Moderierte Gruppendiskussion
Andere Schreibweise: Gruppendiskussion, moderierte
(erstellt: Februar 2021)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Moderierte_Gruppendiskussion.200846
1. Hinführung
Eine Zunahme empirischer Forschung (→ Empirie
In den 1950er Jahren wurden erstmals Gruppendiskussionen eingesetzt, um Meinungen und Einstellungen von Menschen in sozialen Gefügen zu erforschen (siehe dazu u.a. Pollock, 1955; Mangold, 1960). Methodologische und methodische Weiterentwicklungen, unter anderem verbunden mit dem Namen Ralf Bohnsack (2000), ermöglichten dieser Methode breitere Akzeptanz. Während sie im wirtschaftlichen Wissenschaftssektor als Analysemethode bereits großen Zulauf hat (siehe u.a. Lamnek/Krell, 2016, 386-387), ist sie in der fachdidaktischen Forschung noch wenig bekannt – insbesondere im Bereich der Religionspädagogik (siehe dazu exemplarisch Knapp, 2019; Klutz, 2017). Folgende Ausführungen sollen einen Überblick über diese Methode und ihrer möglichen Passung für die religionspädagogische Forschung aufzeigen.
2. Gruppendiskussion als religionspädagogische Forschungsmethode
Aufgrund folgender Maxime stellt die Gruppendiskussion eine begründete Methode dar, menschliches Denken und Verhalten in Gruppen – z.B. von Schülern oder von Lehrenden – bestmöglich zu analysieren: 1. „Menschen sind Mitglieder verschiedener sozialer Gruppen“, 2. „Menschliches Handeln ist immer sozial“, 3. „Eine ausschließlich auf Individuen fokussierte Sichtweise führt zu einem verzerrten Abbild der Wirklichkeit“ und 4. „Um das Geschehen in Gruppen zu verstehen, geht es nicht um die Auszählung von Meinungen, sondern um die Analyse von Wirkungszusammenhängen“ (Kühn/Koschel, 2011, 55). Sinnvoll genutzt werden kann sie besonders dann, wenn es darum geht, tieferliegende Ansichten und Einstellungen zu analysieren, die durch ein Gespräch und im Prozess der Auseinandersetzung sich noch entwickeln bzw. auch erst „herausgelockt“ werden. Schulisches Lernen so wie z.B. im Religionsunterricht oder informelles Lernen wie im Konfirmandenunterricht (→ Konfirmandenunterricht/Konfirmandinnenarbeit
Es handelt sich bei der Gruppendiskussion weder um ein willkürliches Alltagsgespräch (Kühn/Koschel, 2011, 27), noch um eine modifizierte Interviewform, die parallel durchgeführt wird (Kühn/Koschel, 2011, 53). Sie eignet sich nicht dafür, mehrere Personen in kurzer Zeit gleichzeitig zu interviewen und individuelle Meinungen zu erheben – aus z.B. ressourcensparenden Überlegungen heraus. Ihr Ziel liegt eher darin, „kollektive Wissensbestände und kollektive Strukturen, die sich auf der Basis von existenziellen Gemeinsamkeiten (in konjunktiven Erfahrungsräumen) bereits gebildet haben“, zu erforschen (Przyborski/Riegler, 2010, 439). Sie kann u.a. als „stand-alone Methode“, als Vorstudie oder im Sinne einer „Methodenkombination“ – besonders in der Verknüpfung mit Interviews – verwendet werden (Przyborski/Riegler, 2010, 30-33).
Die nachfolgenden Abschnitte sollen einen methodischen Einblick in die Gestaltung von moderierten Gruppendiskussionen ermöglichen. Eine weitere vertiefende Beschäftigung mit dieser Methodik ist vor der Nutzung jedoch unerlässlich.
3. Methodisch-technische Aspekte
3.1. Methodische Vorüberlegungen
In Abhängigkeit von Forschungsinteresse, -fragen, dem bisherigen Wissensstand sowie dem Forschenden gegebenen Möglichkeiten ergibt sich eine Vielzahl an Variationen, wie die Gruppendiskussionen methodisch anzulegen sind, so z.B. bei der Stichprobenwahl, der Gruppengröße, der Raum- und technischen Vorplanung, der zu wählenden Auswertungsmethode u.v.m. Besonderheiten, die bei vulnerablen Gruppen (z.B. bei Studien mit Kindern und Jugendlichen) zu bedenken sind, können im Exkurs am Ende dieses Kapitels nachvollzogen werden.
