Rassismus
(erstellt: Februar 2019)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Rassismus.200632
Einleitung
Die Rede von Rassismus löst weitreichende Assoziationen und erhebliche Emotionen aus – diese verbinden sich mit Intoleranz, Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt. In den gegenwärtigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang des Aufstiegs und Auftretens populistischer Parteien spielt die Frage nach rassistischem Gedankengut eine erhebliche Rolle. Bestimmte, bewusst gesetzte Sprachverwendungen knapp an der Grenze des juristisch Erlaubten wecken die Erinnerung an die Täterschaft und das Opferleid der nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Würde und Menschlichkeit auf der Grundlage rassischer und völkischer Zuschreibungen (Holtmann, 2018). Diese populistischen Zuschreibungen werden in politisch-strategischer Hinsicht aktualisiert und konkretisiert, um so Abgrenzungen derer, die vermeintlich „dazu gehören“ und derer, die fremd sind und eben „nicht dazu gehören“, vorzunehmen (Priester, 2012; Müller, 2016; Jörke/Selk, 2017).
So lassen sich in den gegenwärtigen bundesrepublikanischen Debatten eine Vielzahl von Belegen dafür finden, dass erneut Menschen aufgrund von „Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“ – so die Auflistung des Art. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 – stigmatisiert, verfolgt und gejagt werden.
Aber auch in den vermeintlich politikfernen Lebens-, Arbeits- und Freizeitbereichen demokratischer Zivilgesellschaften zeigen sich Phänomene rassistisch motivierter, bewusster oder unbewusster Ausgrenzung (Sow, 2018). Die ausgesprochen hitzige Debatte um den tükischstämmigen deutschen Staatsbürger und Nationalspieler Mezut Özil im Jahr 2018, seine eigenen Erklärungen sowie die daran anschließenden sportpolitischen und politischen Debatten zeigten, wie facettenreich und höchst subtil die Rede vom Rassismus für unterschiedliche Interessen und letztlich auch zur Untermauerung bestimmter Machtverhältnisse (Bühl, 2017) funktionalisiert werden kann.
Schon unter Kindern und Jugendlichen werden bestimmte rassistische Denkweisen bis in deren alltägliches Denken und Verhalten hinein festgestellt (Leiprecht, 2001; in empirischer Hinsicht Zick/Klein, 2014; Zick, 2016). Das Schulwesen ist keineswegs frei von rassistisch konnotierten Ausgrenzungsdynamiken (Broden/Mecheril, 2010 Fereidooni, 2016). An Universitäten ist Rassismus ein weitgehend verschwiegenes und in den letzten Jahren intensiver debattiertes Thema: In Kapstadt brachten im Jahr 2015 schwarze Studierende die Statue des Kolonialherren Cecil Rhodes zu Fall, was sich zu landesweiten Protesten gegen die alten, weissen Eliten und deren strukturelle Diskriminierungskultur ausweitete. In Amsterdam gründeten Studierende eine University of Colour, die das bestehende Curriculum als eurozentrisch und kolonalistisch kritisierte. Auch in der deutschen Hochschullandschaft wird Rassismus konstatiert (Kuria, 2015).
Rassismus ist nicht nur ein offen zu Tage liegendes Phänomen, sondern hat auch seine programmatisch subtilen und verborgenen Schattenseiten. Dabei sind die Grenzen zu einem inzwischen fast schon salonfähig gewordenen rassistischen Populismus oftmals nur schwer zu bestimmen. Dies zeigt sich etwa gegenwärtig im bundesrepublikanischen Zusammenhang der medialen Wahrnehmung rechtsgerichteter Bewegungen wie Pegida und Parteien wie der AfD. In Einzelaussagen ihrer Vertreterinnen und Vertreter zu Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten werden hier ganz offenkundig rassistisch begründete bzw. untermauerte Vorurteile und Urteile anhand einer dezidierten Werte-Skala (Eidgenössische Kommission, 1998) und aus einer grundsätzlichen Superioritätshaltung heraus und politisch absichtsvoll entweder bewusst undeutlich markiert oder unter dem Deckmantel vermeintlich naturgegebener oder kultureller Unterschiede verschleiert. Der semantische Doppelpol von „uns Deutschen“ und „den Ausländern“ führt dabei zu erheblichen, sowohl sprachlichen, politischen wie sozialen Ausgrenzungsverstärkungen und Exklusionskonstruktionen (Bade, 2015).
