Deutsche Bibelgesellschaft

Würzburger Synode, Beschluss zum Religionsunterricht

(erstellt: Februar 2020)

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1. Kontext und Anliegen der Würzburger Synode

„Würzburger Synode“ ist ein im katholischen Sprachgebrauch geläufiger Terminus für die Gemeinsame Synode der Bistümer in Deutschland, die zwischen 1971 und 1975 regelmäßig in Würzburg tagte, um die Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils, das zwischen 1962 und 1965 in Rom stattgefunden hatte, in den verschiedenen kirchlichen Handlungsfeldern der deutschen Ortskirche konkret werden zu lassen. Auf acht Vollversammlungen wurden in diesen fünf Jahren 18 Beschlüsse gefasst und sechs Arbeitspapiere verabschiedet (vgl. Feiter et al., 2013, 9). Dabei war die Würzburger Synode „für die meisten Zeitgenossen – trotz der bereits ausgebrochenen kirchlichen Krisensituation – eine ausdrückliche Hoffnungszeit. […] Begegnungen zwischen Theologinnen und Theologen, Bischöfen, Ordensleuten sowie Gemeinde- und Verbandschristen bewirkten eine neue Dynamik der Communio der Kirche“ (Feiter et al., 2013, 9). Zu den wichtigen und wirksamen Beschlüssen der Synode zählen die Dokumente „Unsere Hoffnung. Ein Bekenntnis zum Glauben in unserer Zeit“, „Die Beteiligung der Laien an der Verkündigung“, „Die pastoralen Dienste in der Gemeinde“, „Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich“, „Ziele und Aufgaben kirchlicher Jugendpastoral“ und eben „Der Religionsunterricht in der Schule“ (vgl. alle Beschlüsse in: Gemeinsame Synode, 2012).

2. Der Beschluss der Synode zum Religionsunterricht

Für den Religionsunterricht, der damals noch traditionell als „Kirche in der Schule“ (Mette, 2013, 43) verstanden und deshalb als Instruktion und → Katechese praktiziert wurde, entwickelten die Synodalen ein fundamental neues Konzept, das nun bei den Schülerinnen und Schüler ansetzte und → Religionsunterricht als Teil des allgemeinbildenden Fächerkanons in der öffentlichen Schule verstand. Dieses Dokument war für die Religionspädagogik ein politischer wie pädagogischer „Befreiungsschlag“ (Mette, 2013, 51) und es bestimmte konzeptionell den katholischen Religionsunterricht in den folgenden vierzig Jahren. Auch die heutige Theorie und Praxis des Faches „Katholische Religionslehre“ ist weiterhin vom Synodenbeschluss geprägt.

Der Beschluss wurde nach der Diskussion in erster und zweiter Lesung von der Vollversammlung der Würzburger Synode am 22. November 1974 mit der übergroßen Mehrheit von 223 Ja-Stimmen gegen acht Nein-Stimmen bei neun Enthaltungen verabschiedet.

2.1.Der Ausgangspunkt: die Krise des Religionsunterrichts

Die Krise, in welcher der Religionsunterricht nach den Um- und Aufbrüchen von 1968 steckte, ist vielfältig dokumentiert und auch wissenschaftlich untersucht worden (vgl. Havers, 1972). So widmete der Spiegel im Herbst 1972 dem Religionsunterricht einen polemischen, aber durchaus wissenschaftlich abgesicherten Leitartikel. Dort hieß es:

„Im Laufe der letzten fünf Jahre ist in allen Bundesländern die Zahl der Schüler hochgeschnellt, die sich vom Religionsunterricht abmelden. In einigen Schulen verschafften sich ganze Klassen dadurch ein bis zwei Freistunden pro Woche, in anderen blieb es beim Auszug einer Minderheit. Daß aber auch bei den Schülern, die noch am Religionsunterricht teilnehmen, das negative Urteil über die Religion und über diesen Unterricht überwiegt, wird in der Untersuchung von Havers mannigfach belegt“ (Der Spiegel, 1972, 84).

