Bibliodrama
(erstellt: Februar 2020)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Bibliodrama.200277
1. Bibliodrama als bibeldidaktischer Zugang
Das Bibliodrama ist eine „szenische, erfahrungsbezogene, exegetisch u[nd] theologisch begründete Zugangsweise zur Erschließung bibl[ischer] Texte“ (Kollmann, 2001, 177) und zählt im Methodenspektrum biblischen Lernens zu den „kreativ-gestalterischen Formen der Bibelarbeit“ (Dormeyer, 2001, 175). Wie biblisches Lernen im Sinne korrelativer Didaktik (→ Korrelation
2. Entstehung und Entwicklung
Die geschichtliche Inszenierungspraxis biblischer Texte und religiöser Themen reicht bis ins Mittelalter zurück und findet sich in verschiedenen Formen von Mysterien- und Passionsspielen, Schultheatern (z.B. das Jesuitendrama im Zuge der Gegenreformation) oder in Weihnachts- und Krippenspielen bis in die Gegenwart hinein (Aldebert, 2001, 54-132). Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre entstehen in Deutschland verschiedenste Spielformen und Methoden der Körperarbeit und -therapie, in denen das persönliche Erleben und das Erleben der Gruppe im Zentrum stehen und sich schnell mit Ansätzen kreativer Bibelarbeit verbinden: Theaterpädagogik
3. Die Gestaltung und Phasen eines Bibliodramas
Das Bibliodrama kann grob in drei Phasen unterschieden werden: die Phasen der thematischen sowie raum- und leibbezogenen Hinführung (Warming-up), der kreativen Texterschließung und des Spiels (Spielphase) und der reflektierenden Auswertung (Reflexionsphase). In der Literatur werden sie z.T. noch in weitere Schritte ausdifferenziert.
- Die Warming-up-Phase ist geprägt von Körperarbeit zum Ankommen bei sich selbst und der in der Gruppe, sie dient dem Kennenlernen des Raumes und ebenso der vorbereitenden Begegnung mit dem Text.
- Der Spielphase geht das Lesen des Textes, die Erarbeitung und Sammlung möglicher Rollen und die Rollenwahl voraus. Initiiert wird das Spiel durch die Abtrennung der Bühne, etwa durch ein Seil oder Bambusstäbe. Über die sich ergebende Schwelle gehen die Teilnehmenden in einer Identifikation mit einer Person, einem Bedeutungsträger oder Aspekt des Textes gewissermaßen in das Hier und Jetzt des Bühnenraumes hinein. Sie nehmen an einem Ort ihre Rollen ein und setzen unter der Anleitung der Bibliodrama-Leitenden, die Spielbeginn und -ende bestimmen und deren Interventionstechniken (z.B. Einfrieren des Spiels, Rollenwechsel, Interview, Resonanzwörter etc.) den Spielverlauf strukturieren, den Bibeltext in Szene.
- Die Reflexionsphase ist ebenso wichtig wie die Spielphase selbst. Nachdem die Teilnehmenden am Ende der Spielphase die eingenommenen Rollen verlassen haben und die Bühne z.B. durch Einrollen des Seiles aufgelöst wurde, reflektieren sie mit den Bibliodrama-Leitenden, wie sie sich selbst und die anderen im Spiel wahrgenommen haben. Die Verbindung und Berührungspunkte von Alltagsleben und Glaubensleben können benannt, das Textverständnis vertieft und die ggf. über den Spielverlauf veränderten Fragen nach der Bedeutung der Aussagen der → Bibel
für die Einzelnen und für die Gruppe in den Mittelpunkt gestellt werden. Mit dieser „exegetischen Dimension“ gilt das Bibliodrama in der biblischen Didaktik bereits seit Ende der 1980er Jahre als eine anerkannte „Form der Textauslegung und Textentfaltung“ (Schramm, 1987, 116).
So einfach das Dreiphasenmodell des Bibliodrama auf den ersten Blick scheint, setzen die Komplexität der methodischen Möglichkeiten, die Variationsbreite der sich ergebenden Entwicklungen und Erfahrungen, die ggf. ausgelösten Reaktionen und emotionalen Empfindungen der Teilnehmenden sowie die Rückbindung des Spielverlaufes an die zugrundeliegenden biblischen Texte (exegetische Vorbereitung, Wahl der Textgattung, theologische Reflexion) die bereits erwähnte, umfassende Weiterbildung der Bibliodrama-Leitenden voraus. Das Lernen von und mit medialer Räumlichkeit ist die besondere Herausforderung bibliodramatischer Bibelarbeit.
4. Mediale Räumlichkeit im Bibliodrama
Der strukturierte Einbezug von Leib- und Räumlichkeit als solcher ist das eigentliche Plus und das Bedeutsamste des Bibliodrama (Dörnemann, 2019, 145) und unterscheidet diese bibeldidaktische Methode von der der aus dem Bibliodrama erwachsenen und von der konkreten Raum-Leiblichkeit in gewisser Weise abstrahierenden Methode des → Bibliolog
4.1. Differenzierte Raumstruktur
Galt für die wissenschaftliche Theologie noch bis Anfang des 21. Jahrhundert die „Bedeutung des Raumes für den christlichen Glauben und seinen Vollzug [als] weitgehend unerforscht“ (Jooß, 2005, 17), bildete in der Praxis des Bibliodrama von Anfang an das leib-räumliche Spiel und die differenzierte Struktur des Bibliodrama-Raumes die entscheidende Grundlage dieser bibeldidaktischen Methode. Der zur Verfügung stehende Raum muss eine der Bibliodramagruppe entsprechende Größe haben und nach Möglichkeit ein leerer, rechteckiger und klarer Raum ohne Ablenkung sein. Mit einem Seil oder Bambusstangen wird der zur Verfügung stehende Raum zu Beginn des Spieles in zwei unterschiedlich große Bereiche geteilt, die über die entstehende Schwelle miteinander verbunden wie voneinander getrennt sind.
