Ich-bin-Worte
(erstellt: März 2013)
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1. Vorkommen
„Ich bin …“ ist im Deutschen eine alltägliche, theologisch unspezifische Formulierung. Im Griechischen hingegen ist die grammatische Person bereits durch die finite Verbform hinreichend bestimmt. Das Personalpronomen wird manchmal zusätzlich gesetzt, z.B. um die entsprechende Person hervorzuheben: ἐγώ εἰμι (ego eimi) kann sprachlich also eine gewisse Betonung implizieren: ich bin (es) …. (Blass/Debrunner 1990, § 277; vgl. Schweizer 1965, 9-10; Zimmermann 2004a, 123). Im → Johannesevangelium
Die Forschung unterscheidet bei den Ich-bin-Worten im Johannesevangelium zwei unterschiedliche sprachliche Auffälligkeiten: Einerseits finden sich – insbesondere in Joh 8
Die ältere Forschung trennte überwiegend klar zwischen absoluten und prädikativen Ich-bin-Worten im Johannesevangelium, sowohl hinsichtlich der religions- und traditionsgeschichtlichen Herkunft als auch hinsichtlich des theologischen Stellenwertes. So urteilt Bultmann: „Mit den ἐγώ εἰμι-Sätzen der Offenbarungsreden [den prädikativen Ich-bin-Worten] … hat dieser Satz [8,58, also das absolute ἐγώ εἰμι] nichts zu tun“ (Bultmann, 1986, 248). Diese Trennung ging mit einer theologischen Abwertung der prädikativen Ich-bin-Worte einher, die sich durch ihre Rückführung auf gnostisch-mandäische Quellen verstärkte, während die absoluten Ich-bin-Worte als „eigentliche Rede“ (Schweizer 1965, 112-124) in der alttestamentlichen Selbstoffenbarungsformel JHWHs verortet wurden (s.u.).
Die neuere Forschung hat diese klare Trennung weitgehend aufgegeben. Zwischen die absoluten und die prädikativen Ich-bin-Worte tritt die Gruppe der „implizit prädikative[n] Ich-bin-Worte“ (Schwankl 1995, 195; vgl. schon Brown 1966, 533 und Cebulj 2000, 121-122; Schnelle 2009, 139). Bei dieser dritten Gruppe fehlt die prädikative Ergänzung im selben Satz, sie ist aber durch den Kontext impliziert (vgl. Joh 4,26
2. Zum traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrund der Ich-bin-Worte
Die Ich-bin-Worte haben einen „ungriechischen Charakter“ (Norden 1913, 183; zu den wenigen Belegen vgl. Cebulj 2000, 22; Williams 2000, 11). Mit Norden lehnte Schweizer auch das Alte Testament als traditionsgeschichtlichen Hintergrund für die prädikativen Ich-bin-Worte ab, denn obwohl „ja im AT eine ganze Anzahl von Bildern zur Verfügung gestanden hätte, die als immer wiederkehrende termini das Sein und Tun Gottes bezeichnen: ‚Hirt‘, ‚Fels‘, ‚Burg‘, ‚Schild‘, ‚Löwe‘ usw., [kommt] von diesen Prädikaten gerade nur das erste bei Joh. vor …, während alle übrigen joh. Begriffe [Brot, Licht, Tür, Weg, Weinstock] dem AT entweder überhaupt fremd sind oder dann etwas ganz anderes besagen wollen“ (Schweizer 1965, 37-38). Er verortete die (prädikativen) Ich-bin-Worte aus dem Johannesevangelium daher – weitgehend im Anschluss an Norden und Bultmann – im gnostisch-mandäischen Bereich (Norden 1913; Bultmann 1925/1967; modifizierend Schweizer 1965). Diese Herleitung verdankte sich der Verortung des gesamten Johannesevangeliums im → gnostischen
Großes Interesse fand und findet die Frage nach dem Verhältnis der (primär absoluten) johanneischen Ich-bin-Worte zu alttestamentlichen Sprachformen. H. Zimmermann erhebt das absolute ἐγώ εἰμι im Munde Jesu zur neutestamentlichen Offenbarungsformel. Denn er schlägt eine Brücke von der alttestamentlichen Offenbarungsformel anî JHWH („ich bin Jahwe“) in Deuterojesaja über ihre Übersetzung in der Septuaginta bis zum absoluten ἐγώ εἰμι im Neuen Testament. Zentral ist dabei Jes 45,18
Mit der „Botenformel“ spielt Thyen auf die Studie von Bühner (1977, 118-166) an. Er versteht die johanneischen Ich-bin-Worte im Rahmen des antiken Botenwesens. Es umfasste drei Stationen: die Beauftragung, die Durchführung des Auftrags und die Rückkehr zum Auftraggeber. Bei der Durchführung des Auftrags musste sich der Beauftragte vorstellen. Üblich waren die Formulierungen „Ich bin gekommen, um …“ und „Ich bin der und der“. Dieses Schema konnte auch auf göttliche Boten übertragen werden. So heißt es bei Tob 12,14-18
Neben den hebräisch-alttestamentlichen Belegen spielen ägyptische Parallelen eine wesentliche Rolle, in denen Selbstprädikationen ägyptischer Gottheiten formuliert sind, z.B. in den Isisaretalogien: „Ich bin Isis, die Beherrscherin des ganzen Landes. Ich habe die Erde vom Himmel geschieden …“ (vollst. Abgedruckt bei Thyen 1996, 153-154). Von hier aus führen Linien zu den Selbstvorstellungsreden der personifizierten Weisheit (Kloppenborg 1982, 57-84; Schroer 1997, 174-180). Davies (1992) und Scott (1992) rücken die johanneischen Ich-bin-Worte explizit in die Nähe alttestamentlich-jüdischer Weisheit.