Weil der Religionsunterricht kerygmatisch (→ Kerygmatischer Religionsunterricht) und instruktiv in Form einer Katechese über die zentralen Glaubenswahrheiten der Kirche gestaltet wurde, stand er in den Jahren der politischen Revolte und der wissenschaftlichen Neuausrichtung des Bildungswesen in einem völligen Gegensatz zu allen anderen Fächern des schulischen Kanons: „Vor allem weltfremd, unwissenschaftlich, unbeweisbar und unlogisch, aber auch mehr oder minder altmodisch, stumpfsinnig, unwichtig, bedrückend, verwirrend, langweilig, unsinnig, tot, unbefriedigend, überflüssig, beengend und unklar ist der Religionsunterricht“ (Der Spiegel, 1972, 84). Dies lag nach gängiger Meinung auch an den Vorgaben und Erwartungen der Katholischen Kirche. So sei der Religionsunterricht „das einzige Fach, in dem kein allgemein anerkannter Lehrstoff vermittelt werden muß, sondern bekenntnisgebundener dogmatischer Unterricht erteilt werden darf, und zwar – so der weitverbreitete Grundgesetz-Kommentar von Mangoldt-Klein – auch in dem Sinne, daß die Heilslehre und die sonstigen Glaubenssätze mit absolutem Geltungsanspruch vorgetragen werden‘" (Der Spiegel, 1972, 85). Entsprechend hatte die Vorbereitungskommission der Synode die Neuausrichtung des schulischen Religionsunterrichts „als eine besonders dringliche Frage unter ihre Prioritätenvorschläge aufgenommen“ (Simon, 2005, 4). Das Vorwort selbst thematisiert die Krise des Religionsunterrichts:

„Der Religionsunterricht ist in den Streit der Meinungen geraten: Es gibt radikale Stimmen, die behaupten: In der Schule einer pluralistischen Gesellschaft darf es das Fach „Religion“ nicht geben. Andere fordern ebenso energisch, das Fach beizubehalten. Unter diesen gibt es weit auseinanderliegende Vorstellungen darüber, wie dieser Unterricht aussehen soll. Außerdem gibt es die Ansicht: Die Kirche muß von ihren Kräften und Zielen her auf den Religionsunterricht in der öffentlichen Schule verzichten. In dieser unübersichtlichen Lage möchte die Synode zu einer gemeinsamen Willensbildung der Katholiken in der Bundesrepublik Deutschland beitragen“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 123).

2.2. Aufbau und Struktur des Synodenbeschlusses

Der Synodenbeschluss gliedert sich in drei große Kapitel, nämlich in 1. eine gründliche und nüchterne Situationsanalyse, 2. eine ausführliche Neukonzeption des Religionsunterrichts und 3. einen recht knappen Ausblick. Die Struktur gestaltet sich im Detail wie folgt (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 123):

1. Zur Situation

1.1 Schüler - Lehrer - Eltern

1.2 Gesellschaft - Kirche - Erziehungswissenschaft

1.3 Neue Ansätze

1.4 Religionsunterricht - Gemeindekatechese

2. Zum Konzept des schulischen Religionsunterrichts

2.1 Kriterien für die Begründung des Religionsunterrichts

2.2 Religionsunterricht auf der Basis der Verfassung

2.3 Religionsunterricht aus pädagogischer Sicht

2.4 Religionsunterricht aus theologischer Sicht

2.5 Ziele des katholischen Religionsunterrichts

2.6 Das Interesse der Kirche am Religionsunterricht

2.7 Konfessionalität

2.8 Der Religionslehrer

3. Folgerungen und Forderungen

Im Folgenden soll der Beschluss aber nicht anhand seines Aufbaus, sondern durch eine exemplarische Darstellung seiner wesentlichen theologischen wie pädagogischen Elemente und Motive vorgestellt werden.

