Friede / Schalom
(erstellt: März 2011)
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1. Der alttestamentliche Friedensbegriff – seine Etymologie und Semantik im antiken Umfeld
1.1. Lexeme für „Frieden“ in der altorientalischen Welt
1. Ägypten. Im Ägyptischen grundlegend sind die beiden Verbalausdrücke ḥtp und hrw, die auch in ihrer nominalen Variante ungestörte Zufriedenheit und Glück (vgl. auch wḏ3) als einen im Wesentlichen innenpolitischen Zustand zum Ausdruck bringen (Helck, 331), der in der uranfänglich-göttlichen Ordnung der Welt begründet ist und von jedem Pharao in Natur (Fruchtbarkeit) und Gesellschaft (Recht und Gerechtigkeit) hergestellt werden muss (Schmid, 1971, 13-27). Die Außenpolitik ist in Ägypten als Friedensgeschehen nur selten im Blick. Wenn das aber der Fall ist, dann geht es nicht um politisches Einvernehmen, sondern um Unterwerfung, wie z.B. in der → Merenptah-Stele
2. Mesopotamien. Dass „Friede“ außenpolitisch Beherrschung der Feinde bedeutet, trifft auch für Mesopotamien zu, wo ebenso wie in Ägypten Friede eine Ordnungsgestalt im kosmischen und gesellschaftlichen Zusammenhang ist, die von König und Tempel garantiert und aufrechterhalten werden (Schmid, 1971, 27-44). Wie umfassend das Bedeutungsspektrum ist, zeigen die mit der hebräischen Wurzel šlm verwandten Lexeme: Das akkadische Verbum šalāmu II bedeutet ganz allgemein „unversehrt, heil, gesund sein / werden“ (AHw II, 1143-1145) im körperlichen und sachlichen Zusammenhang, wobei oft der Gedanke mitschwingt, dass der erwartete Zustand vollständig ist oder wird und auch erhalten bleibt. Entsprechend weist das Nomen šulmu auf Unversehrtheit und Vollständigkeit im Rahmen von Gesundheit und Wohlergehen hin und kann das implizit nicht zuletzt als „Gruß“ zum Ausdruck bringen (AHw II, 1268f), wie auch šulmānu die Begrüßung und ein entsprechendes Geschenk von König zu König fixieren kann (AHw II, 1268). Stärker politisch ausgerichtet ist die Sekundärwurzel salāmu II, bei der es um eine friedliche Versöhnung mit Göttern, aber auch mit Menschen gehen kann. Wenn jedoch Friedensangebote und -schlüsse auf Herrscherebene gemeint sind, steht das entsprechende Nomen salīmu (AHw II, 1015f), das vor allem den politischen Freund (bēl salīmi) vor Augen hat.
3. Syrien. Dem semantischen Spektrum der semitischen Wurzel šlm entspricht auch die Verwendung in den Texten der syrischen Hafenstadt → Ugarit
1.2. „Schalom“ und sein Wortfeld im Hebräischen
Gegenüber älteren Versuchen, das 237-mal bezeugte Nomen שָׁלוֹם šālôm als Primärnomen aufzufassen, wird heute eher die Verbalwurzel šlm als Basis verstanden (Gesenius, 18. Aufl., 1367f), die in den unterschiedlichen Verbalstämmen das gesamte Spektrum der altorientalischen „Friedens“-Vorstellungen erfasst, also personelle und sachlich integere Zustände bzw. deren Wiederherstellung vereinigt und konkret im Hif‘il-Stamm auch eine politische Bedeutung hat, wenn es darum geht, Frieden zu schließen oder zu erhalten (Dtn 20,12
Angesichts der semantischen Breite macht es wenig Sinn, eine Art formale Grundbedeutung des Nomens anzunehmen und die dann in einer „Ganzheit“ (Eisenbeis, 1969, 353-358) oder einer zufriedenstellenden „Genugtuung“ (Gerleman, 1973) zu sehen. Beides sind Aspekte, die in der komplex-semantischen Fülle auch eine Rolle spielen, aber nicht immer die Bedeutung mitprägen. Schon eher – im Grunde genommen scheint aber auch das eine Engführung zu sein – ist die Annahme berechtigt, als semantische Basis ein „Wohlbefinden“ (von Rad, 400) bzw. ein kollektives Wohlergehen (Westermann, 1974, 198-203) anzunehmen. Aber auch damit wird verdeckt, dass es oft nicht um einen Zustand, sondern um Verhältnisbestimmungen (vgl. z.B. 1Kön 5,26
