Eschatologie (NT)
(erstellt: Januar 2017; letzte Änderung: Dezember 2017)
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1. Vorabklärungen
Das griechische Adjektiv ἔσχατος / és·chatos bedeutet sowohl örtlich als auch zeitlich „letzter“. Eschatologie (Aussprache: Es-chatologie) ist die Rede von den letzten Dingen (τὰ ἔσχατα / tá és·chata = die letzten Dinge), meist im kosmologischen Sinne: die Ereignisse, die am Ende der Zeiten als → Heil
Ähnlich wie im AT (→ Eschatologie (AT)
2. Eschatologie bei Jesus von Nazareth
Bei der Rekonstruktion der Eschatologie → Jesu von Nazareth
Jesu Eschatologie ist aufs engste verbunden mit dem Begriff des → Reiches Gottes
Exkurs: Forschungsgeschichte zur Eschatologie Jesu
Im Laufe der Forschungsgeschichte wurden unterschiedliche Modelle der Eschatologie Jesu entwickelt. Es lassen sich sechs forschungsgeschichtliche Phasen unterscheiden (vgl. die ausführliche Darstellung Theißen / Merz, Jesus, 223-226).
1. Das Reich Gottes setzt sich innergeschichtlich durch das Liebeshandeln der Menschen durch. Es ist im Inneren des Menschen angebrochen (vgl. Lk 17,20-21
2. Das Reich Gottes war für Jesus eine futurische Größe, die nach endzeitlichen Katastrophen anbrechen würde (Johannes Weiß, Albert Schweitzer). Da, wo Jesus in den Evangelien vom Reich Gottes präsentisch spricht, sei er in „prophetischer Hochstimmung“ (Theißen / Merz, Jesus, 223) und die Ethik Jesu eine auf das kurz bevorstehende Weltende abgestimmte Interimsethik gewesen (vgl. Schweitzer, Messianitätsgeheimnis, 18-23).
3. Das Reich Gottes war für Jesus eine präsentische Größe, die sich nach der Überzeugung Jesu in seiner Person manifestierte („realized eschatology“, Charles Harold Dodd).
4. Das Reich Gottes war für Jesus sowohl eine futurische als auch eine präsentische Größe (Kümmel, Verheißung). Diese vierte Variante ist heute weitgehend Konsens unter Exegeten.
5. Das Reich Gottes war für Jesus eine nahe futurische Größe, die aber existentielle Bedeutung hatte für die Gegenwart, somit zu einer auch präsentischen Größe wurde (Rudolf Bultmann, Hans Weder).
6. Studien zur jesuanischen Eschatologie jenseits des Präsentisch-futurisch-Schemas: Für John Goodrich Gager ist Jesu Rede vom Reich Gottes Folge der mit Gewalt und Unterdrückung verbundenen Begegnung zwischen dem Imperium Romanum und der angestammten Bevölkerung Judäas; bei solchen clashes of cultures entstünden regelmäßig millenarische Bewegungen. – Nach Norbert Perrin lässt sich der Begriff des Reiches Gottes nur in symbolischer Sprache fassen, da er von Jesus als Symbol gebraucht wurde.
Der Begriff des Reiches Gottes (βασιλεία τοῦ θεοῦ / basileía toú theoú) – aramäisch sicher auch vom historischen Jesus verwendet (→ Aramäisch
Die theologie- und religionsgeschichtlichen Voraussetzungen der Eschatologie Jesu sind zum einen die alttestamentliche und frühjüdische Vorstellung vom Königtum oder Reich Gottes (→ Königtum Gottes (AT)
Das Reich Gottes ist die endzeitliche Errichtung der Herrschaft Gottes auf Erden, wobei Jesus „[a]us der Fülle der alttestamentlich-jüdischen Verheißungen […] besonders die Gedanken weiter aus[zieht], die erste Ansätze eines die nationalen Schranken überschreitenden Heilsuniversalismus erkennen lassen“ (Sänger, Schriftauslegung, 27, vgl. Mt 8,11-12
Beispiele dafür, dass Jesus das Reich Gottes als bereits angebrochen gedacht hat, sind:
Jesu Deutewort seiner Dämonenaustreibungen Mt 12,28
Das Sondergut-Logion Lk 17,20-21
Will man nicht die zahlreichen Belege der futurischen Eschatologie gegen die zahlreichen der präsentischen Eschatologie ausspielen und eine von beiden zu nachösterlicher Gemeindebildung erklären, so muss man annehmen, dass der historische Jesus sowohl futurische als auch präsentische Eschatologie vertrat. Beides zusammenzudenken, ist möglicherweise nur unserem von Aufklärung, Naturwissenschaften und mathematischer Logik geprägten Geist unvereinbar, mithin ein modernes Problem. Die Mehrzahl der Gelehrten geht daher seit W.G. Kümmel (vgl. Exkurs oben) bei Jesus von einer Mischvorstellung aus.