2.3. Wegweisende Elemente des Synodenbeschlusses

Eine ganze Reihe von Positionen und Perspektiven, welche die Synodalen in den Text des Beschlusses eintrugen, ermöglichte eine grundsätzliche Neuausrichtung des Faches im Kontext der öffentlichen Schule und erwies sich zugleich geradezu visionär, bedenkt man die Bedeutung, die der Beschluss heute noch für die Theorie und Praxis des Religionsunterrichts hat. Im ersten Kapitel, in dem die Situationsanalyse entfaltet wird, gehören zu diesen wegweisenden Elementen der unverstellte Blick auf die Schülerinnen und Schüler in ihrem damaligen soziokulturellen Kontext (1.1.1) sowie die Neubestimmung der Aufgaben von Gemeindekatechese und Religionsunterricht (1.4). Im zweiten Kapitel, dem Hauptteil des Dokuments, finden sich gleich vier bemerkenswerte Perspektiven: das Konvergenzmodell zur Begründung des Religionsunterrichts in der Schule (2.3.4), die didaktische Figur der → Korrelation (2.4.2), die Festlegung der Ziele des Religionsunterrichts (2.5.1), die über Jahrzehnte noch wirksame Definition eines katholischen Verständnisses von Konfessionalität (2.7).

2.3.1. Die Situation von Schülerinnen und Schülern

Religionsunterricht als Unterweisung in der katholischen Glaubenslehre ging bis zur Synode von einer Schülerschaft aus, die durch die Taufe und die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche einheitliche Voraussetzungen für die Glaubensunterweisung mitbrachte. Die Synodalen räumten nun offen und realistisch ein, dass neben diesen formalen kirchen- und schulrechtlichen Voraussetzungen die innere Einstellung und Haltung der Kinder und Jugendlichen zu Religion, Glaube und Kirche für die pädagogischen Prozesse die entscheidende Rolle spielen. Deshalb sei es wichtig, bei der Konzeption und Gestaltung von Religionsunterricht zu beachten, dass es auch unter katholisch getauften Schülerinnen und Schülern neben den religiös sozialisierten ebenso gleichgültige, aber auch „angefochtene und glaubensunwillige Schüler“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 125) gebe:

„Der Schüler befürchtet, er werde vereinnahmt oder er müsse Akte der Zustimmung und des Bekenntnisses setzen. Viele Stoffe des Religionsunterrichts kommen ihm lebens- und weltfremd vor. Er meint darin keine Antwort auf seine Fragen finden zu können. Er fühlt sich dadurch aber auch nicht herausgefordert und gefragt. Es sollte zu denken geben, daß zahlreiche Schüler, die dem Religionsunterricht kritisch gegenüberstehen, einen für ihre Situation und Probleme offenen Religionsunterricht durchaus bejahen und fordern“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 125).

2.3.2. Die Trennung von Katechese und Religionsunterricht

Da der Religionsunterricht zur Zeit der Synode maßgeblich als Katechese in der Schule verstanden und zudem oft auch noch von Geistlichen und Ordensmitgliedern erteilt wurde, führte die veränderte Situation in der öffentlichen Schule mit ihrer weltanschaulich pluralen Schülerschaft zunehmend zu Schwierigkeiten und Irritationen:

„In dieser Situation ist neben dem Religionsunterricht in der Schule mehr als bisher Katechese in der Gemeinde erforderlich. Die Synode unterscheidet deshalb zwischen schulischem Religionsunterricht und Katechese in der Gemeinde und hält beide für unerläßlich. Da diese sich nach Ziel, Inhalt und Adressaten nur zum Teil decken, wird das gegebenenfalls (z.B. bei der Hinführung zum Empfang der Sakramente) auch zu einer organisatorischen Trennung von Religionsunterricht und Gemeindekatechese führen“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 130f.).

Damit etablierte sich in Deutschland ein Nebeneinander von Religionsunterricht auf der einen und Erstkommunion- bzw. Firmkatechese auf der anderen Seite. Zur Klärung der unterschiedlichen Aufgaben und Gegenstände verwiesen die Synodalen auf ein parallel entwickeltes Dokument der Synode: „Über die Bedeutung und die Realisierung katechetischer Dienste äußert sich ein Kommissionspapier der Synode mit dem Titel ‚Das katechetische Wirken der Kirche‘“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 130f.). Da dieses Dokument aber in den folgenden Jahren kaum rezipiert wurde (Mette, 2013, 52), entwickelte sich in der Praxis als ein Resultat der Synode ein oft unverbundenes und unreflektiertes Nebeneinander von Gemeindekatechese und Religionsunterricht (vgl. Könemann et al. 2016, 101 u.ö.), unter dem beide Lernorte bis heute leiden.

