Zwölfprophetenbuch
(erstellt: November 2007)
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1. Name und Umfang
1.1. Das Zwölfprophetenbuch – ein Buch aus 12 Schriften
Das Zwölfprophetenbuch umfasst die Schriften der sogenannten „Kleinen Propheten“: → Hosea
Als ältester Beleg für die Existenz einer Zwölfprophetenbuch-Rolle gilt der Hinweis in Sir 49,10
Obwohl in der antiken Handschriftentradition kein Zweifel daran besteht, dass diese zwölf Schriften als Bestandteile eines einzigen Buches begriffen wurden, fehlt dem Buch als Ganzem eine eigene Überschrift, wie sie die anderen drei Prophetenbücher → Jesaja
Das Zwölfprophetenbuch gibt also viel deutlicher als die anderen Prophetenbücher zu erkennen, dass verschiedene Autoren aus unterschiedlichen Geschichtsepochen in diesem Buch vereint sind. Um schon im Begriffsgebrauch deutlich zu machen, dass einzelne Schriften, trotz ihrer Zuschreibung zu verschiedenen Autoren, als Bestandteile eines größeren Ganzen gemeint sind, empfiehlt es sich einem Vorschlag von Nogalski zu folgen und zwischen Schriften (engl. writings) und den mehrere Schriften umfassenden Büchern (engl. books) zu unterscheiden.
1.2. Zwölfprophetenbuch – Dodekapropheton
Darüber hinaus empfiehlt es sich, die Begriffe „Zwölfprophetenbuch“ und „Dodekapropheton“ klar zu unterscheiden. Da sich die griechische Fassung des Zwölfprophetenbuchs schon durch ihre Sprache, aber auch durch die andere Anordnung der Schriften und weitere Dinge von der masoretischen Fassung unterscheidet, erscheint es sinnvoll den griechischen Namen „Dodekapropheton“ auch ausschließlich zur Bezeichnung der griechischen Fassung zu verwenden und auf die masoretische Fassung mit dem Ausdruck „Zwölfprophetenbuch“ (engl. „Book of the Twelve (Prophets)“) zu verweisen. Das Neue Testament zitiert die Kleinen Propheten jedenfalls ausschließlich auf Griechisch.
2. Die chronologische Anordnung
2.1. Zwölfprophetenbuch
Bei der Zusammenstellung der Einzelschriften ging man nicht mechanisch vor, etwa indem man sie nach Abfassungszeit, Umfang oder Herkunft der Autoren ordnete, sondern gestaltete eine höhere Einheit, in der die Geschichte der Prophetensendungen Gottes an sein Volk repräsentativ zur Geltung kommen sollte. Klar erkennen lässt sich, dass die Schriften, die sich auf Grund inhaltlicher Hinweise einfach datieren lassen, in geschichtlicher Folge hintereinander stehen.
So beginnt die Prophetenreihe mit Hosea, weil in Hos 1,7
Die nicht datierten Schriften wurden wohl auf Grund thematischer Verwandtschaft zwischen den datierten Schriften eingeordnet. Besonders augenfällig zeigt sich das da, wo Stichwortbezüge zwischen dem Ende der einen und dem Anfang der folgenden Schrift bestehen. Diese Stichwortanknüpfungen hat erstmals Franz Delitzsch beobachtet (Delitzsch, 1851), Nogalski (1993a) hat das Phänomen bisher am intensivsten studiert. Die augenfälligsten Bezüge sind: Hos 14,2
Die grobe Gliederung dieser geschichtlichen Folge ist in der hebr. Fassung so, dass zunächst die Botschaft der Propheten dargestellt wird, die den Untergang des Nordreichs angedroht haben: Das sind Hosea, Amos und (nur in Mi 1,2-7
2.2. Dodekapropheton
Die Dodekapropheton-Fassung bietet die Abfolge: Hosea, Amos, Micha, Joel, Obadja, Jona, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi. Diese ist gegenüber der Anordnung der hebräischen Vorlage klar erkennbar sekundär, denn sie folgt der Abfolge von Nordreichs- und Judaprophetie noch konsequenter, insofern sie die das Nordreich betreffenden Prophetien von Hosea, Amos und Micha als geschlossenen Block nach vorne zieht und die restlichen Schriften in ihrer Reihenfolge belässt, so dass es nach Micha nur noch um Juda und die Völker geht.