In der Abtrennung erhält der von den Teilnehmern abgegrenzte, größere Raum eine sakrale Aufladung (Dörnemann, 2013), indem er durch die Aussonderung und Abtrennung der Sphäre des Alltäglichen enthoben wird. Religionswissenschaften können diesen Zusammenhang veranschaulichen, indem sie kultur- und religionsübergreifend auf eine Gemeinsamkeit der Topographie kultischer Anlagen hinweisen: Heilige Bezirke werden von der übrigen, nicht heiligen Umgebung abgesondert, was bei den Römern zur Unterscheidung zwischen dem Fanum (dem Heiligen) und dem Profanen (dem vor dem Heiligen Gelegenen) führte (Dörnemann, 2013, 62-65). Sprachetymologisch tragen die grundlegenden Vokabeln im Bereich der Religiosität diesen räumlichen Bezug in ihrem Namen: Wie das Wort Tempel (von altgr. temno: schneiden) den ausgegrenzten und abgeschnittenen Bezirk meint, kommt sanctus von sanciri und bedeutet trennen, scheiden, aus- und absondern.
Die Bühne markiert die Grenze, den Übergang von Gruppenraum und den spielenden Akteuren, weil auf ihr „eben eine andere Welt zu Hause ist als meine Alltagswelt“ (Teichert, 2001, 102). Abgetrennt vom Raum der Vorbereitung und dem Raum der Pause ist die Bibliodrama-Bühne ein Ort der Imagination und der Phantasie, vielleicht sogar ein „Ort des Mythos“ (Stangier, 1997, 65). Der Bibliodrama-Raum schafft Raum für Un- oder Unterbewusstes und vermag alte Erfahrungen (→ Erinnerung/Erinnerungslernen
4.2. Räumliches Körperlernen
Das Bibliodrama knüpft an die leib-räumliche Verfasstheit des Menschen an: An das Lernen mit und durch den → Leib und Körper
5. Reflexion und Würdigung des Bibliodramas
Die Erfahrung der menschlichen Einbezogenheit in ein nolens volens jeden Menschen angehendes und umgreifendes Geschehen der räumlichen Weltdeutung und -zueignung ist das eigentliche Thema und die Botschaft des medialen Raumes des Bibliodrama, in das hinein sich das Leben, Verse, Geschichten und die Botschaften der → Bibel
In der Reflexionsphase des Bibliodramas (siehe 3. Die Gestaltung und Phasen eines Bibliodramas) geschieht diese bewusste Reflexion des zuvor (dramatisch) Erlebten: die sogenannte „Adams-Arbeit“. Wie „die ersten Menschen“ gemäß der biblischen Schöpfungsgeschichte allem Lebenden Namen geben durften, folgt in der abschließenden Phase des Bibliodrama die Zeit der Benennung des zuvor Dargestellten und Erlebten, das Worte-Finden und der wechselseitige Austausch über das Erlebte zu einem Gesamterleben bzw. die Bewusstwerdung der je eigenen Einzelperspektiven und die Wahrnehmung der (ggf. gegenüber den Vorverständnis veränderten) Bedeutung des zugrundeliegenden Textes. Die Identifikationen der Teilnehmenden im szenischen Spiel mit Situationen, Rollen und Aspekten, die in der Bibel geschildert werden, werden in ihrem Erleben, der Verkörperung und Verortung auf der Bühne reflektiert, insbesondere darauf, wie ggf. in den biblischen Texten menschliche Grunderfahrungen (→ Erfahrung
Das Bibliodrama kann – in Entsprechung wie Kontrast zu den vielen Räumen gelebten Daseins – den (heiligen) Rahmen dafür schaffen, die leibräumliche Existenz des Menschen erlebbar zu machen, in der sich ein Mensch in einer grundlegenden Weise bereits religiös aufgehoben, eingebunden, verortet, aufgegeben oder aber neu herausgefordert empfinden kann. Das Bibliodrama ist ein herausragender Ort für eine „räumlich gelebte Religion“ (Dörnemann, 2014), das die Bedeutung räumlicher Erfahrung und medialer Räume für die Entwicklung und Reflexion des Menschseins zu erinnern und mithilfe des biblischen Textes je neu gegenwärtig halten kann. Das Bibliodrama kann zugleich bewusst machen: Wir brauchen mediale Räume dieser Art und aller Art (z.B. Kirchen → Pädagogik des Kirchenraums/heiliger Räume
6. Anwendungsweisen und Einsatzorte
Das Bibliodrama findet meist als Gruppenspiel, selten auch als Protagonistenspiel mit oder ohne Rollenwechsel statt. Seine Einsatzorte liegen in der Erwachsenen- und Jugendpastoral (→ Jugendarbeit, katholisch
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Abtrennung der Bühne © Holger Dörnemann
- Bedeutungsbereiche der Bühne © Holger Dörnemann
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