2.3.3. Das Konvergenzmodell als Begründungsfigur

Um dem Religionsunterricht eine Basis als ordentliches Unterrichtsfach im Kanon der allgemeinbildenden Fächer von Schule zu geben, bemühten sich die Synodalen sowohl um eine theologische als auch um eine schulpädagogische Begründung dieses Faches, das bis dahin oft als Fremdkörper im Stundenplan empfunden wurde. Zu diesem Zweck zeigten sie an drei Argumentationszusammenhängen, dass sich kirchlich-theologische und gesellschaftlich-pädagogische Anliegen nicht etwa ausschließen, sondern vielmehr mit Blick auf die Bildungsziele ‚konvergieren“, also zusammenfließen:

„Der hier konzipierte Religionsunterricht liegt in der Schnittlinie von pädagogischen und theologischen Begründungen, Auftrag der öffentlichen Schule und Auftrag der Kirche. Für eine nicht positivistisch verengte oder ideologisch fixierte Pädagogik einerseits und eine weltoffene, gesellschaftsbezogene und am Menschen orientierte Theologie andererseits dürfte eine solche Konvergenz der Motive möglich sein“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 131).

Entsprechend ging dieser bildungstheoretischen Begründungszusammenhang als sogenanntes ‚Konvergenzmodell‘ in die Fachgeschichte ein. Die Argumente lauteten wie folgt:

„Wenn man den Phänomenbereich „Religion“ überblickt, wenn man bedenkt, daß seine konkrete Ausprägung in unserem Kulturkreis das Christentum darstellt, und wenn man dazu die Aufgaben einer „Schule für alle“ berücksichtigt, so gibt es drei Argumentationsstränge für die schulische Begründung von Religionsunterricht:

- kulturgeschichtlich

- anthropologisch

- gesellschaftlich

Es muß demnach Religionsunterricht in der Schule geben

- weil die Schule den jungen Menschen mit den geistigen Überlieferungen vertraut machen soll, die unsere kulturelle Situation geprägt haben, und weil Christentum in seinen Konfessionen zu unseren prägenden geistigen Überlieferungen gehört;

- weil die Schule dem jungen Menschen zur Selbstwerdung verhelfen soll und weil der Religionsunterricht durch sein Fragen nach dem Sinn-Grund dazu hilft, die eigene Rolle und Aufgabe in der Gemeinschaft und im Leben angemessen zu sehen und wahrzunehmen;

- weil die Schule sich nicht zufrieden geben kann mit der Anpassung des Schülers an die verwaltete Welt und weil der Religionsunterricht auf die Relativierung unberechtigter Absolutheitsansprüche angelegt ist, auf Proteste gegen Unstimmigkeiten und auf verändernde Taten.

Jeder dieser drei Argumentationsstränge hat sein spezifisches Gewicht. Werden sie miteinander verflochten, so resultiert daraus die Notwendigkeit des Religionsunterrichts in der öffentlichen Schule“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 135).

2.3.4. Die Ziele des Religionsunterrichts

Ausgehend von dieser pädagogischen Begründung formulierten die Synodalen im Folgenden vier grundsätzliche Ziele, die im katholischen Religionsunterricht künftig angestrebt werden sollten:

„Religionsunterricht soll zu verantwortlichem Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion und Glaube befähigen. [...] Aus alledem ergibt sich für den Religionsunterricht:

– er weckt und reflektiert die Frage nach Gott, nach der Deutung der Welt, nach Sinn und Wert des Lebens [...] und ermöglicht eine Antwort aus der Offenbarung und aus dem Glauben der Kirche;

– er macht vertraut mit der Wirklichkeit des Glaubens und der Botschaft, die ihm zugrunde liegt [...];

– er befähigt zu persönlicher Entscheidung in Auseinandersetzung mit Konfessionen und Religionen, mit Weltanschauungen und Ideologien [...];

– er motiviert zu religiösem Leben und zu verantwortlichem Handeln in Kirche und Gesellschaft“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 139f.).