Auch in der Frage, an welche Stelle das Dodekapropheton innerhalb der Anordnung der prophetischen Bücher gehört, weichen die erhaltenen Handschriften voneinander ab. Codex Vaticanus (4. Jh.) und Codex Alexandrinus (5. Jh.) bezeugen die Abfolge 12+4 (Dodekapropheton + Jesaja + Jeremia + Ezechiel + Daniel), der Codex Sinaiticus (4. Jh.) dagegen die Abfolge 4+12 (Brandt, 183). Die Letztere gleicht der masoretischen Abfolge. Auch in diesem Fall ist die masoretische Reihenfolge die ältere. Die 12+4-Abfolge erklärt sich als bewusstes Vorziehen der nach Meinung der Septuaginta ältesten Prophetenschrift Hosea.
3. Textüberlieferung
3.1. Die hebräische Textüberlieferung
Die ältesten Handschriften des Zwölfprophetenbuchs stammen aus der 4. Höhle von Qumran. Wie im Falle anderer Prophetenbücher finden sich bereits Handschriften, die als Vorläufer des mittelalterlichen masoretischen Standardtextes zu bewerten sind (Brooke, 32 „proto-masoretic“ 4QXIIb; 4QXIIf). Daneben gibt es aber noch andere Textüberlieferungen. Gut zu greifen sind Manuskripte, die der Vorlage der Septuaginta nahe stehen (4QXIIc). Aber es gibt auch viele Texte, die sich in diese beiden Typen nicht recht einordnen lassen („non-aligned“ 4QXIIa; 4QXIIe; 4QXIIg). Die wohl älteste Handschrift 4QXIIa enthielt sehr wahrscheinlich Jona nach Maleachi. Diese Abfolge ist sonst nirgends belegt. Möglicherweise reflektiert sie ein redaktionelles Stadium, in dem man sich bezüglich der Einordnung von Jona noch nicht einig war (Schart, 1998, 2). Die Handschrift aus dem Wādī Murabba‘āt ist in Anordnung und Textbestand weitestgehend mit dem masoretischen Text identisch. Sie zeigt somit, dass im 1. Jh. n. Chr. die masoretische Textform sich durchzusetzen begann.
3.2. Die griechische Textüberlieferung
Die Übersetzung des hebräischen Zwölfprophetenbuchs in die griechische Sprache ergab sich zwanglos im Rahmen des größten Übersetzungsprojekts der Antike, der Septuaginta, in deren Verlauf nach und nach alle autoritativen Texte Israels in das Griechische übersetzt wurden. Wie in vielen anderen Fällen nahm man für diese Übersetzung nicht den proto-masoretischen Texttyp als Vorlage, sondern einen anderen Text. Dieser wurde allerdings sehr sorgsam und möglichst wörtlich übersetzt, wobei sich Fehler und Missverständnisse einschlichen. Da der Text der jüdischen Septuaginta bis auf minimale Fragmente nur in Abschriften des christlichen Alten Testaments erhalten geblieben ist, ist im Einzelfall nicht immer völlig sicher zu entscheiden, ob Varianten der griechischen Textüberlieferung christlichen Ursprungs sind oder sich der jüdischen Septuaginta verdanken oder gar auf die hebräische Vorlage der LXX zurück gehen.
