Deutsche Bibelgesellschaft

Königtum Gottes (AT)

(erstellt: April 2012)

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Den monarchischen Strukturen altorientalischer Staaten entsprechend wurden Götter, um ihre Überlegenheit sowie ihre Fürsorge auszudrücken, metaphorisch als König bezeichnet. Auch Jhwh wurde schon in vorexilischer Zeit als in Jerusalem thronender König gepriesen. Die Vorstellung von seiner Gegenwart als Königsgott bildet sogar die zentrale Vorstellung der → Jerusalemer Tempeltheologie / Zionstheologie, von der alle anderen Vorstellungen – z.B. die von der Uneinnehmbarkeit des Jerusalems – abgeleitet sind und von der aus sich das Bild von der Königsherrschaft Gottes zu einer wichtigen Vorstellung der Bibel entwickelt. Jhwh kann als König der Götter, der Welt, der Völker, Israels und des einzelnen Beters bezeichnet werden. In exilisch-nachexilischer Zeit betonen unterschiedliche Strömungen, dass Jhwh gegenwärtig als König herrscht (→ Theokratie) bzw. seine Königsherrschaft erst künftig durchsetzen wird (→ Apokalyptik; vgl. die unterschiedlichen Aussagen zum → Reich Gottes im Neuen Testament).

1. Voraussetzung: Das Königtum als gesellschaftliche Gegebenheit

Im Alten Orient, wo sich Staaten und Gesellschaften seit historischer Zeit im Wesentlichen monarchisch organisieren, aber nicht funktional ausdifferenzieren, kommt dem König bzw. dem Königtum in nahezu jeder Hinsicht eine zentrale Bedeutung zu (→ Königtum [AT]; → Königtum [Ägypten]; → Königtum [Alter Orient]; s. beonders Weippert / Janowski, 1995, 513ff; Niemann, 2001, 1593ff; L. Schmidt, 1990, 327ff; Berlejung, 2006, 276ff; Müllner / Jochum-Bortfeld, 2009, 301ff; Lanfranchi / Rollinger, 2010). Hier bündeln sich „die obersten Leitungsfunktionen“ (Weippert, 1995, 513), sodass eine hierarchische Struktur des Gemeinwesens etabliert wird – in sehr breiter zeitlicher und geographischer Streuung: „Deities, kings, and areas of dominion change, kingship lasts“ (Spieckermann, 2010, 352). Entsprechend stellen das Königtum (als Institution) und – historisch im Vordergrund – der König (als personaler Amts- und Funktionsträger, d.h. Repräsentant des Königtums) auf allen Ebenen der Kommunikation mit sprachlichen Zeichen und Symbolen eine kulturelle Grundmetapher dar (s.u. 3.1.), während Königinnen aufgrund der patriarchalen Verfasstheit nur in Ausnahmefällen eine bedeutendere Rolle spielen. Übertragen auf die Götterwelt (von der sich ja nur mithilfe kulturell geprägter Bilder sprechen lässt) resultiert die – im Folgenden für Israel näher zu beschreibende – soziomorphe Gottesvorstellung von Gott / Jhwh als König bzw. vom Königtum Gottes / Jhwhs, die sich ebenfalls in die altorientalische „Auffassung einer monarchisch organisierten Götterwelt“ einfügt (Ringgren, 1979, 72; ebenso Whitelam, 1992, 43 u.a.).

Dabei wird „Königtum“ hier integrativ verstanden als umfassende Bezeichnung für sämtliche mit dem Vorstellungskomplex, d.h. der Konzeption, verbundenen Aspekte: Dies beinhaltet neben der eigentlich institutionellen Dimension („Königtum“ im engeren Sinne) namentlich den räumlichen Aspekt des Herrschafts- / Machtbereichs („Königreich / Gottesreich“) und den zeitlichen Aspekt der Herrschafts- / Machtausübung („Königsherrschaft / Gottesherrschaft“).

2. Zur Terminologie

2.1. Königtum / König (Wurzel מלך)

2.1.1. Hebräische Bibel

Wie einleitend skizziert, bilden Aussagen zum Königtum Jhwhs einen Ausschnitt aus den israelitischen Königtums-Vorstellungen insgesamt: Letztere werden in erster Linie durch das Lexem מלך mlk I „König sein / werden“ mitsamt Derivaten ausgedrückt (im Folgenden kurz מלך mlk; dagegen bleiben מלך mlk II „mit sich zu Rate gehen“ / מֶלֶךְ mælækh III „Rat“ und der Eigenname מֶלֶךְ mælækh II im Folgenden ausgespart).

2.1.1.1. Belege. Die Wurzel מלך mlk zählt in der Hebräischen Bibel mit insgesamt ca. 3400 Belegen zu den häufigsten Termini (s. die Tabelle bei Soggin, 1971, 910). Vergleichsweise selten ist dagegen vom Königtum Gottes – also מלך* mlk mit Bezug auf Jhwh – die Rede: Es finden sich lediglich 13 Verbalbelege (stets Qal), und ca. 41-mal wird Jhwh nominal als מֶלֶךְ mælækh „König“ bezeichnet; hinzu kommen die Abstrakta מְלוּכָה məlûkhāh, מַלְכוּת malkhût und מַמְלָכָה mamlākhāh (/ מַמְלָכוּת mamlākhût), die jeweils „Königtum“ bedeuten und sich 15-mal auf Jhwh beziehen (s. zum Ganzen die Beleglisten bei Seybold, 1984, 947f [plus 1Chr 17,14, 1Chr 28,5; Dan 2,44]).

2.1.1.2. Bedeutung. Die semantische Grundbedeutung von מלך* mlk bringt dabei eine hierarchische Relation zwischen dem König bzw. dem Königtum und der – explizit genannten oder implizit gedachten – Vergleichsgröße zum Ausdruck, deren Pointe in der Überlegenheit (Superiorität) des Königs bzw. des Königtums besteht. Im Blick auf das Königtum Jhwhs ist festzuhalten, dass die Vergleichsgröße den himmlischen und den irdischen Bereich umfasst und näherhin vielfältig variierend gefasst werden kann (einerseits Götter, Thronrat und dergleichen, andererseits Einzelmensch, Kollektivgrößen [wie Gerechte, Israel, Völker] oder kosmische Bereiche [z.B. Berge, Inseln, Länder, Erde, All]); immer aber wird die Überlegenheit Jhwhs – mit im Einzelnen zu präzisierenden Intentionen – zum Ausdruck gebracht.

