Deutsche Bibelgesellschaft

Moreschet-Gat

Andere Schreibweise: Moreseth-Gath; Moresheth-gath

(erstellt: Februar 2011)

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1. Name

Von dem Namen Moreschet-Gat (מוֹרֶשֶׁת גַּת môræšæt gat) wird Moreschet (מוֹרֶשֶׁת môræšæt) von der Wurzel ירשׁ jrš „in Besitz nehmen / erobern“ abgeleitet und als constructus-Form von môrāšāh „Besitz“ verstanden. Moreschet-Gat meint dann „Besitz von Gat“ und drückt die Zugehörigkeit des Ortes zur Philisterstadt → Gat aus. Die Septuaginta übersetzt dementsprechend κληρονομία Γεθ („Besitz von Gat“). Targum und Peschitta lesen „Marescha“. Dokumente der römisch-byzantinischen Zeit (s.u.) geben den biblischen Namen als Μωρα(σ)θει oder Μωρασθι (lateinisch Morasthi) wieder.

Der → Amarnabrief Nr. 335 (EA 335,17) erwähnt den Ort muḫraštu (URUmu-ú’-ra-aš-ti). Die Gleichsetzung ist aufgrund des Langvokals der ersten Silbe möglich, aber in der Fachliteratur umstritten. Im Falle einer Gleichsetzung ist Moreschet als der ursprüngliche Ortsname anzusehen, der sekundär aufgrund der territorialen Zugehörigkeit zu Gat mit diesem Toponym verbunden wurde.

2. Biblische Überlieferung

Moreschet-Gat ist als Ortsname nur in Mi 1,14 erwähnt. Daneben findet sich noch zwei Mal die Wendung hammôraštî „der von Moreschet“ als Herkunftsbezeichnung des Propheten Micha (Jer 26,18 [LXX 33,18]; Mi 1,1). Mi 1,14 ist aus dem Gesamtzusammenhang des Abschnitts Mi 1,8-14 zu verstehen. Der Text ist eine in der Form eines Leichenlieds abgefasste Klage über den Verlust verschiedener Orte der judäischen Schefela. Juda bzw. Jerusalem (Mi 1,9) muss diese Orte abgeben. Meist wird der Textabschnitt als Reaktion auf die Gebietsverluste durch den Feldzug des assyrischen Königs Sanherib im Jahr 701 v. Chr. verstanden. Die Erwähnung von Moreschet in Mi 1,14 neben bekannteren Orten wie → Lachisch (Mi 1,13) oder Marescha (Mi 1,15) ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass Moreschet als Heimatort des namengebenden Propheten gilt (Mi 1,1). Mi 1,14 redet davon, dass „Entlassungsgeschenke zu Moreschet-Gat hinzu“ gegeben werden sollen. Das hebr. Wort für „Entlassungsgeschenke“ (šillûchîm) meint auch Brautgeschenke bei der Entlassung einer jungen Frau in eine andere Familie. Daher wird der Name Moreschet-Gat hier gerne im Sinne eines Wortspiels interpretiert. Hebräisch sprechende Hörerinnen oder Hörer könnten hier ein Wort hören, das von der Wurzel ארשׂ ’rś „durch Zahlung eines Brautpreises gewinnen / sich verloben“ abgeleitet ist und „Verlobte / Braut“, hebr. mə’ôræśæt (constructus des Partizips Pual mə’orāśāh), bedeutet. Der Vers wäre dann als Klage darüber zu verstehen, dass die philistäische Stadt Gat aus dem territorialen Zugewinn durch den Erhalt von Moreschet noch besondere Vorteile ziehen kann, die der Mitgift einer Braut vergleichbar sind.

3. Lage und Lokalisierung

Der Textzusammenhang von Mi 1,8-16 weist auf eine Lage von Moreschet-Gat in der judäischen Schefela. Der Ort sollte in der Nähe von → Gat (= Tell eṣ-Ṣāfī; Koordinaten: 1359.1237; N 31° 41' 58'', E 34° 50' 52'') und → Lachisch (= Tell ed-Duwēr (Koordinaten: 1357.1082; N 31° 33' 54'', E 34° 50' 59'') liegen (Mi 1,13). Auch bei einer Gleichsetzung des in EA 335,17 genannten Ortes muḫraštu mit Moreschet-Gat ist an eine Lage bei Lachisch zu denken, weil die entsprechende Passage wahrscheinlich so zu verstehen ist, dass muḫraštu von Lachisch aus eingenommen wird. In der Fachliteratur werden drei Lokalisierungsvorschläge für Moreschet-Gat erwogen.