Das griechische Zwölfprophetenbuch (= Dodekapropheton) ist textlich gut erhalten. Joseph Ziegler bietet in seiner Ausgabe des Dodekapropheton im Rahmen der Göttinger Septuaginta von 1940 eine erschöpfende Darstellung der Handschriftenlage (Ziegler, 7-119). Grob gesagt repräsentiert der alexandrinische Text, der in prominenter Weise vom Codex Alexandrinus dargeboten wird, die älteste erhaltene Textstufe, während der vom Codex Vaticanus repräsentierte Text bereits verschiedentlich nachträgliche Angleichungen an die masoretische Texttradition enthält. Seit Zieglers Arbeit ist ein spektakulärer Handschriftenfund hinzugekommen: die jüdische Dodekapropheton-Rolle aus dem Nachal Hever 8HevXIIgr, in der der Gottesname gemäß jüdischer Praxis mit althebräischen Konsonanten geschrieben ist (Garcia-Martinez, 105; Barthélemy; Tov / Kraft; Abbildung
4. Entstehung
Die Rekonstruktion der Entstehung des Zwölfprophetenbuchs als Ganzem begann im 18. Jh. mit → Johann Gottfried Eichhorns
Als Konsequenz daraus ist die Zahl der redaktionsgeschichtlichen Thesen inzwischen stark angewachsen. Eine komplette Übersicht über die verschiedenen Entstehungstheorien kann in diesem Artikel nicht gegeben werden. Es mag genügen einige Hypothesen zu identifizieren, die sich breiterer Zustimmung erfreuen.
4.1. Das deuteronomistische Korpus (D-Korpus)
4.1.1. Die literarkritische Abgrenzung des D-Korpus
Nogalski hat auf die Gleichartigkeit der Überschriften Hos 1,1
Die These Nogalskis wurde von Aaron Schart, der den Namen „D-Korpus“ bevorzugte, weiter ausgearbeitet und modifiziert (Schart, 1998). Rainer Albertz (2001), der den Namen „Vierprophetenbuch“ (=VPB) einführte, und Jakob Wöhrle (2006) nahmen weitere Änderungen in der Textzuweisung vor. Hervorzuheben ist Wöhrles Vergleich des D-Korpus mit dem 2. Königsbuch, welcher deutlich macht, dass der Aufbau des D-Korpus ziemlich genau und zum Teil mit auffälligen Stichwortübereinstimmungen dem Aufriss des → deuteronomistischen Geschichtswerks
4.1.2. Die Intentionen des D-Korpus
Das D-Korpus stellt die Propheten vor allem so dar, dass sie von der Gesetzesüberlieferung abhängen: Sie prangern den Abfall vom göttlichen Willen an und fordern ultimativ die Rückkehr zum tora-gemäßen Verhalten. Besonders deutlich wird das in den redaktionellen Zufügungen: die Hoseaschrift wird mit einem Umkehrruf abgeschlossen (Hos 14,2-4
Wie Schart herausgearbeitet hat, wird die von den Propheten angekündigte göttliche Strafe als Einlösung der Fluchandrohungen des Deuteronomiums aufgefasst. Nur in den Schriften des D-Korpus (Hos 4,10
Das Verhältnis zum deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrG) wird unterschiedlich bestimmt. Auf der einen Seite wird das D-Korpus in großer sachlicher Nähe zum deuteronomistischen Geschichtswerk gesehen. So äußert Schwesig die These, das Vierprophetenbuch sei die exemplarische Darlegung dessen, was die in 2Kön 17,12
4.1.3. Der historische Ort des D-Korpus
Das D-Korpus setzt 2Kön 25
4.2. Eine Vorstufe des D-Korpus: Hosea und Amos als Zweiprophetenbuch
Fragt man nach Vorstufen für das D-Korpus, so hat besonders die These eines Teile von Hosea und Amos umfassenden Zweiprophetenbuchs Beachtung gefunden. Jörg Jeremias hat die These vertreten, dass Hosea- und Amosschrift aufeinander zu redigiert wurden (Jeremias, 1996). Diese Beobachtungen hat Schart zu der These ausgebaut, dass die Hosea- und die Amosschrift vom selben Kreis herausgegeben wurden, um eine zusammenfassende Begründung für den Untergang des Nordreichs zu geben (Schart, 1998, 101-155).