Hoffnungsvollerweise stehen Politik, Verbände und Zivilgesellschaft diesen Entwicklungen nicht tatenlos gegenüber. Der europäische Fußballverband UEFA hat schon vor Jahren gemeinsam mit dem Netzwerk Fussball gegen Rassismus in Europa (FARE) eine eindrückliche Aufklärungskampagne lanciert: In Videospots sprechen berühmte Fußballer, die sich in ihrem Äußeren nach Hautfarbe, Haartracht und ethnischer Herkunft deutlich voneinander unterscheiden, in Frontalaufnahme und in ihrer jeweiligen Muttersprache energisch den Satz No to racism. Der Fussballverein Dynamo Dresden lief im Oktober 2016 – wohl nicht ohne aktuellen kontextuellen Hintergrund – für ein Spiel mit dem (etwas ambivalenten) Trikotaufdruck Love Dynamo – Hate Racism auf. Europäische, nationale und lokale Netzwerke gegen Rassismus sind inzwischen vielfältig im Rahmen politischer Aufklärungsarbeit aktiv. Beispielhaft ist hier auf europäischer Ebene das European Network Against Racism (ENAR) (www.enar-eu.org/), auf nationaler Ebene das 1995 ins Leben gerufene inzwischen größte thematische Schulnetzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage (www.schule-ohne-rassismus.org
Und doch ist die Thematisierung des Rassismus in der schulischen Bildung und erst recht im Religionsunterricht ein schwieriges und komplexes Unterfangen. Denn eine möglichst sachliche und differenzierte Auseinandersetzung im Horizont offener Unterrichtsprozesse, wie sie als didaktisches Grundprinzip angezeigt ist, scheint im Fall dieser Thematisierung kein leichtes Unterfangen zu sein. Denn ist hier nicht unbedingte Eindeutigkeit gefragt, sodass die grundlegenden Prinzipien des Überwältigungsverbots, des Indoktrinationsverbots und des Kontroversgebots an ihre sachliche und fachliche Grenze kommen?
Und insbesondere für den Bereich schulischer religiöser Bildung ist zu fragen: Was kann und der Religionsunterricht hier überhaupt leisten? Droht nicht im Fall eindeutiger Parteinahme sogleich die Emotionalisierung und Politisierung des Unterrichtsgeschehens, sodass – wie man es gegenwärtig schon der kirchlichen Flüchtlingsarbeit teilweise massiv vorwirft – mit dem Verdikt einer Art pädagogischen Gutmenschentums zu rechnen ist? Sollte insofern nicht überhaupt die politische Bildung bzw. der Politikunterricht federführend zeichnen und sich religiöse Bildung hier bewusst zurücknehmen? So ist zu fragen, ob man im Religionsunterricht „einfach“ bzw. „lediglich“ an die Menschenrechtsstandards anknüpft oder nicht auch bewusst hier einen weiteren Deutungshorizont miteinzieht.
Für die Frage, was der Religionsunterricht im Blick auf die Rassismusthematik im Sinn einer menschenrechtlich orientierten Bildung (Schulz, 2018) beitragen kann, zeigt sich Fall die grundsätzliche Herausforderung, den Religionsunterricht im Gesamtzusammenhang schulischer Allgemeinbildung in seiner integrierten wie in seiner spezifischen Positionierung deutlich zu machen. Bevor dies näher erläutert wird, sind einige Grundbegrifflichkeiten zu klären:
1. Begriffsdefinitionen
In der Regel findet der Begriff des Rassismus nicht im Modus der Selbst-, sondern der Fremdzuschreibung Verwendung. Tatsächlich ist ja mindestens noch hoffnungsvoll festzustellen, dass sich kaum jemand offensiv selbst zu einer rassistischen Grundhaltung bekennt, auch wenn dies die Sache selbst keineswegs besser, sondern eher subtiler und herausfordernder macht.
