Interreligiöses Lernen, Gymnasium
Andere Schreibweise: Problemsituationen; Disziplinmanagement
(erstellt: Februar 2018)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Interreligises_Lernen_Gymnasium.200379
1. Religionsunterricht an Gymnasien: ein Lernort zum Erwerb interreligiöser Kompetenz?
Das interreligiöse Lernen (→ Interreligiöses Lernen
Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen gilt unabhängig von der Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler interreligiöse Kompetenz als eine Notwendigkeit (Schambeck, 2013, 13). Schambeck qualifiziert → interreligiöse Kompetenz
1.1. Interkulturelle und interreligiöse Begegnung im Schulalltag
Interreligiöses Lernen bleibt in den verschiedenen Schulformen eine der anspruchsvollsten Herausforderungen für den Religionsunterricht, das gilt auch für das Gymnasium. Es geht darum, die Entwicklung des konfessorischen Moments durch Vergleich und Dialog hindurch zu ermöglichen. Damit kann der Religionsunterricht ein Beispiel dafür geben, wie in einer von pluralen Lebenswelten geprägten Gesellschaft unterschiedliche, ja vielleicht gar einander widersprechender weltanschaulicher – damit auch religiöser – und ethischer Geltungsansprüche miteinander ins Gespräch gebracht werden können.
Interreligiöse Lehr- und Lernprozesse im Religionsunterricht sind auch geprägt von schulformspezifischen Bedingungen. Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, dass am Gymnasium im Vergleich zu den anderen Schulformen interkulturelle und interreligiöse Begegnung im Raum der Schule selbst deutlich seltener sind. Im Jahr 2015 lag die Zahl der Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund an allgemeinbildenden Schulen bei 33 %. Davon besuchten 51 % Hauptschulen, wohingegen der Prozentsatz der Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund am Gymnasium bei 27 % lag (Statistisches Bundesamt, 2017). Dessen ungeachtet gilt auch für das Gymnasium, dass der Religionsunterricht die Aufgabe hat, es Schülern und Schülerinnen zu ermöglichen, „sich zu Religion angesichts des erlebten Religionsplurals angemessen zu verhalten“ (Schambeck, 2013, 21). Voraussetzung dafür ist die Wahrnehmung des Anderen, aber auch des Eigenen als etwas, das letztlich fremd bleibt (→ Fremdheit als didaktische Aufgabe
1.2. Zur Bedeutung interreligiöser Lehr- und Lernprozesse in den Lehrplänen
Ein Blick in die Lehrpläne verschiedener Bundesländer für den Religionsunterricht an Gymnasien zeigt, dass die Auseinandersetzung mit nicht-christlichen Religionen als ein wichtiges Arbeitsfeld wahrgenommen wird. Der Gegenstandsbereich „Religion und Weltanschauungen“ (DBK, 2004, 33-35), der für den katholischen Religionsunterricht in die Lehrpläne für die Sekundarstufe I als einer der Inhaltsfelder aufgenommen worden ist (vgl. beispielsweise die Lehrpläne für die Bundesländer Baden-Württemberg, Niedersachen, Nordrhein-Westfalen), führt dazu einzelne Kompetenzen an. Auffallend ist hier allerdings, dass weitgehend religionskundliche Gehalte jüdischen und islamischen Glaubens aufgeführt werden, die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler wird lediglich indirekt angesprochen, wenn es um Beispiele christlich-jüdischer und christlich-muslimischer Zusammenarbeit geht. Auch die Lehrpläne für den evangelischen Religionsunterricht an Gymnasien für die Sekundarstufe I greifen dieses Inhaltsfeld auf (vgl. die Lehrpläne für die Bundesländer Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen). Im Lehrplan Sachsens beispielsweise sind sowohl für die evangelische wie die katholische Religionslehre vier Lernbereiche aufgenommen (Sächsisches Staatsministerium für Kultus und Sport, 2004/2011). Hier werden interreligiöse Bezüge in einigen Jahrgangsstufen im Lernbereich Formen des Religiösen auf religionskundlicher Ebene hergestellt. In der Oberstufe gibt es interreligiöse Ansätze für die Begegnung von Christen und Juden.