4.3. Bearbeitungen des D-Korpus
Das D-Korpus wurde über mehrere Stufen weiter bearbeitet. Markante Einschnitte bilden die Einfügung von Nahum und Habakuk sowie die Anfügung eines dem Mehrprophetenbuch-Redaktor bereits vorgegebenen Berichts vom Auftreten der Propheten Haggai und Sacharja (Hag 1-2
4.4. Eine Schicht aus Joel und Sach 14
4.4.1. Die literarkritische Abgrenzung der Joel-Sach 14-Schicht
Nogalski hatte die redaktionelle Hauptarbeit bei der Erstellung des Zwölfprophetenbuchs einem „Joel-related layer“ zugewiesen. Dieser habe 11 Schriften (außer Jona) vereinigt und so nachbearbeitet, dass sie alle mit dem endgeschichtlichen Szenario harmonieren, das in der Joelschrift ausführlich dargelegt ist (Nogalski, 1993b, 275-278). Nogalski geht davon aus, dass der Joel-Redaktor das D-Korpus mit Nahum*, Habakuk* und dem Korpus Hag 1
Nogalskis These wurde von Schart aufgenommen (Schart, 1998, 261-282), der allerdings Maleachi nicht zum von ihm sogenannten Joel-Obadja-Korpus rechnet. Seiner Meinung nach hat Sach 14
4.4.2. Der historische Ort der Joel-Sach 14-Schicht
Der historische Ort der Joel-Sach 14-Schicht ist schwierig zu bestimmen. Geht man davon aus, dass der in Sach 14
4.5. Die Endredaktion
Angesichts divergierender redaktionsgeschichtlicher Modelle ist verständlich, dass über den Charakter der Endredaktion in der gegenwärtigen Forschungssituation wenig Sicheres gesagt werden kann. Folgt man Schart, so sind die letzten Schriften, die dem Zwölfprophetenbuch hinzugefügt wurden, Jona und Maleachi gewesen.
4.5.1. Die Einfügung der Jonaschrift
Mit der Einfügung der Jonaschrift kamen einige neue Gedanken in das Zwölfprophetenbuch hinein.
Erstens wird nun nicht nur der Verkündigung, sondern auch dem Ergehen des Propheten theologischer Wert beigelegt (ähnliches sieht man an der Einfügung von Jes 36-39
Zweitens wird nun eine gegen Joel gerichtete Satire aufgenommen (Schart, 1998, 287-289). Während Joel die Völker so schildert, dass sie von einer latenten Aggression gegen den Zion geprägt sind, die jederzeit in einen totalen Kriegszug umschlagen kann (Jo 4
Drittens ist der Gegensatz zu Nahum auffällig. Während die Jonaschrift Ninive eine mit größtem Ernst durchgeführte Busse zuschreibt, kündigt Nahum der Hauptstadt des Assyrerreiches die Entehrung und gnadenlose Zerstörung an. Dieser Gegensatz dürfte so aufzulösen sein, dass die Endredaktion stillschweigend davon ausgeht, dass Ninive nach einer gewissen Frist wieder in seine alte Bosheit zurückgefallen ist. Diese Meinung könnte auch in den völkerkritischen Zusätzen Mi 1,2
4.5.2. Die Einfügung der Maleachischrift
Nach dem imposanten endgeschichtlichen Szenario in Sach 14
Die letzten Verse von Maleachi (Mal 3,22-24
4.5.3. Der historische Ort der Endredaktion
Die Endredaktion muss, wie Sir 49,10
5. Theologie
Die biblisch-theologischen Themen des Zwölfprophetenbuchs sind auf der Basis der Exegese der Einzelschriften ja vielfach behandelt worden. Die Frage im hiesigen Zusammenhang ist lediglich, ob sich durch das Verständnis des Zwölfprophetenbuchs als einer redaktionellen Großeinheit neue Impulse für den Diskurs ergeben.