Grundsätzlich meint Rassismus eine bestimmte Wahrnehmungs-, Urteils- und Handlungsweise gegenüber Anderen – seien es Einzelne oder Gruppen, die man aufgrund bestimmter zugeschriebener äußerlicher Eigenschaften als „anders“ und minderwertig ansieht und denen man aufgrund biologistischer oder politischer Kategorisierungen bestimmte negative Merkmale oder Verhaltensweisen zuschreibt oder unterstellt (Gomolla/Kollender/Menk, 2018; Koller, 2009; Schubert/Klein, 2016; Priester, 2003; zur historischen Entwicklung und juristischen Bedeutung des Begriffs Cremer, 2009; Naguib, 2014; Zick, 1997). Im Sinn eines politischen bzw. sozialen Rassismus werden Einzelnen oder Gruppen bestimmte Wesenszüge und Charaktereigenschaften zugeschrieben, vom Ausgangspunkt der vorausgesetzten eigenen – individuellen oder kollektiven – Höherwertigkeit entsprechende Abwertungen vorgenommen und so soziale Ausgrenzungsmechanismen in Gang gesetzt. Im Unterschied zum Phänomen der Fremdenfeindlichkeit zeigt sich hier ein programmatischer und generalisierender Umgang mit dem Anderen, dem man aufgrund seiner vermeintlich naturgegebenen Eigenschaften prinzipiell das Recht auf gleichberechtigte Wahrnehmung als Person bzw. seiner Menschenwürde und damit dieselben Menschenrechte abspricht. Im Hintergrund steht hier die Grundlage „einer nach ‚Wertigkeit‘ der Herkunft strukturierten und damit rassialisierten Hierarchie, die Ungleichheit schafft und diese selbstreferenziell legitimiert“ (Alexopolou, 2018, 18).
Der Begriff selbst beinhaltet somit verschiedene Ebenen und Komponenten: Auf persönlicher Ebene bezieht er sich auf persönliche Einstellungen, Werte und Überzeugungen von der Überlegenheit der eigenen Herkunft und der Minderwertigkeit anderer Herkünfte; auf interpersonaler Ebene meint er Verhaltensweisen gegenüber anderen, die die Überzeugung von der Überlegenheit der eigenen Herkunft reflektieren; auf institutioneller Ebene umfasst er Gesetze, Gebräuche, Traditionen und Praktiken, die systematisch zu „Rasse“-bedingten Ungleichheiten und Diskriminierungen in einer Gesellschaft, in Organisationen oder Institutionen führen; auf kultureller Ebene bezieht er sich auf die Werte und Normen des sozialen Verhaltens, die die eigenen kulturellen Gewohnheiten als Norm und Maßstab setzen und andere kulturelle Gewohnheiten als minderwertig darstellen (Kompass – Humanrights, o.J.). Insofern ist analytisch zwischen rassistischen Denk- oder Handlungsweisen einzelner Personen, Bewegungen und Parteien und einem programmatischen politischen oder kulturellen Rassismus zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang ist die differenzierende Unterscheidung dreier Aspekte des Rassismusbegriffs weiterführend, nämlich „racisme-idéologie“ (rassistische Ideologie), „racisme-préjugé“ (rassistische Vorurteile) und „racisme-comportement“ (rassistisches Verhalten) (Taguieff, 1988).
In einem weiteren Sinn der Analyse von Denkströmungen breiterer Bevölkerungsteile als „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“(Heitmeyer, 2011) wird darüber hinaus eine Art alltäglicher Rassismus in unterschiedlich massiven Spielarten festgestellt. Die gegenwärtig mindestens für Deutschland zu konstatierende ansteigende Islamfeindschaft kann dabei geradezu als Rassismus in neuem Gewand erscheinen: „nun wird (vordergründig) nicht mehr biologistisch argumentiert, sondern die vermeintliche Rückständigkeit der islamischen Kultur thematisiert.“ (Decker/Kiess/Brähler, 2014, 48)
Im Übrigen sind die Grundfragen rassistisch-ausgrenzenden Denkens und Handelns in politischer und pädagogischer Hinsicht eng mit weiteren Ausgrenzungsdynamiken aufgrund von Aspekten wie Gender, Geschlecht und sexueller Orientierung, Behinderung und Beeinträchtigung verbunden. Dies wirft dann bei all diesen Themen und Aspekten die Frage von Identität, Zugehörigkeit, Kultur und Anerkennung angesichts faktischer individueller Verschiedenheit und gesellschaftlicher Pluralität auf. So gilt, dass „Rassismus mittels Wissen und Erfahrung auf Prozesse der Konstitution und Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen positiv und negativ Einfluss nimmt“ (Broden/Mecheril, 2010, 7).
