Herrlichkeit (NT)
(erstellt: Juni 2010)
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1. Herrlichkeit als biblischer Begriff: Ein Übersetzungsvorgang und seine Folgen
Der Begriff „Herrlichkeit“ bezeichnet die Art und Weise, in der ein besonderer Rang oder Status für andere anschaulich und augenfällig wird. Dabei wird man sich unter der Herrlichkeit von Menschen, die sich beispielsweise in besonderer Prachtentfaltung ausdrücken kann, etwas anderes vorzustellen haben als unter der Herrlichkeit eines Tieres oder einer Pflanze – erstere könnte etwa in besonderer Stärke, letztere in besonderer Schönheit zu finden sein. Entsprechend vielgestaltig und schillernd hat der Begriff auch in den biblischen Schriften Niederschlag gefunden; er kann, je nach Kontext, Eigenschaften wie Pracht, Glanz, Schönheit, Stärke, Kraft, Größe, Hoheit oder Majestät nahestehen, und steht in einem besonderen Naheverhältnis zu dem Begriff der → „Ehre
Das gilt zunächst auch für diejenigen Texte, die auf die Herrlichkeit Gottes Bezug nehmen. Allerdings ist hier eine Tradition zu berücksichtigen, die der Rede von „Gottes Herrlichkeit“ (immer wieder auch von Herrlichkeit allgemein) im biblischen Kontext ein besonderes Gepräge verleiht. Mit „Herrlichkeit“ wird der hebräische Begriff kabod übersetzt, dessen Ausgangsbedeutung „Gewicht, Schwere“ ist; als „Erhabenheit, Herrlichkeit“ wird damit das bezeichnet, was Eindruck macht. Dieses Lexem ist durch seine charakteristische Verwendung besonders im Rahmen der Exodus- und Tempeltradition (s.u.) so stark geprägt, dass man an manchen Stellen fast von einem Terminus Technicus (der sich auf die Erscheinung bzw. Präsenz Gottes bezieht) sprechen kann.
Bei der Übersetzung des hebräischen Ausgangstextes in die griechische Sprache (LXX) wurde hauptsächlich der Begriff doxa als Äquivalent zu kabod herangezogen – ein folgenschwerer Entschluss insofern, als damit auch der Begriff doxa in spezifischer Weise umgeprägt wurde. Doxa, das in der philosophischen Tradition den bloßen Schein (im Gegensatz zum Eigentlichen) oder leere Meinungen (im Gegensatz zur Wahrheit) bezeichnen konnte, aber in der Alltagssprache wohl deutlich positiver mit „Ehre“ und königlicher Würde assoziiert war, wurde damit zum Träger derjenigen Traditionen, die in der Hebräischen Bibel mit dem kabod-Begriff verbunden sind.
Dass kabod wie doxa neben dieser spezifisch offenbarungstheologischen Prägung jedoch auch weitgehend „profan“ in dem oben skizzierten Sinne von Ehre, Pracht, Augenfälligkeit eines besonderen Ranges verwendet werden kann, trägt zur Komplexität des biblischen Begriffsbefundes bei. Daher sollen im Folgenden zunächst die charakteristische Prägung von kabod und die davon ausgehenden Traditionslinien zur Darstellung kommen; danach wird es um weitere Schwerpunkte der Begriffsverwendung gehen, die dieser Charakteristik mehr oder auch weniger nahestehen.
