Deutsche Bibelgesellschaft

Traum / Traumerzählung

(erstellt: August 2012)

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Träume begegnen uns im Alten Testament wie in der Überlieferung der Nachbarkulturen Israels nur in der literarischen Form von Traumerzählungen, so dass sich über die Traumerlebnisse der Menschen nichts mehr aussagen lässt. Die biblischen Traumerzählungen zielen immer darauf ab, göttliche Offenbarungen auszudrücken. Sie verkünden die Zukunft oder fordern zu bestimmten Taten auf. Unterscheiden lassen sich Bildträume und Redeträume. Bei Ersteren liegt das Gewicht auf der Schilderung von Bildern und Ereignissen, die jedoch erst gedeutet werden müssen, um eine göttliche Botschaft zu vermitteln. Letztere enthalten ausformulierte Gottesreden und müssen daher als bereits gedeutete Träume verstanden werden. Besonderes Gewicht haben Träume in der → Josefsgeschichte.

1. Geträumt, erzählt, niedergeschrieben

Menschen sehen im Traum nicht nur Bilder, sondern dynamische Szenen. Zudem hören sie etwas oder verspüren Bewegungen. Nach dem Aufwachen verfliegt der Traum oft schnell. Deshalb muss er in Worte gefasst werden, um mündlich oder schriftlich weitergegeben zu werden. Die Sprache vereinfacht und vereindeutigt die vieldeutigen Inhalte. Wird das „Traummaterial“ (Freud) mittels eines bestimmten Formenvorrats schriftlich als „Traumerzählung“ fixiert, ist die inhaltliche Interpretation bereits abgeschlossen.

Die älteste schriftliche Überlieferung eines menschlichen Traumes datiert auf das 25. Jh. v. Chr. Die südmesopotamische Geierstele berichtet von einer Gottesbegegnung im Schlaf, ohne dass direkt vom Traum gesprochen wird: Als der Herrscher E-Ana-tum sich niederlegt, begegnet ihm sein Gott Ninĝirsu (vgl. Zgoll, 17f). Derartige antike Überlieferungen sind aber nicht als subjektive Traumprotokolle, sondern als in soziale Kommunikationsgefüge eingebettete und funktionalisierte Dokumente zu verstehen – seien es nun Alltagstexte wie Briefe und Verwaltungsurkunden, Ominatexte oder bestimmte Teile größerer epischer Werke.

In der Hebräischen Bibel liegen alle erzählten Träume als lang tradierte und schließlich kanonisierte Literatur vor. Deshalb ist den Erzählungen nicht mehr anzusehen, ob ihnen reale Träume zugrunde lagen. Oft übernehmen sie lediglich literarische Funktionen im Erzählzusammenhang. In einigen Fällen dominieren die Gottesreden die visuellen Inhalte so stark, dass der Traumbericht fast völlig hinter ihnen verschwindet (z.B. Gen 31,24; Gen 46,1-5). Wenn nicht einmal die → Nachtzeit oder der Zustand des → Schlafes erwähnt werden, lässt sich formal kein Traum mehr nachweisen. Die Anzahl der in der Bibel erhaltenen Traumerzählungen ist begrenzt. Deshalb müssen für ihr sachgemäßes Verständnis die Überlieferungen aus der Umwelt Israels mit herangezogen werden.

2. Traumtheorie und Traumpraxis in der Antike

2.1. Hohe Wertschätzung und differenzierte Kritik

Faszinierend und beunruhigend zugleich prägte das Träumen das Selbstverständnis aller Epochen und Kulturen. Die heute nachgewiesenen Schlafphasen wurden bereits in der Antike beobachtet. Die Menschen waren überwiegend davon überzeugt, dass Träume soviel über die gegenwärtige und zukünftige Realität aussagen können wie Erlebnisse im Wachzustand. Vereinzelt erhoben sich auch kritische Stimmen, die gegenüber Deutungspraxis und Zukunftsbedeutung von Träumen skeptisch oder zurückhaltend blieben (z.B. Aristoteles, De divinatione per somnia; Cicero, De divinatione). In einigen Kulturen wie z.B der altägyptischen (Zibelius-Chen, 280.282f) wurde das Träumen sogar als eigener Zustand zwischen Schlaf- und Wachwelt begriffen, in dem die Seele den Körper verlässt und das Jenseits der Ahnen und Götter bereist (vgl. Hornung / Schweizer). So wurden der Tod und das Schicksal eng mit dem Traum verknüpft.