Was bedeutet dies nun in pädagogischer Hinsicht? Im Folgenden sollen in Orientierung an der Frage des Kompetenzerwerbs einige wesentliche Aspekte benannt werden, um diese anschließend für die thematischen Herausforderungen für schulische religiöse Bildungsprozesse fruchtbar zu machen – und dies durchaus unter Berücksichtigung der oben bereits genannten Prinzipien des Überwältigungsverbots, des Indoktrinationsverbots und des Kontroversgebots.
2. Politikdidaktische Annäherungen
Die thematisch einschlägige Literatur für den schulischen Politikunterricht ist – ganz zu schweigen von den Materialien für die außerschulische politische Bildung – inzwischen so vielfältig wie unüberschaubar (Schellenberg/Becher, 2015). Einen hervorragenden Überblick über Unterrichtsmaterialien, einschlägige Fachliteratur und auch über die engagierten Organisationen im Feld liefern etwa die Homepage schule-ohne-rassismus.org, eine besonders hilfreiche Materialsammlung bietet der vom DGB-Bildungswerk Thüringen e.V. inzwischen nur noch online greifbare Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit (http://www.baustein.dgb-bwt.de/Inhalt/index.html
Weder zu den gegenwärtigen Materialien noch zu den Lehr- und Bildungsplänen liegt bisher eine aussagekräftige Überblicksdarstellung vor. Grundlegende politikdidaktische Abhandlungen sind bisher noch überschaubar (Scharathow/Leiprecht, 2009). Deshalb können im Folgenden lediglich einige grundlegende Aspekte zur Behandlung des Themas entlang einer kompetenzorientieren Grundstruktur benannt werden, wie sie sich in den einschlägigen Bestimmungen manifestieren und in den entsprechenden Materialien abbilden:
Im Sinn kognitiver Kompetenz wird für den Unterricht die möglichst umfassende gesellschaftspolitische Analyse, die ihrerseits historische und aktuelle Aspekte umfassen muss, gefordert. Hier wird etwa nach den Entwicklungslinien rassistischen Denkens und seinen Folgen, aber auch nach aktuellen Phänomenen, die sich als Rassismus bezeichnen lassen, gefragt. Hier werden Definitionen ebenso thematisiert wie die möglichst genaue Wahrnehmung einschlägiger Phänomene, die die Zuschreibung als Rassismus rechtfertigen oder eben nicht. Hier wird aber auch in differenzierender Hinsicht gefragt, welche Motive einzelnen rassistischen Phänomenen zugrunde liegen, also etwa bestimmte politische Absichten, kulturelle Unterscheidungen oder eben auch religiöse Hintergründe (Broden/Hößl/Meier, 2017).
Im Sinn der Wahrnehmungs- und Deutungskompetenz sollen bei den Schülerinnen und Schülern bestimmte Fragehorizonte eröffnet werden wie etwa: Wonach konstitutiert sich das Bild des Menschen, was macht sein Mensch-Sein und seine Person aus? Wie konstruieren wir Menschenbilder – warum kommt es überhaupt zu kollektiven Zuschreibungen, die das einzelne Individuum als Teil einer grösseren, bedrohlichen Masse ansehen? Welche Gründe haben Menschen, andere auf rassistische Weise in eine bestimmte Gruppe einzuordnen? Aus welchen Gründen machen wir selbst Unterschiede, die vermeintlich auf einer bestimmten biologischen Verfasstheit beruhen? Didaktisch wird es in diesem Zusammenhang als notwendig erachtet, die möglichen Gründe für Rassismus möglichst genau auszudifferenzieren und insofern bei den Schülerinnen und Schülern Differenzkompetenz zu ermöglichen. An dieser Stelle kommen oftmals zugleich auch das Selbstverständnis und die Rolle der Lehrkräfte auf den Prüfstand. Wie geht man selbst mit dieser Thematik um, welche Bilder hat man im Kopf, wovor hat man möglicherweise selbst Angst?