Die neutestamentliche Gattung der Gleichnisse (→ Gleichnisse (NT)
2.1. Akzentsetzungen bei den Synoptikern (und in der Apostelgeschichte)
Die Eschatologie der Synoptiker ist nicht wesentlich verschieden von der (rekonstruierten) Eschatologie Jesu; es kommt lediglich zu Schwerpunktsetzungen oder leichten inhaltlichen Verschiebungen.
2.1.1. Markus
Für → Markus sind die Naherwartung (Mk 9,1
2.1.2. Matthäus
→ Matthäus
Das Reich der Himmel wird gleichzeitig futurisch (Mt 6,10
Der matthäische Redaktor, der als Adressat seines Evangeliums seine Gemeinde vor Augen hat, deren Situation sich in den Geschichten und Worten des erzählten Jesus als Rückprojektion widerspiegelt, lässt die fünf großen Reden Jesu mit Ankündigungen des Gerichts abschließen, das durch den → Menschensohn
2.1.3. Lukanisches Doppelwerk
Die lukanische Eschatologie ist mehr noch als die der anderen beiden Synoptiker geprägt vom Ausbleiben der Parusie, wobei der Verfasser des Evangeliums (→ Lukasevangelium
3. Eschatologie im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen
Sind die eschatologischen Aussagen der Synoptiker cum grano salis lediglich Akzentuierungen jesuanischer Eschatologie und steht somit bei allen diesen das Reich Gottes im Mittelpunkt, so verhält es sich bei Johannes anders, verkündet doch der johanneische Jesus nicht das Reich Gottes, sondern sich selbst (vgl. allein die sieben Ich-bin-Worte: Joh 6,35
4. Eschatologie in der Johannesoffenbarung
Die → Offenbarung des Johannes
5. Eschatologie bei Paulus
Steht bei Jesus und den Synoptikern die Verkündigung des Reiches Gottes als eschatologisches Proprium im Zentrum, so gestaltet sich dies bei → Paulus
Paulus vertritt ein eschatologisches Teilhabemodell, wie er es prominent in Röm 6,3-11
6. Eschatologie im deuteropaulinischen Schrifttum
Von den deuteropaulinischen Schriften soll exemplarisch auf den → Kolosserbrief
Auch im Epheserbrief sind die Christen mit Christus bereits mitauferstanden (Eph 2,5-6
7. Hermeneutische Erwägungen
Obschon die Eschatologie in Form der baldigen Parusie Christi wesentlicher Bestandteil des Weltbildes der Verfasser der neutestamentlichen Schriften war, ist sie im Laufe der Christentumsgeschichte nur noch hie und da oder für kleinere christliche Gruppierungen prägend gewesen. Der Kirche kam der Sinn für die Wiederkunft ihres Herrn abhanden – ein Gewöhnungseffekt angesichts des Ausbleibens der Parusie bis auf den heutigen Tag. Die Naherwartung der frühen Christen erweist die ethischen Weisungen der Apostel als auf das baldige Ende hin konzipierte Weisungen. Man hatte auch nicht im Sinn, eine Kirche für die Jahrtausende zu bauen, sondern für eine sehr kurze Übergangszeit. Es ist daher verfehlt, die Interimsethik der frühen Christenheit zu verabsolutieren, „[s]onst würde man in der Tat unter dem Deckmantel der ‚Eschatologie‘ (ohne Naherwartung) nur den status quo, den alten Äon[,] verteidigen“ (Dautzenberg, Naherwartung, 141).
Angesichts des nahen Weltendes sind die neutestamentlichen Schriften als Gelegenheitsschreiben konzipiert, nicht als universelle Geltung beanspruchende Dogmatiken mit starrem Prinzipienkorsett. Dennoch werden in ihnen theologische, ekklesiologische und ethische Prinzipien so allgemein eingeführt, dass sie sich als tragfähig erwiesen haben, die Kirche über zwei Jahrtausende hin wandlungs- und anpassungsfähig zu halten. „The Church therefore is governed by case law, not by code law: by broad principles, not by minute regulations“ (Sanday / Headlam, ICC, 381). Von diesen „broad principles“ her muss sich Kirche, muss sich eine christliche Ethik immer wieder neu bestimmen lassen und sich immer wieder neu den Gegebenheiten ihrer Gegenwart stellen und in Interdependenz mit diesen das Wagnis der Veränderung eingehen – die Zeitläufte mit ihren säkular-apokalyptischen Selbstdeutungen vor Augen und die Wiederkunft ihres Herrn als beständige prophetisch-apokalyptische Mahnung zur Selbstjustierung im Herzen (vgl. auch Sänger, Apokalyptik, bes. 140-141).
„Was bleibt also von der Naherwartung? Nicht die Spannung, sondern das gelassene Engagement, nicht das Aufgeben dieser Welt, sondern das Ernstnehmen der Geschichte, nicht ein in alten Formen erstarrtes und sich selbst bindendes Christentum, sondern das mit der Welt wandernde Gottesvolk.“ (Dautzenberg, Naherwartung, 141).
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