Levi / Leviten
(erstellt: August 2014)
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Levi ist einer der 12 Söhne → Jakobs
1. Zur Etymologie von „Levi / Leviten“
Levi ist der dritte Sohn → Jakobs
Diese Leerstelle wird erst in der frühjüdischen Literatur gefüllt. Jub 31,16 erklärt den Namen Levi als „der dem Herrn anhängt“. Berger (1981, 478) sieht darin eine Anspielung an den Begriff לִוְיָה „Kranz / Krone“ und interpretiert Levi als ein maskulines Pendant zur Weisheit als Krone der Schöpfung (vgl. Spr 1,9
Etymologische Namensdeutungen bietet das frühjüdische Aramäische Testamentum Levi (ATL 11,2-9; vgl. Labahn 2010, 61f) auch für die drei berühmten Levitensöhne Kehat, Gerschom und Merari (alttestamentlich belegt u.a. in Gen 46,11
2. Leviten – Volksstamm oder Priestergruppe?
Schon Wellhausen (1927, 140f) stellte eine Diskrepanz zwischen einer funktionalen und genealogischen Größe „Levi“ fest. Da er annahm, dass der Stamm Levi schon früh untergegangen und die Leviten als Priester erst später greifbar seien, sah er kein Verbindungsglied zwischen beiden.
Bis heute ist sich die Forschung hinsichtlich der Priorität der einen oder anderen Größe nicht einig. Einige Forscher meinen, dass der Name Levi zunächst eine genealogische Bestimmung war und sich später zu einer Funktionsbezeichnung entwickelt hat (vgl. z.B. Schreiner 1961, 994; Cody 1969, 33-59; Fohrer 1986, 336; Auerbach 1992, 236.241; Blenkinsopp 1995, 85.93; Dahmen 1996, 382f.398-401). Andere sehen „Levit“ zunächst als eine Bezeichnung von Priestern oder Tempelpersonal, die später mit einer genealogischen Zuordnung zum Erzvater Levi verknüpft worden ist (vgl. z.B. Mowinckel 1929, 1601f; Maier 1969, 223; Willi 1999, 91.95f; Levine 1987, 523; Achenbach 2002, 294). Möglicherweise ist von zunächst getrennten Größen auszugehen, die später verknüpft wurden, vielleicht auch nur aufgrund einer zufälligen Namensgleichheit (Thesen bei Kellermann 1984, 506-510).
Eine Verknüpfung von genealogischer Grüße und funktionaler Bestimmung bietet Dtn 18,1
3. Leviten in vormonarchischer Zeit
Für die frühe Zeit ist die Quellenlage – wie bei anderen alttestamentlichen Themen – sehr dünn. So liegen die Anfänge der Leviten weitgehend im Dunkeln (vgl. Levine 1987, 523; Blenkinsopp 1995, 75). Dennoch sind verschiedene Vorschläge dafür, wie und wo Leviten in der vormonarchischen Zeit gewirkt haben könnten, unterbreitet worden. Die meisten Thesen gehen im Grundsatz davon aus, dass Leviten zunächst monofunktional waren und erst später weitere Aufgaben angelagert wurden.
Eine These fokussiert sich auf gewaltsame Aktionen bewaffneter Leviten: Gen 34,25f
Ein anderes Urteil betrachtet Leviten zunächst als Medizinmänner mit spezifischen medizinischen Fachkenntnissen (Meyer 1906, 88f). Eine Variation dazu sieht sie wie Schamanen (Henning-Hess 1997, 84f.90).
