Mischna
Andere Schreibweise: Mischnah; Mishna; Mishnah
(erstellt: Januar 2009)
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Die Mischna ist das erste kanonische Werk der mündlichen Überlieferung des Judentums (mündliche → Tora
1. Begriff
Der Begriff „Mischna“ (מִשְׁנָה) wird als Substantiv von der hebräischen Wurzel שׁנה abgeleitet „wiederholen“, im engeren Sinne „wiederholtes Vorsagen“ der mündlichen Überlieferung; übertragen auch „lehren“ (vgl. Mischna, Traktat Avot 2,4; 3,3; Babylonischer Talmud, Traktat Eruvin 54b). Das aramäische Äquivalent ist תְנֵי oder תְנָא.
2. Inhalt und Aufbau
Die Mischna beinhaltet den autorisierten Teil des bis etwa 230 n. Chr. herausgebildeten jüdischen Religionsgesetzes, Lehren der in dieser Zeit tätigen und diesen zugeschriebenen Tannaiten sowie anonyme Lehrsätze. Mischnische Paralleltraditionen, Zusatzmaterial und von der Mischna abweichende Traditionen aus tannaitischer Zeit sind ebenfalls bekannt und neben Mischnazitaten in der → Tosefta
Die Mischna besteht (wie die Tosefta und die Talmudim [Sg. → Talmud
Aus der folgenden Übersicht werden Aufbau und Inhalt der Mischna ersichtlich:
1. Ordnung: Zera’im „Samen, Aussaat“ (hebr. זרעים). Inhalt: Landwirtschaftliche Abgaben an Priester, sozial Bedürftige, Fremde (Ausnahme Berachot); 11 Traktate.
2. Ordnung: Mo‘ed „Festzeiten“ (hebr. מועד). Inhalt: Fest- und Fasttage; 12 Traktate.
3. Ordnung: Naschim „Frauen“ (hebr. נשׁים). Inhalt: Familienrecht; 7 Traktate.
4. Ordnung: Nezikin „Beschädigungen“ (hebr. נזיקין). Inhalt: Straf- und Schadensersatzrecht (Ausnahmen: Edujot, Avot); 10 Traktate.
5. Ordnung: Qodaschim „Heiligtümer“ (hebr. קדשׁים). Inhalt: Opferriten, Speisevorschriften u.a.; 11 Traktate.
6. Ordnung: Toharot „Reinheiten“ (hebr. טהרות). Inhalt: Rituelle Reinheit / Unreinheit von Personen, Sachen und Orten; 12 Traktate.
3. Entstehung
3.1. Vorgeschichte der Mischna
Die Forschung betont das hohe Alter der Mischna, welches traditionell bis auf die Zeit des Torastudiums im babylonischen Exil oder sogar auf die Offenbarung am Sinai zurückgeführt wird. Auch der Talmud kennt eine Vorgeschichte der Mischna: „Alle anonymen Aussagen der Mischna sind nach R. Meir […] und alle richten sich nach R. Akiba“ (Babylonischer Talmud, Traktat Sanhedrin 86a; Text Talmud
Auch die rabbinische Literatur geht von verschiedenen Vorstufen der Mischna aus. Einzelne Traktate werden frühen Autoritäten zugeschrieben, so z.B. Tamid dem R. Simeon aus Mizpa (Jerusalemer Talmud, Traktat Joma 2,3 39d) und Middot dem R. Eliezer ben Jacob (ebd. und Babylonischer Talmud, Traktat Joma 16a). Beide Rabbinen lebten vor dem Redaktor der Mischna, R. Jehuda ha-Nasi, beide Traktate thematisieren den Tempeldienst oder den Tempel und belegen alte Sprachwendungen. Auch der Traktat Edujot zeichnet sich durch seine inhaltliche und formale Sonderstellung aus. Er fügt, beginnend mit Hillel und → Schammai
3.2. Mischna-Form und Midrasch-Form
Offen bleibt, ob die mündliche Überlieferung direkt aus dem biblischen Wortlaut abgeleitet (Midrasch-Methode) oder neben dieser eigenständig tradiert wird (Mischna-Methode; → Midrasch
4. Redaktion