Im antiken Israel wurde der Traum ähnlich wichtig eingeschätzt wie in den benachbarten Kulturen: In Hi 33,14-18 formuliert die literarische Figur → Elihu (→ Hiobbuch) die in der Antike weit anerkannte Lehrmeinung (die u.a. auch in indianischen Gesellschaften anzutreffen ist, vgl. Ahrens, 60): Gottesgedanken äußern sich gewöhnlich in menschlichen Traumgedanken; umgekehrt können Traumgedanken Gottesgedanken sein. Daher kam es darauf an, die Chiffren und Codes der vieldeutigen Bilder zu verstehen, um den göttlichen Willen bzw. das zukünftige Schicksal zu erkennen (Annahme des Traums), das eigene Leben darauf hin auszurichten und ggf. Schlimmes durch → apotropäische Rituale zu verhindern (Lösung des Traums). Physisch oder rein innerpsychisch bedingte Träume wurden zwar registriert, aber nicht als wertvoll angesehen. In Homers Odyssee (XIX, 560ff.) lehrt Penelope ihren heimgekehrten, unerkannten Ehemann die Unterscheidung der beiden Pforten, aus denen alle Träume kämen, eine von Elfenbein (ἐλέφας), die andere aus Horn (κέρας). Lucian von Samosata (Vera Historia II, 33) kennt die Tempel der Täuschung (ἀπάθη) und der Wahrheit (ἀλήθεια).

2.2. Traumsender und Traumübermittler

Ein wirklichkeitsrelevanter Traum tritt nach antiker Mehrheitsmeinung von außen, d.h. „metaphysisch“ an die Schlafenden heran. Götter „senden“ Träume (für Mesopotamien vgl. Zgoll, 288-294). Mediale Traumübermittler (Traumgötter, die Nacht, Geister, eine Schilfhütte) können den Graben zwischen Traumsendern und Schlafenden überbrücken. Die göttlichen Gedanken müssen in menschliche Worte gesetzt werden, um sie verstehen zu können: Einen sofort verständlichen „Botschaftstraum“ gibt es nicht. Das empfangene Traummaterial muss überprüft werden. Dies kann anhand eines weiteren Traumes (Bestätigungstraum), einer Traumserie oder anderer divinatorischer Techniken (Orakel) geschehen. Unter → Divination versteht man einen Kommunikationsvorgang mit dem Göttlichen; dabei wird zwischen induktiven und deduktiven Verfahren unterschieden. Letztere benötigen mediale oder technische Hilfsmittel.

2.3. Die Praxis der Deutung aus Büchern und Katalogen

Aus jahrhundertelanger Beobachtung bestimmter Trauminhalte (induktives Verfahren) wurden Kataloge mit fixierten Aussagen erstellt. Aus diesen Traumbüchern konnte dann deduktiv die Bedeutung konkreter Traumbilder und Traumszenen ermittelt werden.

Das Traumbuch des Papyrus Chester Beatty III (BM 10683, 19. Dyn., um 1292-1186 v. Chr.) – nicht das erste seiner Art – deutet Träume nach der Frömmigkeit der Träumenden, die entweder Begleiter des → Horus (gut) oder des → Seth (böse) sind (Gardiner, 8; Szpakowska, 66-73). Die „Traumunterscheidungen“ (Ὀνειροκριτικά) des Artemidoros von Daldis (135-200 n. Chr.) kategorisieren eine breite Palette von ca. 1400 Trauminhalten, von Geburt und Tod über Körper und Körperteile, Geschlechtsverkehr, Kleidung, Nahrung bis hin zu Göttern und Götterverehrung.