Grundsätzlich empfiehlt es sich, die angedachten Gruppendiskussionen mehrmals zu wiederholen. Lamnek und Krell (2016, 411) sprechen dabei von zwei bis fünf Diskussionen, um sicherzustellen, dass die Erkenntnisse valide und reliabel sind. Des Weiteren ist abzuwägen, ob bei experimentelleren Verfahren (z.B. mit besonderen Visualisierungsstrategien) die Durchführbarkeit vorab mittels eines Pretests geprüft werden sollte. Dadurch kann möglichen Schwachstellen dieser Methode (z.B. technische Schwierigkeiten, Planungsunsicherheiten etc.) frühzeitig entgegengewirkt werden.
3.1.1. Stichprobenwahl
Realgruppen
natürliche Gruppen
künstlichen Gruppen
Ad-hoc-Gruppen
Die praktischen Vorteile einer Realgruppe liegen u.a. darin, dass die Diskussion zügiger beginnt und ein Stocken des Gesprächsflusses reduziert werden kann.
Weiters können Stichproben auch anhand der Kategorie Heterogenität bzw. Homogenität unterschieden werden (Lamnek/Krell, 2016, 410-411). In einer homogenen Gruppe sind Personen, die in wesentlichen Merkmalen übereinstimmen, dies wären z.B. Religionslehrende, die im Primarbereich lehren, oder die in einem bestimmten Landkreis arbeiten usw. Trotz der Homogenität von GruppenteilnehmerInnen – aufgrund gemeinsamer Merkmale –, ist eine Heterogenität „bezüglich der Biographien und Identitäten“ nicht auszuschließen (Kühn/Koschel, 2011, 79). Dadurch sind auch in homogenen Gruppen unterschiedliche Ansichten und Einstellungsausprägungen zu erwarten, die für den Auswertungsprozess relevant sind.
Die Entscheidungen, eine Realgruppe oder eine künstliche Gruppe zu wählen, sie als homogen oder heterogen zu klassifizieren, sind abhängig vom Forschungsinteresse und den Forschungsfragen.
3.1.2. Gruppengröße
Allgemein geht es nicht darum, quantifizierbare Aussagen zu machen (z.B. Anzahl an Zustimmungen oder Ablehnungen), sondern darum, verschiedene Perspektiven zu einem Sachverhalt aufzeigen zu können (Kühn/Koschel, 2011, 86). Daher ist eine große Probandenzahl hierbei wenig relevant. Ausgewählte Personenkreise zu einem Thema ins Gespräch kommen zu lassen, stellt das Ziel dieser Forschungsmethode dar.
In der Literatur wird meist eine Gruppengröße von 8 Teilnehmenden für eine Gruppendiskussion empfohlen (siehe u.a. Kühn/Koschel, 2011, 86; Vogl, 2005, 56; Lamnek, 2005, 435: fünf bis zwölf Personen). In begründeten Ausnahmefällen können auch kleinere Personenanzahlen für die Diskussion, sogenannte Mini-Gruppen oder auch Dyaden/Triaden, sinnvoll sein (Kühn/Koschel, 2011, 278).
Mini-Gruppen umfassen vier bis sechs Personen. Bei Mini-Gruppen wird den Probanden ermöglicht, „eigene individuelle Erfahrungen und Haltungen ausführlich auszubreiten“ (Kühn/Koschel, 2011, 277). Die dadurch angenehmere Gesprächsatmosphäre regt zum Mitdiskutieren an.
