Freundschaft (AT)
(erstellt: Oktober 2007)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/18617/
1. Allgemeines
1.1. Hebräische Begriffe
Es mag überraschen, dass das Hebräische kein spezielles Nomen besitzt, das dem deutschen Wort „Freund“ bzw. dem griechischen φίλος philos „Freund“ entspricht. Ob darum im Alten Testament von Freundschaft die Rede ist oder ob der Freund bzw. die Freundin gemeint ist, entscheidet sich am Kontext. Für den Freund steht in den meisten Fällen das hebräische Wort רֵעַ rea‘, dessen weiter Bedeutungsumfang von „Nächster / Gefährte / Freund“ bis zu „Nachbar / Mitmensch“ und dem pronominalen „ein anderer“ reicht. Häufig begegnet auch das von dem Verb „gern haben / lieben“ abgeleitete Part. akt. Qal bzw. das Substantiv ’ohev „Liebender“ (dagegen wird der „Liebhaber“ einer Frau oder eines Mannes durch das Part. Piel ausgedrückt). Weitere Nomen, die für den Freund stehen können, sind אַלּוּף ’allûf „Vertrauter“ (Mi 7,5
1.2. Freundschaft – der Sache nach
Der Sache nach bezeichnet Freundschaft im Alten Testament eine persönliche Bindung zwischen Menschen, die durch Treue und Zuneigung wechselseitig begründet ist. Sie zeichnet sich in besonderer Weise dadurch aus, dass einer seinen Freund liebt wie sich selbst bzw. wie sein eigenes Leben (Dtn 13,7
Beim „Freund des Königs“ (1Chr 27,33
2. Freundespaare und Freunde
Betrachtet man die Sozialstruktur im alten Orient, ist der Einzelne fest eingebunden in die Familie, die ihrerseits in eine Sippe (lineage) sowie einen Stamm (clan) eingegliedert und in diesem organisiert ist. Freundschaftliche Bindungen unter Nichtverwandten spielen daher kaum eine Rolle. Trotzdem ist das Phänomen der Freundschaft in den altorientalischen Kulturen bekannt und findet in der Literatur eindrucksvolle Bezeugungen.
2.1. Gilgamesch und Enkidu
Dieses berühmteste Freundespaar außerhalb der Bibel findet seine Darstellung im → Gilgamesch-Epos
Gilgamesch ist König der Stadt → Uruk
2.2. David und Jonatan
In Gestalt von → David
In der Forschung wird die Frage einerseits bejaht (Schroer / Staubli, 15-22), andererseits die dafür entwickelte Indizienkette als unzureichend zurückgewiesen (Zehnder, 153-179). Für ein homosexuelles Verhältnis werden besonders einige Formulierungen angeführt, die sich so oder ähnlich auch in der Liebespoesie des Hohenlieds finden (vgl. 1Sam 20,11
2.3. Rut und Noomi
Freundschaft ist im Alten Testament keine reine Männersache. Davon zeugt das Buch → Rut
2.4. Hiob und seine Freunde
Wirkliche Freundschaft bewährt sich im Leid. Davon geben die drei Freunde Hiobs ein beredetes Beispiel. Großes Unglück war über → Hiob
Ihre Freundschaft zeichnet sich dreifach aus: (1) Sie machen sich unverzüglich auf die weite Reise, um ihrem Freund Hiob persönlich beizustehen (Hi 2,11
2.5. Die drei Freunde Daniels im Feuerofen
Drei Freunde, die mit ihren griechischen Namen Hananja, Mischael und Asarja hießen (Dan 1,6-7
3. Freundschaft als Thema der Weisheit
In den → Sprüchen Salomos
Freundschaft als ein eigenes Thema, über das es nachzudenken gilt, wird erst von der späten Weisheit unter dem Einfluss der hellenistischen Kultur entdeckt. Und dafür gibt es Gründe. Sie liegen nicht nur in einer seit dem 3. Jh. v. Chr. teilweise auch in Palästina übernommenen griechischen Lebensweise, sondern auch in einer sich wandelnden sozialen Situation: (1) Durch ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum rückten finanzielle Karriere und rascher sozialer Abstieg eng zusammen (vgl. Sir 13,21
3.1. Freundschaft bei den Griechen
Den Griechen galten Achilleus und Patroklos als das ideale Freundespaar (Homer, Ilias XI, 785ff, XVI, 2ff, XXIII, 93ff; Pindar, Olympische Oden 9; Text gr. und lat. Autoren