Noch anders lauten Vorschläge, Leviten in einflussreichen dörflich-tribalen Kreisen einzuordnen. Ein weiteres Modell sieht in ihnen ein kulturelles Phänomen (Schulz 1987, 8f). Dem steht das Modell von Dahmen nahe, der annimmt, dass Leviten „intertribale Schlichtungsfunktionen im ländlichen Bereich“ ausübten (Dahmen 1996, 370.372). Eine ähnliche Vorstellung leitet Polk, der aus Ri 17 wesentliche Merkmale für ein angeblich frühes Auftreten von Leviten erhebt; dazu zählt er die Zugehörigkeit zu einem Stamm, das Auftreten als „Fremder“ (גֵּר), eine privilegierte Zugehörigkeit zur Priesterschaft an einem bestimmten Heiligtum sowie offizielle Funktionen in einer den Stämmen übergeordneten Versammlung (קָהָל) mit Schlichtungsbefugnissen (Polk 1979, 4).
Ferner findet sich die These, dass Leviten zunächst als Priester an einem oder mehreren Heiligtümern im Nordreich tätig waren und von dort nach Juda eindrangen. Im Einzelnen wurden verschiedene Heiligtümer vorgeschlagen, z.B. → Bethel
4. Hatten die Leviten Landbesitz?
Unterschiedliche Referenzen im Alten Testament finden sich auch hinsichtlich der Frage nach Landbesitz und Siedlungsräumen von Leviten.
Als Stamm ohne eigenen Landbesitz gilt einerseits, dass den Leviten kein Siedlungsraum zusteht. Deswegen werden ihnen als Ersatz 48 Städte auf den Stammesgebieten sämtlicher übriger Stämme zugewiesen; sie erhalten damit Wohnraum einschließlich der dazu gehörigen Weideflächen im Umkreis von 1 km um die Städte, sog. „Levitenstädte“ (Jos 21,1-42
Andere alttestamentliche Belege schreiben den Leviten Grundbesitz in Juda zu (Num 2,17
Dies reibt sich mit Belegen der deuteronomisch-deuteronomistischen Tradition, nach denen von den Leviten Landbesitzlosigkeit gefordert wird (so Dtn 10,9
Diachrone Lösungsansätze (z.B. Strauss 1960, 134ff) oder Harmonisierungen (z.B. Gunneweg 1965, 65) versuchen eine Priorität auf die eine oder andere Position zu legen.
Eine weitere Vorstellung zu Wohnverhältnissen von Leviten bietet eine Art temporäres Migrationsmodell; demnach wohnen Leviten während ihrer Dienstzeit am Tempel in Jerusalem, während sie die übrige Zeit des Jahres auf ihrem Landbesitz in Juda zubringen (vgl. 1Chr 9,27
5. Leviten in bestimmten Literaturbereichen des Alten Testaments
5.1. Ein Levit als Priester aus Bethlehem in Ri 17-18
Das Richterbuch kennt nur einen Leviten, der gemäß Ri 17,7-13
Die komplexe Erzählung Ri 17-18 besteht aus zwei ursprünglich selbstständigen Geschichten: einer relativ alten ephraimitisch-levitischen Lokalüberlieferung (Ri 17,1-5
Der Levit ist zweifelsfrei ein Priester mit priesterlicher Kleidung und in Ausübung priesterlicher und divinatorischer Funktionen in Haus- und Lokalkulten. Dieser vor-deuteronomische Priesterdienst eines Leviten zeigt noch eine gewisse Offenheit und befindet sich damit auf einer früheren Entstehungsstufe als die Belege aus dem Deuteronomium.