„Schalom“ als „lebensfördernde Geordnetheit der Welt“ (Steck, 1972, 29) im politischen, rechtlichen, kultischen, sozialen und kreatürlichen Kontext lässt sich nicht in einen einzigen Begriff moderner Sprachen pressen. Seine vielen Aspekte, die im weitesten Sinne ungefährdetes Wohlergehen, Glück, Ruhe und Sicherheit umfassen, kommen jedenfalls dem sehr nahe, was im Alten Israel als Inbegriff des → Segens
2. „Schalom“ im Alten Testament
2.1. „Schalom“ als zeitlose Universalie: Gruß und Wunsch
Man wird voraussetzen dürfen, dass unabhängig von theologischen Konzeptionen im Kreis der Familien und Clans zu allen Zeiten der Wunsch nach Gesundheit, Zu„frieden“heit und Sicherheit bestand und auch begrifflich fixiert wurde. Darauf weist besonders šālôm in Grußformeln hin, die auch sehr oft in mesopotamischen Keilschrifttexten aus allen Epochen in Verbindung mit dem Nomen šulmu bzw. šulmānu vorkommen, das Gesundheit und Wohlergehen meint und in Formeln auch mit einem langen und erfüllten Leben verbunden werden kann (Stendebach, 20f). Auch aus Ugarit sind viele Grußformeln bekannt, denen die Wurzel šlm zugrunde liegt und die in der einfachsten Form jšlm lk „Wohlergehen für Dich“ (KTU 2.4,4 u.ö.) lautet, aber auch komplexer gestaltet werden können und dann zusätzlich darum bitten, dass die Götter den Adressaten behüten und unversehrt bewahren mögen (Belege bei Stendebach, 23). Wie verbreitet altorientalisch der Friedensgruß war, zeigt genauso Ägypten, wo neben einigen anderen Willkommensgrüßen vor allem der Glück und Schutz implizierende Zuruf m ḥtp „in Frieden“ üblich war (WÄS III, 193f).
So, wie noch heute im hebräischen und arabischen Sprachraum ein Willkommen als Friedensgruß stilisiert ist, war im Alten Israel die kürzeste Form der Anrede: „Friede sei mit dir“ (Ri 19,20
Dem biblischen Befund entsprechen einige althebräische Inschriftenbelege (HAE zu den einzelnen Belegen; → Brief / Briefformular
Schließlich kann šālôm als Gruß und Wunsch auch am Ende einer Begegnung stehen. Dann wird dem, der verabschiedet wird, zugerufen: „Geh in Frieden!“ (Ex 4,18
Vielleicht gehört hierher noch eine andere Auffassung. Wenn der Weisheitslehrer von seiner Lehre sagt, dass sie das Leben und den šālôm mehren, dann legt der Kontext nahe, dass ein erfülltes Leben gemeint ist (Spr 3,2f
2.2. „Schalom“ als programmatische Konzeption in Namen
Von den zahlreichen mit šālôm gebildeten Eigennamen ist alttestamentlich der bekannteste, allerdings etymologisch nicht über alle Zweifel erhabene Name → Salomo
Von der schwer zu bestimmenden Bedeutung des Altarnamens jhwh šālôm „JHWH ist Frieden“ (?) in Ri 6,24
Mit Šalem und seiner Korrelation zu šālôm und Jerusalem könnte ein Hinweis auf eine alte Tradition der Jerusalemer Stadttheologie vorliegen, zumal auch šālôm noch als personale Größe erkennbar ist (Ps 85,11
2.3. „Schalom“ in theologischen Kontexten
In einer Reihe von Texten wird ausdrücklich die Gabe des šālôm an Gott gebunden. Dabei sind nicht zuletzt (vgl. 2.2) Jerusalem und seine Kulttradition im Blick. Besonders intensiv wird an zwei späten Jesaja-Stellen die Gabe Gottes durch eine doppelte, asyndetische šālôm-Zitierung in Jes 26,3