Im Sinn der Reflexionskompetenz wird diese Wahrnehmungsebene in einzelnen Unterrichtsvorschlägen weiter vertieft, indem die möglichen Hintergründe eigener Haltungen und Einstellungen in den Blick kommen. So wird etwa gefragt: Wie gehen wir selbst mit den eigenen Vorurteilen um? Warum vertreten wir bestimmte Sichtweisen? Woher kommen überhaupt die eigenen Vorurteile und Prägungen? Wie sprechen wir selbst in ab- und ausgrenzender Weise und weshalb eigentlich? Dadurch sollen die Schülerinnen und Schüler dafür sensibilisiert werden, dass eine bestimmte Form dessen, was als rassistisch erscheint, möglicherweise auch entwicklungspsychologisch mit „notwendigen“ und komplizierten Prozessen der Identitätssuche und Selbstvergewisserung – für sich alleine oder in der jeweiligen Bezugsgruppe – zu tun haben kann.
Damit sich diese Analysen und Reflexionen mit der eigenen alltäglichen Praxis verbinden, soll im Sinn der Urteils- und Handlungskompetenz danach gesucht werden, welche Konsequenzen sich aus dem erworbenen Wissen und der vertieften Reflexion für das eigene Handeln ergeben könnten. Dabei werden Täter- wie Opfer-Perspektive in den Blick genommen: Was tun wir, wie gehen wir damit um, wenn wir bestimmte Äusserungen als rassistisch empfinden? Wie würden wir reagieren, wenn man uns selbst aus „rassistischen Gründen“ diffamiert, ausgrenzt und ausschliesst?
Und schliesslich – damit die entsprechenden Debatten – im Schulleben und im Alltag nicht folgenlos bleiben, wird im Sinn der Partizipationskompetenz sondiert, ob und wie persönliches Engagement, sei es die bewusste Intervention im persönlichen Gespräch, sei es das Engagement in zivilgesellschaftlichen Netzwerken, möglich ist und was es dazu an Kompetenz und Motivation braucht. Hier können entsprechende schulische Projekte bereits anschaulich und erheblich zum Kompetenzerwerb für ein solches bewusstes Engagement beitragen.
3. Didaktische Konkretionen in religionspädagogischer Hinsicht
Der Religionsunterricht muss in der Beschäftigung mit der Rassismusthematik grundsätzlich zweierlei deutlich machen: Zum einen, dass er selbst als Teil der schulischen Allgemeinbildung zu einer positiven und wertschätzenden Menschenrechtskultur am Ort der Schule als Lebensort der Gesellschaft beitragen will und insofern eine konstruktive Bildungsleistung zum Umgang mit dem Thema Rassismus zu erbringen vermag. Zum zweiten, dass die spezifisch religionsbezogene theologische Perspektive einer solchen Thematisierung einen Mehrwert für die schulische Bildung selbst hat, insofern hier Sichtweisen und Bilder eingespielt werden, die sich klar gegen solche Aus- und Abgrenzungsabsichten wenden. Gerade angesichts der zunehmenden Heterogenität auch im konfessionellen Religionsunterricht, das heißt konkret einer mehr und mehr multiethnisch zusammengesetzten Schülerschaft, besteht hier jedenfalls die Chance und Notwendigkeit, auch in diesem Unterrichtskontext über Abgrenzungen und Grenzziehungen ins Gespräch zu kommen.
Der Religionsunterricht steht dabei in der Verantwortung, die Hintergründe des Themas so zu beleuchten, dass Schülerinnen und Schülern tatsächlich die ernsthafte, abwägend-verstehende Auseinandersetzung möglich wird. Alle Formen einer deutlichen Positionierung gegenüber einzelnen Phänomenen des Rassismus und den entsprechenden Aussagen sind zwar unbedingt notwendig, andererseits kann eine bestimmte Form von political correctness durchaus problematisch sein. Hier sei an die grundsätzliche und nachdenkenswerte Kritik erinnert, dass eine bestimmte Spielart liberaldemokratischer Diskurs- und Konsenskultur möglicherweise die eigentlichen Konflikte allzu schnell unter dem Deckmantel der gleichberechtigten Deliberation und einer allzu gewissen moralischen Eindeutigkeitsrhetorik einzuhegen und womöglich zu verschleiern droht (Stegemann, 2017).