Dabei ergibt eine synoptische Auswertung der biblischen Belegstellen zum Königtum Jhwhs drei elementare Befunde:

a) In quantitativer Hinsicht handelt es sich um ein bescheidenes Belegfeld (s.o.); dies ist jedoch sorgsam von der sachlichen Bedeutung des Vorstellungskomplexes zu unterscheiden (s.u. 2.2.; 4.).

b) Die beiden wichtigsten Schwerpunkte von jhwhbezogenem מלך* mlk liegen im → Psalter und in den aramäischen Danielerzählungen (→ Daniel), daneben gibt es kleinere Häufungen im Jesajabuch bzw. bei → Deuterojesaja sowie im → Jeremiabuch und in Sach 14; meist treten die Formulierungen dabei – sachlich bedingt (s.o.) – in hymnischen Kontexten und Sprechakten auf.

c) Die Abstraktbildungen treten durchwegs (erst) in nachexilischen Textpassagen auf (auch wenn etwa מַמְלָכָה mamlākhāh im „profanen“ Gebrauch ältere Vorläufer haben dürfte); sie sind also offensichtlich charakteristisch für die alttestamentliche Spätphase des Vorstellungskomplexes (s.u. 3.3.).

2.1.2. Inschriften

Die genannten Aspekte lassen sich durch die epigraphischen Primärtexte aus der Königszeit teilweise weiter untermauern: Grundsätzlich sind die Belege für Jhwhs Königtum – nicht zuletzt wohl auch aus materialen und literaturgeschichtlichen Gründen – äußerst spärlich, und selbst vom irdischen Königtum ist meist in stereotyper Weise (lmlk-Formel: „dem König gehörig“) die Rede.

Erwähnenswert ist der eine Verbalbeleg (Arad 88,1, Ende 7. Jh. v. Chr.) sowie das Kompositium mlk gdl „Großkönig“, das sich im fragmentarischen Kontext auf einer Elfenbeinplakette aus Nimrud findet (zweite Hälfte des 8. Jh.s v. Chr.; s. Renz / Röllig, 1995/1, 129f) und wahrscheinlich den irdischen König – also nicht Jhwh – bezeichnet.

2.1.2.1. Inschrift aus En Gedi. Der weitaus wichtigste, wenngleich fragmentarische und deswegen nicht völlig gesicherte Beleg bietet eine Höhleninschrift aus → En Gedi (Ende 8. Jh., vgl. Leuenberger, 2008, 151f). Auf ihr rahmen Fluchformeln ebenfalls formelhafte Segensaussagen im Zentrum:

(3) brk ∙ jhw[h …] (4) brk ∙ bgj[m … j]mlk … (6) brk ’dn[j] jh … (3) Gesegnet ist / sei Jhw[h …,] (4) Gesegnet ist / sei er unter den Völker[n, der] herrscht / herrschen wird als König. … (6) Gesegnet ist / sei der Her[r]; jh[…]“

Gesegnet wird also der Herr Jhwh (Z.3/6), den die Zentralaussage (Z.4) in völkerweiter Perspektive (vgl. ’šr „Assur“ Z.1) als König zeichnet; diese Konstellation lässt sich theologiegeschichtlich mit biblischen Aussagen korrelieren (s.u. 3.2.3.).

2.1.2.2. Personennamen. Das Bild ergänzen schließlich die – in einem ähnlichen Spektrum auch in der Hebräischen Bibel belegten und hier mit einbezogenen – einschlägigen theophoren Personennamen (s. Noth, 1928, 117ff.145f; Renz / Röllig, 1995/2/1, 55ff; ders., 2009, 305f; Albertz / Schmitt, 2012, 360f.581). Vorab zu nennen ist: mlkj(h)w „(mein) König ist Jh(wh)“ bzw. jhwmlk „Jh(wh) ist König“ (vgl. Parallelbildungen wie mlkj’l „König ist Gott“ oder ’dnmlk „Der Herr ist König“). Daneben stehen semantisch verwandte Herrschaftsnamen des Typs „Gottesname + Herrschaftsterminus“, d.h. vor allem jh(w) „Jhwh“, ’l „Gott“ oder ’dn „Herr“ mit rwm „sich erheben / erhaben sein“, qwm „aufstehen / hoch sein“ oder ‛lj / ‛lh „aufsteigen / hoch sein“, wobei die Reihenfolge der beiden Elemente wechseln kann.

2.2. Das weitere Wortfeld

Der relativ bescheidene Befund zum Hauptlexem מלך mlk „König sein / werden“ plus Derivate in Bezug auf Jhwh deckt nun aber, wie bereits angedeutet, nicht den gesamten Vorstellungskomplex des Königtums Jhwhs im alten Israel ab (s. dazu Janowski, 1993, 192ff; 2001, 1591; Willmes, 2004, 104ff; Leuenberger, 2004, 24ff [Lit.]). Denn eine traditionsgeschichtliche Analyse der jhwhbezogenen מלך* mlk-Aussagen in ihren literarischen (Nah)kontexten fördert ein recht umfangreiches Wort- und Vorstellungsfeld „Königtum Jhwhs“ zu Tage: Einerseits gibt es mehr oder weniger enge Parallelbegriffe zu מלך* mlk „König sein / werden“ bzw. מֶלֶךְ mælækh „König“ bzw. den Abstrakta für „Königtum“ wie etwa משׁל mšl „herrschen“ (→ Herrschaft, besonders Kap. 2), שׁפט špṭ „richten / herrschen“, aramäisch שׁלט šlṭ „herrschen“ bzw. מוֹשֵׁל môšel „Herrscher“, מָשִׁיחַ māšîaḥ „Gesalbter“ (→ Messias), שֹׁפֵט šofeṭ „Richter“, רֹעֵה ro‘eh „Hirt“, רֹאשׁ ro’š „Haupt“, נָגִיד nāgîd „Fürst“ bzw. מֶמְשָׁלָה mæmšālāh sowie aramäisch שָׁלְטָן šālṭān „Herrschaft“ usw. Andererseits gilt es auch, zahlreiche königliche bzw. herrschaftliche Attribute (wie גֵּאוּת ge’ût „Hoheit“, הוֹד hôd „Majestät“, הָדָר hādār „Pracht“, עֹז ‘oz „Macht“, אַדִּיר ’addîr „mächtig“ [s. hierzu besonders die Überlegenheit gegenüber den Chaoswassern] usw.), Funktionen (z.B. ישׁב jšb „thronen / wohnen“, עלה ‘lh „aufsteigen / erhaben sein“) und Vorstellungselemente (etwa כִּסֵּא kisse’ „Thron“, סוֹד sôd „Thronrat“ [→ Götterrat], אַרְמוֹן ’armôn „Palast“, הֵיכָל hêkāl „Tempel / Palast“ u.ä.) mit heranzuziehen: Sie alle zeichnen Jhwh – freilich in unterschiedlichen Ausprägungen und Akzentuierungen – als König.