5.2. Leviten in der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur
5.2.1. Deuteronomium
5.2.1.1. Der „Levit in deinen Toren“. Im → Deuteronomium
Dieser „Levit“ wird entweder einem frühen Entwicklungsstadium, einer Sammlung von Gesetzestexten im Deuteronomium zugeordnet, die man als erste „deuteronomische Sammlung“ (Rose 1994, 19f.23-26) bezeichnet, oder dem Deuteronomistischen Historiker, dem Erstverfasser des Deuteronomistischen Geschichtswerks (DtrH; Veijola 2004, 265 [vgl. 3f]), zugewiesen (→ Deuteronomismus
5.2.1.2. „Levitische Priester“. Dem Deuteronomium ist eigen, dass hier spezifisch von „levitischen Priestern“ (הַכֹּהֲנִים הַלְוִיִּם) die Rede ist (Dtn 17,9
Aus der Formel „levitische Priester“ (הַכֹּהֲנִים הַלְוִיִּם) wurden verschiedene Modelle zum Verhältnis von Leviten und Priestern im Deuteronomium abgeleitet. Grundsätzlich gilt, dass die Doppelwendung eine Gleichstellung von Leviten (als levitische Priester im Speziellen) und Priestern (im Allgemeinen ohne genealogische Spezifikation) ausdrückt. Dahinter kann sich ein Reflex der Wirklichkeit kundtun, insofern Priester verschiedener Herkunft nebeneinander in gleicher Stellung tätig waren. Alternativ kann man darin aber auch eine Forderung nach Durchsetzung einer Gleichbehandlung sehen; in dem Fall würde von den Verfassern des Deuteronomiums eine Gleichbehandlung gefordert, weil sie im tatsächlichen Kultbetrieb nicht vorhanden war (Wright 1954; Abba 1977; Rose 1994, 88f: über Ortsheiligtümer, insbesondere im Nordreich). In der Folge davon wäre mit rivalisierenden Kreisen von Priestern zu rechnen (Veijola 2004, 239f).
Ein anderes Modell geht davon aus, dass es „levitische Priester“ erst nach der Kultzentralisation durch den judäischen König → Josia
Eine andere These besagt, dass das Deuteronomium eine Levitisierung der Priester fordere, d.h. „Priester können und sollen nur Leviten sein“ (Gunneweg 1965, 77). Möglich ist, dass dies erst eine Neubewertung einer spät-deuteronomistischen Redaktionsschicht ist (Veijola 2004, 2-5. 239-241 u.ö.; Otto 1999; Achenbach 2002; Dahmen 1996, 13.382.383.398-401). Erst diese stellt genealogische Verknüpfungen her (z.B. Dtn 18,1
Deswegen werden die Leviten auch ermächtigt, die → Lade des Bundes
5.2.2. Deuteronomistische Rezeptionen
5.2.2.1. Josuabuch. Zweimal ist im → Josuabuch
5.2.2.2. Jeremiabuch. Zwei Belege für „levitische Priester“ (הַכֹּהֲנִים הַלְוִיִּם) finden sich noch im → Jeremiabuch
5.2.2.3. Ezechielbuch. Im sog. Verfassungsentwurfs des → Ezechielbuches
5.2.2.4. Samuel- und Königebücher. In den → Samuelbüchern
5.2.2.5. Esra-Nehemia-Buch? Auffälligerweise beschränkt sich die Wendung „levitische Priester“ (הַכֹּהֲנִים הַלְוִיִּם) auf das Deuteronomium und einige wenige Stellen in deuteronomistischen redaktionellen Passagen. Dies ist gegenüber Kyung-Jin Min festzuhalten, der die Wendung auch im → Esra-Nehemia-Buch
5.3. Leviten in der Priesterschrift und ihrer Rezeption
5.3.1. Priesterschrift
5.3.1.1. Leviten im Tempeldienst. Der → Priesterschrift
So wird auch die Erklärung gegeben, dass die Leviten den aaronidischen Priestern „gegeben“ sind (Num 3,6
Diese hierarchische Einteilung liegt bereits in den frühen priesterschriftlichen Aussagen vor (oftmals bezeichnet als PG) und ist später in weiteren kultrechtlichen Regelungen im Detail ausgebaut worden (in Zusätzen, oftmals bezeichnet als PS).
