Messias (AT)
(erstellt: Januar 2006)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/27061/
1. Gesalbter
1.1. Titel
Der Titel „Messias“ entstammt dem Alten Testament. Es handelt sich um die gräzisierte Form des aramäischen Begriffs für „der Gesalbte“: מְשִׁיחָא məšîḥā’, hebräisch: הַמָּשִׁיחַ hammāšîaḥ (→ Salbung
Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist der Titel „Gesalbter“ im Alten Testament Königen vorbehalten. Er findet sich für den ersten König Israels, Saul (1Sam 24,7
Die Belege für den König sind auf zwei Bereiche konzentriert, auf die Davidüberlieferung in 1 und 2Sam sowie auf die Psalmen. In den Psalmen stellt der Titel eine feste Bezugsgröße dar. Die einzelnen Aussagen in Form von Bitte, Dank und Klage zielen darauf, dass Jahwe Schutz und Hilfe seines Gesalbten ist (Ps 18,51
1.2. Salbung
Die Einsetzung eines Königs durch Salbung ist nur im Alten Testament und nicht in Israels altorientalischer Umwelt belegt. Zwar kennen die Hethiter die Salbung eines Sklaven oder Gefangenen als „Ersatzkönig“ für den Fall, dass sich der amtierende Herrscher in Gefahr befindet (W. Beyerlin, Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament [ATD.E 1], Göttingen 1975, 196-200), und aus Ägypten ist die Salbung von Beamten und Vasallen bezeugt (→ Amarna-Brief
Nach der alttestamentlichen Überlieferung kann der König durch Vertreter des Volkes (2Sam 2,4
2. Messiaserwartungen
2.1. Problemstellung
Die Frage, inwieweit im Alten Testament überhaupt von messianischen Erwartungen gesprochen werden kann, ist umstritten. Kein Text, in dem der Titel Messias belegt ist, hat einen zukünftigen Herrscher im Blick. Demgegenüber findet sich die Hoffnung auf Erneuerung oder Wiederherstellung des Jerusalemer Königtums in Texten, in denen der Titel fehlt. Hierzu gehören die traditionell als „messianische Weissagungen“ bezeichneten Texte der prophetischen Überlieferung (Jes 7,14-16
Auch wenn der Aspekt der Erwartung strittig bleibt, sind doch die wesentlichen Grundlagen der späteren messianischen Hoffnungen schon im Alten Testament gelegt (Heilserwartung, → Eschatologie
2.2. Deuteronomistisches Geschichtswerk
Schon für die deuteronomistische Theologie stellt David das königliche Vorbild schlechthin dar (→ deuteronomistisches Geschichtswerk
2.3. Prophetische Texte
In den Prophetenbüchern finden sich vereinzelt Texte, in denen die Erneuerung des Königtums verheißen wird. Neben den traditionell als „messianische Weissagungen“ bezeichneten Texten (Jes 7,14-16
Während einige Texte den zukünftigen Herrscher namentlich aus dem davidischen Geschlecht erwarten (Jes 9,5-6
Die in der älteren Forschung, aber auch heute noch vertretene Meinung, dass in manchen Texten schon die provokanten Hoffnungen der vorexilischen Propheten angesichts der miserablen Zustände des Königtums ihrer Zeit zum Ausdruck kommen, lässt sich weder beweisen noch ausschließen. Wichtiger für die Entwicklung der messianischen Erwartungen ist allerdings die Beobachtung, dass die meisten Texte am Schluss kleinerer und größerer Spruchsammlungen stehen (Jes 9,1-6
Dabei sind unterschiedliche Tendenzen wahrnehmbar. Im Jesajabuch etwa stehen jene Verheißungen, die sowohl an der Dynastie Davids (Jes 7,14-16
2.4. Königspsalmen
In den Königspsalmen (Ps 2; 18; 20; 21; 45; 72; 89; 101; 110; 132; 144,1-11) haben sich Aussagen der Jerusalemer Königstheologie am deutlichsten erhalten. Der König gilt als Gottes Sohn, von ihm gezeugt (Ps 2,7
Keiner dieser Psalmen hat ursprünglich einen zukünftigen König im Blick. Dennoch besteht eine deutliche Entsprechung zur prophetischen Überlieferung. Auf Grund der späteren Rahmung der ersten beiden Psalmenbücher durch die Königspsalmen Ps 2 und Ps 72 wird der schon durch seine Überschriften und biographischen Notizen am Lebensweg Davids orientierte → Psalter
Insgesamt sind die Erwartungen, die sich mit David im Psalter verbinden, in der Tendenz die gleichen, die auch die Verheißungen in den Prophetenbüchern zu erkennen geben.