2.4. Hochqualifizierte Traumdeuter

Die Deutung staatspolitisch relevanter Träume der Herrscher wurde professionellen Gelehrten überlassen. Entsprechende Institutionen der Traumdeutung waren oft an Heiligtümern angesiedelt. Innerhalb der altägyptischen Tempelanlage befand sich z.B. das sog. „Lebenshaus“ (pr ‘nḫ), eine Ausbildungsstätte für universales Wissen, zu dem Medizin, Magie sowie die Kunst der Traumdeutung gehörten. An eine für die königlichen Träume zuständige Institution wandte sich Thutmosis IV., als er von Re-Harmachis, dem Gott des Sphinx zu Gizeh, im Traum die Aufforderung erhielt, den Sphinx vom Wüstensand zu befreien (Szpakowska, 50-52.189).

Ägyptische Gelehrte arbeiteten auch an ausländischen Regierungssitzen. Die neuassyrische „Funktionärsliste“ vom Königshof → Assurbanipals (SAA VII-1; ADD 851 IV 2) zählt drei hochgestellte Ägypter namentlich auf. Bei den sogenannten ḥarṭibi handelt es um Mitglieder des „Lebenshauses“ in Ausübung mantischer Professionen, die nicht allein die Traumdeutung umfassen müssen (vgl. Lanckau 2003). In Ex 7,11.22; Ex 8,3.14.15; Ex 9,11 werden חֲרְטֻמִּים ḥărṭummîm genannte Gelehrte als Gegenspieler des Mose extrem negativ gezeichnet (→ Plagenerzählung). In der Bibel spiegelt sich die enorme Bedeutung institutioneller Traumdeutung in den Hoferzählungen, die den mantisch begabten jüdischen Weisen idealisieren, der in der Diaspora zu höchsten Ämtern aufsteigt (vgl. Gen 41,8.24; Dan 1-2; Dan 4-5; 4QOrNab). Diese Erzählfigur hat auf die → Apokalyptik gewirkt (Müller, 1972, 268-293; ders., 1987a, 189-191; ders., 1987b, 936.943).

2.5. Der erwünschte Traum

Mit der → Inkubation liegt ein besonderer Fall vor: Ein Mensch wünscht eine göttliche Auskunft (Orakel) oder möchte mittels göttlicher Kraft von einer Krankheit geheilt werden (Therapie). An einem speziellen Heiligtum (z.B. Epidauros mit dem Asklepios-Kult; → Divination in Griechenland) wird durch genau definierte Riten, die Einnahme von bewusstseinserweiternden Substanzen und eine bestimmte Schlafhaltung eine Gottesbegegnung im Traum hervorgerufen. Diese Techniken sind bereits aus der sumerischen, akkadischen und ugaritischen Literatur bekannt (Zgoll, 309-351). In der Bibel lässt der von Brandopfern eingeleitete Traum → Salomos in → Gibeon (1Kön 3,4-15 vgl. 2Chr 1,2-13) an eine israelitische Praxis der Inkubation denken.

2.6. Literarische Träume und ihre Klassifikation

Ab dem 3. Jt. v. Chr. wurden in Mesopotamien Traumerzählungen schriftlich fixiert, später Traumomina und Traumrituale gesammelt (Zgoll, 14-20). In Ägypten beginnt die Überlieferung in der 1. Zwischenzeit (9. Dyn.; Szpakowska 185). Traumerzählungen lassen sich formal in Bild- und Redeträume klassifizieren. Bildträume können dabei auch Worte und Redeträume auch Visuelles enthalten. Der Unterschied liegt in der Adressierung und damit der Gewichtung einer Traumrede. Ergeht sie nur an einen internen Adressaten, der im Traum selbst vorkommt (intrarelational), bleibt der Traum seiner Bildwelt verhaftet. Ergeht die Traumrede dagegen an eine Person in der Wachwelt (extrarelational), liegt das Gewicht auf der Rede selbst, unabhängig von weiterhin berichteten visuellen Vorstellungen (Zgoll, 237-242).

Intrarelationale Bildträume: Sie enthalten Traumszenen, die oft Handlungsträger, Handlungen und Requisiten erkennen lassen. Eine neue Szene beginnt, wenn neue handlungstragende Personen auftreten. Da die Inhalte noch ungedeutet sind, sollte in kurzen Erzählungen ihre Deutung im unmittelbaren Kontext, in größeren literarischen Werken auch im Makrokontext gesucht werden.