Dass dieses Verhältnis jedoch nicht reibungslos war, zeigt ein Bericht über einen Konflikt zwischen Priestern und Leviten, der in Num 16 gespiegelt ist, nämlich der vermeintliche Aufruhr, den → Korach
Eine eigene Aufgabe wird den Leviten mit dem Transport des Zeltheiligtums bzw. der → Stiftshütte
Die Priesterschrift gibt vor, dass die Leviten im Alter zwischen 30 und 50 Jahren ihren Dienst verrichten sollen (Num 4). Später wird der Beginn auf 25 Jahre herabgesetzt (Num 8,23-26
5.3.1.2. Genealogische Angaben zu Leviten. In der Priesterschrift mit ihrem Interesse an Familienstrukturen (vgl. die מִשְׁפְּחֹת) und Listen finden sich auch genealogische Angaben über Levi und die Leviten. So wird die Abstammung Levis von Jakob und Lea festgehalten (vgl. Gen 29,31-35
Eine späte und singuläre Levitisierung Aarons gibt die Priesterschrift in Ex 4,14-16
5.3.2. Rezeptionen des priesterschriftlichen Systems
5.3.2.1. Leviten als Teil des fünfgliedrigen Tempelpersonals in Esr/Neh. Das Esra-Nehemia-Buch knüpft an das priesterschriftliche System des hierarchisch strukturierten Tempelpersonals an (vgl. Esr 1,5
Spezifisch an diesen Listen des fünfgliedrigen Tempelpersonals ist einerseits die Erwähnung von Tempelsklaven (Esr 2,40-43
5.3.2.2. Leviten und zadokidische Priester in Ez 40-48. Im nach-ezechielischen Verfassungsentwurf, Ez 40-48, begegnen zwei Gruppen des Tempelpersonals: Leviten und (zadokidische) Priester (zur genealogischen Angabe als Zadokiden vgl. Ez 48,11
5.3.2.3. Leviten und Priester als Teil der zukünftigen Welt in Jes 66,20-22. Dass Priester und Leviten Teil der zukünftigen neuen Weltordnung sein werden, um auch hier im Tempel zu dienen, wird in Jes 66,20-22
5.4. Leviten in der Chronik und ihrer Rezeption
5.4.1. Chronik
Das vielfältigste und profilierteste Levitenbild im Alten Testament bietet die → Chronik
In den frühesten Belegen begegnen die Leviten als Tempelbedienstete im clerus minor (vgl. 1Chr 9,26b-34
Gelten die Sänger / Musiker (1Chr 6,16-18
In der weiteren Entwicklung wird den Leviten im Rahmen der Tempelfunktionen die Möglichkeit zugesprochen, selbstständig Opfer darzubringen (1Chr 23,18b
Die Leviten gelten für die Chronik deswegen als „heilig“ (vgl. 2Chr 23,6
Einen Schritt weiter gehen die folgenden Redaktionsstufen der Chronik, wenn die Leviten nunmehr aus dem eigentlichen Tempelbereich herausgerückt werden. Bestimmt die Chronik die Leviten als Schreiber, so werden sie in unterschiedlichen Funktionsstellungen und auf verschiedenen Ebenen der Verwaltung eingesetzt. Im Einzelnen werden genannt: Schreiber (1Chr 24,6
Wesentlich ist dabei, dass die Chronik den Leviten Funktionen in der Administration zuweist, die in der Mehrheit im Verwalten von Abgaben bestehen (2Chr 24
Auf der letzten Redaktionsstufe werden die Leviten schließlich als Propheten (1Chr 23,14
Um die heterogene multi-funktionale Gruppe der Leviten zusammenzuhalten, gestaltet die Chronik ausgefeilte Strukturen von linearen und segmentären genealogischen Verknüpfungen (Labahn 2012, 310-365). Die linearen Genealogien führen die Leviten auf den Stammvater Levi und seine prominenten Nachkommen Kehat, Merari und Gerschom zurück (→ Genealogie
Die Chronik positioniert die Leviten in einem gesellschaftlichen Umfeld, das von konkurrierenden Ansprüchen um sakrale und profane Funktionsstellungen geprägt ist. Indem die Leviten in zentrale Bereiche eingesetzt werden, gibt die Chronik ihre Antwort auf rivalisierende Verhältnisse und Machtansprüche. Man wird deswegen die Verfasser der Chronik auch in der Gruppe der Leviten zu suchen haben (Oeming 1990, 46; Glessmer 1994, 132; Davies 1998, 131; Willi 1999, 90-95; Schweitzer 2007, 13; Labahn 2012, 375f).