„In Scripture prophets do not use this form [Ich bin …], but, on the contrary, point away from themselves by introducing their oracles, ‚Thus says the Lord‘. The form ‚I am …‘ is found in Scripture, however, in the Wisdom writings, where personified Wisdom speaks of her attributes“ (Davies 1992, 83).
Davies verweist insbesondere auf Spr 8,12-21
Die Einsicht in die formale und funktionale Vernetzung der absoluten und der prädikativ-metaphorischen Ich-bin-Worte führt m.E. zu der Einsicht, dass sich ihre religions- und traditionsgeschichtlichen Wurzeln nicht monokausal bestimmen lassen (Schnelle 2009, 139). In den johanneischen Ich-bin-Worten laufen mehrere traditionsgeschichtliche Linien zusammen.
3. Ich-bin-Worte im Markusevangelium
Im Blick auf die drei Belege von ἐγώ εἰμι im Markusevangelium (Mk 6,50
In Mk 6,50
In 13,6 warnt Jesus seine Jünger vor Leuten, die in seinem Namen auftreten werden und sagen: „Ich bin’s.“ (ἐγώ εἰμι). In 14,62 schließlich antwortet Jesus auf die Frage des Hohepriesters „Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten?“ mit „Ich bin’s“ (ἐγώ εἰμι). H. Zimmermann sieht in 13,6 und in 14,62 wiederum die göttliche Offenbarungsformel: Durch das ἐγώ εἰμι in 13,6 wolle Markus deutlich machen, dass die Prätendenten Jesu alleinigen Anspruch auf die göttliche Offenbarungsformel usurpieren (Zimmermann 1960, 185; Pesch 1968, 110-111, anders ders. 1980, II: 186-187). Nun handelt es sich bei dem ἐγώ εἰμι in 13,6 und 14,62 wohl aber nicht um einen absoluten, sondern eher um einen implizit prädikativen Gebrauch. In 13,22 ist die Rede von „falschen Christussen“. Mt 24,5
4. Ich-bin-Worte im Johannesevangelium
4.1. Christologische Implikationen
Wie viel und welche Art Christologie schwingt in den (absoluten und implizit prädikativen) Ich-bin-Worten mit? Die steilsten Antworten auf diese Frage rechnen mit einer Verankerung dieser Ich-bin-Worte in der alttestamentlichen Selbstoffenbarungsformel Gottes und postulieren eine ontologische Identifikation von Jesus und seinem Vater: „The fact that the words ἐγώ εἰμι on the lips of Jesus allude to the ani hu of Isaiah which spoke of Yahweh’s exclusive right to save suggests that the Johannine church acknowledged an ontological and not just a functional union between Jesus and the Father“ (Ball 1996, 278). Freed sieht durchgehend den messianischen Anspruch impliziert (s.o.). Theobald urteilt hier zurückhaltender und spricht davon, dass die Ich-bin-Worte das Verhältnis Jesu zu Gott „in der Schwebe“ lassen (2002, 590). Thyen präzisiert seine Position anhand von Joh 8,28
Auch die prädikativen Ich-bin-Worte werden hinsichtlich ihrer christologischen Implikationen kontrovers ausgelegt. Vorangestellt sei eine Übersicht zu ihrem Vorkommen:
- Ich bin das Brot des Lebens/ das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. - 6,35.41.48.51
- Ich bin das Licht der Welt. - 8,12; vgl. 9,5
- Ich bin die Tür (zu den Schafen). - 10,7.9
- Ich bin der gute Hirte. - 10,11.14
- Ich bin die Auferstehung und das Leben. - 11,25
- Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. - 14,6
- Ich bin der (wahre) Weinstock. - 15,1.5
- Ich bin ein König (vgl. Zimmermann 2004a, 130). - 18,37
„Diese Interpretation stellt eine Verengung dar, denn in den ἐγώ εἰμι-Worten antwortet Jesus zuallererst darauf, wer er ist, woraus folgt, was er für die Glaubenden ist. Beide Aspekte bedingen und ergänzen einander, das ‚Brot‘, das ‚Licht‘, die ‚Auferstehung‘ usw. kann Jesus für die Glaubenden nur sein, weil er der Sohn Gottes ist“ (vgl. Schnelle 2009, 140).