Auch Diskussionen von drei Teilnehmenden (= Triaden) oder gar von nur zwei (= Dyaden) können als Gruppendiskussionen klassifiziert werden (Kühn/Koschel, 2011, 279-280). Konkrete Hinweise „bezüglich individueller Wahrnehmungsweisen und Handlungspraktiken“ (Kühn/Koschel, 2011, 280) können bei Dyaden und Triaden besser sichtbar gemacht werden, da ein direktes Nachfragen unter den Diskutanten möglich ist. Den Probanden wird – verglichen mit höheren Gruppengrößen – zudem eine höhere individuelle Sprechzeit ermöglicht (Kühn/Koschel, 2011, 280). Durch die ‚natürliche Interaktion‘ dieser Varianten wirkt das Geschehen alltagsnah und lässt vermuten, dass die Gesprächsinhalte eher die tatsächlichen Wahrnehmungs- und Denkweisen widerspiegeln. Denkbar nachteilig ist eine geringere Varianz an Meinungsäußerungen, unter anderem auch dadurch bedingt, dass gegenseitige Anregungen ausbleiben (Kühn/Koschel, 2011, 280). Dies gilt es von der Moderation weitgehend auszugleichen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass – abhängig vom Forschungsinteresse sowie von der Verfügbarkeit der Zielgruppe – Gruppengrößen zwischen zwei und zwölf Personen denkbar sind. Jeweils müssen die bestehenden Pro- und Kontra- Argumente abgewogen und angemessen diskutiert werden.
3.1.3. Raum- und technische Vorplanung
Für die Diskussion selbst sollte ein geschützter Raum gewählt werden, der gemütlich und nach Möglichkeit den Teilnehmern bereits bekannt ist (Kühn/Koschel, 2011, 62). Öffentliche Plätze oder Räume (z.B. ein Park, Café) bieten den Vorteil der Alltagsnähe, wobei jedoch mögliche Störungen von außen kaum reguliert werden können. Weitere potentielle Belästigungen – auch in einem Laborsetting – sollten weitgehend reduziert werden.
Abhängig vom Forschungsinteresse (u.a. inhaltliche Aspekte, gruppendynamische Prozesse, Argumentationsstrategien und vieles mehr) sollte die Diskussion dokumentiert werden. Dies kann z.B. durch Protokolle, Audio- und/oder Videoaufnahmen geschehen. Die Probanden sind in jedem Fall über die Art und Weise der Dokumentation sowie die Wahrung ihrer Anonymität zu informieren (Kühn/Koschel, 2011, 62).
Es empfiehlt sich, technische Mittel vorab zu testen und ggf. Ersatzgeräte zur Hand zu haben. Eine Kombination von Dokumentationsweisen kann ebenso einen differenzierteren Erkenntnisgewinn zulassen, indem beispielsweise ein Tonbandgerät das Gesagte der Gruppe aufnimmt und durch ein Verhaltensprotokoll weitere Auffälligkeiten – die während des Gesprächs stattfinden (z.B. bestimmte Gestiken und Mimiken) – notiert und dann bei der Interpretation der Daten miteinbezogen werden können.
Materialien, die möglicherweise zur parallelen Visualisierung der Gruppendiskussion dienen (z.B. Flipchart-Papier, Stifte), liegen von Beginn an im Raum bzw. auf dem Tisch für die Probanden bereit. Für das leibliche Wohl sollte ebenfalls etwas bereitstehen, da sich dies positiv auf die alltagsnahe Atmosphäre auswirkt.
3.2. Durchführung
Bei der Durchführung der moderierten Gruppendiskussion können laut Kühn und Koschel vier Phasen der Diskussion unterschieden werden (Kühn/Koschel, 2011, 104-121). Jede dieser Phasen besitzt ihre besonderen Charakteristiken hinsichtlich inhaltlicher Aspekte, Gestaltungsanforderungen sowie Moderationsaufgaben. Tabelle 1 am Ende dieses Kapitels fasst die wichtigsten Merkmale der Diskussionsphasen inklusive der Aufgabenschwerpunkte für die Moderation sowie möglicher Fragen zusammen.
In der ersten Phase, der Einführungsphase, wird die Aufgabenstellung inklusive des zeitlichen Rahmens geklärt. Des Weiteren muss die Moderatorin oder der Moderator über die Datenschutzbestimmungen aufklären; die „Spielregeln“ der Diskussion ansprechen (z.B. ein wertschätzender Umgang miteinander ist Grundprämisse); über die Dokumentation des Gesagten informieren und verdeutlichen, dass es sich nicht um eine Prüfungssituation handelt. All diese Punkte sollte die Moderation möglichst frei den Diskutierenden mitteilen, um somit dem folgenden Gespräch Alltagsnähe zu verleihen (Kühn/Koschel, 2011, 62;105).
