Arpad und Samaria und brachte sie auf seine Seite […] tötete er, ließ kein Lebewesen übrig […] meine Hand erhob ich, und zur Eroberung von Hamat […] des ausgedehnten Landes Amurru flehte ich an, und Assur […] nahm meine Gebete an […] ließ ich [den Weg nach] Amurru einschlagen. Hamat […] waren Leichen weithin gebreitet. Das Lob […] von Amurru unterwarf ich meinen Füßen […] brachte ich [nach] meiner Stadt Assur. (TUAT I/4, 387)
2.1.4. Der babylonische Chroniktext CT 34,43-50 I,27-30
Die babylonische Chronik, deren älteste bekannte Form aus dem Jahr 22 des persischen Königs → Darius I.
Text: Am 25. Tag des Monats Tebet bestieg Salmanassar in Assur und Akkad den Thron. Er zerstörte Samaria. Jahr 5: Salmanassar starb im Monat Tebet. Salmanassar regierte Assur und Akkad fünf Jahre lang. Im Monat Tebet bestieg Sargon den Thron in Assur. Am Neujahrstag bestieg Marduk-apla-iddina den Thron in Babylon. (Text, englische Übersetzung und Kommentar in Grayson, 1975, Chronicles, 69-87)
2.1.5. Fazit: Die Eroberung Samarias in mesopotamischen Texten
Die Quellen entwerfen ein weitgehend geschlossenes Bild der Eroberung und Plünderung Samarias, der Deportation der Bevölkerung und der Neuansiedlung von Bevölkerungsteilen aus anderen eroberten Gebieten.
Die Eroberung Samarias fand während eines Feldzugs Sargons II. gegen verschiedene syro-palästinische Stadtstaaten statt, die gegenüber Assyrien zu Tributleistungen verpflichtet waren. Da mehrfach von einer Auseinandersetzung der neuassyrischen Truppen mit einem ägyptischen Heer berichtet wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass einer oder mehrere dieser syro-palästinischen Stadtstaaten Ägypten um Waffenhilfe gebeten hatte. Von Expansionsbemühungen Sargons II. nach Ägypten berichten die vorliegenden Texte nicht.
Während die Kampfhandlungen in den Inschriften, wenn auch mit sich verschiebenden Schwerpunkten, weitestgehend übereinstimmend beschrieben werden, weichen die von Sargon II. angeführten Zahlen der in Samaria erbeuteten Gegenstände und der deportierten Einwohner leicht voneinander ab.
Die Anzahl der Deportierten wird in drei Inschriften aufgeführt: Die Kalach-Inschrift gibt 27.280 Deportierte an (in dem ersten Annalentext aus Chorsabad wird diese Zahl rekonstruiert), die große Prunkinschrift weicht davon mit 27.290 Exilierten nur geringfügig ab. Ebenso übereinstimmend wird in allen drei Texten berichtet, ein General Sargons II. sei als Statthalter über Samaria eingesetzt worden.
Eine größere Abweichung zeigt sich nur bei der Anzahl der erbeuteten Streitwagen. Der erste Annalentext aus Chorsabad und die große Prunkinschrift geben 50 Streitwagen an, die Kalach-Inschrift 200. Diese Differenz lässt sich wohl damit erklären, dass Sargon II. in der Kalach-Inschrift, die neben der üblichen Aneinanderreihung von Eroberung, Zerstörung und Plünderung mit Angabe der Anzahl der Deportierten und der erbeuteten Kriegsgegenstände auch die Mitnahme von Götterbildern anführt, seinen Feldzug besonders erfolgreich erscheinen lassen wollte. Da in dem Text nicht nur die Zerstörung, sondern auch der Wiederaufbau und damit das schöpferische Schaffen Sargons II. thematisiert wird, soll die Erhöhung der Beutegegenstände wohl als Propaganda für die eigene Herrschaft und als Abschreckung gegen weitere anti-sargonidische Aufstände dienen. Der Erfolg Sargons II. wird als Auswirkung des Schreckensglanzes Assurs verstanden und die Nennung des königlichen Namens führt zur vorzeitigen Verängstigung der Gegner.
Die in der Kalach-Inschrift erwähnte Wiedererrichtung Samarias und die Ansiedlung neuer Bevölkerungsteile werden in der Zylinder-Inschrift Sargons II. illustriert. Dort wird berichtet, dass Samarias Bevölkerung durch die nach Deportationen bereits geschwächte Einwohnerschaft aus Tamudi, Ibadidi, Marsimani und Chajappa aufgefüllt wurde.
Ein weiteres Problem ergibt sich durch den Inhalt des babylonischen Chroniktexts. Während die Inschriften Sargons II. diesem die Eroberung Samarias zuschreiben, nennt der babylonische Chroniktext → Salmanassar V.
2.1.6. Der alttestamentliche Bericht 2Kön 17,3-6; 18,9-11
Die Zerstörung Samarias wird im Alten Testament nur in einer kurzen Geschichtsdarstellung erwähnt. Als Grund für die Zerstörung gibt 2Kön 17,4
Als Eroberer Samarias gilt in den alttestamentlichen Berichten also anders als in den neuassyrischen Quellen nicht Sargon II., sondern Salmanassar V. In der Forschung wird diese Diskrepanz in der Regel so erklärt, dass Salmanassar die Belagerung am Ende seiner Amtszeit noch begonnen hat, evtl. auch noch die Stadt eroberte, und Sargon zu Beginn seiner Königsherrschaft die weiteren Maßnahmen gegen die Stadt ergriff.