Zu fragen ist also, worauf man sich biblisch und theologisch zu beziehen vermag, ohne dass dies sogleich als blauäugig, klischeehaft oder schlichtweg idealistisch angesehen wird. Dafür ist als Ausgangspunkt zuallererst kurz auf die gegenwärtige Behandlung der Rassismus-Thematik im Religionsunterricht zu sprechen zu kommen:
Diese findet sich in verschiedenen Lehr- und Bildungsplänen des Religionsunterrichts sowie in bereit gestellten Unterrichtsmaterialien tatsächlich vielfach in expliziter Weise. Zum einen wird sie in einer Reihe von Lehrplänen für die Unterrichtseinheiten zum Thema Kirche und Judentum oder Kirche und Nationalsozialismus mit benannt: So heisst es exemplarisch im Schleswig-Holsteinischen Lehrplan zur Einheit Kirche und NS-Zeit, dass der Unterricht deutlich machen soll, „in welcher Spannung zwischen Anpassung und Widerstand die Menschen während der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland gelebt und wie sie sich darin entschieden haben. Über die für dieses Thema ausgewählten Inhalte können die Schülerinnen und Schüler eine Anschauung davon erhalten, wie schwer dies in jedem Einzelfall war. Eine kritische Beziehung von Grundwerten und Partizipation stellt die Frage nach dem Umgang mit der Schuld in der Vergangenheit und schützt davor, sie in unserer Gegenwart zu verdrängen. Auch bieten sich Parallelen zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation an, in der Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung nach wie vor zur alltäglichen Lebenswirtlichkeit [sic!] zählen“ (Lehrplan Schleswig-Holstein, 1997/1998, 35).
Offenkundig wird das Thema aber zunehmend auch im Zusammenhang der Frage nach dem Zusammenleben in der multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft aufgeworfen: Im Lehrplan Evangelische Religionslehre für das Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen wird Rassismus zu den Themen gezählt, die bei der Behandlung der Welt als zentraler Dimension menschlichen Lebens Berücksichtigung finden sollen (Lehrplan Nordrhein-Westfalen, 2004, 25). Im Lehrplan des Landes Hessen heißt es sowohl in den Lehrplänen für die Hauptschule, Realschule wie das Gymnasium zum für Klasse 6 vorgesehenen Lernschwerpunkt I: Individuelle Erfahrungen. Leben in der multikulturellen Gesellschaft. Der Andere bin ich: „Unbestritten ist, dass das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen in der Gesellschaft zu einer Herausforderung nicht zuletzt für den Einzelnen geworden ist. Nicht allein im Rahmen der großen gesellschaftlichen Konflikte (Migration, Asylfrage, Rassismus, Europäisierung), sondern auch auf der Ebene des Alltäglichen, in der Schule und in der Stadt begegnen sich unterschiedliche Kulturen und Stile.“ (Lehrplan Hessen Hauptschule, 14; Realschule, 15; Gymnasium, 17) Das Kerncurriculum Evangelische Religion für die Hauptschule Schuljahrgänge 5-10 in Niedersachsen nennt im Zusammenhang des Kompetenzbereichs Nach Religionen fragen explizit am Ende des 10. Schuljahres als erwartete inhaltsbezogene Kompetenzen, dass die Schülerinnen und Schüler „intolerantes Verhalten gegenüber Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen in Geschichte und Gegenwart“ problematisieren können und dabei als mögliche Inhalte neben „Juden in Deutschland“, „Moscheebau in Deutschland“ auch „‘Alltäglicher‘ Rassismus“ und dafür als Basistexte 2. Mose 20,1-17
Trotz der letztgenannten biblischen Referenzen ist auffällig, dass in den einzelnen Lehr- und Bildungsplänen eher selten explizit darauf verwiesen wird, welche spezifischen biblischen und theologischen Orientierungspunkte für die Bearbeitung des Themas relevant sein könnten – ganz zu schweigen von intensiveren Anknüpfungspunkten an die theologische Anthropologie. So kann gefolgert werden: Auch wenn bisher keine systematischen und erst recht keine empirischen Untersuchungen darüber vorliegen, wie die Rassismusthematik, auch im Zusammenhang mit der Frage der Menschenrechte im realen Religionsunterricht wirklich behandelt wird, ist davon auszugehen, dass hier noch erheblicher didaktischer Differenzierungsbedarf besteht.