Spuren der ursprünglichen Bedeutung von kabod finden sich in Wortspielen wie Jes 22,23f
Dass die Mehrdeutigkeit eines Begriffes, die solchen Wortspielen in der Ursprache zugrunde liegt, auf dem Wege der Übersetzung ins Deutsche verlorengehen kann, zeigt etwa 2Petr 1,17
1.1. Gott erscheint in seiner Herrlichkeit: Die „Ur-Geschichte“ von der Herrlichkeit Gottes
1.1.1. Die Herrlichkeit Gottes und das Volk Israel
Als Grunddatum der Geschichte des Volkes Israel mit seinem Gott nimmt der → Exodus
Die in Ex 16,7
Wie angekündigt (Ex 29,43
1.1.2. Die Herrlichkeit Gottes und der Tempel
Nicht nur mit dem mobilen Heiligtum, der → Stiftshütte
1.1.3. Echos, Variationen, Weiterführungen
Eine besonders ausführliche Weiterführung der kabod JHWH-Vorstellung hat der Prophet Hesekiel unternommen: Er schildert eine Erscheinung der Gottesherrlichkeit im babylonischen Exil (Ez 1,28
Auch in anderen Texten richtet sich nach der Katastrophe des Exils die Hoffnung Israels auf die Herrlichkeit Gottes (Ps 102,17
1.1.4. Die Herrlichkeit als Offenbarung
Auch über diese Erscheinungstraditionen hinaus eignet dem Begriff der Herrlichkeit ein starkes offenbarungstheologisches Moment: Gott hat große Dinge getan, um seine Herrlichkeit kundzutun (1Chr 17,19
Dass diese Herrlichkeit in der Sendung des Gottessohnes Gestalt gewonnen hat, betont vor allem das Joh (s.u.): „Wir sahen seine Herrlichkeit“ (Joh 1,14
1.1.5. „Alle Lande sind voll von seiner Herrlichkeit“
Obwohl die Herrlichkeit des Herrn ihre spezifische Prägung von der Geschichte Gottes mit dem Volk Israel her gewinnt und Israel in besonderer Weise zugeordnet ist (Ps 85,10
Die Völker, der Herrlichkeitsschau teilhaftig geworden, sollen darauf antworten, indem sie Gott und seine Herrlichkeit anerkennen (Ps 102,16
1.2. Jesus Christus, der Herr der Herrlichkeit: eine neue Herrlichkeitsgeschichte
Die Geschichte Jesu Christi wird immer wieder in die Farben der Herrlichkeit getaucht (vgl. das „Evangelium der Herrlichkeit“ in 1Tim 1,11
Diese (wohl an LXX-Jesaja gewonnene) Begrifflichkeit hat auch der Evangelist Joh aufgegriffen, jedoch nicht auf die Auferstehung, sondern auf den Tod Jesu bezogen. So kann er den Kreuzestod explizieren als Erhöhung (Joh 3,14
Paulus will über den Begriff der Herrlichkeit vor allem die Offenbarungsqualität Jesu herausarbeiten: Jesus Christus ist der „Herr der Herrlichkeit“ (vgl. auch Jak 2,1
Einige doxa-Stellen werfen Fragen auf: So könnte die Parallelformulierung in Eph 1,17
2. Licht, Kraft, Lobpreis, Majestät: Annäherungen an die Herrlichkeit
2.1. Die lichthafte Qualität der Herrlichkeit
Man hat die biblische kabod-Vorstellung von iranischen und anderen Konzeptionen abgeleitet, in denen Licht und lichthafte Erscheinungen in religiöser Hinsicht bedeutsam sind. Die Charakteristika der biblischen Herrlichkeitsvorstellung werden dadurch wohl nicht erfasst; dennoch trifft es zu, dass der Herrlichkeit Gottes immer wieder ein lichthafter Zug eignet. So erscheint die Herrlichkeit auf dem Gipfel des Sinai wie ein verzehrendes Feuer (Ex 24,17
Als Licht, das aus der Finsternis rettet, begegnet die Herrlichkeit in Jes 60,1f
2.2. Die Herrlichkeit als Macht und Kraft
Insbesondere im Neuen Testament sind Herrlichkeit und Kraft bzw. Kräftigung immer wieder miteinander assoziiert (2Thess 1,9
Im Alten Testament wird die Herrlichkeit vor allem im Kontext des Gerichtshandelns Gottes als geschichtsmächtige Kraft begriffen. Das betrifft etwa den Machterweis Gottes am Roten Meer, durch den die Ägypter inne werden sollen, dass Gott der Herr ist (Ex 14,18