Extrarelationale Redeträume: Literarische Träume dieses Typs müssen als bereits gedeutete Träume verstanden werden – in Freudscher Terminologie handelt es sich um die „Traumgedanken“ (Freud). Mittels erneuter → Divination (Orakelbefragung, → Opfer) oder allgemeiner Kriterien (Zeitpunkt, Person des Träumers, Wiederholungen) prüfte man den Bericht. Die Trauminhalte wurden vereindeutigt und gesellschaftlich-politischen Vorstellungen konform gestaltet, um die Gefährlichkeit ungedeuteter Omina einzugrenzen. Dieses Verfahren findet sich auch in der Bibel.

3. Der innerbiblische Diskurs um Offenbarungsträume

3.1. Ein Oberbegriff für das Phänomen des Träumens

Das hebräische Primärnomen „Traum“ (חֲלוֹם ḥălôm 64-mal, davon 33-mal in Gen) und das abgeleitete Verb „träumen“ (חלם ḥlm z.B. Gen 28,12; Gen 41,1.5; Jes 29,8; Jer 23,25) unterscheiden weder zwischen gewöhnlichen Träumen und zukunftsrelevanten Offenbarungen noch zwischen individuellen Erfahrungen und sozialen Praktiken (Husser 1999, 1484). Der noch unverstandene Traum wird „erzählt“ (ספר sfr Pi. in Gen 37,9; Gen 40,9; Gen 41,8; Ri 7,13.15; Jer 23,28), einmal sogar prophetisch „verkündet“ (נגד ngd Hif. Gen 37,5). Er muss gedeutet werden (פתר ptr Gen 40,8.16.22; Gen 41,8.12.13.15).

In der sumerischen Traumliteratur lautet der Oberbegriff maš(2)-ĝi(6).k (z.B. Gudea-Zylinder A 1:17f), dieser wurde in das Akkadische als šuttu(m) übernommen. Im Griechischen kann ἐνύπνιον undifferenziert alle Träume bezeichnen (Zgoll, 55.79). In altägyptischer Terminologie wurde ein Traum „gesehen“, der Begriff rsw.t wird von rs „erwachen“ gebildet (Zibelius-Chen, 280-282, Szpakowska, 16f.162.165). Die figura etymologica חלם חֲלוֹם ḥlm ḥălôm „einen Traum träumen“ ist als hebräisches Äquivalent der entsprechenden akkadischen Termini šuttam iṭṭul, šuttam īmur „einen Traum sehen“ (altbabylonische Maribriefe, Zgoll, 160-164) zu verstehen.

3.2. Der Offenbarungstraum und das prophetische Wort Gottes

Die hebräische Wurzel חזה ḥzh kann den von Gott gesendeten, wirklichkeitsrelevanten Traum bezeichnen. Ihre Semantik erstreckt sich von „auswählen“ (Ex 18,21) über das Verstehen (Spr 24,32) und Meditieren (Ps 27,4) bis zur Titulatur eines „Sehers“ (→ Bileam Num 24,4.16). Somit legt sich eine allgemeine Übersetzung mit „erkennen“ bzw. „Erkenntnis“ nahe. Das in prophetischen Texten zentrale Nomen חָזוֹן ḥāzôn wird als Begriff für eine empfangene und richtig interpretierte Offenbarung mit dem gehörten göttlichen Wort selbst parallelisiert (vgl. Jes 1,1 mit Jes 2,1). Die Näherbestimmungen „Erkenntnis der Nacht“ (חֲזוֹן לַיְלָה ḥăzôn lajlāh Jes 29,7 bzw. חֶזְיוֹן לָיְלָה ḥæzjôn lajlāh Hi 20,8; Hi 33,15) werden als Synonyma zum unbestimmten Traum (חֲלוֹם ḥălôm) aufgefasst. In Jes 29,7 und Hi 20,8 wird unpolemisch auf dessen flüchtigen Charakter Bezug genommen. Die „nächtliche Erkenntnis“ birgt also ebenso wie der Traum die Möglichkeit in sich, dauerhaft gültige Offenbarung zu enthalten. In Hi 33,14-16 aber wird explizit vom Reden Gottes gesprochen. Hier bezeichnet חֶזְיוֹן לָיְלָה ḥæzjôn lajlāh tatsächlich eine Offenbarung im physischen Rahmen des → Schlafes bzw. im zeitlichen Rahmen der → Nacht (vgl. Gen 20,3; Gen 31,24; Gen 40,5; 1Kön 3,5). Das sogenannte „Nachtgesicht“ kann also ein ganz bestimmtes divinatorisches Medium umschreiben, nämlich den geprüften Traum. Es kann die in Worte gefasste Aussage eines bestimmten חֲלוֹם ḥălôm als offenbarte göttliche Botschaft qualifizieren. So könnte man umgekehrt vermuten, dass die prophetische → Vision selbst vor ihrer Verschriftlichung ursprünglich als Offenbarungstraum zu verstehen ist, dessen ausformulierte Deutung mit dem prophetischen Spruch identisch war (vgl. Jer 23,25). Die „Nachtgesichte“ des → Sacharja aber werden direkt mit einer Form von „sehen“ (r’h) eingeleitet (Sach 1,8 vgl. Gen 46,2; 1Sam 3,15; Jes 6,1) und zuvor als geprüftes Gotteswort (דְּבַר יהוה dǝvar JHWH) bezeichnet (vgl. Delkurt, 21).