An diesen Zielen wird der Paradigmenwechsel, den die Synode vollzog, besonders deutlich: Ziel des schulischen Religionsunterrichts war es nun folglich nicht mehr, den katholischen Glauben zu verkünden und in diesen einzuführen, sondern durch die Vorstellung und Diskussion der katholischen Perspektive auf Mensch und Welt den Schülerinnen und Schülern eine eigenständige Entscheidung in Sachen Religion und Weltanschauung zu ermöglichen und ihr Engagement in Kirche und Gesellschaft zu fördern. Damit stellte sich der Religionsunterricht unter den allgemeinen Bildungsauftrag von Schule, Kindern und Jugendlichen Bildungsprozesse zu ermöglichen, die zu Mündigkeit und Selbstbestimmung führen können.

2.3.5. Die Idee der Korrelation

Um diese Ziele zu erreichen, sollte der Religionsunterricht stärker als bisher die Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern in den Blick nehmen, um von ihren Erfahrungen her die verschiedenen Überlieferungen, Vorstellungen und Setzungen der katholischen Glaubenslehre wirklich zu erschließen. Im Synodenbeschluss wurde dieses Unterfangen in die später oft zitierte Formel gefasst: „Der Glaube soll im Kontext des Lebens vollziehbar, und das Leben soll im Licht des Glaubens verstehbar werden“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 139). Damit folgten die Synodalen dem fundamentaltheologischen Ansatz einer ‚anthropologisch gewendeten Theologie‘ (Karl Rahner) und sprachen sich dezidiert für den hermeneutischen und didaktischen „Ansatz einer erfahrungsorientierten bzw. erfahrungsvermittelten Erschließung des Verständnisses der christlichen Glaubensüberlieferung und Glaubenspraxis“ (Simon, 2005, 6) aus. Simon schreibt weiter: „Im Text des Synodenbeschlusses fehlt zwar der für den in der Folgezeit entwickelten ‚korrelationsdidaktischen‘ Ansatz maßgebliche Begriff der ‚Korrelation‘. Der Ansatz einer anthropologisch vermittelten und erfahrungsorientierten Hermeneutik der Glaubenstradition ist jedoch auch für sein Konzept des Religionsunterrichts grundlegend“ (Simon, 2005, 6.). Damit war ein didaktisches Grundkonzept entwickelt und festgeschrieben worden, welches bis heute – trotz aller regelmäßig wiederkehrenden Abgesänge (vgl. Mette, 2013, 51) – normative wie faktische Gültigkeit besitzt.

2.3.6. Die konfessionelle Trias

Laut Synodenbeschluss soll der katholische Religionsunterricht in der öffentlichen Schule „von ökumenischer Gesinnung getragen“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 149) sein. Auf die grundsätzlich konfessionelle Ausrichtung des Faches als ‚katholischer‘ Religionsunterricht wollten die Synodalen aber bewusst nicht verzichten. So heißt es am Ende des Dokuments in einer sehr ausführlichen Passage zum Bekenntnischarakter des Religionsunterrichts:

„Die Synode bejaht den von der Verfassung garantierten konfessionellen Charakter des Religionsunterrichts. Dafür spricht vor allem, daß Christentum in Form von Konfessionen existiert. Konfessioneller Religionsunterricht ist eine Form, das fundamentale Menschenrecht auf freie Religionsausübung zu realisieren. Zur Konfessionalität gehört die Orientierung von Lehre, Lehrern und in der Regel auch der Schüler am gleichen Bekenntnis. Konfessioneller Religionsunterricht verlangt, daß der Lehrer mit Billigung und im Auftrag seiner Kirche unterrichtet. Die Synode erinnert die Öffentlichkeit nachdrücklich an den Verfassungsauftrag, allen interessierten Lernenden auch im öffentlichen Bildungswesen die Möglichkeit zur Teilnahme an einem konfessionell orientierten Religionsunterricht zu geben, der den übrigen Schulfächern rechtlich gleichgestellt ist“ (Der Religionsunterricht in der Schule, 1974/2012, 149).