In den Psalmen geht freilich, wenn von šālôm als Geschenk Gottes die Rede ist, die Bedeutung des Begriffs über politische Ruhevorstellungen hinaus. Sie kann impliziert sein (Ps 4,9
In anderen Textbereichen als den Psalmen kann Gott ebenso explizit als Subjekt des „Friedens“ bezeichnet werden, etwa wenn → Josef
2.4. „Schalom“ in politischen Kontexten
Die bisher genannten Stellen zeigen, dass im strengen Sinne nicht zwischen theologischen und politischen Zusammenhängen unterschieden werden kann, zumal auch in politischen Kontexten Gott der eigentliche Friedensstifter ist. Dennoch treten an vielen Stellen theologische Konnotationen zurück. Es trifft gewiss nicht zu, dass im Alten Testament „Schalom“ auch den inneren Frieden, also so etwas wie den Seelenfrieden, bezeichnen kann, auch nicht in Ps 4,9
2.5. „Schalom“ als politisch-theologischer Begriff in der Prophetie
Einen Schwerpunkt der „Schalom“-Bezüge in der Prophetie bildet die möglicherweise in Jerusalemer Kulttradition verwurzelte sog. Heilsprophetie (Steck, 1972, 47), die zum ersten Mal in Mi 3,5
Vom Topos der Heilsprophetie abgesehen, scheinen kaum Stellen mit „Schalom“-Bezügen aus der vorexilischen Zeit zu stammen. Im Proto-Jesajabuch jedenfalls gehören fast alle Belege einer späteren Zeit als dem 8. Jh. v. Chr. an, wenn in Jes 26,3
Bei → Deuterojesaja
Als „klassischster“ aller Friedenstexte im Alten Testament wird in der Regel Jes 2,2-4
3. Rezeption und Wirkung
Den überwiegenden Teil der hebräischen „Schalom“-Belege hat die Septuaginta mit εἰρήνη eirēnē wiedergegeben und damit den Bedeutungsumfang des hebräischen Begriffes absorbiert, zuweilen aber auch reduziert (Stendebach, 19). Über den eirēnē-Begriff sind die vielfältigen Bedeutungen von „Schalom“ auch in das Neue Testament eingegangen (Delling, 613-618), in dem Gott Urheber des Friedens ist (Röm 15,33
Im Profan-Griechischen bedeutet der Begriff vor allem Gewaltverzicht, wie auch der lateinische Terminus pax in erster Linie den Zustand bezeichnet, der das Kriegsgeschehen unterbricht und aussetzt (Dinkler, 435f). Eirene, die Tochter des Zeus und der Themis, war für das Wohlergehen der politischen Gesellschaft eine wichtige Personifizierung und Vergöttlichung des Friedens. In Aristophanes’ „Frieden“ wird sie kurz vor dem Nikias-Frieden 421 v. Chr. aus einer Höhle befreit, in die sie „Polemos“ („Krieg“) versetzt hatte. Die älteste Eirene-Darstellung ist eine um 375 v. Chr. auf der Agora in Athen aufgestellte Statue, die in der Zeit des entstehenden Eirene-Kultes die Göttin mit dem Knaben Plutos („Reichtum“) auf dem Arm zeigt.
Personifikationen, wie sie auch für pax seit Cäsar belegt sind, gibt es in der jüdischen Kunst für „Schalom“ nicht, gleichwohl wurde der Begriff bildartig in Form des Friedensgrußes „Schalom über Israel“ in Mosaiken auf Fußböden in Synagogen symbolhaft dargestellt. Auch in der altchristlichen Kunst wird der „Friede“ nur höchst selten personifiziert. Erst in der Buchmalerei im frühen Mittelalter, besonders eindrücklich in der Illustration zu Ps 85
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- „Gerechtigkeit und Friede küssen sich“ (Illustration zu Ps 85,11; Stuttgarter Psalter; 9. Jh.).
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