2.2. Die Deportation aus Israel
Das Phänomen der Massendeportation ist im altorientalischen Kulturraum breit belegt und erscheint in den Quellen nicht erst im Rahmen der neuassyrischen Imperialpolitik. Schon eine Inschrift des Königs Rimusch aus altakkadischer Zeit (3. Jt. v. Chr.) weist auf Deportationen im Zusammenhang mit Kriegszügen hin. Neu ist in neuassyrischer Zeit jedoch, dass Deportationen zu einem festen Bestandteil imperialer Politik wurden.
Zehnder (2005, 121-123) nennt unterschiedliche Gründe und Ziele der assyrischen Deportationspolitik: 1. Bestrafung für rebellisches Verhalten; 2. Liquidierung von konkurrierenden Mächten und Schwächung von potenziellen Widerstandszentren; 3. Bildung einer Schicht loyaler Untertanen; 4. Herstellung eines homogenen „assyrischen“ Gebiets; 5. Gewinnung von Arbeitskräften; 6. Ausdehnung der bewirtschafteten Gebiete. Alle diese Gründe und Ziele können letztendlich einem übergeordnetem Ziel zugewiesen werden: die Sicherung und Stabilisierung des imperialen assyrischen Reiches. Die engeren politischen Motive spielen allerdings erst ab → Tiglatpileser III.
Die Nachrichten über die Exilierung israelitischer Bevölkerung fallen im Alten Testament kurz aus. In der Darstellung des → Deuteronomistischen Geschichtswerks
2.3. Deportationen aus Juda
Neben der Deportationswelle nach der Eroberung Samarias kam es auch bei der Besetzung Judas zwischen 703 und 701 v. Chr. zu Deportationen der Bevölkerung. Die alttestamentliche Überlieferung verrät von diesen Deportationen nichts. 2Kön 18,13
Dass es bei der Eroberung der judäischen Städte zu Deportationen kam, zeigt ein in Ninive gefundenes Steinrelief, das nach der Beischrift die Belagerung Lachischs darstellt: „Sanherib, König der Welt, König von Aššur, auf dem Thron sitzt er und die Beute aus Lachisch zieht vor ihm vorbei.“ Dieses Relief, von dem hier nur ein Ausschnitt zu sehen ist, zeigt die Kampfhandlungen, die zur Eroberung der Stadt führten, und die Deportation von Teilen der besiegten Bevölkerung. Dies entspricht der in 2.2. beschriebenen Praxis neuassyrischer Eroberungspolitik. Auch wenn weitere Hinweise auf Deportationen aus anderen judäischen Städten fehlen, dürfte es sie gegeben haben. Nachrichten über den Verbleib der judäischen Bevölkerung gibt es nicht, so dass keine Aussage über ihre Wiederansiedlung und ihre weitere Geschichte gemacht werden kann. Daher bezieht sich die folgende Darstellung allein auf die aus dem Nordreich Israel stammenden Exilierten.
2.4. Das Leben der Deportierten im Exil
Während die Eroberung Samarias, die Plünderung der Stadt und die Deportation der Bevölkerung in den Quellen zum größten Teil gut belegt ist, gibt es über die Diaspora-Situation nur wenige Nachrichten (→ Diaspora
Die Ansiedlung von Deportierten erfolgte in neuassyrischer Zeit in der Regel im und nahe am assyrischen Kernland, erst ab → Tiglatpileser III.
Dies scheint auch auf die Exiliertengruppe aus Samaria zugetroffen zu haben. Sie wurde in der Region des Chabur angesiedelt, einem nördlichen Nebenfluss des → Euphrats
Auf eine Ansiedlung israelitischer Bevölkerung in dieser Region weisen auch vier Texte aus Šech-Hamat, die zwar erst aus neubabylonischer Zeit stammen, aber ältere Namenstraditionen widerspiegeln (Fales, 1993, 139-150). In diesen Texten findet sich eine Reihe westsemitischer Namen, die zum Teil hebräischen Ursprungs sind (Achzi-Jau < אחזיהו; Chazaqi-Jau < חזקיהו; Menasê < מנשה; Same-Jau < שמעיהו). Die Zusammenstellung der Familienzugehörigkeiten zeigt, dass es keine rein hebräischen Verwandtschaftsbeziehungen mehr gab. Vielmehr hatten sich die ehemaligen Deportierten mit ansässiger aramäischer und assyrischer Bevölkerung vermischt.
Eine Entlassung aus dem Exil, wie sie in späterer Zeit unter persischer Herrschaft der judäischen Bevölkerung zukam, wird in den alttestamentlichen Texten nicht bezeugt und hat es demnach für die aus Samaria Deportierten nicht gegeben, obwohl die Hoffnung auf eine solche Rückkehr möglicherweise über einen längeren Zeitraum bestand (und möglicherweise am Ende der neuassyrischen Zeit wieder auflebte, vgl. Jer 2-6
Um zu starke nationale Bestrebungen unter den Deportierten zu vermeiden, achteten die Assyrer darauf, die Exilierten in mehrere Gruppen getrennt anzusiedeln und mit Deportierten anderer Herkunftsgebiete auf dorf- und bezirksübergreifender Ebene zu vermischen, ohne jedoch die ursprünglichen Haus- und Familienstrukturen anzutasten.