Die konkrete sprachliche Realisierung dieses breiten lexikalischen Vorstellungspotentials „Königtum Jhwhs“ variiert natürlich in den Texten äußerst stark und hängt eng mit der spezifischen pragmatischen Funktion im jeweiligen Entstehungs- und Verwendungskontext zusammen. Dabei werden häufig auch Verbindungen mit weiteren grundlegenden Themen wie der → Zionstradition oder der → Schöpfung (inkl. Chaos-Überwindung [→ Chaos]) vorgenommen, sodass komplexe und umfassende „Weltbilder“ bzw. Symbolsystem resultieren (s.u. bes. 3.2.3.; → Weltbild).

Im Zuge solcher bottom-up-Analysen lassen sich dann sukzessive umfassendere Konzeptionen des Königtums Jhwhs synthetisieren, die sich in ihren literarischen und historischen Kontexten beschreiben sowie in ihren diachronen Entwicklungen nachzeichnen lassen. Dabei wird rasch deutlich, dass der im erläuterten Sinn gefasste Vorstellungskomplex des Königtums Jhwhs zu den grundlegenden Gottesvorstellungen in der Religions- und Theologiegeschichte des alten Israel zählt (s.u. 4.).

3. Geschichte des Königtums Jhwhs im alten Israel

Wesentliche Etappen der Geschichte des Königtums Jhwhs im alten Israel lassen sich folgendermaßen beschreiben:

3.1. Zum altorientalischen Hintergrund und zu dessen israelitischer Rezeption

Koenigtum Gottes 01

Das irdische Königtum in Israel und Juda ebenso wie das Königtum Jhwhs bilden einen Ausschnitt altorientalischer Herrschaftsvorstellungen und lassen sich historisch bzw. religions- und theologiegeschichtlich nur vor diesem Hintergrund bzw. innerhalb dieser Konzeptionen verstehen.

Sakrales Königtum. Zum Einen ordnet das sakrale Königtum (divine kingship) mehr oder weniger umfassend die gesamte Welt. Wiewohl die Rekonstruktion der sog. altorientalischen Königsideologie forschungsgeschichtlich kontrovers beurteilt wird und zahlreiche historische wie regionale Unterschiede und Transformationen bestehen, lässt sich die charakteristische Rahmenvorstellung vereinfacht wie folgt umreißen (→ Königtum [Ägypten], Kap. 2.; → Königtum [AT]; → Königtum [Alter Orient]; Auffarth, 1993, 386ff; Saur, 2004, 9ff; ikonographisch Keel, 1996, 221ff; Schmitt, 2001, 6ff).

Das Königtum wird dem König von göttlicher Seite (oft auch kultdramatisch im Neujahrsfest) verliehen; dies bringt nicht nur eine massiv formulierte Hoheitsstellung mit sich (sog. Hofstil), sondern ermächtigt und verpflichtet den König zugleich dazu, eine militärisch-politische, kultisch-religiöse, sozial-ethische und kosmisch-naturhafte Gerechtigkeitsordnung durchzusetzen.

Koenigtum Gottes 03
Königtum Gottes. Zum Andern – und in der Regel mit dem sakralen Königtum kombiniert – ist auch weit gestreut vom Königtum (eines) Gottes die Rede (vgl. Leuenberger, 2004, 50f.223 Anm. 337 und die Liste bei Tallqvist, 1938, 233ff). So versteht sich König → Hammurabi zeitlich und sachlich parallel zur Einsetzung des Gottes → Marduk in ein „ewiges Königtum (šarrūtum darītum)“ (Hammurabi-Stele 1,21) durch Anu und Enlil (1,1ff) als „der von Enlil berufene Hirte“ (1,51ff; TUAT 1/1, 40). Und → Nebukadnezar II. preist in einem Gebet: „Herr Marduk, du bist der weise Gott, der stolze Fürst! Du hast mich erschaffen und mich mit dem Königtum über alle Menschen betraut (šarrūti kiššat nišim / nišī taqīpanni)!“ (Baubericht 3,36ff; TUAT 2/5, 782; vgl. Landgon, 1912, 120).

Koenigtum Gottes 04
Die Vorstellung vom Königtum Gottes war Israel demnach vorgegeben und wurde dort für Jhwh aus der „Umwelt“ rezipiert, wobei namentlich das gut dokumentierte spätbronzezeitliche → Ugarit (zur Königsideologie: Niehr, 2006; zum Königtum der Götter: W.H. Schmidt, 1961, 17ff; → Baal, Kap. 2.1.4) sowie das vorisraelitische, jebusitische Jerusalem (s. Keel, 2007, 75ff) zu nennen sind. Es handelt sich also um einen klassischen Fall der Inkulturation Jhwhs in der kanaanäischen Lebenswelt. Gegenüber der älteren Annahme einer vorstaatlichen Aneignung im Land (so mit der nicht überzeugenden Berufung auf Ex 15,18; Num 23,21; Dtn 33,5 etwa Alt, 1959, 349ff; Maag, 1960, 134ff; W.H. Schmidt, 1961, 64ff; Seybold, 1984, 948; Jeremias, 1987, 12.149ff und 1995, 520) favorisiert die neuere Forschung mit Recht eine Rezeption in der frühen und mittleren Staatszeit (z.B. Zenger, 1987, 177ff; L. Schmidt, 1990, 330; Janowski, 1993, 177ff): Sie lässt sich religions- und theologiegeschichtlich vorab im Rahmen der Jerusalemer Tempeltheologie verorten und kann auch textlich zumindest in Grundzügen rekonstruiert werden.