R. Zimmermann weist zunächst auf die christologische Bedeutung derjenigen Ich-bin-Worte hin, die Gottesprädikate aufnehmen, z.B. das vom Hirten oder vom Licht. „Die metaphorische Identifikation Jesu mit derartigen Begriffen ist dann – ganz vergleichbar zum elliptischen ἐγώ εἰμι – eine christologische Vereinnahmung atl. Sprachformen der Gottesrede“ (Zimmermann 2004a, 132; vgl. Zimmermann 2004b).
Aber nicht nur der semantische Inhalt, auch die Form der prädikativen Ich-bin-Worte kann auf ihre christologischen Implikationen hin befragt werden.
4.2. Zur Form der prädikativen Ich-bin-Worte
In der Forschung finden sich unterschiedliche Versuche, die Form der prädikativen Ich-bin-Worte zu bestimmen (vgl. Schweizer 1965, 33). Schulz (1960, 86-87) gliedert die Ich-bin-Worte in:
1. Selbstprädikation
1.1 Präsentation („ich bin“)
2. Soteriologischer Nachsatz
2.1 Invitation (z.B. „wer zu mir kommt“ Joh 6,35
2.2 Verheißung (z.B. „den wird nicht hungern“ Joh 6,35
Diese Struktur verdeutlicht den appellativen Charakter der prädikativen Ich-bin-Worte. Vielleicht darf man in Joh 4,26
Das von Schulz erstellte Schema wird allerdings variiert, so dass R. Zimmermann von einer „formale[n] Offenheit“ der prädikativen Ich-bin-Worte spricht, die „ihre Entsprechung in der semantischen Eingeflochtenheit der Ich-bin-Worte in ihren jeweiligen Kontext, die für die Sinnfindung konstitutiv ist“, findet (vgl. Zimmermann 2004a, 131). An dieser Stelle kommt der metaphorische Charakter der prädikativen Ich-bin-Worte in den Blick.
4.3. Zur metaphorischen Interpretation der prädikativen Ich-bin-Worte im Johannesevangelium
Für Metaphern sind semantische Spannungen konstitutiv, die die Rezipierenden dazu auffordern, Sinn in eine zunächst sinnlose Wortverbindung zu bringen:
„Der metaphorische Charakter solcher Äußerungen wird bereits innerhalb dieser innersten Struktur sichtbar, denn hier wird ein Mensch mit einem nicht-menschlichen Bereich verknüpft, was zunächst eine semantische Spannung bzw. Inkompatibilität verursacht: Ein Mensch ist kein Brot, keine Tür, kein Licht etc. Um die metaphorische Äußerung vor Widersinnigkeit zu bewahren, versucht der Leser/die Leserin, den Sinn einer solchen Selbstvorstellung auf einer ‚höheren‘ Sinnebene zu suchen, d.h. er erkennt darin eine bildliche Äußerung“ (Zimmermann 2004a, 127).
Der metaphorische Charakter dieser Ich-bin-Worte entsteht also nicht auf der Wort-, sondern auf der Satzebene, bei dem „der Sinn des grammatischen Subjekts und der Sinn des grammatischen Prädikats aufeinanderprallen“ (Jüngel 1974, 112). Darüber hinaus sind Metaphern in einen weiteren Kontext eingebettet und aus ihm heraus zu verstehen (Zimmermann 2004a, 128-129), sie rekapitulieren erzählte Geschichten (Jüngel 1974, 113).
„Ich bin das Brot ruft die Erzählung [von der Brotvermehrung: 6,5-15] in Erinnerung und bringt gleichzeitig etwas Neues ein, indem Jesus sich nicht mehr nur als den beschreibt, der Brot gibt, sondern der selbst das Brot ist. … Die Geschichte von der Brotvermehrung ist in der Metapher des johanneischen Jesus präsent und gleichzeitig wird etwas Neues gesagt“ (Petersen 2006, 125).
Die Verknüpfung von Ich-bin-Wort und Wundererzählung findet sich im Johannesevangelium öfter: Auf das Ich-bin-Wort vom Licht (Joh 8,12
Die Metaphern der Ich-bin-Worte stammen aus der Alltagswelt der Rezipienten und erhalten eine theologische Dimension. Hierin liegt „the ongoing fascination with Johannine images“ (Zimmermann 2006, 39). „As in a reflection in a mirror, the Johannine images can give people something to see and to understand that involves and directly concerns them. They can perceive themselves in a new light“ (Zimmermann 2006, 39). Diese neue Sicht bzw. neue Positionierung in der Welt kann Konflikte mit sich bringen. Zumindest tauchen die Ich-bin-Worte textintern oft im Kontext von Spannungen und Konflikten auf. Dietzfelbinger spricht insofern von den Ich-bin-Worten als „Instrumente[n] einer polemisch ausgerichteten Christologie“ (2001, 104).
Die Ich-bin-Worte sind also in übergreifende Metaphernnetzte eingebunden und in ihrem Kontext zu verstehen. Besonders bedeutsam ist dabei für das Johannesevangelium der Bildbereich des Lebens (van der Watt 2000, 416-417), der in mehreren Ich-bin-Worten vorkommt: 11,25; 14,6; 6,35.48.51; 8,12; 10,11.14). Während im jüdischen Bereich allein Gott Leben gibt (Gen 2,7
Literaturverzeichnis
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