Tag Jahwes (AT)
Andere Schreibweise: Tag Jahwes; Jahwetag; Tag des Herrn
(erstellt: Februar 2008)
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1. Belege
Die exakte hebräische Formulierung für den „Tag JHWHs“ lautet יום יהוה (jôm jhwh). Sie begegnet im gesamten Alten Testament nur sechzehn Mal: Jes 13,6
Beide Ausdrucksweisen können durch ein zwischen יום (jôm) „Tag“ und יהוה (jhwh) „JHWH“ eingeschobenes Element X aufgesprengt werden. Als Belege für den „Tag JHWHs“ sind solche Wendungen aber nur dann anzusehen, wenn das eingeschobene Element X eine Beziehung zu eindeutigen „Tag JHWHs“-Texten aufweist. Dann kommen in Frage:
לאדני יהוה צבאות X יום (jôm X la’donāj jhwh ṣəbā’ôt) Jes 22,5
לאלהינו X יום (jôm X le’lohênû) Jes 61,2
X לאדני יהוה צבאות יום (la’donāj jhwh ṣəbā’ôt jôm X) Jer 46,10
Wendungen, die im Kontext des יום (jôm) „Tag“ das handelnde göttliche Subjekt erwähnen* oder die nur die Form X יום ohne die Nennung des Gottesnamens bieten**, kommen dann als Belege für den „Tag JHWHs“ in Frage, wenn ihr unmittelbarer Zusammenhang und ihre Bezüge eine derartige Einschätzung wahrscheinlich machen. Dies ist zumindest der Fall in Jes 13,13
** Z.B. Jes 9,3
Belege der Wendung ביום ההוא (bajjôm hahû’; auch ohne Präposition und Artikel) „an jenem Tag“ gehören nicht zu den „Tag JHWHs“-Stellen, da diese Formulierung völlig unabhängig von einer „Tag JHWHs“-Vorstellung“ grundsätzlich als Zeitadverb verständlich ist (s. Munch). Nur wenn die Formel im Zusammenhang mit einem klaren „Tag JHWHs“-Beleg begegnet, kann sie mit herangezogen werden.
2. Herkunft der Vorstellung
Die im Einzelnen sehr unterschiedlichen Thesen, die in der alttestamentlichen Forschung zur Herkunft der „Tag JHWHs“-Vorstellung vertreten werden, lassen sich auf drei charakteristische Positionen reduzieren.
2.1. Kult
Erstens sprechen etliche Beobachtungen dafür, dass der „Tag JHWHs“ einen kultischen Tag bezeichnet und somit im Kult zu Hause ist (so z.B. Mowinckel, 213ff.229ff.; Gray, 23f.; Weiser, 170; Seybold, 39ff.; Ahlström, 64ff.; Stolz, 159ff.).
1. Die Licht-Motivik (s. Am 5,18
2. Das Verb קום (qûm) „aufstehen“ in Jes 2,19
3. In den Kult verweisende Wortfelder finden sich in Zef 1,7
4. Direkt nach Am 5,18-20
5. Mit dem Zentralbegriff „Tag JHWHs“ verwandt sein könnten der akkadische ûm ili „Tag Gottes“ mit seinem liturgischen Charakter sowie Hos 2,15
6. Außerhalb der Prophetie finden sich (variierte) „Tag JHWHs“-Belege in den in gottesdienstlichen Feiern verwendeten Klageliedern (Klgl 1,12
2.2. Krieg
Zweitens legen einige Indizien die Annahme nahe, dass man unter dem „Tag JHWHs“ den JHWHkrieg verstanden und die „Tag JHWHs“-Vorstellung demzufolge im Bereich des Militärwesens gepflegt hat (so z.B. von Rad, 1993, 129ff.; ders., 1959; Müller; 72ff.; Eggebrecht, 41ff.; Irsigler, 319ff.336ff.; Jeremias, 97ff.).
1. Auf den Krieg verweisende Wortfelder begegnen in Jes 2,15
3. Kompositionell betrachtet verstehen Am 5,18-20
4. Mit dem Zentralbegriff „Tag JHWHs“ vergleichbar sind die Kriegsereignisse anvisierenden Ausdrücke „Tag Midians“ (Jes 9,3
2.3. Tagewählerei
Drittens kommt auch eine Herkunft des „Tages JHWHs“ aus der allgemein orientalischen Omendeutung, genauer der Menologie („Monatslehre bzw. Monatswählerei“) bzw. Hemerologie („Tagelehre bzw. Tagewählerei“) in Betracht (so z.B. Černý, 77ff.; Spieckermann, 200ff.).