Gemäß der communis opinio der Forschung wurde die Mischna durch Rabbi Jehuda ha-Nasi (kurz „Rabbi“) in Galiläa Anfang des 3. Jh.s n. Chr. redigiert. Auch wenn es dafür keinen eindeutigen Beweis gibt, sprechen alle Hinweise für diese Annahme. Das Textkorpus der Mischna hat sich aber auch in der Generation nach Rabbi weiter verändert, wovon unter anderem die Nennung Rabbis in Kontroversen mit anderen Tannaiten oder die Erwähnung seines Sohnes zeugen. Es ist demnach vielmehr von einem Redaktionskreis um Rabbi als von der Redaktionstätigkeit eines Einzelnen auszugehen. Die Redaktion erfolgte ungeachtet vereinzelter rabbinischen Äußerungen zum Schreibverbot der mündlichen Tradition (Stemberger, 42-44). Nach Albeck (1971, 157) dient die Mischna vornehmlich als Quellensammlung, nach Goldberg (1987, 227) als Lehrbuch und nach Epstein (1957, 224-226) als Gesetzeskanon. Für das vorherrschende Interesse jeder dieser Kategorien lassen sich gute Gründe heranziehen; ein Nebeneinander dieser Zwecke scheint ebenso wahrscheinlich wie eine Entwicklung zum Korpus mit Lehrbuchcharakter. Die Überlieferung der Mischna erfolgte wohl durch ein präzises Auswendiglernen des Stoffes durch extra dazu geschulte Schüler (welche auch Tannaim genannt wurden, dazu Lieberman). Bereits kurze Zeit nach der Redaktion und Verbreitung der Mischna wurde sie kanonisiert, wenngleich danach immer noch geringfügige Textänderungen möglich waren.
5. Tradenten (Tannaiten)
In der Mischna werden Aussagen verschiedenen Rabbinen zugeschrieben, aber auch anonym übermittelt. Die in der Mischna zitierten Tannaiten (aram. תני „sagen / wiederholen“, auch „lehren“; von hebr. שׁנה abgeleitet) wiederholen, diskutieren und formen die Lehre, welche später Bestandteil des normativen Textes der Mischna wird. Die tannaitische Periode beginnt zwar schon mit der Zeitenwende, gelangt aber vor allem zwischen 70 - ca. 230 n. Chr. zur Blüte. Dieser Zeit folgt die amoräische Epoche (von אמר „sagen / kommentieren“) bis ca. 500 n. Chr., in der der Mischnatext im → Talmud
Die Tannaiten werden traditionell in fünf Generationen unterteilt. Die wichtigsten Tannaiten der Mischna sind die Zeitgenossen und Kontrahenten R. → Akiba
6. Verhältnis zu anderen Werken
In Aufbau und Inhalt gleicht die Mischna der → Tosefta
Zahlreiche mischnische Parallelen finden sich auch in den halachischen bzw. tannaitischen → Midraschim
7. Traditionelle Kommentare zur Mischna
Bis Mitte der gaonäischen Epoche (9. Jh. n. Chr.) war die Kommentierung der Mischna integraler Bestandteil des Textkorpus der Talmudim, im weitesten Sinne sind auch viele Tosefta-Halachot und Baraithot als Kommentar zur Mischna aufzufassen. Kanonisch ist der arabisch verfasste Kommentar von → Moses Maimonides
Literaturverzeichnis
1. Textzeugen, Ausgaben, Hilfsmittel
Die wichtigsten Handschriften
- Kaufmann A 50 (Anfang 13. Jh.)
- Parma, Biblioteca Palatina, De Rossi 138
- Cambridge (Univ. Bibl. Add. 470)
- Leiden Talmud Yerushalmi (Scaliger 3)
- München Talmud Bavli (Staatsbibl., Codex hebr. 95)
- ששה סדרי משנה, hrsg. v. Ch. Albeck, 6 Bde., Jerusalem 1952-1958 (hebr. Text mit Kurzkommentar)
- משנה זרעים, hrsg. v. N. Sacks (Institute for the Complete Israeli Talmud), 2 Bde., Jerusalem 1972-75 (hebr.)