3.2. Die Jerusalemer Tempeltheologie der Staatszeit

3.2.1. Der Kerubenthroner

Gleichsam ein Bindeglied zwischen Kanaan und Israel stellt wahrscheinlich der Titel „Kerubenthroner“ dar (יֹשֵׁב הַכְּרֻבִים jošev hakkəruvim; Ladeerzählung: 1Sam 4,4; 2Sam 6,2; Jhwh-König-Psalmen: Ps 99,1; → Keruben). Ausweislich ikonographischer Darstellungen besitzt er wohl einen kanaanäisch-phönizischen Traditionshintergrund (s.o. Abb. 2), wo er so eng mit der Königsideologie verbunden ist, dass man geradezu von einer „Verschränkung von Keruben- und Königsmotivik“ sprechen kann (Janowski, 1993, 279). Die israelitische bzw. judäische Rezeption dürfte über Jerusalem verlaufen sein, wie die alttestamentliche Belegkonzentration auf dortige Traditionen indiziert. So besteht möglicherweise „ein enger (ursprünglicher?) Zusammenhang der Kerubenkonzeption mit der JHWH-König-Vorstellung“ (Janowski, 1993, 277; s. etwas anders Görg, 2004, 73ff).

3.2.2. Zur vorisraelitischen Jerusalemer Kulttradition

Bilderverbot 06

Damit ist das forschungsgeschichtlich nach wie vor kontroverse Thema der vorisraelitischen Jerusalemer Kulttradition(en) angesprochen, das hier nicht näher entfaltet werden kann (s. dazu Hartenstein, Unzugänglichkeit, 3ff; Keel, 2007, 111ff; Leuenberger, 2012c, Kap. III.2.a [Lit.]). Es genügt hier der doppelte Hinweis, dass sich einerseits aus den alttestamentlichen, epigraphischen und ikonographischen Quellen keine konkreten Elemente zum Vorstellungskomplex des Königtums Gottes im vorisraelitischen Jerusalem gewinnen lassen, dass jedoch andererseits die späteren staatszeitlichen Befunde und Entwicklungen in Jerusalem schwerlich ohne die Annahme einer grundlegenden Kontinuität zum spätbronze- / früheisenzeitlichen, „kanaanäisch-jebusitischen“ Jerusalem zu verstehen sind. Als ikonographisches Beispiel sei eine um 700 datierende Terrakotta wohl aus Tell Bēt Mirsim (Koordinaten: 1415.0960; N 31° 27' 21'', E 34° 54' 37'') genannt (Abb. 5), die ein auf einem wagenartigen Thron bzw. thronartigen Wagen sitzendes männlich-weibliches Paar (möglicherweise Jhwh und seine Aschera) zeigt (s. dazu Jeremias, 1993; Uehlinger, 1997, 149ff; Keel, 2007, 482f).

3.2.3. Die staatszeitliche Jhwh-König-Konzeption in Jerusalem

Koenigtum Gottes 06

3.2.3.1. Datierung in die Königszeit. Deutlicher greifen lässt sich die Vorstellung vom Königtum Jhwhs erstmals in der mittleren Königszeit im späten 8. Jh. v. Chr. Dass dem so ist, hängt eng mit den historischen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 8. Jh.s zusammen, die wahrscheinlich die literarische Produktion in Israel und Juda wesentlich beförderten; diese mag textlich namentlich etwa Jhwh-König-Psalmen (Ps 24*; Ps 29*; Ps 47*; Ps 93*; Ps 96*; Ps 97*; Ps 99*) und Zion-Psalmen (Ps 46*; Ps 48*; Ps 76*) – dazu im Blick auf das von Jhwh installierte irdische Königtum der Davididen auch die Königs-Psalmen (besonders Ps 2*; Ps 18*; Ps 45*; Ps 72*; Ps 89*; Ps 101*, s. dazu Saur, 2004) – sowie frühe Jesajatexte (→ Jesaja-Denkschrift Jes 6,1-8,18*) umfasst haben, die sämtlich ins Umfeld Jerusalems gehören. Ikonographisch kann nun auf ein nahe der Gichonquelle gefundenes Siegel aus dem 9. Jh. v. Chr. verwiesen werden, das unter einer geflügelten Sonnenscheibe einen leeren Thron zeigt und mithin die dauerhafte (solare) Präsenz des Königsgottes (Jhwh?!) symbolisiert.

Wegen des tempelzentrierten, relativ langzeitigen und „erfahrungsresistenten“ Charakters der Konzeption dürften die Konturen jedoch auch schon für die frühere Königszeit (10.-8. Jh. v. Chr.) grob zutreffen, was auch der in den ältesten Jesajatexten belegte kritische Traditionsrückgriff nahelegt (vgl. besonders Jes 6, dazu Hartenstein, 1997; Wagner, 2006). Die einschneidenden Erfahrungen von 722/720 v. Chr. im Nordreich und 701 v. Chr. im Südreich scheinen sich nämlich vorab im Völkerkampfmotiv niedergeschlagen zu haben (sowie im Verlaufe des 7. Jh.s v. Chr. in der Verstärkung des Topos von der Uneinnehmbarkeit Zion-Jerusalems), wie sich sowohl in den Zion-Psalmen (Ps 46*; Ps 48*) als auch in der Jesajatradition (Jes 8,5ff) erkennen lässt (s. dazu Hartenstein, 2011).

3.2.3.2. Verortung in Jerusalem. Die Vorstellung, dass der Königsgott Jhwh im Tempel auf dem Zion zu Jerusalem wohnt und thront, stellt das charakteristische, bipolare Basisaxiom der Jerusalemer Tempeltheologie dar.

3.2.3.2.1. Jhwh ist König / ist König geworden. Den einen Pol bildet die soziomorphe Gottesvorstellung, die sich in der sog. Themaformel יהוה מָלָךְ Jhwh mālākh „Jhwh hat die Königsherrschaft angetreten und herrscht als König“ am prägnantesten verdichtet hat (zusammengesetzter x-qatal-Verbalsatz; Ps 93,1; Ps 96,10; Ps 97,1; Ps 99,1, s. Leuenberger, 2004, 139ff [Lit.]). Erstens stellt diese Formel Jhwh betont voran (anders Ps 47,9; Jes 52,7 u.a.) und unterstreicht damit, dass es Jhwh ist, der als König herrscht, und nicht ein anderer Gott (vgl. im Babylonischen den berühmten Nominalsatz dMardukma šarru „Marduk ist König“ [Ee 4,28]). Zweitens lässt sich die Formel, da die Verbform מָלָךְ mālākh (Afformativ-Konjugation) sowohl ingressiv „ist König geworden“ als auch durativ „ist König“ bedeutet, als Ruf zur Inthronisation (auf dem Zion, den Jhwh in Besitz nimmt [Ps 24; Ps 47]) oder zur Proklamation / Akklamation verstehen – jenseits der Diskussion um ein Königtum Jhwhs, das (natur)zyklisch unterbrochen wird. Sie zielt im Kontext jedoch in beiden Fällen stärker auf die nachfolgenden Wirkungen der Königsherrschaft Jhwhs. Drittens bleibt als Sitz im Leben der in Jhwh-König-Psalmen eingebundenen Themaformel ein (gegenüber der älteren Forschung redimensioniertes) Herbstfest nach wie vor die religionsgeschichtlich plausibelste Hypothese (s. Jeremias, 1987, 59ff; Janowski, 1993, 184ff; Görg, 2004, 65ff; anders Petersen 1998, bes. 92f).