Dafür seien im Folgenden – und dies nun auch in Aufnahme der oben genannten politikdidaktischen Kompetenzdifferenzierungen – einige Aspekte benannt:
Auf der Ebene des Erwerbs kognitiver Kompetenz ist die Bezugnahme auf die biblischen Überlieferungen von zentraler Bedeutung. Allerdings sollte man sich hier vor allzu schnellen einlinigen und moralisch vermeintlich eindeutigen Relektüren und Bezugnahmen hüten. Denn der Umgang mit dem Fremden ist biblisch gesehen höchst ambivalent. Die biblische Überlieferung zeigt neben ihren vielfachen Mahnungen zur Annahme und Anerkennung des Fremden eben auch massive Ausgrenzungstendenzen des als „anders“ Empfundenen oder ganzer Volksgruppen. So etwa, wenn es um fremde Gottesbilder, andere moralische Wertvorstellungen oder kultische Praktiken angeht. Man denke hier beispielsweise an Gottes Befehl, die Diener anderer Götter zu steinigen (Dtn 17,2-5
Die enge Verbindung von Volkszugehörigkeit und Religionszugehörigkeit, etwa unter dem Label des „auserwählten Volkes Gottes“, geht historisch gesehen, mit problematischen Exklusivitäts-, Superioritäts- und Absolutheitsansprüchen sowie programmatischen Diffamierungen und Verfolgungen einher. Dass sich die christliche und kirchliche Wahrnehmung der jüdischen Religion und ihrer Glaubensanhänger historisch gesehen durchaus in die Linie einer solchen programmatischen Abwertungskultur gestellt hat, was wiederum höchst problematische Folgerungen mit sich gebracht hat, darf folglich im Religionsunterricht keinesfalls tabuisiert werden (Schlag, 2016).
Hinsichtlich der Reflexions- und Urteilskompetenz sind darüber hinaus aber auch solche biblischen Leitbilder und Grundvorstellungen stark zu machen, die von der unbedingten Würde des Menschen in seiner geschöpflichen Existenz (Gen 1,26
In diesem Sinn kann das religionsunterrichtliche Geschehen im Sinn der Erhöhung individueller ethischer (→ Ethik
Von seinen theologischen Grundlegungen aus ist dann auch die didaktische Frage zu bedenken, ob und wann man im Fall des Falles auch gegen bestimmte diskriminierende Einstellungen und Aussagen im Klassenzimmer intervenieren muss. Wie schon betont, gilt auch für den Religionsunterricht, dass Kontroversität nicht unterbunden werden darf, sondern ihr der notwendige Raum gegeben werden muss. Gerade theologische Begründungsfiguren dürfen nicht im Modus der Überwältigung eingespielt werden, da dies gerade als indoktrinäre Verhinderung offener Unterrichtsprozesse empfunden werden könnte.
Im Blick auf die stärker handlungsorientierte Partizipationskompetenz steht der Religionsunterricht vor der unbedingten Herausforderung, sich in entsprechende schulische Projekte zur Antirassismusarbeit zu integrieren bzw. diese selbst zu initiieren. Hier hat er aufgrund seiner sachlichen und oftmals auch personalen Nähe zu den kirchlichen Gemeinden auch besondere Potentiale, schulische und außerschulische Bildungsarbeit im Sinn der Netzwerkarbeit zu verbinden. Jedenfalls dürfte sich die Relevanz des Religionsunterricht im Kontext seines allgemeinbildenden Auftrags je länger, desto mehr auch daran erweisen und entscheiden, ob er sich in den gegenwärtigen politischen Debatten und angesichts der rassistischen Ausgrenzungsabsichten wirksam, kritisch-aufklärend, emanzipatorisch (→ Emanzipation
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