3.3. Extrarelationale Redeträume als gültiges Gotteswort

Neben חָזוֹן ḥāzôn findet sich mit מַחֲזֶה maḥăzæh noch eine weitere Ableitung von derselben hebräischen Wurzel ḥzh – mangels Alternative oft mit „Vision“ oder ebenfalls „Nachtgesicht“ übersetzt. In Gen 15,1 wird מַחֲזֶה maḥăzæh mit dem gehörten Gotteswort parallelisiert und positiv bewertet. In Ez 13,7 wird die gegnerische Offenbarung als „nichtig“ abqualifiziert. In Mi 3,6 wird die חָזוֹן ḥāzôn der → Propheten negativ als „Orakel“ (קסם qsm; vgl. Dtn 18,10) bewertet. Beide Ausdrücke (מַחֲזֶה maḥăzæh und חָזוֹן ḥāzôn) sind als Vorläufer der Bezeichnungen „Wort JHWHs“ (דְּבַר יהוה dəbar-JHWH) bzw. vereinfacht „das Wort“ (הַדָּבָר haddābār) zu verstehen, bevor ein Diskurs um die Verifizierung und Legitimation von Prophetie begann, die sich in markanten biblischen Passagen spiegelt (Num 12,6-8; Dtn 13,2-6; Jer 23,23-29). Die Ausdrücke „Wort JHWHs / Gottes“ (דְּבַר יהוה dəbar-JHWH / הַדָּבָר haddābār) bezeichnen geprüfte und theologisch akzeptierte Offenbarungen. Ihre terminologischen Vorläufer מַחֲזֶה maḥăzæh und חָזוֹן ḥāzôn sind ebenfalls als geprüfte und ausformulierte Offenbarung zu verstehen, allein ihre „Orthodoxie“ wurde von Fall zu Fall angezweifelt (Seybold, 34). Nach diesem Verständnis empfiehlt es sich, alle in der Bibel berichteten, nächtlichen Auditionen (z.B. Gen 28,15) als bereits interpretierte, geprüfte und als göttliche Botschaft verkündete Träume zu verstehen. Die ausformulierten Traumgedanken biblischer Redeträume stehen also in enger Beziehung zur Theologie und Weltsicht der entsprechenden Autoren und Redaktoren. Sie sollten vorrangig als überindividuelle, kollektive Erfahrungen und Ausdruck gemeinsamen Glaubens verstanden werden. Ihr „Sitz im Leben“ ist in Israel / Juda meist das noch nicht zentralisierte Heiligtum: → Beerscheba und → Gibeon in Juda sowie → Betel und → Silo in Israel gelten erst nach der Forderung nach Kultzentralisation am Ende des 7. Jh.s (gemäß Dtn 12) als heterodox.

Traum
Die nebenstehende Tabelle zeigt die Struktur extrarelationaler Redeträume. Diese bestehen aus Traumanzeige, Traumkorpus und Traumschluss und enthalten im Korpus ausschließlich Reden eines Traumsenders (JHWH). Ein Gottesbote (→ Engel) kann als Traumübermittler fungieren. Inhaltlich kann zwischen imperativischen Traumanweisungen (z.B. Gen 31,10-13) und indikativischen Traumverheißungen (z.B. Gen 46,2-4) unterschieden werden.