3.2.3.2.2. Das Zentrum der Königsherrschaft Jhwhs. Den anderen Pol stellt Zion-Jerusalem, worauf bereits die מלך*-Belege von Jhwh nahezu durchwegs bezogen sind, als Ort der besonderen Gottespräsenz dar: Es handelt sich um die ewige Gottesstadt, die das kosmische und politische Weltzentrum bildet (so insbesondere die Zion-Psalmen Ps 46; Ps 48).

Der Königsgott Jhwh wird somit als permanent anwesender deus praesens charakterisiert (der nicht nur punktuell-dynamisch erscheint), und er wird raumbezogen als Stadt- bzw. Ortsgott verstanden (der also nicht primär personenbezogen ist wie z.B. der Gott Israels). Das hierbei implizierte Weltbild lässt sich – mit exemplarischen Textbelegen versehen – wie in Abb. 7 skizzieren (s. zum Ganzen Janowski, 2005, 1409ff [Lit.]; Leuenberger, 2012c, Kap. 3.2.b).

3.2.3.2.3. Die Ausdehnung der Königsherrschaft Jhwhs. Von besonderem Interesse ist die Ausdehnung des Königtums Jhwhs, die vielfältig variiert (s.o. 2.1.1.), aber von Haus aus Himmel und Erde umfasst (wie es entsprechend etwa der Schamasch, Marduk u.a. Göttern verliehene Titel „König des Himmels und der Erde“ [šar šamê u erṣeti(m)] komprimiert ausdrückt; anders Kreuzer, 1992 und 1995). Im himmlischen Bereich ist einmal der bekannte Titel Jhwh → Zebaoth „Jhwh der (himmlischen) Heere“ hervorzuheben, der ebenfalls zum Kernbestand der Jerusalemer Tempeltheologie zählt (s. Janowski, 1993, 255f; Hartenstein, 2008, 83ff.87; vgl. den Beleg in einer Inschrift von 700 v. Chr. aus Chirbet el-Qōm [→ Chirbet el-Qōm; Chirbet el-Qom; Koordinaten: 146.104; N 31° 32' 00'', E 34° 58' 10''; Renz, 2009, 310). Er akzentuiert durch den Rückgriff auf die israelitische Himmelswelt die Mächtigkeit Jhwhs, indem er Jhwh von himmlischen Mächten umgeben darstellt.

Sodann wird Jhwh auch als (großer) König der Götter prädiziert (מֶלֶךְ גָּדוֹל עַל־כָּל־אֱלֹהִים mælækh gādôl ‘al-kål-’älohîm Ps 95,3; vgl. Ps 96,4; Ps 97,9). Die Aussage stellt das himmlische Pendant zum Königtum über die Völker bzw. die Erde dar und dürfte traditionsgeschichtlich entsprechend alt sein (vgl. im Akkadischen den häufigen Titel šar ilāni „König der Götter“); die Überlegenheit Jhwhs kann aber durch die spezifische Formulierungsweise und durch den Kontext auch polemische Züge gewinnen, die zum Teil auf jüngere Ergänzungen weisen.

Im irdischen Bereich gilt es vorab die genuin universale Erstreckung der Königsherrschaft herauszustellen, die für die Jerusalemer Tempeltheologie charakteristisch ist: „Kosmisch“ spannt sich Jhwhs Königtum „über die ganze Erde“ (כָּל־הָאָרֶץ kål hā’āræṣ; Ps 47,3.8; Ps 83,19; Ps 96,1.9; Ps 97,5.9; Ps 98,3.9; Ps 99,1; Jes 6,3; Sach 14,9 u.ö.), was in der Bezeichnung Jhwhs als „Gott der ganzen Erde“ (’lhj kl h’rṣ) in Chirbet Bēt Lajj ([Chirbet Bet Lajj]; Koordinaten: 1430.1080; N 31° 33' 50'', E 34° 55' 42''; BLay 1,1, um 700, s. Renz / Röllig, 1995/1, 245ff) ein höchst gewichtiges epigraphisches Pendant besitzt. Gegenüber einer partikularen Deutung („über das ganze Land“) erhärten sowohl die Aussagen des Kontexts als auch religionsgeschichtliche Analogien ein universales Verständnis (s. vor allem den weltweit gefassten Titel zbl b‛l ’ar ṣ „Fürst, Herr der Erde“ für → Baal in → Ugarit; KTU 1.3 1,3f u.ö., insgesamt 9-mal).

Damit korrespondiert „großpolitisch“ exakt das Königtum Jhwhs „über die Völker“ (גּוֹיִם gôjim Ps 47,9; כָּל־הָעַמִּים kål-hā’ammîm Ps 47,2; Ps 97,6; Ps 99,2; s. Ps 96,3.7.10.13; Ps 98,2.9; Ps 99,1; vgl. den Jhwh-Titel מֶלֶךְ הַגּוֹיִם mælækh hagôjim „König der Völker“ Jer 10,7). Wiewohl in Ps 96-98* die (von einem großpolitischen Ordnungsgericht Jhwhs geprägte) Völkersicht intertextuell deutlich von Deuterojesaja beeinflusst ist (s.u. 3.3.1.), lässt sich grundsätzlich eine völkerweite Konzeption des Königtums Jhwhs auch schon für die Staatszeit traditionsgeschichtlich plausibel machen und durch den epigraphischen Primärtext aus En Gedi (Z.4) um 700 v. Chr. mit hoher Wahrscheinlichkeit auch konkret belegen (s.o. 2.1.2.), sodass sich diese religions- und theologiegeschichtliche Einordnung durch „external evidence“ absichern lässt.

