Rechtfertigung (AT)
(erstellt: Januar 2006)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/32894/
1. Vorbemerkung
Das Interesse am Begriff „Rechtfertigung“ im Alten Testament ergibt sich aus der zentralen Bedeutung dieses Begriffs in der paulinischen und der sich an sie anschließenden reformatorischen Theologie. Nach dem breiten Konsens der jüngeren Bibelwissenschaft (vgl. dagegen jedoch Koch) kommt „Rechtfertigung“ im Alten Testament – wie in den meisten neutestamentlichen Schriften – zwar nicht dem Wort, aber der Sache nach zur Sprache. So wäre die Rückfrage nach einer bereits im Alten Testament anhebenden Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium (vgl. Schmidt, 1989) u.ä. zwar legitim (anders Spieckermann, 1997, 283f), hilfreicher ist es jedoch, das Alte Testament auch hierin zunächst seine eigene Sache sagen zu lassen. Es zeigt sich, dass die paulinische Rechtfertigungstheologie (auch bez. der Frage nach „Gottes Gerechtigkeit“ Röm 1,16f
Auch im Alten Testament steht die Frage nach der Rechtfertigung bzw. Gerechtsprechung von Menschen im Zusammenhang mit der der → Gerechtigkeit
2. Israels Erwählung, Israels Gerechtigkeit und das Tun der Tora
Die Überzeugung von JHWHs freier Zuwendung zu Israel in dessen Erwählung und von JHWHs Vergebungsbereitschaft (vgl. etwa die Gnadenformel Ex 34,7
Unterschiedliche Zuordnungen von Heilsgabe des Landes und Appell zum Tun des Gebots werden im → Deuteronomium
3. Verheißungsglaube und Gerechtigkeit
Die im paulinischen Schriftbeweis für die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit zitierte Stelle Gen 15,6
4. Gerechtsprechung des Gerechten und des Sünders
Vom forensischen Begriffsfeld her gewinnt die alttestamentliche Sicht der Rechtfertigung / Gerechtsprechung von Menschen an Profil (צדק Hif. „für gerecht erklären / zum Recht verhelfen / freisprechen“). Als Grundsatz nicht nur altisraelitischer Rechtssprechung gilt, dass der Schuldige schuldig und der Unschuldige gerecht zu sprechen ist (vgl. Dtn 25,1
Bei diesem gerade auch die Individualpsalmen durchdringenden Verständnis von JHWHs rettender Gerechtigkeit (vgl. u.a. Ps 4,2
5. Stellvertretung und Rechtfertigung
Dass nach Maßgabe der „rettenden Gerechtigkeit“ nicht einfach „Gnade vor Recht“ ergeht – was in letzter Konsequenz die innere Auflösung des Gerechtigkeitskonzepts bedeuten würde –, sondern jene vielmehr auf die Aufrichtung von JHWHs am Erbarmen orientierten Recht abzielt, zeigt sich zugespitzt, wo die Wiederherstellung der Gerechtigkeit von Schuldiggewordenen nicht (mehr) „umsonst“ geschehen kann, wie es bei der auf JHWH selbst zurückgeführten Institution kultischer → Sühne
6. Rechtfertigung im Frühjudentum
Im Frühjudentum werden die alttestamentlichen Traditionslinien auf unterschiedliche Weise fortgeführt. Parallel zur Eschatologisierung des Gerichtsgedankens wird in der LXX die Rechtfertigungsthematik verstärkt (vgl. Ps 50,6 LXX; Ps 72,13 LXX und Ps 142,2 LXX jeweils mit MT; s. dazu Spieckermann, 1997, 284). Während 4Esr 8,31-36 Gerechtigkeit Gottes als Erbarmen versteht, geht es nach 4Esr 7,104f; 8,38f im Endgericht um den Lohn für gerechte bzw. ungerechte Taten. Anders wird in grundlegenden Texten der Qumran-Gemeinschaft, deren Mitglieder sich aufgrund von (individueller) Prädestination als im Gnadenbund stehend begreifen (vgl. 1QS I, 7f), die Gerechtigkeit Gottes – bei zugleich radikalem Sündenbewusstsein und begleitet von der Rechtfertigung Gottes in seinem Richten (vgl. etwa 1 QS X, 11-13) – als rettend und (eschatologisch gültiges) Heil schaffend verstanden (1QS XI, 9-14, vgl. 1QS X, 11 u.ö 1QH XII, 37; XV, 16-20; XIX, 29-32 u.a.; vgl. zum Ganzen Betz). Die Mahnung zum Toragehorsam gemäß der Weisung des „Lehrers der Gerechtigkeit“ bleibt, ohne heilsrelevant zu werden, in der dualistischen Theologie der Gemeinschaft von integraler Bedeutung. Diese Rechtfertigungskonzepte bilden bereits den mittelbaren Kontext der paulinischen Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen im Glauben an Jesus Christus.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