Zehnder (2005, 138) beschreibt die innere Spannung der Deportierten: „Auf der einen Seite steht der Druck zur Assimilation an die dominierende Gesellschaftsgruppe, auf der anderen das Bedürfnis, in fremder Umgebung durch die Anlehnung an die eigene ethnische Gruppe Identität und Sicherheit zu gewinnen bzw. zu bewahren.“ Eine besondere Rolle kam dabei den deportierten Herrscherfamilien und unter diesen den möglichen Thronfolgern zu. Dies zeigt ein Ausschnitt aus der kleinen Prunkinschrift Sargons II.: „Völ[ker aus den vier (Himmelsrichtungen mit jeweils) fremder Sprache, Rede ohne Harmonie], [die Berge] und Ebenen [bewohnen], so viele [das Licht der Götter, der Herr der Gesamtheit, hütet, die ich auf Geheiß Aššurs, meines Herren, im Zorn meines Szepters erbeutet hatte], m[achte ich eines Sinnes und ließ sie darin Wohnung nehmen].[Einwohner] des Landes Assyrien, [die übe]r al[le Kenntnisse verfügen, die habe ich zu ihrer Unterrichtung in (bestimmten) Tätigkeiten (und) in der (rechten) Furcht vor Gott und König] als Auf[seher (und) Ausbilder] eingesetzt“ (Text aus Spieckermann, 1982, 317f.).
Da über das Leben der Deportierten keine gesicherten biblischen Berichte vorliegen, können Aussagen über das Leben in der assyrischen Gola nur aus Rückschlüssen über den üblichen Umgang mit Deportierten gemacht werden, die sich aus assyrischen Quellen ergeben.
Zwar wird in Hos 9,4
Rechtlich gesehen waren die Deportierten als Kriegsbeute Eigentum des Königs. Damit oblag ihm die Entscheidung über ihre Verwendung. Mehrheitlich wurden sie zu Arbeitsleistungen für staatliche Zwecke bei Bauprojekten, in der Landwirtschaft, beim Militär und in der Verwaltung eingesetzt (vgl. Galter, 1988, 280). Besonders begehrt waren spezialisierte Handwerker, Künstler, Ärzte und andere Fachkräfte. Besonders breit belegt ist der Einsatz von aramäischen Schreibern in der assyrischen Administration. Diese trugen in hohem Maße zur Verbreitung der aramäischen Sprache und Kultur im assyrischen Reich bei. Neben dem Einsatz der Deportierten für den Staat ist auch der Einsatz für Privatleute belegt. Dabei konnten sie auch bis in hohe Ämter aufsteigen, was wiederum für die Integration in die assyrische Bevölkerung spricht.
Der soziale Aufstieg fremdstämmiger Bevölkerungsschichten führte unter der einheimischen Bevölkerung mehrfach zu Unmut, zumal wenn mit dem Aufstieg der Deportierten der soziale Abstieg assyrischer Einwohner verbunden war.
Ein Beispiel für den aufkommenden Unmut stellt die Klage eines assyrischen Gelehrten dar: „Ein Fremder wurde geehrt, während ich, ein Diener des Königs und des Kronprinzen, in Dunkelheit gelassen wurde“ (Transliteration und englische Übersetzung in Parpola, 1993, 145).
Nicht erst in neuassyrischer, sondern schon seit mittelassyrischer Zeit (ca. 1500 v. Chr.) wird von einer starken staatlichen Kontrolle der Deportierten berichtet. Diese Kontrolle fand in der Regel durch lokal eingesetzte Bewacher statt. Trotz dieser Maßnahmen kam es immer wieder zu sozialen Unruhen, in die auch fremdstämmige Bewohner involviert waren (vgl. Dietrich, 2003, 127 und 146).
3. Das babylonische Exil
3.1. Die Deportationen
Die Deportationen, die zum babylonischen Exil gerechnet werden, fanden in drei Durchgängen statt: Eine erste Exilierung im Jahr 597 v. Chr., eine zweite 587 / 586 v. Chr. und eine dritte 582 v. Chr. Die genauen Datierungen sind in der alttestamentlichen Forschung allerdings strittig.
Exkurs: Probleme der Datierung
1. Die erste Eroberung Jerusalems. Nach der babylonischen Chronik BM 21946 (TUAT I/4, 403f.) fällt die erste Einnahme Jerusalems in den Monat Adar des siebten Regierungsjahres → Nebukadnezars II
2. Die Zerstörung Jerusalems. In der Datierung weichen die Quellen zunächst um drei Tage voneinander ab. Während Jer 52,12
Gravierender ist die Diskrepanz bei den Jahreszahlen (→ Zerstörung Jerusalems
Da biblische Angaben über diese Vakanz fehlen, ist eine andere Lösung zu bevorzugen: Die Deportation Jojachins wird in 2Kön 24,12
Aus diesen Überlegungen ergibt sich demnach folgender zeitlicher Ablauf (nach Albertz, 2001, 73):
● Erste Eroberung Jerusalems:
2. Adar des 7. Regierungsjahres Nebukadnezars II. (16. März 597 v. Chr.).
● Zweite Eroberung Jerusalems:
Bresche: 9. Tammuz (29. Juli 587 v. Chr.);
Zerstörung: 7. bzw. 10. Av des 18. Regierungsjahres Nebukadnezars II. (ca. 25. August 587 v. Chr.).