3.4. Die deuteronomistische Kritik

Die deuteronomistische Theologie (→ Deuteronomismus) lehnte viele Formen der Divination strikt ab. Traum und Traumdeutung blieben davon jedoch weitgehend unberührt. Nur einige Texte enthalten harte Polemiken: In Jer 23 spiegelt sich die politische Auseinandersetzung angesichts der neubabylonischen Invasion und des Untergangs des Südreichs Juda. Weil die Gegner Jeremias sich einem „Eingreifen Gottes in die Geschichte“ entgegenstellten, gerieten auch ihre Legitimationsmuster in die Kritik. Das eigentlich legitime Offenbarungsmittel wird als „Lüge“ (šæqær) kompromittiert. Die deuteronomistischen Redaktoren akzeptierten nur noch Traum- oder → Visionsberichte, in denen das Bild an ein Wort JHWHs gekoppelt und theologisch orthodox gedeutet war (Lanckau 2006, 110-119).

3.5. Traum und Prophetie unter der Autorität der Schrift

„Traumdiskussionen“ erzählen keine Träume, sondern beurteilen ihren Wert. Der exemplarische Text Num 12,6-8 ordnet der Prophetie die Fachtermini für das Träumen zu. Die Traumoffenbarungen selbst werden vorausgesetzt und nicht eigens problematisiert, ihre göttliche Legitimation vielmehr bestätigt: „Falls unter euch ein Prophet JHWHs sein wird, will ich mich ihm in einer מַרְאָה mar’āh zu erkennen geben, im Traum (חֲלוֹם ḥălôm) will ich mit ihm reden.“ Die Prophetie speist sich aus mehrdeutigen Bildern: מַרְאָה mar’āh kann als „Schau“, „Bild“ oder eben „Vision“ verstanden werden; חֲלוֹם ḥălôm ist hier der ungedeutete Traum. Als eine unter anderen divinatorischen Methoden wird die ursprünglich prophetische Offenbarung im Medium des Traumes an der Autorität des hier als Gottesknecht und gerade nicht als Prophet gezeichneten → Mose, d.h. an der bereits schriftlich fixierten und theologisch orthodoxen Überlieferung, gemessen und ihr subordiniert. Zur Begründung wird wortspielerisch im Gegenüber zur prophetischen Vision (מַרְאָה mar’āh) betont, dass Mose Gottes Gestalt klar (מַרְאֶה mar’æh) schaute, und so die verbal inspirierte (פֶּה אֶל־פֶּה pæh ’æl-pæh „Mund zu Mund“) Schrift keinerlei „Rätsel“ (חִידָה ḥîdāh) bei der Interpretation aufgebe. In Dtn 13,2-6 werden die miteinander parallelisierten Propheten (נָבִיא nabi’) und Offenbarungsträumer (חֹלֵם חֲלוֹם ḥolem ḥălôm) beim Vorwurf der Anstiftung zu Apostasie unter die Blutgerichtsbarkeit gestellt – die Legitimation ihrer Praxis bleibt wiederum unangetastet (Lanckau 2006, 106-110).

4. Literarische Funktionen biblischer Träume

4.1. Die formale Erzählstruktur intrarelationaler Bildträume

Vergleichbar den Redeträumen werden die in der Hebräischen Bibel berichteten Bildträume in einer speziellen, dabei aber variableren Form überliefert. Bei Träumen, die vorausgegangene Träume (Gen 37,9) oder Orakel (Ri 7,13) bestätigen, wird der Bericht meist verkürzt.