1. In derartigen Texten werden ungünstige und günstige Monate bzw. Tage aufgelistet bzw. beschrieben. Dabei werden oft Gottheiten bestimmten Tagen zugeordnet.
2. In diesen Listen begegnet teilweise eine Terminologie („finsterer Tag“; „böser Tag“; „Zornestag“; „Sonnenfinsternis“; „Trübsal“; „Verwirrung“; „Wehklage“), die den biblischen Texten vergleichbar ist.
2.4. Fazit
Eine letztlich überzeugende Entscheidung zwischen den drei Herleitungsmöglichkeiten ist m.E. kaum möglich. Die Herkunft der Vorstellung vom „Tag JHWHs“ muss daher offen bleiben.
So urteilen auch andere Bibelwissenschaftler: „Der Ursprung des Tages liegt nach wie vor im Dunkeln.“ (Zapff, Prophetie, 72ff.82f.). „There seems little hope of deciding rationally between these two explanations [gemeint sind die Herleitungen aus dem Kult und aus der JHWHkrieg-Tradition; M.B.] of the Day of Yahweh in Amos.“ (Barton, 70). „Man hat (immer noch) vielfach nach seinem [gemeint ist der „Tag JHWHs“; M.B.] Ursprung gefragt; doch weiß man eigentlich (trotz vielen Vermutungen) fast nichts, was er (gegebenenfalls) vor Amos gewesen ist, sondern nur was er unter den Propheten geworden ist. Und das Bild dabei ist verwirrend mannigfaltig.“ (M. Sæbø, 583).
3. Aspekte der Vorstellung
Die traditionsgeschichtliche Entwicklung der „Tag JHWHs“-Vorstellung im Alten Testament ist äußerst komplex und wäre anhand detaillierter literargeschichtlicher und traditionsgeschichtlicher Untersuchungen der einzelnen Texte, die in der Forschung für sich genommen schon höchst unterschiedlich analysiert werden, nachzuzeichnen. Dies kann in diesem Artikel nicht geleistet werden.
In der gegenwärtigen Forschungssituation interessiert außerdem die redaktionsgeschichtliche Frage, ob die diversen „Tag JHWHs“-Passagen für die Entstehung des → Zwölfprophetenbuchs
Im Folgenden sollen in aller Knappheit wenige theologische Schwerpunkte der „Tag JHWHs“-Vorstellung im Alten Testament hervorgehoben werden. Weder ist die Reihenfolge der gestreiften Texte als Reihenfolge ihrer Abfassung zu verstehen noch gehen die Texte voll in den Rubriken auf, in denen sie behandelt werden. Für tiefer gehende Einsichten in die diversen Text-Text-Beziehungen und den theologischen Reichtum der Texte verweise ich auf die Literatur.
3.1. Punktuelles Gericht gegen das eigene Volk
Einige Texte verstehen den „Tag JHWHs“ als punktuelles Gerichtshandeln JHWHs gegen sein eigenes Volk.