Im Anschluss daran folgt die Warm-Up-Phase, „die dazu dient, allgemeinere Aspekte des Themas zu diskutieren und vor allem eine vertrauensvolle, intime Gesprächsatmosphäre in der Gruppe herzustellen“ (Kühn/Koschel, 2011, 104). Es sollte den Diskutierenden „einen lebensweltorientierten Einstieg“ (Kühn/Koschel, 2011, 107) ermöglichen, der sie zum Erzählen animiert. Dadurch soll ihnen vermittelt werden, dass alle an der Diskussion partizipieren und jeder und jede etwas zum Thema beitragen kann. Bei künstlichen Gruppen ist in dieser Phase zudem eine Vorstellungsrunde empfehlenswert (Kühn/Koschel, 2011, 106).
Erst im Anschluss daran beginnt der eigentliche Hauptteil der Diskussion. In dieser Phase geht die Moderation die zu behandelnden Themenblöcke mit den Teilnehmenden durch. Sie behält dabei den Überblick, welche Themen noch zu diskutieren sind, und versucht dabei ‚trichterartig‘ vom Allgemeineren hin zum Konkreten das Gespräch zu lenken. Zudem ist es wichtig, eine Interaktion der Diskutierenden zu fördern, indem ein gegenseitiges Bezugnehmen auf bereits Gesagtes von der Moderation eingefordert wird (Kühn/Koschel, 2011, 109-111). Dadurch wird ein bloßes Nennen von Themen oder Aufzählen von Meinungen unterbrochen, differenziertere Einstellungsausprägungen und Argumentationsstränge können besser herausgearbeitet werden.
Im Abschluss-Teil werden die Probanden gebeten, eine knappe Zusammenfassung zu geben, inklusive einer persönlichen Einschätzung zur Thematik. Die Moderation schließt die Diskussion mit einer Zusammenfassung der besprochenen Themen und kontrolliert damit, ob die Teilnehmenden der Einschätzung der Moderation zustimmen bzw. haben sie hierbei noch die Möglichkeit, diese zu korrigieren. Abschließend können die Diskutierenden die neu aufgekommenen Rückfragen in die Runde stellen (Kühn/Koschel, 2011, 118-121).
Exkurs: Visualisierungs- und Stimuli-Materialien
Kühn und Koschel (2011) beschreiben die Möglichkeit, neben der Diskussion eine Art Visualisierung des Gesagten parallel erstellen zu lassen. „Visualisierungen dienen der Strukturierung von Diskussionen und helfen den Teilnehmern, ihre Gedanken, Gefühle und Erfahrungen auf den Punkt zu bringen“ (Kühn/Koschel, 2011, 170). Abhängig von der Fragestellung und der Zielgruppe stehen dem Forschenden dabei mehrere Varianten zur Verfügung.
Zu solchen Mitteln kann u.a. eine Art Kurzfragebogen „Selbstausfüller“ erstellt werden, dieser dient u.a. dafür, dass die Teilnehmenden sich vor dem Hauptteil der Diskussion Gedanken machen, diese für sich sortieren und ggf. auch notieren. Dies trägt dazu bei, das Gespräch anzuregen und schneller zu den Kernthemen überleiten zu können. Diverse Möglichkeiten dieser Vorabfragen können dabei gewählt werden, z.B. Assoziations-, Zuordnungs- oder Ratingaufgaben (Kühn/Koschel, 2011, 112-117).
Weiters sind auch Strukturierungsaufgaben denkbar, wobei die Diskutierenden selbstgewählte Begriffe bzw. kurze Statements mittels „Concept Mapping“ anordnen. Diese Variante besitzt drei Vorteile: 1. Das Gespräch der Teilnehmenden wird lebendiger und interaktiver, 2. die wesentlichsten Eckpunkte der Diskussion werden zusammengefasst und 3. am Ende der Gruppendiskussion kann die Moderation gemeinsam mit den Teilnehmenden überprüfen, ob dieses „Concept“ ihre Diskussion adäquat widerspiegelt (gegebenenfalls können hier Adjustierungen vorgenommen werden). Die Auswertung der entstandenen Concept-Mappings kann ebenso einen erweiterten Erkenntnisgewinn bedeuten und sollte nicht vernachlässigt werden (siehe dazu genauer Graf, 2014).