3.2. Freundschaft bei Kohelet
Am Buch → Kohelet / Prediger Salomo
In Pred 4,7-12
Das zweite und in seiner Auslegung höchst umstrittene Stück Pred 7,26-29
3.3. Jesus Sirach – Lehrer der Freundschaft
Zur Zeit des Siraziden darf man von einer Blüte der hellenistischen Kultur und des öffentlichen Lebens in Jerusalem ausgehen (um 200 v. Chr.). Von den Konflikten zwischen griechisch-orientierten und konservativ-religiösen Juden, die wenige Jahrzehnte später die Erhebung der → Makkabäer
Jesus Sirach entfaltet sein Thema zunächst in einem grundsätzlichen Lehrstück über den wahren Freund und die falschen Freunde (Sir 6,5-17
Es entspricht der Eigenart biblischer Weisheit, dass Jesus Sirach nicht eine zusammenhängende systematische Lehre der Freundschaft entwickelt, sondern in unterschiedlichen Zusammenhängen jeweils verschiedene Aspekte der Freundschaft behandelt. Somit treten die folgenden Perikopen über die Freundschaft ergänzend hinzu:
(1) Sir 12,8-12
(2) Sir 19,13-17
(3) Sir 22,19-26
(4) In Sir 27,16-21
(5) Sir 37,1-6
(6) Schließlich darf nicht übersehen werden, dass Jesus Sirach die Freundschaft auch sub specie finalis und das heißt unter dem Gesichtspunkt menschlicher Endlichkeit betrachtet. Hierher gehört dann auch das Wort, das den Wert der Freundschaft als ein von Gott gewährtes und zugleich vergängliches Gut nachdrücklich-mahnend in den Blick rückt: „Denk daran, dass der Tod nicht säumt und die Frist bis zur Unterwelt dir unbekannt ist. Bevor du stirbst, tue Gutes dem Freund, und beschenke ihn, so viel du vermagst.“ (Sir 14,12-13
4. Freunde Gottes
Die Bezeichnung eines Menschen als „Freund Gottes“ ist im Alten Testament die Ausnahme. Namentlich wird nur Abraham der Freund Gottes genannt (Jes 41,8
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart 1973-2007
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
2. Weitere Literatur
- Bien, G., 1972, Aristoteles. Nikomachische Ethik, Philosophische Bibliothek 5, Hamburg
- Corley, J., 2002, Ben Sira’s Teaching of Friendship (Brown Judaic Studies 316), Providence
- Hausmann, J., 2005, Rut. Miteinander auf dem Weg (Biblische Gestalten 11), Leipzig
- Kaiser, O., 2005, Weisheit für das Leben. Das Buch Jesus Sirach übersetzt und eingeleitet, Stuttgart
- Maul, S. M., 2005, Das Gilgamesch-Epos. Neu übersetzt und kommentiert, München
- Marböck, J., 1996, Gefährdung und Bewährung. Kontexte zur Freundschaftsperikope Sir 22,19-26, in: F.V. Reiterer (Hg.), Freundschaft bei Ben Sira. Beiträge des Symposions zu Ben Sira, Salzburg 1995, BZAW 244, Berlin / New York, 87-106
- Naumann, Th., 2003, David und die Liebe, in: W. Dietrich / H. Herkommer (Hgg.), König David. Biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt, Stuttgart, 51-83
- Nissinen, M., 1999, Die Liebe von David und Jonatan, Bib. 80, 250-263
- Reiterer, F.V. (Hg.), 1996, Freundschaft bei Ben Sira. Beiträge des Symposions zu Ben Sira, Salzburg 1995 (BZAW 244), Berlin / New York
- Schroer, S. / Staubli, Th., 1996, Saul, David und Jonatan – eine Dreiecksgeschichte? Ein Beitrag zum Thema „Homosexualität im Ersten Testament“, BuK 51, 15-22
- Söding, Th., 2007, Freundschaft bei Jesus, Internationale Katholische Zeitschrift „Communio“ 36, 220-231
- Weiher, E. von, 1980, Gilgameš und Enkidu. Die Idee einer Freundschaft, BaghM 11, 106-119
- Zehnder, M., 1998, Exegetische Beobachtungen zu den David-Jonathan-Geschichten, Bib. 79, 153-179
Abbildungsverzeichnis
- Davids Abschied von Jonatan (Rembrandt, 1642).
- Rut bleibt bei Noomi, Orpa kehrt zurück nach Moab (William Blake, 1795).
- Hiob und seine Freunde (Gustave Doré; um 1866).
- Die Freunde im Feuerofen (Priscilla-Katakombe in Rom, 3. Jh.).
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)