Noah
Andere Schreibweise: Noach
(erstellt: August 2012)
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1. Name
Bei dem Namen Noah (hebräisch: נֹחַ noaḥ; griechisch: Νωε Nōe) handelt es sich vermutlich um die Kurzform eines Namens, der auf die Wurzel נוח NWḤ „sich niederlassen / ruhen“ zurückgeht und zu dem in der Langform die Bezeichnung einer Gottheit oder des Kindes gehört, also: „[die Gottheit oder das Kind] ist ruhig / beruhigt“ oder „beruhige dich, [o Gott]“ (vgl. Gesenius, 18. Aufl.). Dafür sprechen akkadische Parallelen, z.B. Ne-ḫi-lum „Gott ist beruhigt“, Nu-úḫ-ilum „Beruhige dich, Gott“ und Nu-ḫi-Eštar „Beruhige dich, Eštar“ (vgl. AHw II, 716).
In Gen 5,29
Auch in der Fluterzählung selbst finden sich Wortspiele mit dem Namen Noah: Am Anfang der Erzählung reut es (hebr. נחם NḤM) JHWH angesichts der Bosheit der Menschen, sie gemacht zu haben (Gen 6,6
2. Noah in der Hebräischen Bibel
2.1. Noah im Buch Genesis
2.1.1. Noah als Übergangsfigur von Urgeschichte und Völkergeschichte in der Genealogie Adams (Gen 5,32 und 9,28-29)
Die → Genealogie
Noah gehört der zehnten Generation der Menschheit an. Vor ihm ist die Genealogie vertikal ausgerichtet: Die Zeugung weiterer Söhne und Töchter wird zwar erwähnt, aber nur der die genealogische Linie weiterführende Erstgeborene wird jeweils mit Namen genannt. Mit den Söhnen Noahs → Sem
Entgegen dem üblichen Schema der einzelnen genealogischen Notizen der Toledot Adams wird bei Noah nicht angegeben, wie lange er nach der Geburt des ersten Sohnes (z.B. Gen 5,30
Nach dieser Ur-Zeit, die mit einem „Nie wieder“ (Gen 9,11
2.1.2. Noah als „Held“ der Sintfluterzählung (Gen 6,5-9,17)
In der Schöpfungserzählung von Gen 1,1-2,4
Noah ist eine literarische Figur, bleibt als Charakter aber blass. Der Leser erhält keine Innensicht auf die Gründe seines Handelns, vielmehr erfüllt Noah auf der Ebene der Erzählung eine Funktion: Dass Noah Großes leisten und der Menschheit Erlösung bringen wird, schreibt ihm sein Vater Lamech bereits bei der Geburt, also noch vor Beginn der eigentlichen Sintfluterzählung, zu: „Er wird uns aufatmen lassen von unserer Arbeit und von der Mühe unserer Hände um den Ackerboden, den der Herr verflucht hat.“ (Gen 5,28
Diachron betrachtet wird die Vorstellung, dass Noah ohne Angabe von Gründen Gnade bei JHWH findet, der nicht-priesterschriftlichen Schicht zugeschrieben. Das Konzept des untadelig Gerechten, dessen vorbildliches Verhalten ihn auszeichnet, entspricht dem Anliegen der → Priesterschrift
Das Handeln Noahs rund um die Flutereignisse erfolgt auf göttliche Anweisung hin. Ihm wird aufgetragen, die Arche zu bauen und in diese mit seinen Söhnen, seiner Frau, die ebenso wie seine Schwiegertöchter namenlos bleibt, und den Tieren zu gehen. Gott weiht Noah in seine Pläne ein. Er begründet die bevorstehende Vernichtung mit der vorherrschenden Gewalt und den chaotischen Zuständen, denen nur mit Vernichtung durch Chaos zu begegnen ist. Gleichzeitig wird aber im Bundesschluss (→ Bund
In Noah fallen Existenz aus dem Wort Gottes und verantwortlicher Eigenstand zusammen. Aus eigenem Antrieb baut er für JHWH einen Altar, um ihm ein Opfer darzubringen, dessen Geruch JHWH im Selbstgespräch seinen universalen Rettungswillen formulieren lässt: Nie wieder soll die Erde verflucht werden, auch wenn die Möglichkeit zu menschlicher Boshaftigkeit immer gegeben ist (Gen 8,21
Dass Noah JHWH ein Opfer darbringt, gehört zur nicht-priesterschriftlichen Überlieferung. Schöpfungssegen, Mehrungsauftrag und Gnadenbund sind Teil der zentralen Entwürfe der Priesterschrift. Sie knüpfen unmittelbar an die Schöpfungserzählung in Gen 1
Gott ist bei der erneuten Übergabe der Schöpfung an die Menschen zu Zugeständnissen bereit, die in der ursprünglich als gewaltfrei und ohne Blutvergießen konzipierten Schöpfung nicht vorgesehen waren. So wird Fleischgenuss erlaubt, solange in diesem kein Blut ist (Gen 9,4
Mit Noah, seinen Söhnen und allen Lebewesen schließt Gott einen universalen → Bund
Intertextuelle Aspekte. Innerbiblisch können → Lot
In der Exodus-Erzählung ist es der Pharao, der die Vernichtung des Volkes beschießt, das fruchtbar ist und sich mehrt. Während die männliche Erstgeburt getötet wird, überlebt → Mose
Altorientalische Parallelen. Die alttestamentliche Sintfluterzählung hat ihre Wurzeln in vergleichbaren altorientalischen Fluterzählungen. Deren Helden heißen Ziusudra (in der sumerischen Fluterzählung), Utnapischti[m] (in der Fluterzählung auf Tafel XI des → Gilgamesch-Epos