3.2.3.2.4. Der zeitliche Rahmen der Königsherrschaft Jhwhs. In Entsprechung zum räumlichen Universalismus wird Jhwhs Königtum auch eine temporale Umfassendheit zugeschrieben: Es besteht seit je (מֵאָז me’āz / מֵעוֹלָם me‘ôlām Ps 93,2), womit namentlich eine Verbindung zum Thema → Schöpfung in den Blick tritt: Durch die anfängliche (creatio prima) und immer wieder aktualisierte Schöpfung (creatio continua) qua Chaos-Überwindung (s. besonders Ps 93: Triumph; Ps 104: Setzung; Jes 51,9f: Kampf [s. zum Ganzen: Kratz / Spieckermann, 1999; Janowski, 2004; Janowski, 2006]) etabliert Jhwh seine Königsherrschaft (sei es, dass sie dadurch allererst begründet / aufgerichtet wird, sei es, dass sie sich darin manifest erweist). Exakt diese Konstellation zeigt sich in den traditionsgeschichtlichen Hintergründen aus der näheren und ferneren Umwelt, wenn Marduk im mesopotamischen → Enuma Elisch-Mythos und Baal im ugaritischen Baal-Epos ihr Königtum durch den Sieg über das → Chaos und die Schaffung einer stabilen Weltordnung antreten und für die Dauer festigen. Die Erschaffung und Erhaltung des Kosmos ist mithin ein genuin königliches Werk – was sich wiederum mit der Erstreckung des Königtums über die ganze Erde deckt (s.o.) –, und entsprechend zeichnen die alttestamentlichen Schöfungspsalmen Jhwh, den Schöpfer, häufig in königlicher Motivik (auch wenn מלך* mlk*-Terminologie oft fehlt): „Den prägenden Vorstellungshintergrund [sc. der Schöpfungspsalmen, M.L.] bildet dabei das Motiv vom Königsgott JHWH (Ps 74,12; Ps 104,1aβ-4 u.ö.)“ (Janowski, 2004, 971). Von dieser anfänglichen und je aktualisierten Grundlegung erstreckt sich das Königtum sodann über die Gegenwart bis in die fernste Zukunft (לְעוֹלָם lə‘ôlām Ps 29,10; vgl. Ps 93,5 u.ö.).

Innerhalb dieses Schöpfungsrahmens vollziehen sich dann die geschichtlichen Realisierungen des Königtums Jhwhs wie die Herrschaft über die Völker (s.o.) oder die Durchsetzung einer Rechts- und Gerechtigkeitsordnung, die neben der kosmischen und politischen zunehmend auch eine kultische und sozial-ethische bzw. elementar-lebensversorgende Dimension gewinnt (s.u. 3.3.3.).

Damit sind die wesentlichen Konturen der „klassischen“ Konzeption des Königtums Jhwhs erfasst, welche – trotz manch diachronen Entwicklungen im Einzelnen (s.o.) – die offizielle Jerusalemer Tempeltheologie der Staatszeit aufs Ganze kennzeichnen.

3.3. Exilisch-nachexilische Transformationen

Die Symbiose von menschlichem und göttlichem Königtum in der offiziellen Theologie der Staatszeit zerbrach mit dem Untergang der Staaten Israel und Juda. Dies zeitigte auch für das bisher präsentisch verstandene Königtum Jhwhs einschneidende Konsequenzen: Die eindringliche Frage „Ist Jhwh nicht mehr in Zion oder ihr König nicht mehr in ihr?“ (Jer 8,19) kann man gleichsam als theologisches Kondensat der Exils-Konstellation fassen. Darauf wurde in der exilisch-nachexilischen Zeit mit eindringlichen Reflexionen reagiert, deren wichtigste Konzeptionen knapp umrissen seien.

3.3.1. Die künftige weltweite Königsherrschaft Jhwhs für Israel bei Deuterojesaja

Die konsequenteste und imposanteste Reformulierung bietet → Deuterojesaja in den spätexilisch-frühnachexilischen Jahrzehnten, die dann in der prophetisch-eschatologischen Tradition weitergeführt wird (s.u. 3.3.2.). Bei Deuterojesaja erfährt Jhwhs Königtum eine Eschatologisierung (→ Eschatologie), Globalisierung und universal-partikulare Akzentuierung: Im Horizont des weltpolitischen Aufstiegs des Perserkönigs → Kyros verkündet Deuterojesaja für die nahe Zukunft visionär die anbrechende definitive, „eschatologischeHeilsvollendung für Israel. Das (ursprüngliche) Buchgefälle läuft auf Jes 52,7-10* zu, wo die Formulierung „König geworden ist und nunmehr als König herrscht dein [sc. Zions] Gott“ (מָלַךְ אֱלֹהָיִךְ mālakh ’älohājikh; qatal-x) den Akzent auf den (jedenfalls in der göttlichen Welt) erfolgten Anbruch des Königtums Jhwhs legt, der nun das irdische Geschehen unweigerlich zum Ziel führen wird. Dabei erbt Jhwhs „Messias“ Kyros (Jes 45,1) das weltliche Königsamt der Davididen, das damit im Zuge der Auseinandersetzung Deuterojesajas mit der babylonischen Leitkultur kühn globalisiert wird – in Entsprechung zum weltweiten Königtum Jhwhs über alle „Götter“ (deren Göttlichkeit bekanntlich bestritten wird) und alle Völker. Bemerkenswert ist dabei, dass als Kehrseite dieses Universalismus die partikulare Zielperspektive pointiert zugespitzt wird: Wiewohl Jhwhs Königtum den gesamten Kosmos umgreift, wird er durchwegs als König Jakobs, Israels bzw. Zions bezeichnet (Jes 41,21; Jes 43,15; Jes 44,6; Jes 52,7). Diese Fokussierung des Königtums Jhwhs auf Israel markiert eine Tendenz zahlreicher nachexilischer Texte, auch wenn Deuterojesaja und weitere Texte zugleich die Völker in die Heilsvollendung miteinbeziehen. Aufs Ganze kann man somit im erläuterten Sinne von einer deuterojesajanischen „Theologie der kommenden Gottesherrschaft“ sprechen (Zenger, 1986, 182).