2. Weitere Literatur
- Assmann, J. / Janowski, B. / Welker M. (Hgg.), Gerechtigkeit. Richten und Retten in der abendländischen Tradition und ihren altorientalischen Ursprüngen, München 1998, 9-35
- Betz, O., Rechtfertigung in Qumran, in: J. Friedrich (Hg.), Rechtfertigung (FS E. Käsemann), Tübingen / Göttingen 1976, 17-36
- Braulik, G., Gesetz als Evangelium. Rechtfertigung und Begnadigung nach der deuteronomischen Tora, in: ders., Studien zur Theologie des Deuteronomiums (SBAB 2), Stuttgart 1982 / 1988, 123-160
- Braulik, G., Die Entstehung der Rechtfertigungslehre in den Bearbeitungsschichten des Buches Deuteronomium. Ein Beitrag zur Klärung der Voraussetzungen paulinischer Theologie, in: ders., Studien zum Buch Deuteronomium (SBAB 24), Stuttgart 1997, 11-27
- Hofius, O., „Rechtfertigung des Gottlosen“ als Thema biblischer Theologie, JBTh 2 (1987), 79-105
- Hossfeld, F.-L., Gedanken zum alttestamentlichen Vorfeld paulinischer Rechtfertigungslehre, in: Th. Söding (Hg.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der „Gemeinsamen Erklärung“ von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund (QD 180), Freiburg / Basel / Wien 1999, 13-26
- Koch, K., Art. Rechtfertigung, im Alten Testament, in: Evangelisches Kirchenlexikon III, Göttingen 1959, 471f
- Köckert, M., Das nahe Wort. Zum entscheidenden Wandel des Gesetzesverständnisses im Alten Testament, ThPh 60 (1985) 495-519
- Kreuzer, S., Die Botschaft von der Rechtfertigung im Alten Testament, in: ders. / J. v. Lüpke (Hgg.), Gerechtigkeit glauben und erfahren. Beiträge zur Rechtfertigungslehre (Veröffentlichungen der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. Neue Folge 7), Neukirchen-Vluyn 2002, 120-144
- Levin, Chr., Altes Testament und Rechtfertigung, ZThK 96 (1999), 161-176
- Loader, J. A., Zum Preis der Rechtfertigung Gottes im Alten Testament, BThZ 18 (2001), 3-23
- Maul, S., Der assyrische König, Hüter der Weltordnung, in: K. Watanabe (Hg.), Priests and Officials in the Ancient near East. Papers of the Second Colloquium on the Ancient Near East – The City and its Life, Held at the Middle Eastern Culture Center in Japan, March 22-24, 1996, Heidelberg 1999, 201-214
- Graf Reventlow, H., Rechtfertigung im Horizont des Alten Testaments (BevTh 58), München 1971
- Schmidt, W.H., „Rechtfertigung des Gottlosen“ in der Botschaft der Propheten, in: J. Jeremias / L. Perlitt (Hgg.), Die Botschaft und die Boten (FS H.-W. Wolff), Neukirchen-Vluyn 1981, 157-168
- Schmidt, W.H., Werk Gottes und Tun des Menschen. Ansätze zur Unterscheidung von „Gesetz und Evangelium“ im Alten Testament, JBTh 4 (1989), 11-28
- Spieckermann, H., Art. Rechtfertigung I. Altes Testament, in: TRE 28 (1997), 282-288
- Spieckermann, H., Der Retter ist nah. Heilsverheißung und Rechtfertigung nach dem Alten Testament, in: W. Härle / P. Neuner (Hgg.), Im Licht der Gnade Gottes. Zur Gegenwartsbedeutung der Rechtfertigungsbotschaft, Münster 2004, 27-52
- Wellhausen, J., Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin 9. Aufl. 1958
- Zimmerli, W., Alttestamentliche Prophetie und Apokalyptik auf dem Wege zur „Rechtfertigung des Gottlosen“, in: J. Friedrich (Hg.), Rechtfertigung (FS E. Käsemann), Tübingen / Göttingen 1976, 575-592
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)