2.1.3. Noah als Kulturbringer (Gen 9,18-27)
Noah gilt als „Kulturbringer“, als Acker- und Weinbauer (Gen 9,20
Literarkritisch gesehen wird es sich hier um eine andere Noah-Figur handeln, die nachträglich mit dem Helden der Sintfluterzählung identifiziert wurde. Im Erzählzusammenhang von Gen 9,18-27
2.2. Noah außerhalb der Genesis
Neben der Einordnung in die Geschlechterfolge in 1Chr 1,4
2.2.1. Noah als Heilsempfänger bei Deuterojesaja
In der prophetischen Verheißung → Deuterojesajas
2.2.2. Noah als Gerechter bei Ezechiel
Bei → Ezechiel
3. Noah in späterer Rezeption
3.1. In deuterokanonischen Schriften
Bereits in den deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments (→ Kanon
3.1.1. Jesus Sirach. Dem → Sirach-Buch
3.1.2. Weisheit Salomos. Namenlos wird im → Weisheitsbuch
3.1.3. Tobit. Als vorbildlich in Fragen der Mischehenproblematik erscheint Noah im Buch → Tobit
3.2. In außerkanonischen Schriften
Die außerkanonischen Schriften (→ Pseudepigraphen
3.2.1. Äthiopischer Henoch. Im äthiopischen → Henoch
3.2.2. Jubiläenbuch. Auch dem → Jubiläenbuch
3.2.3. Das → Genesisapokryphon
3.2.4. In der narrativen Schriftauslegung des → Josephus
3.3. Im Neuen Testament
3.3.1. Matthäusevangelium. Bei Matthäus wird die Sintfluterzählung mit den Endzeitereignissen parallelisiert (Mt 24,32-42
3.3.2. Lukasevangelium. In der synoptischen Parallelüberlieferung bei Lukas (Lk 17,22-37
3.3.3. Hebräerbrief. Der Hebräerbrief ergründet das Wesen des Glaubens im Rückgriff auf die Heilsgeschichte (unmittelbarer Kontext ist: Schöpfung in Hebr 11,3
3.3.4. Erster Petrusbrief. Der 1. Petrusbrief (→ Petrusbriefe
3.3.5. Zweiter Petrusbrief. Im Kontext einer Gerichtslehre erscheint ein analoger Verweis auf Noah als den achten der Geretteten im 2. Petrusbrief (2Petr 2,4-10
4. Wirkungsgeschichte
4.1. Im Judentum
In der rabbinischen Tradition werden unter dem Namen des Noah die sieben Gebote aus Gen 9,3-6
Auch die sogenannten „Jakobsklauseln“ (Apg 15,19-20
In der jüdischen Rezeptionsgeschichte erscheint Noah auch als „Gerechter“. Während die haggadische Tradition die biblische Leerstelle füllt und berichtet, worin sein gerechtes Handeln besteht (vgl. Midrasch Tanhuma Gen 11
4.2. Im Christentum
Im Christentum wird Noah zum Typus und zur Präfiguration Jesu, da er zur Umkehr ruft und im Kontext einer universalen Katastrophe als Erlöserfigur erscheint. Auch die Flut selbst, die Arche und die Taube werden typologisch ausgelegt: Wie Noah über die Todeswasser triumphiert, so besiegen Jesus und mit ihm die Christen Satan und den Tod durch das Wasser der Taufe. Die Arche wird ekklesiologisch gedeutet: Wie außerhalb der Arche so ist auch außerhalb der Kirche kein Heil möglich. Die von Noah gesendete Taube präfiguriert den Heiligen Geist über dem Taufwasser, der Versöhnung ermöglicht.
4.3. Im Islam
Im Koran wird die Vorbildhaftigkeit Noahs herausgestellt, der als Gottesgesandter als Präfiguration Muhammads gilt. Er ist geschickt als „eindringlicher Warner“ die Menschen zu bewegen, sich dem einen Gott zuzuwenden (Sure 11,25; vgl. Sure 17 und 26; Text Koran
4.4. In der Kunst
In der Kunst des Mittelalters erfreut sich der Noah-Stoff der Umsetzung in dramatischer Form, auch in Form von Lustspielen. In der Neuzeit entstehen epische oder romanhafte Bearbeitungen. In der bildlichen Darstellung überwiegt das Motiv der Trunkenheit Noahs und der Flut. Es werden verschiedene Symbole der biblischen Sintfluterzählung aufgegriffen, die sich teilweise neben der Figur des Noah weiterentwickeln, so die Arche, die Taube und der Bogen. Dabei werden die Symbole oft in weiter Entfernung von der alttestamentlichen Textgrundlage und dem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund ausgedehnt. Die Darstellung der Arche als lebensschützender Raum mit paarweise angeordneten Tieren erfreut sich vor allem beim biblischen Lernen mit Kindern großer Beliebtheit. Die → Taube
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
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2. Weitere Literatur
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- Westermann, C., (1974) 4. Aufl. 1999, Genesis. 1. Teilband: Genesis 1-11 (BK I/1), Neukirchen-Vluyn
- Zenger, E., 1983.1987, Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte (SBS 112), Stuttgart
- Zenger, E., 8. Aufl. 2011, Einleitung in das Alte Testament (Studienbücher Theologie 1,1), Stuttgart
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