● Dritte Deportation:
23. Regierungsjahr Nebukadnezars II. (582 v. Chr.).
Die Eroberungen Jerusalems. Die erste Deportation im Jahr 597 v. Chr. steht im Zusammenhang mit der Belagerung → Jerusalems
Während der Belagerung Jerusalems ab dem Jahr 598 v. Chr. verstarb Jojakim. Sein Sohn → Jojachin
Die Zahl der Deportierten. Die Angaben über die Anzahl der 597 v. Chr. Deportierten weichen in den Quellen leicht ab. 2Kön 24,14
Die spezifische Auswahl der Deportierten entspricht der assyrischen Praxis (s.o.; vgl. Oded, 1979), wobei dann immer ganze Familien verschleppt wurden. Zwar liegen keine weiteren Berichte über babylonische Deportationen vor, doch ist es wahrscheinlich, dass die Babylonier die Praxis von den Assyrern übernommen und sie in ähnlicher Weise durchgeführt haben.
Auch wenn sich eine genaue Anzahl aufgrund der unterschiedlichen Angaben in den Quellen nicht nennen lässt, so wird die Gruppe der Deportierten in etwa der in den alttestamentlichen Texten genannten Größe entsprochen haben.
3.2. Die Exilszeit
3.2.1. Die Situation in Juda
Die Quellenlage für die Rekonstruktion der Exilszeit in Juda ist zumindest für die ersten Jahre der Exilszeit gut, auch wenn die Quellen eine unterschiedliche Einschätzung der Situation widerspiegeln. Jer 40,7-43,3
Gedalja. Die Strafmaßnahmen der Babylonier richteten sich vor allem gegen die Gruppen in Jerusalem, die für die anti-babylonischen Aufstände verantwortlich waren. Nach deren Aburteilung waren die Babylonier bemüht, die Lage in Juda möglichst schnell wieder zu stabilisieren. Als Statthalter setzte die babylonische Besatzungsmacht den Schafaniden → Gedalja
Gedalja errichtete in der von den Kampfhandlungen kaum betroffenen Stadt → Mizpa
Auf diese Vorgänge bezieht Albertz (2001, 82) die prophetische Kritik an den im Land Verbliebenen, die sich in Ez 11,14-21
Anders als in der tendenziell pro-babylonischen Quelle Jer 39f. stellt Klgl 5
Dass es sich in beiden Fällen um Tendenzdarstellungen handelt, ist angesichts der Differenzen in der Darstellung offensichtlich. Die historische Realität wird irgendwo in der Mitte liegen. Dass babylonische Truppen Teile des Landes in eigenen Besitz brachten und es von der einheimischen Bevölkerung bewirtschaften ließen, würde den üblichen Verhaltensweisen babylonischer Besatzungspolitik entsprechen. So rühmt sich Nebukadnezar II. in der Wadi-Brisa-Inschrift der Kultivierung eines eroberten Landes (TUAT I/4, 405; Z. 32-41), doch werden die genannten Maßnahmen in der Praxis von der einheimischen Bevölkerung durchgeführt worden sein.
Die in Jer 39f
Im Anschluss an die Ermordung Gedaljas scheint sich die Lage drastisch verschlechtert zu haben. Verbindet man seinen Tod mit der dritten Deportation 582 v. Chr., so wird deutlich, warum die babylonische Besatzungsmacht gegenüber Juda weitaus restriktiver vorging, als dies zuvor der Fall war. Anti-babylonische Bestrebungen sollten bereits im Keim unterdrückt werden. Nach Jer 41,16f
Israels Nachbarn. Die eigentliche Gefahr für Juda ging jedoch nicht von den Besatzern, sondern von den direkten Nachbarstaaten aus. Diese machten sich die geringe Bevölkerungsdichte und schwache Militärpräsenz der Babylonier zunutze und drangen zur Umsetzung eigener ökonomischer und politischer Ziele nach Juda ein. Die → Edomiter
Doch trotz dieser schwierigen Lage setzten die Judäer die Jahwe-Verehrung in → Jerusalem
Ausgehend von neueren archäologischen Forschungsergebnissen hält Lipschits die babylonische Militäraktion 587 v. Chr. für einen Schlag, der sich nur gegen anti-babylonische Gruppen in Jerusalem richtete. Es sei zwar auch in En-Gedi und Jericho zu Zerstörungen gekommen, doch gebe es in Bethel, Gibeon, Mizpa und Bethlehem keine Anzeichen einer militärischen Intervention. In den nordwestlich von Jerusalem gelegenen Orten vermutet Lipschits das Rückzugsgebiet babylon-freundlicher judäischer Gruppierungen. Zu einer von ihnen gehörte auch Gedalja, der vergleichbar den von den Babyloniern akzeptierten lokalen Verwaltern agierte. Er verstand es, die im Gebiet Benjamin lebende Bevölkerung zu versorgen. Die in babylonischer Zeit nachgewiesene Bautätigkeit deutet auf starken Bevölkerungszuwachs, was wiederum für die gute wirtschaftliche Lage dieser Region spricht (vgl. bes. Lipschits, 1999, 159-185). Aufgrund dieser Beobachtungen geht Lipschits von einer Siedlungskontinuität in babylonischer Zeit aus, die dem hauptsächlich auf Jerusalem bezogenen alttestamentlichen Bild widerspricht. So versteht er auch die Kampfhandlungen 582 v. Chr. und die daran anschließende Deportation als Reaktion der Babylonier auf eine Aufstandsbewegung gegen die babylonische Herrschaft, deren Opfer auch Gedalja wurde.