Den Möglichkeiten der Visualisierungen bzw. Stimulierungs-Mittel sind per se keine Grenzen gesetzt. Zu beachten ist jedoch, dass solche Hilfsmittel einen bedeutenden Zeitmehraufwand mit sich bringen und zielgruppenadäquat sein sollten (z.B. Komplexität der „Selbstausfüller“ sollte dem Alter, dem Bildungsgrad und der Sprache der Teilnehmenden angepasst sein).
3.2.1. Leitfadengestützte Gruppendiskussionen
Bei einer Gruppendiskussion kann nicht von einem strikten Leitfaden im klassischen Sinne gesprochen werden. Seine Gestaltung orientiert sich an den Regeln des „problemzentrierten Interviews“ (Kühn/Koschel, 2011, 97-98), besitzt aber seine eigenen Besonderheiten.
Das Ziel eines Leitfadens besteht darin, sicher zu stellen, dass die wichtigsten Themen besprochen werden, „ohne allerdings eine feste Abfolge zu determinieren“ (Kühn/Koschel, 2011, 100). Des Weiteren soll er der Moderation die Sicherheit geben, den Überblick über die geplanten Diskussionsthemen zu behalten (Kühn/Koschel, 2011, 102). Allgemein sollte der Leitfaden einer Gruppendiskussion auf das richtige „Verhältnis von Offenheit, Strukturiertheit und Vorwissen“ achten (Kühn/Koschel, 2011, 98).
Der Aufbau des Leitfadens orientiert sich an den vier Phasen der Gruppendiskussion (siehe Kap. Durchführung). Bei der Konzeption des Leitfadens ist es nicht unbedingt notwendig konkrete Fragen auszuformulieren; „thematische Stichwörter“ genügen (Kühn/Koschel, 2011, 103), die es der Moderation ermöglichen zu wissen, welche Themenfelder abgedeckt gehören. Die daraus abgeleiteten Fragen an die Teilnehmenden sollten zu großen Teilen „auf offenen Fragen beruhen“ (Kühn/Koschel, 2011, 122). Der Gebrauch von „geschlossenen Fragen“ ist jedoch nicht ausgeschlossen, besonders dann, wenn es um konkrete Positionen einzelner geht (Kühn/Koschel, 2011, 123).
Jede Diskussionsphase hat für sich typische Frageformen, die zum Einsatz kommen können. Während z.B. in der Warm-Up-Phase eher assoziative Fragen verwendet werden, um somit eine lockere Gesprächsatmosphäre zu kreieren, nutzt man für den Hauptteil eher direkte Einstellungs-, Informations- oder Wissensfragen. Wichtige Bestandteile sind außerdem Aufrechterhaltungsfragen (besonders für Warm-Up-Phase und Hauptteil), die ein drohendes stockendes oder abschweifendes Gespräch wieder in die gewünschte Richtung lenken können (Kühn/Koschel, 2011, 126-129). Wie solche Fragen konkret aussehen können, kann exemplarisch in der Tabelle 1 nachvollzogen werden.
3.2.2. Reflexion der Moderationsrolle
Wenig überraschend spielt der Moderator bzw. die Moderatorin bei der moderierten Gruppendiskussion eine entscheidende Rolle. Während der/die Forschende z.B. bei der Beobachtung eher eine passive Außenrolle einnimmt und wenig Einfluss auf das Geschehen hat oder im Vergleich zum leitfadengestützten Interview, bei dem der Interviewer eine ton- und themenangebende Rolle einnimmt, ist die Rolle der Moderation bei einer Gruppendiskussion komplexer. Die sich daraus ergebenden Aufgaben muss sich die Moderation bewusst machen und angemessen reflektieren.
Neben dem aktiven Zuhören, dem Zusammenfassen des Gesagten und dem Stellen von Fragen (Kühn/Koschel, 2011, 168; Lamnek, 2005, 445-447) ist es auch die Aufgabe der Moderation, das Gespräch zu entschleunigen (Kühn/Koschel, 2011, 169). Dies bedeutet, dass auf bereits Gesagtes nochmals genauer hingesehen und detaillierter nachgefragt werden muss (Lamnek, 2005, 449). Ebenso soll es die Diskutierenden anregen auf Punkte der anderen Teilnehmenden einzugehen – möglicherweise dazu Stellung zu beziehen. Sollte sich der/die Forschende für eine Visualisierung des Gesprächs entscheiden, muss sie während der Diskussion den Diskutierenden dabei unterstützend zur Seite stehen.