3.1. Marescha

Das Prophetentargum und die syrische Bibelübersetzung (Peschitta) lesen in Mi 1,14 „Marescha“ für Moreschet-Gat. Die dabei vorausgesetzte Gleichsetzung mit dem ca. 6 km nordöstlich von Lachisch gelegenen Siedlungshügel von Marescha (= Tell Sandaḥanna; Koordinaten: 1404.1112; N 31° 35' 27'', E 34° 54' 02'') wird jedoch nur mehr vereinzelt vertreten (Horowitz). Gegen die Ansicht, mit Moreschet(-Gat) sei Marescha gemeint, wird vor allem vorgebracht, dass Mi 1,15 Marescha als einen von Moreschet-Gat unterschiedenen Ort nennt. Etymologisch kann man beide Orte ohnehin nicht miteinander verbinden, da Marescha nicht von ירשׁ jrš, sondern von ראשׂ r’š abzuleiten ist.

3.2. Tel Goded

Tel Goded / Tell el-Ǧudēde (Koordinaten: 1416.1157; N 31° 37' 55'', E 34° 54' 43'') liegt am westlichen Rand der judäischen Schefela zwischen Lachisch im Süden und Gat im Norden. Insofern entspricht er den Voraussetzungen, die vom alttestamentlichen Text her zu erwarten sind. Die Gleichsetzung stützt sich zudem auf frühkirchliche Zeugnisse (Jeremias; Elliger; Keel / Küchler; Schmitt). Eusebius gibt an, Μωρα(σ)θει liege östlich von Eleutheropolis / Bēt Ǧuvrin (Koordinaten: 1402.1128; N 31° 36' 28'', E 34° 53' 40''; Onomastikon 134,10f [Eusebs Onomastikon]; vgl. Notley / Safrai, 127 Nr. 714). Dort verzeichnet auch die Mosaikkarte von Madeba den Ort Μωρασθι (Donner 1992, 63 Nr. 86). Petrus Diaconus kennt ein Chariassati, das früher Morastites hieß, am dritten Meilenstein von Eleutheropolis. Sozomenos von Gaza (um 450) erzählt von der Auffindung des Leichnams Michas zur Zeit des Kaisers Theodosius I. in Βηραθσατια Bērathsatia, einem Ort, der zehn Stadien (etwa 2 km) von Eleutheropolis entfernt liegen soll. Alle genannten Angaben weisen auf den ca. 2,5 km nordöstlich von Eleutheropolis / Bēt Ǧuvrin gelegenen Tell el-Ǧudēde. Hieronymus erwähnt im Reisebericht der Paula einen Kirchenbau in Morasthi (Donner 2002, 161). Ruinen eines byzantinischen Kirchengebäudes auf Chirbet el-Baṣal (Koordinaten: 1408.1144; N 31° 37' 14'', E 34° 54' 10'') ca. 1,5 km südwestlich von Tell el-Ǧudēde werden als Reste dieser Kirche am Ort des vermeintlichen Michagrabs gedeutet.

Tell el-Ǧudēde selbst ist ein ca. 580 m langer Siedlungshügel, der zumindest im Südteil von einer Umfassungsmauer umgeben war. Die Grabungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts erbrachten wenige Reste aus der Frühbronzezeit (Keramik, Gräber) sowie einige fragmentarisch erhaltene Gebäude und 39 Krughenkel mit Königsstempeln (lmlk-Stempel) aus der Eisenzeit II (8./7. Jh. v. Chr.). Die Hauptnutzungsphase lag in hellenistisch-römischer Zeit, als die Umfassungsmauer und ein Wachturm innerhalb der befestigten Siedlung errichtet wurden. In spätrömisch-byzantinischer Zeit entstand eine landwirtschaftliche Anlage. Außerdem wurde ein Columbarium gefunden.

Gegen die Gleichsetzung von Tell el-Ǧudēde mit Moreschet-Gat wird eingewendet, dass Michas Heimatort nur ein kleiner Ort gewesen sein könne. Die große Anlage auf dem Tell passe nicht zu dieser Annahme (Schmitt). Die Argumentation ist wenig einsichtig, da Größe und Bedeutung eines Ortes nicht aus der Häufigkeit der Erwähnungen erschlossen werden können. Wesentlicher ist der Einwand, dass spätbronzezeitliche Reste fehlen. Diese sollten belegt sein, wenn Moreschet-Gat mit muḫraštu gleichgesetzt wird. Neueste Untersuchungen geben erste Hinweise auf eine spätbronzezeitliche Siedlung (Dagan). Die entsprechenden Befunde sind jedoch noch nicht ausreichend publiziert.