1. In Am 5,18-20
2. Jes 2,12-17
3. Jes 22,1-14
4. Die Komposition Zef 1,7-16
5. Die → Klagelieder
6. Ebenfalls im Rückblick begegnet der „Tag JHWHs“ in Ob 12-14
7. Genauso verhält es sich mit Ez 7
8. Ez 13
9. Jo 1,15-20
3.2. Universales Weltgericht
Eine weitere Gruppe von Texten deutet den „Tag JHWHs“ als universales Weltgericht. Vorausgesetzt dafür ist eine Eschatologisierung der „Tag JHWHs“-Vorstellung, die teilweise bis in frühapokalyptisches Denken hineinführt (→ Apokalyptik
1. In dem erweiterten Text Jes 2,6-22
2. Die Grundschicht von Jo 4
3. In der → Obadjaschrift
4. Auch einige Fremdvölkersprüche in den großen Prophetenbüchern enthalten die Ankündigung des „Tages JHWHs“: Jes 13
5. Die Verkündigung des „Tages JHWHs“ in der → Zefanjaschrift
6. Das mehrschichtige, im Verlauf des 3. Jh.s v. Chr. entstandene Zukunftsszenario Sach 14
3.3. Möglichkeiten der Verschonung
Da sich in nachexilischer Zeit die Vorstellung vom „Tag JHWHs“ zunehmend ausweitet, stellt sich die Frage, wie der Mensch, ganz gleich ob er dem Gottesvolk oder den Heiden angehört, beim Gericht JHWHs verschont werden kann. Explizit geäußert wird sie in Jo 2,11
1. Der Fortschreibungstext Mal 3,13-21
2. Mit einer ähnlichen Differenzierung reagiert Zef 2,1-3
3. Die jüngste Fortschreibung der Joelschrift aus dem 3. Jh. v. Chr., Jo 3,1-5
4. Der bereits erwähnte Text Sach 14
5. Der späteste „Tag JHWHs“-Text (Ende des 3. Jh.s v. Chr.) liegt mit Mal 3,22-24
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, 1962-1979 (Tag des Herrn)
- Calwer Bibellexikon, 2003 (Tag des Herrn)
- Neues Bibel-Lexikon, 1991-2001 (Jahwetag)
- The Anchor Bible Dictionary, 1992 (Day of Lord; Day of Yahweh)
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, 1973ff (יום jôm)
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., 1994-1995 (יום jōm Tag)
2. Weitere Literatur
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- Barton, J., 2004, The Day of Yahweh in the Minor Prophets, in: McCarthy, C. / Healey, J.F. (Hgg.) Biblical and Near Eastern Essays (FS K.J. Cathcart; JSOT.S 375), London / New York, 68-79
- Beck, M., 2005, Der „Tag YHWHs“ im Dodekapropheton. Studien im Spannungsfeld von Traditions- und Redaktionsgeschichte (BZAW 356), Berlin / New York
- Černý, L., 1948, The Day of Yahweh and some relevant problems, Práce z vědeckých ústavu LIII, Prag
- Eggebrecht, G., 1983, Die früheste Bedeutung und der Ursprung der Konzeption vom „Tage Jahwes“, in: Rogge, J. / Schille, G. (Hgg.), Theologische Versuche XIII, Berlin, 41-56
- Fohrer, G., 1991, Der Tag JHWHs (1982), in: ders., Studien zum Alten Testament (1966-1988) (BZAW 196), Berlin / New York, 32-44
- Gray, J., 1974, The Day of Yahweh in Cultic Experience and Eschatological Prospect, SEA 39, 5-37
- Hoffmann, Y., 1981, The Day of the Lord as a Concept and a Term in the Prophetic Literature, ZAW 93, 37-50
- Irsigler, H., 1977, Gottesgericht und Jahwetag. Die Komposition Zef 1,1 - 2,3, untersucht auf der Grundlage der Literarkritik des Zefanjabuches (ATSAT 3), St. Ottilien
- Jeremias, J., 1977, Theophanie. Die Geschichte einer alttestamentlichen Gattung (WMANT 10), 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn
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- Munch, P.A., 1936, The Expression bajjôm hāhū’. Is it an Eschatological Terminus Technicus? (ANAVAO.HF 2), Oslo
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- Sæbø, M. u.a., 1982, Art. יום, in: ThWAT III, Stuttgart, 559-586
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- Seybold, K., 1985, Satirische Prophetie. Studien zum Buch Zefanja (SBS 120), Stuttgart
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- Stolz, F., 1972, Jahwes und Israels Kriege. Kriegstheorien und Kriegserfahrungen im Glauben des alten Israel (AThANT 60), Zürich
- Weiser, A., 1963, Das Buch der zwölf kleinen Propheten I: Die Propheten Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha (ATD 24), 4. Aufl., Göttingen
- Weiss, M., 1966, The Origin of the „Day of the Lord“ – Reconsidered, HUCA 37, 29-60.
- Zapff, B.M., 1995, Schriftgelehrte Prophetie – Jes 13 und die Komposition des Jesajabuches. Ein Beitrag zur Erforschung der Redaktionsgeschichte des Jesajabuches (fzb 74), Würzburg
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