Traumanzeige: Der Traum wird zuerst kurz angezeigt: „x erzählte y einen Traum“ (Ri 7,13b), ausführlicher mit der paronomastischen Formel „x träumte einen Traum … und erzählte ihn y“ (וַיַּחֲלֹם … חֲלוֹם wajjaḥălom … ḥălôm Gen 37,5; Gen 40,5). Damit wird die Erzählung als Ganzes eröffnet und der Trauminhalt an bestimmte Hörer adressiert. Der Inhalt muss nicht sofort berichtet werden (Ri 7,13), dazwischen kann z.B. die Reaktion der Hörer stehen (Gen 37,5). Die Anzeige kann sowohl im narrativen Fremdbericht aus Erzählperspektive (Gen 40,5) als auch im monologischen Eigenbericht aus Perspektive des Träumers (Gen 40,8; Gen 41,15) geschehen. Beide Perspektiven müssen exegetisch streng auseinander gehalten werden, denn es ist nicht vorausgesetzt, dass der Traum als „Außentraum“ sich wirklich an die unmittelbaren Zuhörer innerhalb der Erzählung wendet.

Traumeinleitung: Der inhaltliche Bericht beginnt mit einer Aufforderung zum Zuhören (Gen 37,6), mit einfachem „siehe“ (הִנֵּה hinneh) und der paronomastischen Formel (Ri 7,13) oder mit der Formel „in meinem Traum“ (בַּחֲלוֹמִי baḥǎlômî Gen 40,9).

Markierung der Traumstruktur: Das Wort „und siehe“ bzw. „Da!“ (וְהִנֵּה wǝhinneh) lenkt die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aussagen, strukturiert visuelle Inhalte oder markiert ein Traumbild sowie den Auftritt neuer Handlungsträger. Fungiert das Traumbild als Hintergrundbild oder sind die Handlungsträger zuvor ungenannt, kann das Wort auch die Traumszene eröffnen (Lanckau 2006, 148f).

Hintergrundbild: Statische oder durative (Gen 37,7a) Anfangs- oder Hintergrundbilder werden partizipial formuliert. Ein „Überraschungssatz“ (וְהִנֵּה wǝhinneh + ראה r’h + nominale Mitteilung) ist typisch für die Gattung „prophetische Visionsschilderung“ (Behrens, 53).

Traumszenen: In den Vordergrund treten Handlungen, die auf ein bestimmtes Ergebnis hinauslaufen. In der einzigen Traumszene von Ri 7,13 lässt sich die Form gut ablesen: Hintergrundbild ist „ein Laib Gerstenbrot rollend (Part.) zum Heerlager Midians“, es folgen die Handlungen in der Szene: „… er kommt ans Zelt > stößt es um > es fällt ein > er stülpte es um“ bis zum Ergebnis: „das Zelt ist gefallen“.

4.2. Die Traumdeutung

Erzählte Traumbilder sind nicht aus sich selbst heraus verständlich, auch wenn es manchmal so scheint (Gen 37,8.10). Das Nomen „Bedeutung“ פִּתְרוֹן pitrôn (Gen 40,5.8.12.18; Gen 41,11) bezeichnet den Sinngehalt des Traumes, das hebräische Verb פתר ptr (von ägyptisch ptr / ptrj „durchblicken“; Görg, 8) die Tätigkeit. Diese „Bedeutung“ liegt nicht in der „Gegenwart“ der erzählten Zeit, sondern in einer von da aus näheren oder ferneren Zukunft, die durchaus vor der Erzählzeit liegen kann. In Sinngehalt liegt der Keim einer bestimmten Zukunft. Die hebräische Formel „dies ist seine Bedeutung“ leitet jedoch nur die „Annahme“ eines Traumes, d.h. seine Interpretation, aber nicht seine „Lösung“, d.h. die Beeinflussung dieser Zukunft ein. Wer interpretieren kann, nimmt den Traum nur an (akkadisch mahāru, im → Gilgamesch-Epos: Enkidu). Wer ggf. negative Folgen aufheben kann, wäre nach altorientalischem Denken ein Traumlöser (akkadisch pašāru, im Gilgamesch-Epos: Ninsun) – aus theologischem Grund ist dies biblisch meist Sache Gottes allein.

4.3. Der Traumkern

Die Interpretation deutet nicht in jedem Fall alle Züge des Traumes, eruiert aber immer seinen „Kern“ (sumerisch ša(3).g, akkadisch qerbu, hebräisch ohne Terminus), in dem die zukünftige Wirklichkeit vorweggenommen wird. In Ri 7 wird z.B. nur das Gerstenbrot gedeutet: Ein Wortspiel „Brot“ (לֶחֶם læḥæm) mit „kämpfen“ (לחם lḥm) bzw. „Krieg“ (מִלְחָמָה milḥāmāh) (Husser 1999, 1471). Ähnliches findet sich im Papyrus Chester Beatty III: „Wenn ein Mann sich selbst im Traum sieht, dass ihm Material (wḏ) gegeben wird […] – gut (nfr). Es bedeutet Reichtum (wḏ’) (Szpakowska, 95). Analogieschlüsse, Wortspiele, Assoziationen und Symbole sind hier geläufig (Zibelius-Chen, 286).

