Engel (NT)
Andere Schreibweise: engl. angel
(erstellt: März 2016)
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→ Angelologie
1. Vorgaben im Frühjudentum und in paganen Religionen
Die Engelvorstellung im NT fußt bei aller Eigenständigkeit wesentlich auf Vorgaben des AT und des Frühjudentums, besitzt aber auch Anleihen bei den paganen Religionen. Die Religion der griechisch-römischen Antike kennt unterhalb des Götterolymps verschiedenste Geistwesen, die je eigenen Lebensräumen zugeordnet sind und diese besiedeln bzw. beschützen, z.B. Nymphen, Faune oder Penaten. Andere sorgen für die Ordnung kosmischer Kräfte oder fungieren als Botengötter, die himmlische Botschaften an Menschen übermitteln oder deren Totenseelen ins Jenseits geleiten. Platon nennt, ganz in griechischer Tradition stehend, die Geistwesen daímones und weist ihnen noch keine negative Konnotation zu. Er sieht in ihnen von Gott aus Liebe über die Menschen und die Staaten eingesetzte Schutzgeister, „keine Menschen, sondern Wesen göttlicheren und besseren Ursprungs“ (Nomoi 713d). Als göttliche Mächte kommt ihnen religiöse Verehrung zu (Nomoi 717b). Platon bestimmt das daimónion im Diotimamythos des Symposions als Hermeneutengeist, der den Raum zwischen Gott und dem Sterblichen „ausfüllt“ (Symposion 202d-203a).
Im AT (→ Engel [AT]
Die Vorstellung von einem himmlischen Thronrat, dem → JHWH
2. Überblick über die Engel im Neuen Testament
Da die Engelvorstellung erst in den apokalyptischen Strömungen des Frühjudentums größere Bedeutung erlangte, gab es auch zur Zeit Jesu noch jüdische Parteien, welche einer eigenständigen Engellehre skeptisch gegenüberstanden, so etwa die priesterliche Partei der → Sadduzäer
3. Bezeichnungen und Namen der Engel im Neuen Testament
Die im Frühjudentum verbreitete „Engel“-Bezeichnung für die im Himmel bei Gott wesenden und von ihm geschickten Geistwesen übernimmt auch das Neue Testament. Wie dort steht der Name für ihre göttliche Herkunft und Botenfunktion (Schlier, 1964, 161f). Sie können schlicht „(die) Engel“ (griech. ἄγγελος ággelos) genannt werden (Mk 1,14
4. Engelerscheinungen
Engelepiphanien begegnen vor allem in den Evangelien und in der Apostelgeschichte.
4.1. Evangelien
Die → Synoptiker
Ihren Höhepunkt erreichen die Engelerscheinungen in der Geburtserzählung Lk 2,9-14
Engel gehören auch zur synoptischen Überlieferung vom → leeren Grab
Mt 28,1-8
Auch → Lukas
Möglicherweise steht hinter den Engelerscheinungen der vier Evangelien mehr als ein einziges Ursprungsformular. J.E. Hafner sieht hinter der lukanischen und johanneischen Grabestradition von zwei Engeln eine eigene Überlieferung (Hafner, 2010, 208f). Während der Engel im → Matthäusevangelium
Gegen die Annahme zweier Ursprungsformulare spricht aber die Beobachtung, dass der markinische Grabesengel offensichtlich beide Funktionen vereinigt. Von daher ist es gut möglich, dass die übrigen Evangelisten diese Tradition in je unterschiedlicher Gewichtung aufgegriffen haben.
4.2. Apostelgeschichte
In deutlicher Anknüpfung an die Angelophanien der Septuaginta lässt die Apostelgeschichte das wundersame Wirken der → Apostel
Ein Engel des Herrn tritt auch auf, wo es darum geht, die Apostel dorthin zu schicken, wo eine Mission nach menschlichem Ermessen sinnlos ist. So fordert ein Engel → Philippus
Auch die Öffnung des Judenchristentums zum Heidentum hin wird von einer Engelerscheinung nachhaltig befördert. Dem gottesfürchtigen Hauptmann → Kornelius
Die ausführlichste Engelerscheinung findet sich in der Geschichte der Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis in Apg 12,6-17
Mit dem Auftreten des → Paulus
5. Schutz-, Dienst- und Völkerengel
Dass die Schutzengelvorstellung im Frühjudentum keinen zentralen Stellenwert einnimmt, ergeht schon aus dem Fehlen eines entsprechenden terminus technicus im Hebräischen wie im Griechischen. Im Frühjudentum ist die dauerhafte Zuordnung eines bestimmten Engels nur für Kollektive bekannt. Die Vorstellung der Völkerengel klingt schon in Dtn 32,8f
Inwieweit im NT die Vorstellung vom Schutzengel belegt ist, wird in der Forschung kontrovers diskutiert (skeptisch Schnupp, 2004, 111-131). Wenig beachtet wird, dass die Rolle der Engel in den Evangelien durchaus nicht auf die Kindheits- und Ostererzählungen beschränkt bleibt, sondern Engel zu Beginn aller Evangelien als schützende Diener und Begleiter Jesu Erwähnung finden. In der → Versuchungsszene
Mt 4,1-11
Das Motiv einer von den Engeln vermittelten Verbundenheit Jesu mit Gott begegnet auch zu Anfang der johanneischen Jesusgeschichte. Der Messias und Sohn Gottes muss keine Versuchung bestehen, sondern stellt sich seinen Jüngern als Menschensohn vor, über dem sie den „Himmel geöffnet und die Engel auf- und niedersteigen sehen werden“ (Joh 1,51
Dass Engel einzelne Menschen zumindest zeitweise begleiten und schützen, ist biblisch vor allem im → Tobitbuch