3.3. Tel Harasim / Nahal Barqai

Der Siedlungshügel (Koordinaten: 1338.1279; N 31° 44' 37'', E 34° 49' 39'') liegt etwa 5 km nordwestlich von Gat im Nahal Barqai und wird deshalb in manchen Publikationen auch Nahal Barqai genannt. Bei den zwischen 1990 und 2000 durchgeführten Ausgrabungen kamen Siedlungsreste der Mittelbronzezeit II (17./16. Jh. v. Chr.), der Spätbronzezeit II (14./13. Jh. v. Chr.), der Eisenzeit II (9. -7. Jh. v. Chr.) und der persischen Zeit (5./4. Jh. v. Chr.) zu Tage. Die Größe der spätbronzezeitlichen Siedlung wird auf 40 ha geschätzt. In der Eisenzeit II existierte eine befestigte kleine Stadtanlage mit einer ca. 1,5 m breiten Kasemattenmauer. Aus der persischen Zeit sind Gebäudereste, Tonfiguren und eine Inschrift bekannt. Die Lage in der Nähe von Gat und der erhebliche spätbronzezeitliche Befund scheinen die Gleichsetzung mit dem in der Amarnakorrespondenz (14. Jh. v. Chr.) belegten Ort muḫraštu und demzufolge möglicherweise auch mit Moreschet-Gat zu stützten (Levin). Die Lokalisierung bereitet jedoch erhebliche Schwierigkeiten. So bleiben die Hinweise auf die Lage in der Nähe von Eleutheropolis, wie sie in Texten der spätrömisch-byzantinischen Zeit belegt sind, unbeachtet. Die entsprechenden Angaben werden als kirchliche Traditionen gewertet, die für eine historisch-topographische Verortung belanglos sind (Levin). Eine solche grundsätzliche Negierung der frühkirchlichen Lokaltraditionen erscheint jedoch nicht gerechtfertigt. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass der Siedlungsplatz nördlich von Gat etwa auf halbem Weg zur Philisterstadt Ekron (Chirbet el-Muqanna‘, Tel Miqne; Koordinaten: 1358.1318; N 31° 46' 43", E 34° 51' 07") und damit rund 20 km nördlich von Lachisch liegt. Von daher ist die Einnahme des Ortes muḫraštu von Lachisch aus, wie sie EA 335 voraussetzt, unwahrscheinlich.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • The New Encyclopedia of Archaeological Excavations in the Holy Land, Jerusalem 1993 / Suppl. 2008
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Dagan, Y., 2000, The Settlement in the Judean Shephela in the Second and First Millenium B.C. A Text-Case of Settlement Processes in a Geographic Region. 2 Bde (Ph.D. Thesis Tel Aviv University), Tel Aviv
  • Donner, H., 1992, The Mosaic Map of Madaba. An Introductory Guide, Kampen
  • Donner, H., 2002, Pilgerfahrt ins Heilige Land. Die ältesten Berichte christlicher Palästinapilger (4.-7. Jahrhundert), 2. Auflage, Stuttgart
  • Elliger, K., 1934, Die Heimat des Propheten Micha, ZDPV 57, 81-152; auch in: ders., Kleine Schriften zum Alten Testament (ThB AT 32), München 1966, 9-71
  • Gibson, S., 1994, The Tell el-Judeideh (Tel Goded) Excavations. A Re-appraisal Based on Archival Records in the Palestine Exploration Fund, TA 21, 194-234
  • Givon, S., 2004, Nahal Barqai 1998-2000, Hadashot Arkheologiyot / Excavations and Surveys in Israel 116
  • Horowitz, G., 1980, Town Planning of Hellenistic Marisa: A Reappraisal of the Excavations After Eighty Years, PEQ 112, 1980, 93-111
  • Jeremias, J., 1933, Moreseth-Gath, die Heimat des Propheten Micha, Palästinajahrbuch 29, 42-53
  • Keel, O. / Küchler, M., 1982, Orte und Landschaften der Bibel. Ein Handbuch und Studien-Reiseführer zum Heiligen Land. Band 2: Der Süden, Zürich u.a., 849-853
  • Levin, Y., 2002, The Search for Moresheth-Gath: A New Proposal, PEQ 134, 28-36
  • Mittmann, S., 1999, Eine prophetische Totenklage des Jahres 701 v. Chr. (Micha 1:3-5a.8-13a.14-16), JNSL 25, 31-60
  • Na’aman, N., 1997, The Network of Canaanite Late Bronze Kingdoms and the City of Ashdod, UF 29, 599-626
  • Notley, R.S. / Safrai, Z., 2005, Eusebius, Onomasticon. The Place Names of Divine Scripture. Including the Latin Edition of Jerome Translated into English and with Topographical Commentary, Leiden
  • Sagiv, N. / Zissu, B. / Avni, G., 1998, Burial Caves from the Second Temple Period in Tel Goded, the Judean Lowlands, Atiqot 35, 8*-21*
  • Schmitt, G., 1990, Moreschet Gat und Libna. Mit einem Anhang zu Micha 1:10-16, JNSL 16, 153-172

Abbildungsverzeichnis

  • Karte zur Lage von Moreschet-Gat. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Tel Goded (Blick Richtung Westen). © Boaz Zissu, Foto 2010
  • Columbarium am Osthang von Tel Goded. © Boaz Zissu, Foto 2010

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