4.4. Der weise israelitische Traumdeuter

Die Erzählfiguren → Josef und → Daniel fungieren dagegen in der Hebräischen Bibel als exemplarische Weise, denen von Gott das Charisma intuitiver Traumdeutung verliehen ist. Allerdings nimmt auch Josef Anleihen an Traumbücher auf, wenn er die konträren Träume der pharaonischen Beamten (Gen 40,9-11.16f) deutet: Der Mundschenk sieht seine Epitheta (Weinstock, 3 Ranken, Beeren) und dann sich selbst, das Amt ausübend (Auspressen, Übergabe des Bechers). Im Gegensatz zur Situation der erzählten Zeit zeigt sich im angenehmen Traum die künftige Amtsausübung, daraus folgt per Analogieschluss die Ankündigung der Rehabilitation. Der Bäcker sieht sich selbst mit seinen Epitheta (3 Körbe, Gebäck), und seine Amtsausübung ist verhindert. Der Zielpunkt steht inhaltlich konträr zum ersten. So kann keine Rehabilitation erfolgen. Die Symbolik der fressenden Vögel deutet in der prophetischen Sprache Israels bereits auf den Tod (z.B. Jer 15,3; Ez 44,31); so muss der Traum Böses künden. Die Schnelligkeit der Abfolge des ersten Teils der Traumszene lässt assoziativ an eine kurze Zeiteinheit für die Zahlen denken, also drei Tage. Zahlen deuten meist nicht auf eine Anzahl von Personen, sondern auf Zeiten, die bis zur angekündigten Zukunft vergehen werden. Dies ist im Gegensatz zur Deutung durch Vater und Brüder auch in Gen 37,9 der Fall. Zahlen werden addiert und multipliziert, Primzahlen spielen dabei eine besondere Rolle (Lanckau 2006, 324-326).

4.5. Das literarische Traumdrama in der Josefsgeschichte

Gen 41,1-4.5-7 // Gen 41,17-21.22-24 berichten einen „Doppeltraum“: Hier entsprechen sich nicht nur Elemente und Handlungen, sondern laufen auf einen einzigen Zielpunkt und Traumkern hinaus – anders als in Gen 40. Der Autor entfaltet in narrativer Form eine differenzierte Traumtheorie: Der Traum Pharaos ist „ein einziger“ (אֶחָד ’æḥad), „Gott“ (אֱלֹהִים ’älohîm) der Traumsender, die antizipierte Zukunft nahe (Gen 41,25). Die Beamten träumten dagegen „jeder seinen Traum“ (Gen 40,5).

Der Doppeltraum Josefs in Gen 37,7.9 bietet den Schlüssel zum Verständnis der gesamten Erzählung. Die Reaktionen der Familie (Gen 37,8.10) schreiben Josef den Wunsch nach Herrschaft zu, was vom Autor nicht als gültige Deutung gekennzeichnet wird. Vielmehr lernt der Hauptheld, seine eigenen Träume im Lauf seines Lebens zu verstehen. Ihr Kern ist eine göttliche Beauftragung (Gen 45,5.7.8) zur Lebenserhaltung der Familie und damit des künftigen Volkes Israel mittels ökonomischer Macht im fremden, aber positiv gezeichneten Ägypten. Josef wird zudem als weiser Beamter vorgestellt, der Macht nicht besitzt, sondern nur temporär verliehen bekommt. So spannt sich ein doppelter Erzählbogen bis zu den Deuteszenen in Gen 45,3-8 und Gen 50,20f (Lanckau 2006, 379-384).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
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  • Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003
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2. Weitere Literatur

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Abbildungsverzeichnis

  • Josef deutet den Traum des Pharaos (Peter von Cornelius; Fresco; 1816-17).

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