Typische Fehler, die eine Moderation vermeiden sollte, sind z.B. inhaltliche Fehler: die Durchführung ähnelt eher einem Interview und weniger einer offenen Diskussion, die Moderation „bewegt sich auf zu abstrakter Ebene“ und führt dabei zu Unklarheiten bei den Diskutierenden (Kühn/Koschel, 2011, 158); praktische Fehler: die Moderation stellt Suggestivfragen oder beachtet den zeitlichen Rahmen nicht (Kühn/Koschel, 2011, 140); Fehldeutung des eigenen Rollenverständnisses: die Moderation ist nicht „unparteiisch“ oder stellt sich selbst zu stark „in den Mittelpunkt des Geschehens“ (Kühn/Koschel, 2011, 141).
Inwieweit Fremdheit der Moderatorin/des Moderators gegenüber der Gruppe hinderlich bzw. förderlich für die Gruppendiskussion ist, wird bisweilen noch wenig diskutiert. Positiv kann folgendermaßen argumentiert werden: „Fremdheit [der Moderation gegenüber] muss kein Hindernis darstellen, um Vertrauen zu gewinnen, sondern kann gerade als Chance gesehen werden, Befragte dazu zu bringen, scheinbar Selbstverständliches zu hinterfragen und in Worte zu fassen“ (Kühn/Koschel, 2011, 76). Da bisher keine empirisch abgesicherten Daten über den Einfluss einer fremden Moderation im Vergleich zu einer bekannten existieren, wäre es begrüßenswert, wenn diese beiden methodischen Herangehensweisen empirisch miteinander verglichen werden.
„Grundsätzlich gilt [aber], dass der Moderator zum Thema und zur Zielgruppe passen sollte“ (Kühn/Koschel, 2011, 75). D.h. abhängig vom Forschungsinteresse und der diskutierenden Zielgruppe sollte darauf geachtet werden, ob eventuelle Faktoren wie z.B. Geschlecht, Alter, Sprache und Bildungshintergrund einen positiven Einfluss auf die Akzeptanz der Diskutierenden haben können (Kühn/Koschel, 2011, 75-76; 141). Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass es nicht die „richtige“ Moderatorin oder den „richtigen“ Moderator für eine Gruppe gibt. Über die Passung und den möglichen Einfluss auf die Diskussion sollte jedoch in jedem Falle reflektiert werden.
Die folgende Tabelle 1 dient als Zusammenfassung der bisher dargestellten Vorüberlegungen (Diskussionsphasen, Anteil der Moderation, Beispielfragen für diesen Bereich).
3.3. Analyse und Auswertungsmöglichkeiten
Zur Analyse und Auswertung stehen dem/der Forschenden mehrere Methoden zur Verfügung. Folgend kann nur eine Auswahl dargestellt werden, die jedoch nicht das gesamte Auswertungsspektrum abbildet. Die Wahl der Auswertungsmethode sollte bereits vor der Durchführung der Diskussionen gut überlegt sein, da ein nachträgliches Hinzufügen von Daten (z.B. Audioaufnahmen für Transkriptionen, Videoaufnahmen für Beschreibungen des Verhaltens etc.) weder möglich noch zulässig wäre. Zur Anfertigung von Transkriptionen siehe exemplarisch Dresing und Pehl (2018).
Dem/der Forschenden stehen neben quantitativen auch qualitative Methoden der Auswertung zur Verfügung. Zu Ersterem besteht u.a. die Möglichkeit, Wörter oder Themen auszuzählen, die Redeanteile und -schnelligkeiten von Probanden zu messen oder Interaktionshäufigkeiten zu analysieren. Weit häufiger werden jedoch Gruppendiskussionen anhand qualitativer Methoden ausgewertet. Die → Dokumentarische Methode
Exkurs: Gruppendiskussionen mit Kindern und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche sind „kompetente Informanten“, wenn es um ihre eigenen Meinungen, Ansichten und Interessen geht (Vogl, 2005, 29; dazu auch Grunert, 2002, 230). Jedoch muss bedacht werden, dass Methoden der Erwachsenenforschung nicht einfach bei Heranwachsenden 1 zu 1 übernommen werden dürfen (Vogl, 2005, 29). Methodische Anpassungen müssen vorgenommen werden.