5.1. Die Reihe der Propheten
Als Erstes kann man diesbezüglich nennen, dass die Einzelschriften im Sinne der kanonischen Endgestalt nun einen bestimmten geschichtlichen Platz erhalten (Seitz). Jeder der Propheten ist Teil der gesamten Kette, ruht deshalb auf der Verkündigung seiner Vorgänger, hat das Wort Gottes in eine bestimmte Lage hinein auszulegen und wird seinerseits im Fortgang der Prophetensendungen Gottes neu beleuchtet, eventuell sogar später korrigiert. Themen, die ein Prophet angeschnitten hat, werden so von einem anderen fortgeführt. Tendenziell ergibt sich im Fortgang des Lesens eine immer reichere Vorstellung vom Handeln JHWHs.
5.2. Der Tag JHWHs
Das zentrale Thema des Zwölfprophetenbuchs ist der „Tag JHWHs“ יום יהוה jôm JHWH (Beck, Schwesig). Für das Verständnis der Endfassung ist sehr wahrscheinlich vorauszusetzen, dass die Leserschaft nicht nur die exakte Phrase „Tag JHWHs“, sondern jede Erwähnung eines zukünftigen Tages, an dem JHWH die Geschichte definitiv umgestaltet, auf den Tag JHWHs beziehen soll. Aus dieser Perspektive gelesen, referieren auch unscheinbare Phrasen wie „am Ende der Tage“ (Mi 4,1
Die Phrase findet sich bereits in der ältesten Schrift der Sammlung (Am 5,18
Schon die Redaktoren der ältesten Amosschrift weiteten die Vorstellung auf das Nordreich Israel aus. Zefanja übertrug die Tag JHWHs-Vorstellung dann auch auf Juda (Zef 1
5.3. Das Wesen JHWHs
Ein weiteres großes Thema ist die Beschreibung des Wesens JHWHs. Das Zwölfprophetenbuch enthält an mehreren Stellen wörtliche Zitate der berühmten Auflistung der Eigenschaften JHWHs in Ex 34,6-7
Doch im Verlauf des Zwölfprophetenbuchs folgen weitere Bezugnahmen auf Ex 34,6-7
Dagegen wird am Anfang der unmittelbar folgenden Nahumschrift (Nah 1,2-3
Hintereinander gelesen ergeben die verschiedenen Aussagen zum Wesen JHWHs ein spannungsreiches Geflecht. Sie zeigen, wie die Propheten darum rangen, ihre temporäre und situationsbezogene Gotteswahrnehmung mit dem zu vermitteln, was sie als zeitüberdauerndes Wesen JHWHs verstanden. Das Zwölfprophetenbuch präsentiert die Wesensaussagen nicht als in der Wüste geoffenbarte Beschreibung des Ansichseins JHWHs wie Ex 34,6-7
6. Auslegungsgeschichte
Jede der Schriften des Zwölfprophetenbuchs hat eine intensive Auslegung erfahren. Im Zusammenhang dieses Artikels ist lediglich danach zu fragen, ob die Zwölf Propheten bewusst als Ganzheit wahrgenommen und entsprechend ausgelegt wurden. Dies ist nur ganz am Rande der Fall gewesen.
6.1. Die Idee eines prophetischen Schriftenkorpus
Am bedeutsamsten ist sicherlich die Idee geworden, dass Gott seinem Volk kontinuierlich Propheten sandte, deren Schriften, obwohl sie ursprünglich für eine bestimmte Situation gemeint waren, auch den späteren Generationen zur Gotteserkenntnis dienen sollten. Diese Idee führte nicht nur dazu – sukzessive – ein Zwölfprophetenbuch zu erstellen, sondern darüber hinaus auch das corpus propheticum, also die Sammlung der vier prophetischen Bücher Jes, Jer, Ez und Zwölfprophetenbuch, und sogar den Kanonteil Nebiim („Propheten“, der die sog. Vorderen Propheten einschließt, also die Bücher Josua bis 2. Könige). Weil das Christentum Jesus von Nazareth als Erfüllung und Ziel der Prophetenkette verstand, schloss man in die christliche Bibel die jüdischen Schriften als ersten, grundlegenden Teil ein. Der Islam verstand über Jesus hinaus Mohammed als Siegel der Propheten. Zwar hielt man die jüdischen und christlichen Überlieferungen über die Propheten nicht uneingeschränkt für vertrauenswürdig, aber der Koran enthält viele positive Erwähnungen der Propheten, die Mohammed vorausgegangen sind. Von den Zwölfen ist allerdings nur Jona (arabisch Junus) erwähnt. Als Ganzheit kommen sie nicht vor.