- Goldschmidt, L., Der Babylonische Talmud, 12 Bde., 1929-1936 (dt. Übersetzung des babylonischen Talmuds mit Mischna, mehrere Nachdrucke)
- „Hoffmann-Mischna“, Die sechs Ordnungen der Mischna, hebräischer Text mit Punktation, übersetzt und erklärt v. E. Baneth / J. Cohn / D. Hoffmann / M. Petuchowski / A. Sammter u.a., Leipzig / Wiesbaden / Berlin, 1927-1933 (zweisprachig mit Kurzkommentar, vollständig)
- „Gießener Mischna“, Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung, begr. v. G. Beer / O. Holtzmann (später K. H. Rengstorf / L. Rost / S. Herrmann), von 1912-1935 Gießen, seit 1956 Berlin (zweisprachig mit zum Teil ausführlichem Fußnotenkommentar und textkritischen Hinweisen, unvollständig)
- Krupp, M. (Hg.), 2002ff., Die Mischna, textkritische Ausgabe mit deutscher Übersetzung und Kommentar, Jerusalem (bisher unvollständig)
- Danby, H., 1933, The Mishnah, translated from the Hebrew with introduction and brief explanatory notes, Oxford
- Neusner, J., 1988, The Mishnah, a new translation, New Haven u.a.
Zu den traditionellen Kommentaren siehe ‚Traditionelle Ausgaben der Mischna’ (vgl. dazu auch Albeck, Einführung, S. 415-438); zu den modernen Kommentaren siehe ‚Textausgaben’.
2. Lexikonartikel
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
3. Weitere Literatur
- Albeck, Ch., 1923, Untersuchungen über die Redaktion der Mischna, Berlin
- Albeck, Ch., 1971, Einführung in die Mischna (aus dem Hebräischen von T. und P. Galewski), (SJ 6), Berlin / New York
- Alexander, E.S., 2006, Transmitting Mishnah, Cambridge
- Bacher, W., 1899-1905, Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur, Leipzig (Ndr. Hildesheim 1965)
- Bacher, W., 1914, Tradition und Tradenten in den Schulen Palästinas und Babyloniens, Leipzig
- Epstein, J.N., 1957, Prolegomena ad Litteras Tannaiticas (hebr.), hrsg. v. E.Z. Melamed, Jerusalem
- Epstein, J.N., 1963-1964, Introduction to the Mishnaic Text (hebr.), 2 Bde., 2. Aufl., Tel Aviv
- Friedman, S., 1999, The Primacy of Tosefta to Mishnah in synoptic Parallels, in: H. Fox / T. Meacham (Hgg.), Introducing Tosefta, Textual, Intratextual and Intertextual Studies, New York, 99-121
- Friedman, S., 2002, Tosefta Atiqta – Pesah Rishon (hebr.), Ramat Gan
- Goldberg, A., 1987, The Mishna – A Study Book of Halakha, in: Sh. Safrai (Hg.), The Literature of the Sages, CRINT Bd. 2/3, Assen / Μaastricht, 211-251
- Halivni, D.W., 1986, Midrash, Mishnah and Gemara. The Jewish Predilection for Justified Law, Cambridge / London
- Hauptman, J., 2000, Mishnah as Response to „Tosefta“, in: J.S. Cohen (Hg.), The Synoptic Problem in Rabbinic Literature, Province 13-34
- Hauptman, J., 2005, Rereading the Mishnah, a new approach to ancient jewish texts (TSAJ 109), Tübingen
- Houtman, A., 1996, Mishnah and Tosefta. A synoptic Comparison of the Tractates Berakhot and Shebiit, Appendix Volume: Synopsis of Tosefta and Mishnah Berakhot and Shebiit, (TSAJ 59), Tübingen
- Krupp, M., 2007, Einführung in die Mischna, Frankfurt
- Lieberman, S., 1962, Hellenism in Jewish Palestine, 2. Aufl., New York
- Neusner, J., 1973, The modern Study of the Mishna (SPB 23), Leiden
- Neusner, J., 1974-1977, The History of the Mishnaic Law of Purities (SJLA 6), 22 Bde., London
- Neusner, J., 1977, Form and Meaning in the Mishna, JAAR 45, 27-54
- Neusner, J., 1989, The Mishnah: An Introduction (Library of classical Judaism 1), Northvale / London
- Reichman, R., 1998, Sifra und Mishna. Ein literarkritischer Vergleich paralleler Überlieferungen (TSAJ 69), Tübingen
- Samely, A., 2002, Rabbinic Interpretation of Scripture in the Mishna, Oxford
- Stemberger, G., 1992, Einleitung in Talmud und Midrasch, 2. Aufl., München
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