3. Aspekte der Wirkungsgeschichte
Die Hoffnungen auf David nehmen sowohl in der prophetischen Überlieferung als auch im Psalter Anleihen bei Aussagen der Jerusalemer Königstheologie. Diese werden in „geschichtlicher“ Rückbindung an das davidische Königtum neu formuliert. Dabei findet sich in beiden Bereichen neben restaurativen Erwartungen die Tendenz, die Hoffnung auf David von der Institution des Königtums zu lösen, indem die Verheißungen entweder auf Israel selbst übertragen („Demotisierung“) oder durch den Glauben an Gottes universale Königsherrschaft (Theokratie) abgelöst werden. Inwieweit sich daraus eine geschichtliche Entwicklung der Daviderwartungen in nachexilischer Zeit ableiten lässt, bleibt fraglich. Eher handelt es sich um unterschiedliche Erwartungen bestimmter Gruppen und Kreise im frühen Judentum, die je nach außen- und innenpolitischer Lage immer wieder neu zum Tragen kommen konnten.
Mit einiger Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden, dass die Verkündigungen Haggais und Sacharjas am Ende des 6. Jh.s v. Chr. nicht nur die Erwartung auf die Wiederherstellung des Jerusalemer Heiligtums, sondern auch die Erwartung genährt haben, dass das davidische Königshaus in einem neuen Licht erstrahlen wird. Aber schon bei Sacharja tritt mit dem Bild von den beiden „Ölsöhnen“ (Sach 4,1-6a
Eine vergleichbare nationale Hochstimmung wie zur Zeit des Wiederaufbaus des Tempels lässt sich erst wieder zu Beginn der hellenistischen Zeit belegen und wird durch den Königstext Sach 9,9-10
Dass politische Enttäuschungen die Hoffnungen auf eine Erneuerung des Königtums verändert haben, ist anzunehmen. Der Wechsel der Perspektive von einem König mit politischer Macht zu einem geistigen Führer seines Volkes bzw. zur reinen Symbolgestalt in der Königsherrschaft Gottes kann in diese Richtung verstanden werden. Aber ähnlich wie bei der Übertragung der Davidverheißung auf das Volk handelt es sich primär um einen theologischen, wenn auch nicht von seinem politischen Kontext zu trennenden Interpretationsvorgang. Hinter allen Texten steht die Überzeugung, dass Jahwe selbst das Heil für sein Volk heraufführen wird. Deshalb musste nicht notwendig ein neuer David kommen, sondern die mit ihm verbundenen Hoffnungen lebten in Israel fort. David wurde zum Vorbild und Israel zu seinem „Abbild“. In den Prophetenbüchern waren die Verheißungen auf Dauer eingeschrieben und mit dem auf David hin orientierten Psalter besaß Israel ein geistiges Kompendium, sich seiner Geschichte zu erinnern und sich seiner Hoffnungen, unabhängig der jeweiligen politischen Situation, zu vergewissern. Die Spätzeit, wie sie uns in den Texten des Alten Testaments dokumentiert ist, war keine „messianische“ Zeit. Aber die Hoffnungen auf David wurden tradiert und dadurch nie aufgegeben.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
(Messias / Messiah oder משׁח māšach)
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979.
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff.
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004.
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979.
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001.
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992.
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001.
- New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids 1997.
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998ff..