3.2.2. Die Situation exilierter Judäer in Babylonien
a) Die Lebensverhältnisse. Die Gruppe der nach Babylon Exilierten erlebte mit der Verschleppung ihre kulturelle Entwurzelung und den Verlust ihrer gesellschaftlichen Stellung. Waren es vor allem in der ersten Deportiertengruppe staatstragende Personen mit ihren Familien, die nach Babylon gebracht wurden, so lebten sie dort als Untergebene in Abhängigkeit von der babylonischen Herrschaft. Allein der Königsfamilie scheint eine besondere Stellung zugedacht worden zu sein, da der König und seine Söhne bei weitem höhere Gütermengen als der Rest des Volkes erhielten. Für das Jahr 592 v. Chr. ist die zwanzigfache bzw. fünffache Menge an Öl belegt (vgl. Weidner, 1939, Tafel C rev. II Z.17f.; ANET 308; TGI 2-3 Aufl., 78f. Nr.46; kurze Erwähnung des Textes in TUAT I/4, 412f.).
Die insgesamt schlechtere soziale Stellung, die Motivation durch religiöse Führer und die Bewahrung der Erinnerung an Jerusalem durch die ältere Generation erklären, warum sich über zwei Generationen hinweg die Hoffnung auf eine Rückkehr nach Juda aufrecht erhalten konnte. Trotzdem vollzog sich nach dem Untergang eine schrittweise soziale Integration der judäischen Familien.
Die erste Deportiertengruppe war über die Ereignisse in Jerusalem informiert und behielt eine anti-babylonische Haltung. Dies zeigt ihr Interesse an der Bildung einer anti-babylonischen Koalition in Jerusalem im Jahr 594 v. Chr. In Jer 28,2-4
Die soziale Integration bei gleichzeitiger Wahrung der nationalen Identität gelang vor allem aufgrund der Siedlungspolitik der Babylonier. Die Deportiertengruppen wurden jeweils nahezu geschlossen angesiedelt. Nach Ez 1,2
Daneben findet sich eine Siedlung im Raum von Sippar, die in einem Keilschrifttext aus dem Jahr 498 v. Chr. als „Stadt Judas“ (URU Ia-a-chu-du [= arab. al Jachudu]; vgl. Joannès / Lemaire, 1999, 17-27) bezeichnet wird (in der Babylonischen Chronik wird Jerusalem so genannt; TUAT I/4, 403f.). Mit Tel-Melach, Tel-Harscha, Kerub-Addon, Immer und Kasiphja (Esr 2,51
Exkurs: Der judäische König Jojachin im Exil
Wie die von Weidner (1939) veröffentlichten Tafeln zeigen, lebte → Jojachin
Aufgrund der Struktur in der Gola konnte die nationale Identität gewahrt bleiben. Eine Assimilation, wie sie die assyrische Deportiertengruppe erlebte, blieb der babylonischen erspart. Die anfänglich schwierige Lage entspannte sich für die judäische Exiliertengruppe nach und nach, so dass gegen Ende des Exils von einer gelungenen Integration der neuen Bevölkerung in das bestehende babylonische Staatssystem gesprochen werden kann. „Sowohl die Nachricht, dass die babylonische Gola am Ende des Exils zu erheblichen Spenden für Jerusalem in der Lage war (Sach 6,10f
Exkurs: Keilschriftliche Belege für Judäer in Mesopotamien (Haus Muraschu)
Mehrere außerbiblische Quellen zeugen von dieser gelungenen Integration. Die Rechtsurkunde Cyr 307 (frühpersisch, ca. 531 v. Chr.) zeigt die rechtliche Gleichstellung einer judäischen und einer babylonischen Familie aus Sippar. Aus derselben Zeit findet sich die Erwähnung eines Judäers namens Abdajachu, der als Steuereinnehmer ein höheres staatliches Amt bekleidete (vgl. Joannès / Lemaire, 1999, 27-30).
Aus der zweiten Hälfte des 5. Jh.s stammen die Dokumente des Hauses Muraschu, die 1893 in Nippur – einem Ort, an dem die Deportierten von 597 v. Chr. lebten – gefunden wurden. Die als Handelsdokumente klassifizierten Texte erhalten neben aramäischen Einfügungen eine Reihe aramäischer bzw. judäischer Namen, die auf Bevölkerung mit westsemitischem Ursprung deuten. Eine Differenzierung der westsemitischen Namen ist meist nur durch das theophore Element möglich. In den Dokumenten des Hauses Muraschu erscheinen mehrfach Namen, die auf Ia-ú, Ia-a-ú, Ia-a-ch-ú, dIa-chu-ú oder dIa-chu-ú-ú anlauten. Dabei handelt es sich um die Übertragung des hebr. יהו, das das theophore Element für → Jahwe
„Eine Mine Silber ist Besitz von Jâdach-lâma, dem Sohn von Šhameš-ladin, der gegen Ša-Marduk-ul-íni, dem Sohn Bêl-nâdin, und die Pächter seines verpachteten Landes und ihren Feldern steht. Ihr kultiviertes und unkultiviertes bît-qašti, das in der Stadt Bît-rab-urâtu, an der Ufer des Kanals Charripiqud liegt, wird als Pfand gehalten. Das Silber […] eine Mine von Jâdach-Iâma, der Sohn von Šhameš-ladin, wurde von Rîmût-Ninib, dem Sohn Murašû, erhalten, zu Lasten von Ša-Marduk-ul-íni und den Pächtern seines verpachteten Landes. Er hat gezahlt. Da sollten keine rechtlichen Klagen egal welcher Art über Rîmût-Ninib von Jâdach-Iâma bezüglich des Feldes von Ša-Marduk-ul-íni sein. Wenn Jâdach-Iâma rechtliche Klagen gegen das Feld erhebt, soll er zehn Manna Silber ohne Rechtsprozess zahlen. Der Schuldschein, der gegen Ša-Marduk-ul-íni und sein Feld ausgestellt war, als Pfandbesitz auf den Namen Jâdach-Iâma ist eine Garantie, nämlich für Rîmût-Ninib.“
Der im Text genannte Jâdach-Iâma gibt sich als Sohn von Šameš-ladin zu erkennen. Bestandteil des Namens seines Vaters ist demnach die mesopotamische Sonnengottheit. Genealogische Zusammenhänge wie diese deuten auf die Integration der ehemals deportierten Bevölkerung hin, die nach mehreren Generationen den eigenen Ursprung problemlos im Namen anzeigen konnte. Für die gelungene Integration spricht der hohe Privatbesitz, den die Familie von Jâdach-Iâma offensichtlich besaß. Immerhin war er in der Lage, Silber gegen einen Schuldschein zu verleihen.