Die Herrlichkeit als Gerichtsmacht wird im Neuen Testament vor allem im Zusammenhang der Menschensohnvorstellung bedeutsam, vgl. Mk 8,38
2.3. Das Lob der Herrlichkeit
Eine wichtige Rolle spielt der Herrlichkeitsbegriff in hymnisch gefärbten Texten. Allerdings ist diese Dimension in unseren deutschen Übersetzungen meist nur fragmentarisch zu erkennen, da hier meist andere Begriffe wie „Ehre“ (1Chr 16,29
Zur hymnischen Begriffsdimension gehören auch die mannigfaltigen Verbindungen zwischen der Herrlichkeit und dem Namen Gottes – beides theologische Größen, die in besonderer Weise dem Tempel als Ort ihrer Gegenwart zugeordnet worden sind. Gepriesen wird die „Herrlichkeit (bzw. Ehre) seines Namens“ (1Chr 16,29
2.4. Die Herrlichkeit des Königs
Relativ häufig bezieht sich kabod (das auch in diesem Kontext meist als „Ehre“ übersetzt wird) auf Könige (1Chr 29,28
3. Gottes Herrlichkeit und die Herrlichkeit von Menschen
3.1. Herrlichkeit als Gabe Gottes
Nicht nur Könige haben von Gott Herrlichkeit empfangen; als „Könige der Schöpfung“ hat Gott alle Menschen mit Herrlichkeit und → Ehre
3.2. Menschliche Herrlichkeit in Konkurrenz zur Herrlichkeit Gottes
Nicht immer wird aber anerkannt, dass die Herrlichkeit von Menschen eine Gabe Gottes ist. Wo sie sich absolut setzt, wo Menschen sich nur in ihrem eigenen Glanze sonnen und in ihrer eigenen Ehre schwelgen, gerät diese „Pseudo-Herrlichkeit“ unweigerlich in Konkurrenz zu Gott und seinem Herrschaftsanspruch (Jes 3,8
3.3. Die Vergänglichkeit menschlicher Herrlichkeit
Menschliche Herrlichkeit unterscheidet sich von der Herrlichkeit Gottes nicht zuletzt dadurch, dass sie gefährdet und vergänglich ist; das gilt auch für die Herrlichkeit ganzer Völker und Königreiche oder für die Herrlichkeit von Naturphänomenen. Diese Erfahrung wird in Erzählungen entfaltet (Hiob; bes. Hi 19,9
3.4. Die Herrlichkeit Gottes als Heil der Menschen
Als Beziehungsbegriff, der – in der Regel aus theologischer Perspektive – auf Gott und Menschen blickt, eignet der „Herrlichkeit“ eine hohe soteriologische Qualität. Bereits im AT ist sie als Hoffnungsgut klar erkennbar (vgl. Ps 73,24
Zwar ist Gottes Weisheit, wie sie in Jesus als „Herr der Herrlichkeit“ offenbar ist, nicht für alle zu erkennen – sonst wäre dieser Herr der Herrlichkeit nicht gekreuzigt worden (1Kor 2,8
Die Herrlichkeit erscheint als das von Gott ausersehene Ziel menschlicher Existenz (Röm 9,23
In der paulinischen Korrespondenz finden sich immer wieder Abschnitte, in denen verschiedene „Herrlichkeiten“ voneinander abgesetzt werden. Die Auferstehungswirklichkeit plausibilisiert Paulus etwa dadurch, dass er die „Herrlichkeiten“ (Luther übersetzt mit „Glanz“) verschiedener Himmelskörper voneinander unterscheidet (1Kor 15,41
Zu denken ist auch an 2Kor 3
Oft ist das Hoffnungsgut Herrlichkeit auch eschatologisch eingefärbt; manchmal erscheint die Herrlichkeit geradezu als jenseitiger Ort, als das Ziel, das Jesus Christus bereits erreicht hat (Lk 24,26
Die Hoffnung auf Herrlichkeit und Verherrlichung kann sich auf die Wiederkunft Christi (2Thess 1,10
Ein grandioses Hoffnungsbild malt schließlich das letzte Kapitel der Johannesoffenbarung: Die Stadt Jerusalem, die vom Himmel kommt, hat die Herrlichkeit Gottes (Apk 21,11
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