Mit der später als ‚konfessionelle Trias‘ bezeichneten katholischen Identität – katholische Lehrkraft, katholische Adressaten und katholische Inhalte – hatten die Synodalen ein normatives Modell von bekenntnisorientiertem Religionsunterricht festgeschrieben, das später in der Bischofsschrift „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts“ (1995) aufgegriffen, verteidigt und neu begründet werden sollte. Dieses Modell trug somit zur politischen und pädagogischen Verteidigung des konfessionellen Religionsunterrichts in den kultus- und religionspolitischen Umbruchjahren nach der deutschen Wiedervereinigung bei, es hat aber auch die Weiterentwicklung des katholischen Religionsunterrichts in Richtung konfessioneller Kooperation und Ökumene immer wieder auch gebremst und verzögert.

3. Rezeption und Wirkung

Damit ist schon eine wichtige Traditionslinie angesprochen, die vom Beschluss der Würzburger Synode zum Religionsunterricht ausgeht. Das Dokument wurde in den folgenden Jahrzehnten eine Art ‚Magna Charta‘ des katholischen Religionsunterrichts. Alle drei folgenden Erklärungen der deutschen Bischöfe zum Religionsunterricht – Die bildende Kraft des Religionsunterrichts, 1995, Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, 2005, und Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts 2016 – bauen auf den Synodenbeschluss und seinen Weichenstellungen auf. Auch wenn sowohl in der fachdidaktischen Diskussion als auch in der kirchlichen Öffentlichkeit ab und zu der Versuch unternommen worden ist, sich vom Modell eines korrelativen, auf religiöse Entscheidungsfähigkeit zielenden katholisch-konfessionellen Religionsunterrichts zu verabschieden, so hat das Dokument nie wirklich an Bedeutung und Einfluss verloren. Bedauernswert bleibt allerdings, dass die religionspädagogische Diskussion der Jahrzehnte nach der Synode so auf den Religionsunterricht „fokussiert und fixiert [war], dass der Beschluss ‚Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich‘ von ihr nicht zur Kenntnis genommen wurde“ (Mette, 2013, 53). Auch deshalb hat sich das Verhältnis von Religionsunterricht und Gemeindekatechese nie wirklich geklärt, sodass es in der Praxis immer wieder zu Überschneidungen, Doppelungen und Redundanzen an den unterschiedlichen Lernorten des Glaubens kommt, was der Akzeptanz beider Formen religiöser Bildung auf der Dauer schaden wird (Sajak 2018, 27-30).

Literaturverzeichnis

  • Feiter, Reinhard/Hartmann, Richard/Schmiedl, Joachim (Hg.), Die Würzburger Synode. Die Texte neu gelesen (Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil Bd. 1), Freiburg i. Br. 2013.
  • Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland, Offizielle Gesamtausgabe. Mit einem Vorwort zur Neuausgabe von Karl Kardinal Lehmann, Deutsche Bischofskonferenz (Hg.), Freiburg i. Br. 2012.
  • Havers, Norbert, Der Religionsunterricht – Analyse eines unbeliebten Fachs, München 1972.
  • Könemann, Judith/Sajak, Clauß P./Lechner, Simone, Einflussfaktoren religiöser Bildung. Eine qualitativ-explorative Studie, Wiesbaden 2017.
  • Mette, Norbert, Der Religionsunterricht in der Schule. Eine solide Grundlage für die Weiterentwicklung des Unterrichtsfachs, in: Feiter, Reinhard/Hartmann, Richard/Schmiedl, Joachim (Hg.), Die Würzburger Synode. Die Texte neu gelesen (Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil Bd. 1), Freiburg i. Br. 2013, 41-55.
  • Der Religionsunterricht in der Schule, in: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik, Offizielle Gesamtausgabe. Mit einem Vorwort zur Neuausgabe von Karl Kardinal Lehmann, Freiburg i. Br. 2012, 113-152.
  • Religionsunterricht. Verlorene Zeit, in: Der Spiegel, 41 (1972), 84-89.
  • Sajak, Clauß P., Religiöse Bildung und Erziehung in der Transformationskrise – Versuch einer Bilanz, in: Sajak, Clauß P./Langer, Michael (Hg.), Kirche ohne Jugend? Ist die Glaubensweitergabe am Ende?, Freiburg i. Br. 2018, 17-44.
  • Simon, Werner, Schulischer Religionsunterricht. Der Beschluss „Der Religionsunterricht in der Schule“ der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1974), in: RU heute 3/4 (2005), 4-9.

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