Neben dem erwähnten Text finden sich aus der Regierungszeit → Artaxerxes II.
In Text 11 (Clay, 1898, 42f.) tritt Ardiia, ein Sklave des Eribâ, auf. Der Jahwe-haltige Name des Sklaven im Vergleich zu dem im zuvor zitierten Text erwähnten Grundbesitzer weist auf die gesellschaftliche Stellung der Deportierten hin: Sie waren so in die babylonische Gesellschaft integriert, dass sie jegliche rechtliche Stellung einnehmen konnten.
Neben den Erwähnungen westsemitischer Personen in den Dokumenten der Familie Muraschu gibt es weitere, in denen Personen mit westsemitischen Namen genannt werden. Eine Zusammenstellung der Namen findet sich in TUAT I/4, 414-418.
b) Die theologische Krise und Ansätze zu ihrer Bewältigung. Obwohl die soziale Integration in die babylonische Gesellschaft gut funktionierte, litten die Exilierten unter den Problemen der Infragestellung ihrer religiösen Überzeugungen. Mit dem Verlust des Landes, der Zerstörung des Tempels und der Gefangensetzung des verbliebenen Davididen standen die göttlichen Verheißungen auf dem Prüfstand. Jes 40,27
Allein die Aktivität der Priester und Propheten konnte die Deportiertengruppe vor der vollständigen Assimilation in das babylonische Völkergemisch bewahren. Sie ordneten das Volk in Verwandtschaftsgruppen (בית אבות), deren Integrität gewahrt werden musste. Die hohe verwandtschaftliche Kontinuität wirkte sich auch auf die beiden das Volk führenden Familien aus: Es waren der Davidide → Serubbabel
Neben der Ordnung in Familien setzte sich die → Beschneidung
Mit der Botschaft → Deuterojesajas
3.2.3. Die Situation judäischer Flüchtlingsgruppen in Ägypten
Die Quellenlage für die exilische Zeit über die nach Ägypten geflohene Gruppe ist schlecht. Allein Jer 43,7-44,30
Die Fluchtbewegung von Judäern nach Ägypten steht im Zusammenhang mit der Förderung von Einwanderungen durch die 26. Dynastie (672-525 v. Chr.), die ausländischen Söldnern Zutritt zum ägyptischen Siedlungsgebiet ermöglichte. Flüchtlinge, die nach Ägypten kamen, konnten dadurch wahrscheinlich an bereits bestehende Beziehungen nach Ägypten anknüpfen. Die Fluchtgruppe von 582 v. Chr. siedelte sich nach Jer 43,7f
Der aus dem 2. Jh. v. Chr. stammende → Aristeasbrief
Da es sich bei den in Ägypten Ansässigen um Auswanderer und nicht um Deportierte handelte, wird im Gegensatz zur babylonischen Gola kaum der Wunsch nach Rückkehr aufgekommen sein. Sie wurden in die bestehende Gesellschaft integriert und orientierten sich nur in geringem Maße an dem, was in Juda geschah.
4. Der Wiederaufbau Judas bis zum Tempelbau
Die Rückkehr judäischer Bevölkerung aus dem babylonischen Exil steht im Zusammenhang mit der von Kyros beabsichtigten Stärkung der Randgebiete des von ihm eroberten Reiches. Statt die neu gewonnen Gebiete einer restriktiven Besatzungspolitik zu unterwerfen, stärkte er die lokalen Machthaber und versuchte, seine Macht auf deren Gunst zu stützen. Diese Form der Toleranz wurde jedoch nur so lange geübt, wie die lokalen Machthaber die persische Herrschaft anerkannten. Im Fall von Aufständen schreckten Kyros und seine Nachfolger nicht davor zurück, massiv in das Staats- und Tempelsystem des Landes einzugreifen. Dabei lag der südwestliche Bereich des ehemals babylonischen Reiches zunächst außerhalb der Interessensphäre des Kyros (vgl. Kyroszylinder Z.30-32). In vollem Umfang wurde die Unterstützung der lokalen Herrschaften durch die persische Oberherrschaft so erst nach der Verwaltungs- und Steuerreform des Darius im Jahr 519 v. Chr. realisiert.