5.4.2. Rezeptionen des Levitenbildes der Chronik
5.4.2.1. Schriftinterpretation. In Neh 8,7f
In dem späten Abschnitt Mal 2,4-8
Auch in → Psalmen
5.4.2.2. Sängertraditionen und Kultmusik. Eine weitere Traditionsspur des Levitenbildes der Chronik führt zur → Musik
Die Mehrheit der Belege, die Leviten mit Musik im Tempel in Verbindung bringen, ist allerdings in den Psalmen zu finden. Dort werden vornehmlich in den Psalmenüberschriften die berühmten Levinachkommen → Korach
Möglich ist, dass eine Gruppe von Leviten, die sich insbesondere auf Asaf als ihren prominenten Eponymen zurückführt, am Zweiten Tempel auch „für die Autorisierung wie Aufführung dieser Psalmen“ zuständig war (Weber 2001, 133). Daraus entsteht eine spezielle Form von Tempelsängern und Musikern im Jerusalemer Kult, insofern ihnen die liturgische Interpretation der Schrift zugeschrieben wird, indem sie die Geschichte für die kultische Erinnerung aktualisieren und als Gotteshandeln deuten.
Dabei werden auch weitere Traditionen wie z.B. die → Zionstheologie
6. Leviten in der frühjüdischen Literatur
Rezeptionen des Levitenbildes der Chronik finden sich auch in einigen frühjüdischen Schriften, wobei spezifische Aspekte weitergeführt werden. Die relevanten frühjüdischen Texte sehen Levi und die Leviten in Handlungseinheit weitgehend zusammen, wobei die Nachkommen Levis die gleiche Wertschätzung wie der Erzvater erhalten und seine Rolle(n) fortsetzen. Geregelt wird dies über testamentarische Verfügungen (vgl. TestLev 1,1; 4,4; 19,1f), insofern die göttlichen Gaben von Levi auf seine Nachkommen übergehen.
6.1. Die exponierte Stellung Levis und der Leviten
Für das Aramäische Testamentum Levi (ATL) ist prägend vor allem die Nähe Levis und der Leviten zu Gott (ATL 6,5), die szenisch oder theologisch eingeholt wird (Kugel 1993, 37-40; Labahn 2010, 51-68). Levi befindet sich im Traum räumlich bei den Engeln und den Heiligen Gottes; er schaut in den Himmel oder betritt den Himmel (ATL 3,10; 4,4ff; vgl. 4Q213a Frg. 1). Dem korrespondiert, dass Levi und ihm nachfolgend die Leviten Priesterdienste ausüben, womit sie Gottes Nähe kultisch realisieren (ATL 3,17; 5,3f.8; 6,2; 7,1-7; 12,8; 4Q213a Frg. 5; 4Q214b; 4Q541 Frg. 9 und 12).
Die spätere griechische Variante, das Testament Levi in den → Testamenten der Zwölf Patriarchen
Im → Jubliäenbuch
Die Tempelrolle (→ Qumran-Schriften
6.2. Gesetzesinterpretation
Die Tempelrolle als rewritten doucment interpretiert die Schrift bzw. Tora (vor allem das Deuteronomium). Aufgrund der Positionierung der Leviten im Entwurf spricht vieles dafür, dass die Tempelrolle eine levitische Gesetzesinterpretation vornimmt und ein tempelbezogenes Identitätsangebot für die Leviten unterbreitet (Labahn 2010, 28f.45.48).
Im Aramäischen Testamentum Levi gilt Levi als Knecht Gottes und Geliebter Gottes, ausgezeichnet durch Weisheit (ATL 3,6.16f; 13,2.9-12; vgl. 4Q213a Frg. 1; 4Q541 Frg. 1). Deswegen werden Levi und den Leviten die Observanz (ATL 13,2-6; vgl. 4Q213 Frg. 4) und Interpretation der Gesetzes zugeschrieben (ATL 13,4; 4Q213 Frg. 2), was auch eine zukunftsweisende Relevanz hat (Greenfield / Stone 1996, 18-20: eschatologisch verstanden).