Auf die Gottesschau als ureigene Aufgabe der Engel spielt auch Jesus in dem Logion Mt 18,10
6. Lobpreis und Gottesdienst der Engel
Die in Mt 18,10
Seine Fortsetzung findet das „neue Lied“ besonders in der himmlischen Liturgie der Johannesapokalypse. Die Texte des letzten Buches der Bibel erschließen die christliche Wirklichkeit im Wechsel von irdischen und himmlischen Bildern, deren Beziehungsgeflecht wesentlich von Engeln geprägt ist. Vieltausendfach, in unvorstellbar großer Zahl sind sie um den himmlischen Thron versammelt, um Gott und dem → Christuslamm
Auch Paulus setzt die Gegenwart der Engel im Gottesdienst seiner Gemeinden voraus, freilich nicht ohne eine ambivalente Haltung einzunehmen, da er neben den guten auch böse Geistwesen voraussetzt. So erklärt sich z.B. die etwas kryptische, an die Frauen im Gottesdienst gerichtete Mahnung, sie sollten „wegen der Engel“ ihr Haupt bedecken (1Kor 11,10
7. Engel im Gericht
Im Frühjudentum und im Neuen Testament sind Engel am → Gerichtshandeln
Breiter gestreut sind im neutestamentlichen Schriftkorpus die Hinweise auf eine Beteiligung der Engel im Endgericht. Allererst treten sie bei der → Parusie Christi
Die Offenbarung des Johannes bringt weitere Differenzierungen (Michl, 1937, 182-193). Das göttliche Gerichtshandeln vollzieht sich in verschiedenen Anläufen, in welchen sich, vorangetrieben von den Engeln, Gottes Herrschaft sukzessive gegen die des Satans durchsetzt. In der zentralen Vision Apk 12
8. Christus und die Engel
Die umfangreiche Beteiligung am Heils- und Gerichtswirken Gottes lässt die Engel in eine Konkurrenz zu Jesus Christus treten, die in judenchristlichen Kreisen, wie bes. Hebr 1f
Dass Auferstehung und Erhöhung Christi dessen Beziehung zu den Engeln entscheidend bestimmen, ergeht auch aus dem Hymnus 1Tim 3,16
In der Johannesapokalypse ist die Grenzziehung zwischen Christus und den Engeln – zumindest an einigen Stellen – weit weniger ausgeprägt (Forschungsüberblick bei Huber, 2007, 51-64). Der Menschensohn wird in Apk 1,12-20
9. Engelverehrung
Die Gottesnähe der Engel mit ihrem Vermögen, Gottes Herrlichkeit auf Erden widerzuspiegeln, und ihre Gerichtsmächtigkeit verleihen ihnen eine außerordentliche Größe und Würde. Ihre unverwandte Anbetung und Schau Gottes machen sie selbst rein und heilig. Die Engel übersteigen das Sein der Menschen, sofern diese erst in der Auferstehung „sein werden wie die Engel im Himmel“ (Mk 12,25
Literaturverzeichnis
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- Haag, E., 1995, Art. Engel II. Biblisch, LThK III, 646-648
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- Hartenstein, F., 2007, Cherubim and Seraphim in the Bible and in the Light of Ancient Near Eastern Sources, in: F.V. Reiterer / T. Nicklas / K. Schöpflin (Hgg.), Angels. The Concepts of Celestial Beings – Origins, Development and Reception (DCLY 2007), Berlin, 155-188
- Hockel, A., 1973, Angelophanien und Christophanien in der Apostelgeschichte, in: H. Feld / J. Nolte (Hgg.), Wort Gottes in der Zeit (FS K.H. Schelkle), Düsseldorf, 111-113
- Huber, K., 2007, Einer gleich einem Menschensohn. Die Christusvisionen in Offb 1,9-20 und Offb 14,14-20 und die Christologie der Johannesoffenbarung (NTA NF 51), Münster
- Huber, K., 2013, „… ihre Zahl war zehntausendmal zehntausend und tausendmal tausend“. Engel in der Offenbarung des Johannes, Meditation. Zeitschrift für christliche Spiritualität und Lebensgestaltung 39/4, 35-40
- Mach, M., 1992, Entwicklungsstadien des jüdischen Engelglaubens in vorrabbinischer Zeit (TSAJ 34), Tübingen
- Michl, J., 1937, Die Engelvorstellungen in der Apokalypse des hl. Johannes. I. Teil: Die Engel um Gott, München
- Schlier, H., 1964, Die Engel nach dem Neuen Testament, in: Ders., Besinnung auf das Neue Testament. Exegetische Aufsätze und Vorträge II, Freiburg i. Br., 160-175
- Schnupp, B., 2004, Schutzengel. Genealogie und Theologie einer religiösen Vorstellung vom Tobitbuch bis heute (NET 9), Tübingen
- Schwindt, R., 2007, Gesichte der Herrlichkeit. Eine exegetisch-traditionsgeschichtliche Studie zur paulinischen und johanneischen Christologie (HBS 50), Freiburg i. Br.
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- Wolter, M., 2008, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen
Abbildungsverzeichnis
- Erzengel Michael und Gabriel, Orthodoxe Ikone, 12. Jahrhundert, Saint Catherine's Monastery, Sinai. Public Domain.
- Mariä Verkündigung am Triumphbogen der Santa Maria Maggiore in Rom (432-440). Wikimedia Commons. Public Domain.
- Christus im Grab, bewacht von Engeln. William Blake, ca. 1805. William Blake Archive über Wikimedia Commons, gemeinfrei.
- "Der dritte Engel mit Posaune", Giusto de' Menabuo, Fresko 1376-1378. Mit freundlicher Genehmigung von http://easyweb.easynet.co.uk/giorgio.vasari/
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