2. Interreligiöses Lernen im Religionsunterricht am Gymnasium
2.1. Entwicklungsbedingte Grundlagen
Das Gymnasium umfasst mit einer Altersspanne von etwa 10 bis 18 Jahren ein breites Spektrum von der Kindheit bis zur Adoleszenz mit einem entsprechend umfangreichen Entwicklungspotenzial. Daher bieten sich auch unterschiedliche Konzepte interreligiösen Lernens (→ interreligiöses Lernen
Gerade in der gymnasialen Oberstufe können die sich entwickelnden Kompetenzen zu einem Denken in Komplementarität für diese Form des Lernens fruchtbar gemacht werden. Ein Denken in Komplementarität setzt sowohl auf emotionaler/affektiver als auch auf kognitiver Ebene Fähigkeiten zum → Perspektivenwechsel
2.2. Inhaltsfelder und zu erwerbende Kompetenzen
Religionskundliche Wissensaneignung ist eine wesentliche Voraussetzung für interreligiöses Lernen. Ein Blick in die Lehrpläne zeigt, dass sowohl im evangelischen als auch im katholischen Religionsunterricht am Gymnasium diesbezüglich Grundlagen gelegt werden. Da Schülerinnen und Schüler am Gymnasium in der Regel acht bzw. neun Jahre an der Schule sind, kann neben Unterrichtssequenzen, die mit zentralen Aspekten nichtchristlicher Religionen vertraut machen, interreligiöses Lernen gleichsam als ein Prinzip des Unterrichts (Jäggle, 2002; Tautz, 2007, 150;356;362) verstanden werden. Das gilt vor allem mit Blick auf die abrahamischen Religionen, so dass „Trialog als grundlegendes religionspädagogisches Prinzip“ (Langenhorst, 2016, 158-180) für die Planung und Durchführung des Religionsunterrichts gelten kann (→ trialogisches Lernen
Die für alle Schulformen anstehende Aufgabe, religiöse Urteilskompetenz zu fördern, heißt für den Religionsunterricht am Gymnasium das Erlernen einer reflektierten und argumentativ geschulten Standpunktfähigkeit des Subjekts in Fragen der religiösen Weltdeutung. Dabei sind in Anlehnung an den von Jürgen Baumert angeführten vierten Modus der Weltaneignung, nämlich die Auseinandersetzung mit „Probleme[n] konstitutiver Rationalität“ (Baumert, 2002, 113) auch nicht-religiöse Weltanschauungen in den Blick zu nehmen. So verstandene religiöse Urteilskompetenz ist ein lebenslanger Prozess, der in der Schule angebahnt und im besten Fall in der Sekundarstufe II exemplarisch anhand von Material, das eine interreligiöse Ausrichtung und Auseinandersetzung selbst bietet, erprobt werden kann (vgl. hierzu Kap. 2.3).
Die Fähigkeit zu einer kritischen „Selbstwahrnehmung“ (Langenhorst, 2008, 294), die sich im Ringen um eine vor der Vernunft zu rechtfertigenden Position angesichts religiöser Pluralität herausbilden kann, stellt eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung interreligiöser Kompetenz dar. In diesem Sinne spricht Schambeck von dem ästhetischen Kompetenzbereich (Schambeck, 2013, 177).
Ein Einüben in eine Diversifikations- und Relationskompetenz bietet sich vor allem in der Oberstufe an, wenn beispielsweise anthropologische Konzepte aus Philosophie und nichtchristlichen Religionen mit christlichen in ein kritisches Gespräch gebracht werden.
2.3. Methoden und Unterrichtsmaterialien
Die Frage, welche Methoden besonders für interreligiöse Lehr- und Lernprozesse geeignet sind, lässt sich im Sinne des Primats der Didaktik vor der Methodik nicht losgelöst von dem zugrunde gelegten didaktischen Konzept, aber auch nicht ohne Beachtung der methodischen Kompetenz der Lernenden beantworten (Schlüter, 2005, 557-563). Interreligiöses Lernen kann so im Sinne eines aufbauenden Lernens gestaltet werden, wobei „bestimmten Altersphasen ein bestimmtes Methodenrepertoire zugeordnet wird“ (Sajak, 2012, 224). Dabei gilt es, sowohl entwicklungsbedingte Voraussetzungen als auch lebensweltliche Erfahrungen der Lernenden zu beachten. Es geht darum, Kinder und Jugendliche dazu zu verhelfen, über Kontrasterfahrungen im Sinne einer Hermeneutik des widerständig Fremden bedeutungsvolle Unterschiede in religiösen Ritualen, in Gottesvorstellungen, in Fragen der Ethik u.a.m. wahrnehmen zu lernen (Tautz, 2007, 364-367).