4.1. Die Rückkehr der Judäer
Quellen: Von der Rückkehr der judäischen Bevölkerung bis zum Jahr 520 v. Chr. wird im Alten Testament in Esr 1-6
Scheschbazar. Die Scheschbazar-Tradition (→ Scheschbazar
Albertz (2001, 104) führt als Gegenstand der mit Scheschbazar verbundenen Tradition die Rückgabe der Tempelgeräte an. Die Rückgabe der Tempelgeräte ist in Esr 1,7f
Demzufolge fiel der Gnadenakt des Kyros wesentlich kleiner aus, als es das Buch Esra den Leser glauben lassen möchte. Er beschränkte sich wohl auf die Rückgabe der 597 und 587 v. Chr. von Nebukadnezar erbeuteten Tempelgeräte. Dies passt zu der in den Z.33f. des Kyros-Zylinders (TUAT I/4, 410) beschriebenen allgemeinen Rückgabe von Tempelgeräten, die zum Teil von Nabonid den babylonischen Tempeln zugeführt worden waren. So liegt es nahe, in Scheschbazar den von der persischen Regierung mit der Rückführung der Tempelgeräte Beauftragten zu sehen, wie es Esr 1,7f
Innerhalb des Buches Esra findet sich in Esr 7,12-26
Serubbabel und Jeschua. Der Zeitpunkt der Rückwanderung unter Serubbabel und Jeschua ist unklar. Mit dem Ägyptenfeldzug des → Kambyses
Neben der im Alten Testament berichteten Rückkehr der babylonischen Exilierten überliefert ein Text eines in → Aleppo
Die Anzahl der Rückkehrer ist nach den Angaben von Esr 2
Unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Rückkehrer wurde diese Gruppe von den in Jerusalem Verbliebenen als sehr groß betrachtet. In der Stadt kam es nämlich zu Versorgungsengpässen und Wohnraummangel (vgl. Hag 1,1ff
4.2. Die staatliche Organisation
Die nachexilische Organisation orientierte sich an den in der Gola geschaffenen Strukturen, die vor allem durch das Priesteramt bestimmt wurden. Im Hohenpriester (הכהן הגדול) wurde das Königsamt und das vorexilische Oberpriesteramt (כהן הראשׁ) vereinigt, so dass die königliche / davidische Tradition in die priesterliche überging.
Fraglich ist jedoch, ob diese Organisationsform von Anfang an als solche angestrebt war. Nach Albertz (2001, 102-112) strebte die Rückkehrergruppe zunächst eine Restauration der vorexilischen Verhältnisse an, d.h. die Fortsetzung der davidischen Monarchie (vgl. Hag 2,20-23
Die Reorganisation erwies sich als sehr schwierig. Kehrten die Deportierten mit dem Anspruch zurück, die alte Staatsorganisation wieder herzustellen, hatten die Umverteilung von Grund und Besitz durch die Babylonier und durch Gedalja zu neuen Eigentümerverhältnissen in Juda geführt, so dass nun der Ausgleich zwischen den Gruppen betrieben werden musste. Als schwierig gestaltete sich zunächst der Nachweis bestehender Ansprüche (vgl. Sach 5,1-4
Die staatliche Reorganisation scheiterte durch die Intervention der persischen Herrschaft. Wie Esr 5,3-17
Anders werden die in den Büchern Haggai und Sacharja beschriebenen Prozesse von Reventlow (1993, 35) und Pola (2003, 79-105) interpretiert. Nach Reventlow haben die beiden in Sach 4
Unabhängig von Reventlow kommt Pola zu demselben Ergebnis, weitet dieses im Blick auf die Funktion Serubbabels sogar noch aus. Ausgangspunkt sind wiederum die beiden Ölsöhne (בני היצהר), in denen er die beiden aus der Gola zurückkehrenden Führungspersonen Serubbabel und Jeschua erkennt. Dabei handelt es sich in Sach 4
Die Rückkehr der deportierten zadokidischen Priesterschaft bzw. ihrer Nachkommen führte zu Spannungen mit in Jerusalem während der Exilszeit tätigen nichtzadokidischen, d.h. land-levitischen, aaronidischen und abjataridischen Priestern. In seiner Untersuchung zu Priestern und Leviten im achämenidischen Juda zeigt Scharper diese Spannungen auf (Scharper, 2000, 162-225). Dem vererbbaren Hohenpriesteramt oblag die Verwaltung des Tempels (vgl. Sach 3,7
Die sich aus diesen eher unklaren Ereignissen ergebende Staatsorganisation ist wiederum eindeutig: Geführt wurde Juda vom persischen Statthalter und seiner Provinzverwaltung, die von drei judäischen Gremien unterstützt wurden: Ältestenrat (ראשׁי בית אבות), Priesterkollegium und Volksversammlung (vgl. Esr 10,1f
Diesen Väterhäusern standen Oberhäupter (ראשׁי בית אבות) vor (vgl. dazu und zur Größe der Vaterhäuser Stiegler, 1994, 159-163). Bei einem בית אבות handelt es sich, das wird aus Esr 8,1f
Die Zusammenarbeit mit der persischen Besatzungsmacht hatte zur Folge, dass die belastende Steuerpolitik des Darius auch in Juda griff, so dass vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten unter den Bedingungen zu leiden hatten (vgl. Neh 5,1-13
5. Das Exil als literarische Epoche
Die Zeit des babylonischen Exils wird weithin als die Epoche angesehen, in der weite Teile des alttestamentlichen Schrifttums verfasst wurden. Als Gründe für diese reiche schriftstellerische Tätigkeit gelten vor allem das Leben in einer Kultur, in der Schrift ein entscheidender und weit verbreiteter Informationsträger war, sowie das Bedürfnis, die eigenen Traditionen zu wahren und die erlebte Katastrophe theologisch zu bewältigen. Unter diesen Umständen entstanden Werke unterschiedlicher literarischer Gattungen und bereits bestehende Schriften wurden von Redaktoren überarbeitet und zumeist erweitert.