6.2. Das Dodekapropheton im Neuen Testament
Das Dodekapropheton wird insgesamt 33 Mal im Neuen Testament zitiert (vgl. Jesaja 72, Jeremia 10 und Ezechiel 5; Utzschneider). Eindeutige Hinweise darauf, dass das Neue Testament die Existenz eines Zwölfprophetenbuchs voraussetzt, gibt es nicht. Immerhin ist es wahrscheinlich, dass der Ausdruck „Buch der Propheten“ in Apg 7,42
6.3. In der Kunstgeschichte
Die einzelnen Propheten sind in der jüdischen wie der christlichen Kunstgeschichte häufig behandelte Gestalten. Für das Christentum ist besonders die Vorstellung leitend gewesen, dass die Propheten das Auftreten und das Geschick Jesu Christi geweissagt haben. Neben der Darstellung einzelner Propheten, die bestimmte Dinge des Lebens Jesu Christi vorhergesagt haben, so etwa Jesaja die Jungfrauengeburt (Jes 7,14
Darstellungen, die dezidiert und ausschließlich die Zwölf Propheten als in sich geschlossene Gruppe darstellen, sind sehr selten. Ein eindrucksvolles Beispiel findet sich in der Nordrose der Kathedrale in Chartres (Abb. 1; Hinweis von Anton Weininger). Im Zentrum der ringförmigen Komposition findet sich eine Darstellung der Maria mit dem Jesuskind. Der innere Ring wird von vier Tauben und acht Engeln gebildet, der mittlere Ring stellt 12 Könige Israels dar und der äußere Ring umfasst die zwölf Propheten des Zwölfprophetenbuchs: Oben in der Mitte beginnt der Zyklus mit „Osias“ (= Hosea), links daneben folgt „Johel“, rechts daneben befindet sich „Amos“, ganz unten im Zentrum ist „Malachias“.
Eine bekannte Darstellung von Fra Angelico zeigt z.B. eine Vision Ezechiels. Der Künstler stellt das Rad des visionären Himmelsgefährtes in den Mittelpunkt, das er als eine Darstellung eines „biblischen Rads“ versteht: Im äußeren Kreis des Rades sind zwölf alttestamentliche Gestalten dargestellt, im Innern acht der zwölf Apostel. Von den 12 im Zwölfprophetenbuch enthaltenen Propheten sind allerdings lediglich Micha, Jona, Joel und Maleachi erwähnt, die restlichen Personen stellen David, Moses, Salomon, Ezechiel, Jeremia, Esra, Daniel und Jesaja dar. Obwohl also zwölf „Propheten“ begegnen, handelt es sich nicht um diejenigen des Zwölfprophetenbuchs, vielmehr ist die Zwölfzahl eher von den 12 Aposteln abgeleitet.
Literaturverzeichnis
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3. Weblinks
- Ein umfangreiches und regelmäßig aktualisiertes Literaturverzeichnis zum Zwölfprophetenbuch bietet der Website „Bibliography on the Book of the Twelve Prophets“ (http://www.uni-essen.de/Ev-Theologie/twelve/twelvestart.htm
) von Aaron Schart
Abbildungsverzeichnis
- Die Zwölf Propheten (Nordrose der Kathedrale in Chartres; 13. Jh.).
- Ezechiels Vision eines Rades mit 8 Aposteln und 12 Propheten (Fra Angelico; ca. 1450).
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