Aufgrund der offenen Gestaltungsweise – „Natürlichkeit der Erhebungssituation, Kommunikativität und Offenheit“ (Vogl, 2005, 30) – eignet sich die Gruppendiskussion speziell auch für Kinder und Jugendliche (siehe auch Przyborski/Wohlrab-Sahr, 2014). Dies spiegelt sich in der Kinder- und Jugendforschung jedoch kaum wider. Literatur, die sich ausführlich den Vorbereitungen, Durchführungsweise(n) sowie der Auswertung von Gruppendiskussionen bei dieser Zielgruppe zuwendet, existiert bisweilen noch nicht. Eine Fokussierung auf Erwachsene steht bislang im Vordergrund (dazu exemplarisch Kühn/Koschel, 2011; Przyborski/Wohlrab-Sahr, 2014, 102).
Orientierend an Heinz Reinders (2016), der sich ausführlich mit den Besonderheiten dieser vulnerablen Gruppe im Rahmen von Interviews beschäftigte, sowie Susanne Vogl (2005), die die methodische Durchführbarkeit im Rahmen von Gruppendiskussionen überprüfte, geben diese erste Anhaltspunkte, worauf besonders geachtet werden muss: die Notwendigkeit von Einverständniserklärungen von Erziehungsberechtigten; die bevorzugte Wahl von Realgruppen statt künstlichen Gruppen; die Wichtigkeit eines Vortreffens mit der Moderation bei jüngeren Zielgruppen und das Festhalten von Verhaltens- und Gesprächsregeln.
4. Kritische Reflexion der Methode
Die thematische Offenheit der Gruppendiskussion ist ein Merkmal, die sie besonders interessant „für konkrete handlungspraktische Felder“ macht (Przyborski/Riegler, 2010, 445), wie sie es hier z.B. im Bereich der religionspädagogischen Forschung darstellen würde. Der Hauptvorteil der Gruppendiskussion als Erhebungsmethode stellt die „ungezwungen erscheinende […] Gesprächsatmosphäre“ dar (Kühn/Koschel, 2011, 29; dazu Lamnek, 2005, 472). Solche Vorteile der Gruppendynamik können sich aber auch nachteilig auswirken, etwa die stärker ausgeprägte Gefahr der sozialen Erwünschtheit bei den Antworten der Diskutanten (Kühn/Koschel, 2011, 53). Des Weiteren kann die Diskussion selbst eine Meinungs- und Einstellungsveränderung hervorrufen (Lamnek, 2005, 473), d.h. konstante Meinungsbilder können dadurch schwieriger mittels dieser Methode analysiert werden. Jedoch muss dem entgegengehalten werden, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, welches sich stets mit der Gruppe und deren Meinungen auseinandersetzen muss. Denn: „Erst im Gespräch sieht man sich gezwungen, die eigene Meinung zu benennen und zu behaupten, wodurch tieferliegende Einstellungen zum Vorschein kommen. Im Prozess der Auseinandersetzung mit Anderen mag sich die Meinung zwar ändern, dafür zeichnet sie sich aber auch deutlicher ab“ (Vogl, 2005, 31; dazu Kühn/Koschel, 2011, 55) – bzw. bildet sich diese erst heraus.
Resümierend kann bei der Gruppendiskussion von einem „,ganzheitlichenʽ Zugang, der der realen Verflochtenheit kognitiver, emotionaler und motivationaler Prozesse weitgehend Rechnung trägt“, gesprochen werden (Billmann-Mahecha/Horster, 2007, 90). Nach abschließender Reflexion kann behauptet werden, dass die moderierte Gruppendiskussion ein beträchtliches Potential aufweist, Einstellungs- und Meinungsäußerungen zu komplexeren Themen zu erhalten. Gleichwohl sind ihre forschungsmethodischen „Tücken“ nicht zu vernachlässigen und beim gesamten Forschungsprozess (von der Planung bis hin zur Analyse) zu bedenken.
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Gruppendiskussionsphasen und ihre Bedeutung für den Moderationsanteil und Frageformen, in Anlehnung an Kühn/Koschel, 2011, 104-121
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