Für Schüler und Schülerinnen der Jahrgangsstufen 5 und 6 bietet sich ein Lernen an konkreten Phänomenen wie Artefakten, Ritualen, Musikalia etc. an. Mit ihrem fremden religiösem Verweiszusammenhang können sie als Widerstand (oder „Gegen-stand“ mit Bindestrich) in der Schule wirken, mit „Fremdheitsmarkern“ verknüpft sein (Meyer, 2014, 343) und so weiteres Fragen auslösen. Auch Beispiele von konkreten Personen eröffnen einen Zugang. Heute lebende Kinder und Jugendliche können als „medial inszenierte Individuen“ (Meyer, 2014, 344) gleichsam eine andere Erfahrungs- und Verstehenstradition ins Bild setzen. Fotografien, die diese Kinder und Jugendlichen bei religiösen Handlungen zeigen, können eine Art Brücke zur Religion und religiösen Erfahrungswelt des Kindes bzw. Jugendlichen darstellen, die zur persönlichen Auseinandersetzung mit der fremden Denktradition anregt (Meyer, 2014, 345f.; 2008; 2006). Eine weitere Möglichkeit für Kinder im Alter von zehn bis zwölf Jahren stellen narrative Zugänge dar (vgl. hierzu Zimmermann, 2015).
Wenn interreligiöses Lernen in der Phase der Pubertät „der Kritik und damit letztendlich der Überwindung der kindlichen, konventionellen Religion“ (Sajak, 2012, 229) dienen soll, müssen Methoden dazu einen entsprechenden Raum eröffnen. Ein solcher Raum kann über das Theologisieren mit Jugendlichen eröffnet werden (zum Theologisieren mit Jugendlichen allgemein vgl. Dieterich, 2012), das sich aus Themen und Texten, aber auch Beobachtung von Phänomenen speisen kann (z.B. Meyer, 2015).
Methodenkompetenz zu vertiefen und zu erweitern heißt für jungen Menschen in der gymnasialen Oberstufe auch, in wissenschaftspropädeutisches Arbeiten eingeführt zu werden (EKD, 2010, 11f.; Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2014, 14). Auszüge aus Texten jüdischer, christlicher und muslimischer Theologen, die im Dialog miteinander um wissenschaftlich begründete Argumentation bemüht sind, können dazu als Grundlage dienen (vgl. hierzu beispielsweise die Reihe Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslime sowie die Reihe Beiträge zur Komparativen Theologie). Ein Zugang zu muslimischen oder jüdischen Lebenswelten kann in der Oberstufe auch über die Arbeit an und mit literarischen Werken eröffnet werden (zu Beispielen zeitgenössischer Werke Gellner/Langenhorst, 2013).
Literaturverzeichnis
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Lehrpläne
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- Ministerium für Kultus, Jugend und Sport (Hg.), Bildungsplan des Gymnasiums. Katholische Religionslehre, Stuttgart 2016.
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- Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Kernlehrplan für die Sekundarstufe II. Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Katholische Religionslehre, Frechen 2014.
- Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Kernlehrplan für das Gymnasium – Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen. Evangelische Religionslehre, Frechen 2011.
- Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Kernlehrplan für das Gymnasium – Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen. Katholische Religionslehre, Frechen 2011.
- Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe. Evangelische Religion, Hannover 2017.
- Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe. Katholische Religion, Hannover 2017.
- Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5 – 10. Evangelische Religion, Hannover 2016.
- Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5 – 10. Katholische Religion, Hannover 2016.
- Sächsisches Staatsministerium für Kultus und Sport (Hg.), Lehramt am Gymnasium. Evangelische Religion, Dresden 2004/2011.
- Sächsisches Staatsministerium für Kultus und Sport (Hg.), Lehramt am Gymnasium. Katholische Religion, Dresden 2004/2011.
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