Der genaue Umfang des exilischen Schrifttums ist in der alttestamentlichen Forschung umstritten. Während die ältere Forschung in die Zeit des Exils vor allem die Abfassung der Pentateuchquelle → Priesterschrift
5.1. Die Verarbeitung der Katastrophe
Die Verarbeitung der Zerstörung Jerusalems und der Deportation von Bevölkerungsteilen nach Babylon fand ihren literarischen Niederschlag vor allem in Bearbeitungen der prophetischen Literatur, in Ergänzungen zum → Deuteronomium
5.1.1. Der Untergang als Bestätigung prophetischer Unheilsansagen
Mit dem Eintritt des Exils erhielten prophetische Unheilsankündigungen aus vorangegangenen Jahrhunderten ihre Bestätigung und wurden in Fortschreibungen in diesem Sinne auf die Gegenwart appliziert. Was von den Propheten in eher unbestimmter Form geäußert worden war, wurde von Redaktoren auf konkrete historische Ereignisse bezogen.
Dieser Prozess ist besonders gut in Jes 6
5.1.2. Die Ergänzungen zum Deuteronomium während der Exilsphase
Das Buch → Deuteronomium
Da bereits der Umfang des vorexilischen Deuteronomiums in der Forschung umstritten ist, ist eine genaue Zuweisung von exilischen Texten zum Deuteronomium unsicher. Nach Braulik (2004, Deuteronomium, 141) ist mit zwei Erweiterungsschichten in exilischer Zeit zu rechnen. Zur ersten exilischen Schicht rechnet er Ergänzungen in Dtn 28f
Der Fokus des Deuteronomiums lag in vorexilischer Zeit auf der Zentralisation des Kultes mit den dadurch notwendigen Folgen (Profanschlachtung Dtn 12
In der zweiten, spätexilischen Redaktion wird neben die Straftheologie die Gnadentheologie eingetragen, wie sie sich in Dtn 4,1-40
So finden sich im Deuteronomium die beiden entscheidenden Phasen der Exilszeit: das Verstehen, warum es in Juda zur eingetretenen Katastrophe kommen musste, und in der zweiten Phase die Frage des Weiterlebens im Land unter veränderten Bedingungen.
5.1.3. Das Deuteronomistische Geschichtswerk als Begründung des Exils
Spiegelt sich in den Redaktionsstufen des Deuteronomiums die deuteronomistische Theologie wider, so findet sich mit dem → Deuteronomistischen Geschichtswerk
Das Deuteronomistische Geschichtswerk gibt mit seiner Kritik an der Existenz und an der Verfassung des Königtums in Israel und Juda sowie an dem zum Teil JHWH-unwürdigen Kult (Sünde → Jerobeams
Von besonderer Bedeutung für das deuteronomistische Urteil sind sowohl die an den epochalen Übergängen eingefügten reflektierenden Reden (z.B. 1Sam 12
5.2. Rezeption und Neugestaltung von Traditionen
Zwei Traditionen treten in der Exilszeit besonders hervor:
● Die Exodustradition (→ Exodustradition
● Neben der Exodus- erhält auch die Vätertradition eine besondere Stellung. Die Tatsache, dass Abraham von Ur in Chaldäa aus aufgebrochen sein soll (Gen 11,27-31
Ebenfalls auf die frühe Zeit Israels greift die in exilischer Zeit entstandene Grundschicht der Priesterschrift zurück. In ihr werden die Sinaiereignisse auf das Priestertum bezogen erneut geschildert.
Neben der Rezeption überkommener Traditionen wurden in der Exilszeit mit der Neugestaltung der Schöpfungsthematik (→ Schöpfung
● Die Schöpfungstradition ist für Deuterojesaja und für die Priesterschrift von besonderer Bedeutung. In beiden Werken wird die Schöpfung zur Begründung des Herrschaftsanspruchs Jahwes über die Schöpfung. Verbunden mit der Schöpfung wird die Negation der Existenz anderer Götter (→ Monotheismus
● Mit der Ausprägung der Sabbattradition durch den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht grenzte sich die exilierte judäische Bevölkerung von der babylonischen Umwelt ab. Durch die Einhaltung des → Sabbats
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- Zadok, R., 1995, The Ethno-Linguistic Character of the Jezireh and Adjacent Regions in the 9th – 7th Centuries, in: M. Liverani, Neo-Assyrian Geography (Università di Roma “La Sapienza”, Dipartimento di Scienze storiche, archeologiche e antropologiche dell’Antichità, Quaderni de Geografia Storica 5), Rom, 217-282.
- Zehnder, M., 2005, Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien. Ein Beitrag zur Anthropologie des ‚Fremden’ im Licht antiker Quellen (BWANT 168), Stuttgart.
- Zenger, E., 1968, Die deuteronomistische Interpretation der Rehabilitierung Jojachins, BZ 12, 16-30.
Abbildungsverzeichnis
- Das assyrische Reich. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Die Eroberung von Lachisch und die Deportation der Einwohner (Reliefs aus Ninive; 8. Jh. v. Chr.). Aus: H. Gressmann, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin / Leipzig 2. Aufl. 1927, Abb. 141
- Das babylonische Reich. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
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