Durch die Integration in das Jesajabuch ergibt sich eine neue Dynamik: Die exilische Problematisierung wird durch die Abfolge von präsentischem Königtum Jhwhs (Jes 6) und eschatologischem (Neu-)Anbruch (Jes 40-52*) literarisch eingeholt. Dasselbe trifft für die irdische Ebene zu, wenn die im Buchablauf auf die Davididen historisierten Königstexte Jes 7; Jes 9; (Jes 11) durch Jes 45 mit dem Messias Kyros fortgeführt werden. Freilich erfolgen später weitere Verlagerungen, indem das Volk Israel (Jes 55) und dann Zion (Jes 60f.) königliche Züge gewinnen, und auch Jhwh selbst wird schließlich wieder und nun allumfassend als König über Himmel und Erde seit der Schöpfung bis zur Neuschöpfung (Jes 66) dargestellt (s. Schmid, 2005 [Lit.]).

3.3.2. Die eschatologisch-apokalyptische Traditionsströmung

In nachexilischer Zeit markiert die Hoffnung auf eine künftige – mehr oder weniger nahe bzw. ferne – Durchsetzung der Königsherrschaft Jhwhs eine zentrale Strömung, die vor allem in deuteronomistischen, prophetischen und apokalyptischen Schriften vielfach weiter tradiert und transformiert wird (→ Apokalyptik). Drei kurze Schlaglichter müssen hier genügen.

3.3.2.1. Jesajabuch. Zunächst sei nachgetragen, dass auch im → Jesajabuch späte und späteste Texte eben diese Linie weiter ausbauen, wenn in die sog. kleine Apokalypse auf die von „Jhwh, unserem König“ (Jes 33,22) geprägte Heilswirklichkeit nach einem völkerweiten Gericht ausblickt und wenn die Jesaja-Apokalypse dies später zu einem kosmischen Weltgericht steigert, bei dem „Jhwh Zebaoth König geworden ist und als König herrscht auf dem Berg Zion und in Jerusalem“ (Jes 24,23).

3.3.2.2. Zwölfprophetenbuch. Als sachliche Parallele dazu präsentieren sich die Befunde im Zwölfprophetenbuch, wo Herrschaftsverheißungen zur unmittelbaren oder mit einem irdischen Herrscher kombinierten Königsherrschaft Jhwhs eine (diachron mehrphasig entstandene) prominente Themalinie konstituieren, die für die Gesamtkomposition von hohem Gewicht ist (s. bes. Mi 2,12f; Mi 4,6f, sodann Jo 4,16f.21; Ob 21; Zef 3,9-20 und schließlich im Rahmen eines „apokalyptischen“ Weltgerichts Sach 14 mit Sach 14,9.16f; s. Leuenberger, 2005 [Lit.]).

3.3.2.3. Apokalyptisches Schrifttum. Hier lässt sich dann die weitere Entwicklung im apokalyptischen Schrifttum unmittelbar anschließen. Die Thematik steht explizit nie im Zentrum, doch wird Jhwh nicht selten als König tituliert und an der (weltlichen) Durchsetzung seines Königtums gegen weltliche Widerstände ganz unterschiedlicher Art konsequent festgehalten – letztlich um der Gottheit Gottes willen (s. im Einzelnen Camponovo, 1984, 230ff; Lindemann, 1986, 196ff; Collins, 1987, 88ff).

3.3.3. Die theokratische Traditionsströmung

Die andere zentrale Hauptströmung der nachexilischen Zeit ist die theokratische. Sie sieht Jhwhs Königtum bereits in der – positiv-heilvoll qualifizierten – Gegenwart (mehr oder weniger umfassend) verwirklicht (s. dazu Dörrfuss, → Theokratie, Kap. 2.3 [mit keineswegs überzeugendem Zukunftsbezug]; Leuenberger, 2004, 87ff; 2011 [Lit.]). In ihr kann man eine strikte, unmittelbare Variante der Vorstellung von der Königsherrschaft Gottes von einer irdische Herrscher mit einbeziehenden, messianischen Variante unterscheiden.

3.3.3.1. Chronistisches Geschichtswerk. Neben der → Priesterschrift, die die Schöpfungsordnung mit der Errichtung des Heiligtums und mithin der partikularen Kultordnung für Israel vollendet sieht und auf die hier nur verwiesen sei, gilt es kurz das → chronistische Geschichtswerk (1Chr-Neh) zu erwähnen. Es zeichnet sich durch eine symbiotische Einheit von Jhwhs Königtum und dem davidischen Königtum aus: Indem die Davididen „auf dem Thron der Königsherrschaft Jhwhs über Israel sitzen“ (1Chr 28,5; vgl. 1Chr 17,14; 1Chr 29,11.23), üben sie die ewige Königsherrschaft (מַלְכוּת malkhût) Jhwhs aus (was dann in nachdavidischer Zeit – freilich etwas vorsichtiger formuliert als bei Deuterojesaja – ähnlich für Kyros gilt: 2Chr 36,23; Esr 1,2).

3.3.3.2. Danielerzählungen. Eine parallele Konstellation bieten auch die (aramäischen) Danielerzählungen (Dan 1-6*), wie vorab die hymnischen Leitpassagen (Dan 2,20ff; Dan 3,31ff; Dan 4,31ff, Dan 6,27f) paradigmatisch verdichtet ausführen: Gott lässt seine „allzeitige Königsherrschaft (מַלְכוּת עָלַם malkhût ‘ālam)“ (Dan 3,33) in der Zeitenfolge jeweils durch wechselnde (Welt-)Herrscher realisieren (s. bes. Kratz, 1991, 148ff; Seow, 2004). Erst in den folgenden (hebräischen) Buchredaktionen erfolgen dann eschatologisch-apokalyptische Umbrüche, die das irdische und das göttliche Königtum in eine sich verschärfende Opposition bringen (s. Dan 2,44; Dan 7,14.18; Dan 10-12).

3.3.3.3. Psalter. Schließlich ist der sich in nachexilischer Zeit sukzessive formierende → Psalter in seinen jüngeren beiden theokratischen Büchern IV-V ebenso wie in der vorliegenden Endkomposition konzeptionell vom Königtum Jhwhs geprägt (s. Leuenberger, 2004, 392f [Lit.]; Janowski, 2010, 301ff). Dabei lassen sich verschiedene Konzeptionen unterscheiden, die Jhwhs Königtum im Buchablauf vorab in kosmischen (Naturordnung), großpolitischen (Völkerwelt / Rechtsordnung), priesterlichen (kultische Rechtsordnung) und schließlich alltäglichen (elementare Rettung und Versorgung in Ps 101-150) Erfahrungsbereichen verorten; dabei wird auch die räumliche und zeitliche Universalität der Königsherrschaft Jhwhs im Einzelnen durchbuchstabiert. Der theologische Höhepunkt und Schlussakzent des Psalters wird dann im kunstvoll aufgebauten Hymnus Ps 145 erreicht:

V. 1 Ich will dich erhöhen, mein Gott und König, / und deinen Namen loben für immer und ewig. (…) V.13 Dein „Reich“ ist ein „Reich“ für alle Zeiten, / und deine Herrschaft währt von jedem Geschlecht zu Geschlecht.