- Eerdmans Dictionary of the Bible, Grand Rapids 2000.
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003.
2. Weitere Literatur
- Becker, J., 1977, Messiaserwartungen im Alten Testament (SBS 83), Stuttgart.
- Braulik, G., 1995, Christologisches Verständnis der Psalmen – schon im Alten Testament? in: K. Richter / B. Kranemann (Hgg.), Christologie der Liturgie. Der Gottesdienst der Kirche – Christusbekenntnis und Sinaibund (QD 159), Freiburg i. Br., 57-86.
- Cazelles, H., 1983, Alttestamentliche Christologie. Zur Geschichte der Messiasidee (Theologia Romanica 13), Einsiedeln.
- Clements, R. E., 1990, The Immanuel Prophecy of Isa. 7:10-17 and Its Messianic Interpretation, in: E. Blum u.a. (Hgg.), Die hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte (FS R. Rendtorff), Neukirchen-Vluyn, 225-240.
- Coppens, J. 1968, Le messianisme royal. Ses origines, son développement, son accomplissement (LeDiv 54), Paris.
- Dassmann, E., u. a., 1993, Messias (JBTh 8), Neukirchen-Vluyn.
- Gressmann, H., 1929, Der Messias (FRLANT 43), Göttingen.
- Hühn, E., 1899, Die messianischen Weissagungen des israelitisch-jüdischen Volkes bis zu den Targumin, Freiburg i. Br.
- Kellermann, U., 1971, Messias und Gesetz (BSt 61), Neukirchen-Vluyn.
- Kilian, R., 1983, Jesaja 1-39 (EdF 200), Darmstadt.
- Kleer, M., 1996, „Der liebliche Sänger der Psalmen Israels“. Untersuchungen zu David als Dichter und Beter der Psalmen (BBB 108), Bodenheim.
- König, E., 2. und 3. Aufl. 1925, Die messianischen Weissagungen des Alten Testaments vergleichend, geschichtlich und exegetisch behandelt, Stuttgart.
- Kutsch, E., 1963, Salbung als Rechtsakt (BZAW 87), Berlin.
- Laato, A., 1993, Josiah and David Redivivus (CB.OT 33), Lund.
- Mettinger, T.N.D., 1976, King and Messiah (CB.OT 8), Lund.
- Otto, E. / Zenger, E. (Hgg.), 2002, „Mein Sohn bist du“ (Ps 2,7). Studien zu den Königspsalmen (SBS 192), Stuttgart.
- Rad, G. von, 4. Aufl. 1971, Die deuteronomistische Geschichtstheologie in den Königsbüchern, in: Gesammelte Studien (TB 8), München, 189-204.
- Rehm, M., 1968, Der königliche Messias im Licht der Immanuel-Weissagungen des Buches Jesaja (ESt NF 1), Eichstätt.
- Seebass, H., 1992, Herrscherverheißungen im Alten Testament (BThSt 19), Neukirchen-Vluyn.
- Seybold, K., 1972, Das davidische Königtum im Zeugnis der Propheten (FRLANT 107), Göttingen.
- Steck, O. H., 1972, Friedensvorstellungen im alten Jerusalem. Psalmen. Jesaja. Deuterojesaja (ThSt [B] 111), Basel.
- Strauß, H. 1984, Messianisch ohne Messias (EHS.T 232), Frankfurt/M.
- Struppe, U., 1989, Studien zum Messiasbild im Alten Testament (SBAB 6), Stuttgart.
- Sweeny, M. A., 2001, King Josiah of Judah: The Lost Messiah of Israel, Oxford.
- Veijola, T., 1975, Die ewige Dynastie. David und die Entstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung (AASF.B 193), Helsinki.
- Waschke, E.-J., 2001, Der Gesalbte. Studien zur alttestamentlichen Prophetie (BZAW 306), Berlin / New York.
- Waschke, E.-J., 2003, The Significance of the David Tradition for the Emergence of Messianic Beliefs in the Old Testament, Word and World 23, 413-420.
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)