Eine göttliche Legitimation durch den Besitz von Weisheit (TestLev 13; vgl. 4,5; 8,2) und Kenntnis der Gesetze (TestLev 9,6; 13,2; TestRub 6,8; vgl. TestLev 19,2f) wird den Leviten auch in den Testamenten der Zwölf Patriarchen zugeschrieben. Deswegen wird ihnen in ihrer Rolle als Schriftgelehrte (γραμματεῖς) die Interpretation der Gesetze aufgetragen. Damit werden ferner prophetische Funktionen (TestLev 8,2) verknüpft, was in Entsprechung zur Chronik wohl auch als aktualisierende Deutung der Schrift zu verstehen ist.
Auch im Jubiläenbuch werden den Leviten die Wortvermittlung und die Schriftinterpretation zugeschrieben (Jub 31,15; 45,16; vgl. 4Q159 Frg. 5; 4Q175 14-18; dazu Brooke 2005, 120). Daraus wurde abgeleitet, dass das Jubiläenbuch in levitischen Verfasserkreisen entstanden ist (Schwarz 1982, 20; Brooke 2005, 119, mit Verweis auf 1Q22; Labahn 2012, 124f.128f), in deren Autorität die Bewahrung und legitime Interpretation der Schrift liegt.
Da die Leviten im Hinblick auf die Schriftinterpretation ein ähnliches Profil wie die Pharisäer aufweisen, wurde vermutet, dass Leviten später in die Pharisäer integriert wurden (Schaper 2000, 300-308; vgl. Maier 1969, 257; Hengel 1988, 557f.563; Gussmann 2008, 58f; Labahn 2012, 155-159). Diese These wird dadurch unterstützt, dass beide Gruppen durch eine Flexibilität in der Integration neuer Gruppenmitglieder gekennzeichnet sind (für die Pharisäer: Deines 1997, 551-554; für die Leviten, genealogisch konstruiert: Labahn 2012, 361-365).
6.3. Rechtsprechung
In einigen frühjüdischen Schriften wird den Leviten die Rechtsprechung zugewiesen. Besonders deutlich ist dies in der Tempelrolle zu finden (11Q19 57,18-21; 61,15-16), doch auch das Aramäische Testamentum Levi setzt sowohl Levi als auch die Leviten als Richter ein (ATL 13,4.16; 4Q213 Frg. 2).
Ferner werden Herrschaftsaspekte betont. So werden im Aramäischen Testamentum Levi die Leviten auch als Anführer (ATL 13,4.16; 4Q213 Frg. 2) und Könige (ATL 13,6) eingesetzt. Analog ist von drei Herrschaftsformen (ἀρχαί) als Priester (s.u. 6.4), Richter und Schriftgelehrte in den Testamenten der Zwölf Patriarchen die Rede (TestLev 8,11-17; vgl. TestRub 6,7-12; vgl. Kugel 1993, 43.46; Labahn 2010, 79-84). Damit verknüpft werden auch Aspekte von militärischer (TestLev 5,3; 6,1; 8,2; TestSim 5,5) und königlicher Macht. Den Leviten werden damit Herrschaftsrollen in Wahrnehmung indirekter Macht zugeschrieben.
Analoge Herrschaftsformen von Leviten kehren im Jubiläenbuch wieder: Richter, Lehrer, Propheten, Anführer und Könige. Diese Herrschaftswahrnehmung ist jedoch national auf das Volk Israel begrenzt. Die Herrschaftsausübung der Leviten wird dabei an den Maßstäben Gottes ausgerichtet (Jub 5,16; VanderKam 2001, 121f), insofern Gerechtigkeit als oberstes Prinzip leitend sein soll.