Der Beter preist Jhwh neu als seinen persönlichen Gott und König (vgl. Ps 5,3; Ps 44,5; Ps 74,12). Die in dieser Anrede zu Tage tretende (keineswegs exklusiv gefasste) „Individualisierung“ von Jhwhs Königsherrschaft repräsentiert eine weitere wichtige Tendenz der Spätzeit, welche gleichsam die oben beobachtete Israelitisierung verlängert, zugleich jedoch im Prinzip auch für fromme Beter aus den Völkern offensteht. Zugleich gewährleistet nämlich Jhwhs universale Königsherrschaft nunmehr eben für „alles Fleisch“ (Ps 145,21) eine elementare Wohlordnung zu allen Zeiten.

3.3.4. Ausblick auf weitere frühjüdische und neutestamentliche Schriften

Die beiden skizzierten Optionen eines theokratisch-gegenwartsbezogenen und eines eschatologisch-zukunftsbezogenen Königtums Jhwhs bilden natürlich idealtypische Modelle, zwischen denen es in den literarischen Corpora de facto zahlreiche Mittelpositionen gibt. Diese theokratisch-eschatologischen Mischformen mit ihren vielschichtigen Schattierungen lassen sich in den frühjüdischen Schriften breit verfolgen (s. bes. Camponovo, 1984, die Beiträge in Hengel / Schwemer [Hgg.], 1991 und zu Qumran Leuenberger, 2012b [Lit.]). Das prominenteste Beispiel stellt bekanntlich das im Zentrum der Verkündigung Jesu von Nazareth stehende → Reich Gottes (βασιλεία τοῦ θεοῦ basileia tou theou) dar, dessen (weniger bekanntes) maßgebliches traditionsgeschichtliches Fundament die Konzeption von der Königsherrschaft Jhwhs (מַלְכוּת יְהוָה malkhût Jhwh) im Psalter bildet.

4. Zur theologischen Bedeutung der Vorstellung vom Königtum Jhwhs

Die Vorstellung vom Königtum Jhwhs bzw. von der Königsherrschaft Gottes zählt (trotz der bescheidenen Belegbasis von jhwhbezogenem מלך* mlk* in der Hebräischen Bibel) zu den basalen Theologumena der Bibel, wie der ausgesprochen weite traditionsgeschichtliche Durchgang in Kap. 2 nicht nur für die Staatszeit, sondern auch für die eschatologischen und theokratischen Traditionsströmungen, welche in der Literatur aus der Zeit des zweiten Tempels unter Einschluss der synoptischen Evangelien dominant sind, skizziert hat.

Wenn die Hebräische Bibel aufs Ganze von der beziehungsvollen Geschichte Jhwhs mit Israel im Kreis der Völker (unter Einschluss des Individuums) in der Geschichte der Welt handelt, dann kann die Vorstellung von Jhwhs Königtum als eine exemplarische – und zumindest in der alten Welt unentbehrliche – Konkretion gelten. Die soziomorphe Metaphorik bestimmt die Relation des Königs Jhwh und seiner Herrschaft zur Götter- und Menschenwelt prägnant als zweiseitiges, aber eben hierarchisch-asymmetrisches und nicht paritätisch-symmetrisches Verhältnis: Die Überlegenheit Jhwhs und seiner Herrschaft wird verbalisiert und sprachlich zum Ausdruck gebracht; dabei handelt es sich – wie immer man die pragmatische Funktion der Metaphern im Einzelfall bestimmt – in der Regel um das sprechende Subjekt mit einbeziehende hymnische Prädikationen in poetischer Sprache und nicht um „objektive“ Aussagen in deskriptiver Sprache.

Hermeneutisch und theologisch leistet die soziomorphe Grundmetapher des Königtums Jhwhs auf diese Weise eine religiöse Symbolisierung der (Himmel und Erde umfassenden) Wirklichkeit, die sich für die biblischen Autoren als unentbehrlich erwiesen hat – und wohl auch in der (post)modernen Welt auf theologisch unaufgebbare Dimensionen des Gottesverhältnisses aufmerksam macht.

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  • Wagner, T., Gottes Herrschaft. Eine Analyse der Denkschrift (Jes 6,1–9,6) (VT.S 108), Leiden 2006
  • Welten, P., Königsherrschaft Jahwes und Thronbesteigung, VT 32 (1982), 297-310
  • Willmes, B., Das Königtum Gottes in den Psalmen auf dem Hintergrund kanaanäischer Mythologie, in: H. Irsigler (Hg.), Mythisches in biblischer Bildsprache. Gestalt und Verwandlung in Prophetie und Psalmen, Freiburg u.a. 2004, 103-133

Abbildungsverzeichnis

  • König Sethos I. – kniend mit Krone und Krummszepter – wird von dem Gott Amon gekrönt und mit dem Lebenszeichen gesegnet (Karnak; 14. Jh.). Aus: R. Lepsius, Denkmäler aus Ägypten und Athiopien, Berlin 1849-1858, Bd. VI, Taf. 124d
  • König Ahiram von Byblos thront auf einem Kerubenthron (Sarkophag Ahirams; um 1000 v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Der thronende Gott Schamasch stattet König Hammurabi, der ihn grüßt / segnet, mit den Herrschaftsinsignien des Stabs und des Rings aus (Babylonien; 18. Jh.). Aus: Wikimedia Commons; © public domain; Zugriff 30.10.2009
  • Der babylonische König Nabuaplaiddina, die Rechte zum Segensgruß erhoben, wird von Schutzgottheiten vor den Sonnengott Schamasch geführt, der über dem Himmelsozean thront (Bauurkunde; 9. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Thron(wagen) mit einem Götterpaar (BIBEL+ORIENT Datenbank Online). Aus: O. Keel / Chr. Uehlinger, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg 5. Aufl. 2001, Abb. 395; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Leerer Thron unter einer geflügelten Sonnenscheibe (Siegel; 9. Jh. v. Chr.). Aus: Keel, Geschichte, 2007, 304 Abb. 191; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Das Weltbild der Jerusalemer Tempeltheologie mit Jhwh als Königsgott. © Martin Leuenberger

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