6.4. Priesterdienste und Opferschlachten
Ein Spezifikum der frühjüdischen Belege ist, dass Levi und seine Nachkommen zu Priesterdiensten eingesetzt werden. Befähigt und legitimiert durch eine göttliche Beauftragung bilden die Leviten damit die Priester. Wie schon im Aramäischen Testament Levi (ATL 13,6) werden auch in den Testamenten der Zwölf Patriarchen aus der Nähe Levis zu Gott sein Priestertum (sogar mit dem Begriff ἀρχιερεῖς) und Kultdienst abgeleitet (TestLev 2,10; 4,2; 5,2; 8,2-10; 8,13; 9,3.7f.11-14; 12,5; 17,1-9; TestJud 21,2f; TestIss 5,7; TestRub 6,8). Dieser Priesterdienst wird als irdische Repräsentation Gottes gedeutet.
Auch im Jubiläenbuch ist von der Einsetzung Levis zum Priester die Rede; seine Nachkommen folgen ihm im Priesteramt (Jub 30,18f; 31,13-17; 32,1-9; 45,16; dazu Labahn 2010, 100-130). Sowohl über Levi als auch die Leviten wird das theologische Urteil einer Erwählung durch Gott zum Priesterdienst gefällt (Jub 30,18f). Sie stehen mit ihrem Dienst im Tempel in unmittelbarer Nähe zu Gott, unter seinem Segen und unter göttlicher Autorität. Sind die Leviten im Jubiläenbuch durch Eifer für Gerechtigkeit und Heiligkeit charakterisiert, so fällt zeitlich unbegrenzter göttlicher Segen auf sie und ihr Amt. So kommt ihnen auch die Rolle zu, den sog. → aaronitischen Segen
Hinsichtlich der den Leviten zugesprochenen Funktionen des Opferschlachtens knüpft das Bild der Tempelrolle an die Chronik an. Die Leviten bringen Speisopfer und Trankopfer dar, während die Priester am Altar den Blutritus vollziehen (11Q19 22,10-16; 11Q20 5,25 Frg. 10 i, 11).
Aufgrund der genealogischen Verknüpfung der Priesterdienste mit Levi findet sich in der Literatur auch die Rede von der „Levitisierung des Priestertums“ (d.h. der Aaroniden und Zadokiden). Diese Angabe ist allerdings als eine ideologische Legitimation zu sehen, die in späteren Machtkämpfen der jüdischen Priesterdynastien (Hasmonäer, Oniaden, Tobiaden) zur Durchsetzung verschiedener Ansprüche benutzt wurde. Die Einsetzung Levis und der Leviten zu idealen Priestern lässt sich als ein Alternativmodell verstehen, das ein eigenständiges Identitätsangebot auf die Frage von konkurrierenden Priesterfamilien um einen legitimen Anspruch auf das Hohepriesteramt und seinen Einfluss unterbreitet (Hultgård 1980, 94; Labahn 2012, 128f.155-157).
6.5. Levi und die Leviten als Träger eschatologischer Hoffnung
Die Testamente der Zwölf Patriarchen entwickeln ein eschatologisches Konzept einer zukünftigen Heilsfigur, die auf Levi als idealem Priester, auf dem der Geist der Einsicht des Herrn (πνεῦμα συνέσεως κυρίου) und der Herrlichkeit des Höchsten (δόξα ὑψίστου) ruhen (vgl. TestLev 2,3; 18,7), aufbaut. Der Hoffnungsträger wird als Lichtgestalt gekennzeichnet und zu einer eschatologischen Rettergestalt ausgebaut (TestLev 4,3f; TestNaph 8,1-3; TestRub 6,11; TestSim 7,1; vgl. TestGad 8,1; de Jonge 1991).
Als Nachkommen Levis werden auch die Leviten, die als Lichtbringer charakterisiert werden (TestDan 5,10-13; TestJos 19,11; TestLev 4,3; 14,3; Test Seb 9,8; vgl. TestLev 18,3f.8f; 24,1), zu Hoffnungsträgern.
Literaturverzeichnis
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