Flavius Josephus
(erstellt: Dezember 2023)
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1. Überblick
Flavius Josephus ist einer der bekanntesten jüdischen Schriftsteller und Geschichtsschreiber des 1. Jh. n. Chr und Vertreter eines hellenistisch geprägten Judentums. Er lebte wahrscheinlich ca. 37-100 n. Chr. Als Mitglied der Priesteraristokratie war Josephus Kommandant im (ersten) Römisch-Jüdischen Krieg und wurde nach seiner Gefangennahme Günstling von Titus, Sohn von Vespasian, der sich nach Neros Ermordung im Drei-Kaiser-Jahr als römischer Kaiser durchsetzte. Wie viele andere in dieser Zeit nahm er nach dem Römisch-Jüdischen Krieg den Beinamen „Flavius“ an, als ihm von den flavischen Kaisern das Bürgerrecht verliehen wurde. In dieser Position verfasste er sein erstes literarisches Werk „Bellum Judaicum“ („Jüdischer Krieg“), in dem er die Vorgeschichte, den Beginn, Verlauf und das Ende des Römisch-Jüdischen Krieges erzählt. Das Werk ist in mehrfacher Hinsicht apologetisch angelegt, d.h. es verteidigt und rechtfertigt u.a. die römische Herrschaft und den Charakter des Titus, den an sich edlen Charakter des jüdischen Volks und des mosaischen Gesetzes und nicht zuletzt Josephus selbst. Der Verteidigung des Judentums dienten auch seine nächsten Werke: Die „Antiquitates Judaicae“ („Jüdische Altertümer“) erzählen in 20 Büchern die Weltgeschichte von der Schöpfung bis kurz vorm Römisch-Jüdischen Krieg, wobei sie große Teile der biblischen Schriften nacherzählen bzw. paraphrasieren. Der Grundtenor des Werkes ist ein Lob auf das mosaische Gesetz und die jüdische Religion, die ethisch hochstehend und eine der ältesten Religionen sei (Alter galt in der Antike als besonderes Qualitätsmerkmal.) Im Anhang der Antiquitates findet sich ein autobiografisches Werk des Josephus, die „Vita“ („Aus meinem Leben“). Die Vita beschäftigt sich v.a. mit seiner Zeit als Heerführer im Römisch-Jüdischen Krieg und bemüht sich, Vorwürfe des Verrats zu entkräften. In seinem letzten Werk „Contra Apionem“ („Über die Ursprünglichkeit des Judentums“) versucht Josephus, das hohe Alter und die sich daraus ergebende hohe Qualität des Judentums darzustellen und antijüdische Darstellungen anderer Schriftsteller zu entkräften. Im entstehenden rabbinischen Judentum wurde Josephus wenig rezipiert, im entstehenden Christentum dagegen sehr. Josephus ist der bekannteste nicht-christliche zeitgenössische Autor, der Jesus von Nazareth erwähnt. Besagte Stelle ist bekannt als „Testimonium Flavianum“, gilt aber in ihrer heute vorliegenden Form als spätere christliche Umformung. Insbesondere die Kirchenväter nutzten seine Werke, wenn auch wenig in der Absicht, in der Josephus sie geschrieben hatte. Sie interessierten sich primär für seine Erwähnung Jesu und anderer neutestamentlicher Figuren und die Möglichkeit, die Kriegsereignisse in Jerusalem als erfüllte Prophezeiung oder gerechte Strafe für den Tod Jesu umzudeuten. Sie bleiben bis heute eine der wichtigsten Quellen für die Umwelt, die Landeskunde und die Geschichte von Galiläa und Judäa im ersten Jahrhundert. In der jüngeren Forschung gewinnt Josephus in vielfältigen Aspekten wieder mehr Aufmerksamkeit, auch in der Judaistik.
2. Biografie
Die meisten biografischen Informationen über Josephus entstammen seinen eigenen Werken, insbesondere dem Bellum und der Vita, die sich teilweise aber widersprechen. Bei deren Lektüre sollten Josephus‘ apologetische Intentionen und die literarischen Konventionen der damaligen Zeit berücksichtigt werden, um Fakt von Fiktion zu trennen.
Josephus wird namentlich in jeweils einem Satz von den römischen Historikern Sueton (Suet. Vesp. 5) und Cassius Dio (Cass. Dio 66,1) erwähnt, die beide seine Vorhersage an Vespasian zu Beginn seiner Gefangenschaft durch die Römer erwähnen: „Und Josephus, einer von den vornehmen Gefangenen, versicherte zuversichtlich und sehr entschieden, als man ihn in Fesseln legte, daß er genau von diesem Mann in Kürze befreit werde, dann aber sei er bereits Kaiser.“ (Suet. Vesp. 5). Ansonsten finden sich Aussagen über seine Biografie nur in den Werken christlicher Autoren späterer Jahrhunderte, deren historische Belastbarkeit schwer einzuschätzen ist.
2.1. Name und Herkunft
Josephusʼ Geburtsname dürfte Jôsef ben Mattitjāhû gewesen sein. Er selbst stellt sich im Bellum als „Josephus, Sohn des Matthias, Priester aus Jerusalem“ vor (Bell. 1,3).
Den heute für ihn gebräuchlichen Namen Flavius Josephus erwähnt er in seinen Werken nie. Er ist erst bei christlichen Autoren ab dem 2. Jh. n. Chr. zu finden (vgl. Clem. Al. strom. 1,147,2; Min. Fel. Octavius 33,4; Eus. hist. eccl. 1,5,3.). Da es üblich war, bei dem Erhalt des römischen Bürgerrechts Praenomen und Nomen gentile desjenigen anzunehmen, der einem das Bürgerrecht verschafft oder verliehen hatte, geschah dies wahrscheinlich auch bei Josephus so. Josephus hätte dann seinen Geburtsnamen Josephus als Cognomen geführt, was auch der Rufname war (wobei er dann eigentlich Titus Flavius Josephus lauten müsste, diese Form ist aber nirgendwo bezeugt).
Wie er selbst darlegt, stammte er aus einer zur ersten Priesterklasse gehörenden Familie, die Landgut und hohes Ansehen in Jerusalem besaß. Er stamme „über seine Mutter“ (ἀπὸ τῆς μητρός, Vita 2) von den Hasmonäern ab, dem Herrschergeschlecht, das aus dem Aufstand der Makkabäer im Jahre 167 v. Chr. hervorging und im 2./1. Jh. v. Chr. in Judäa als letztes autonom herrschte. Die von ihm in der Vita angeführte Ahnenreihe schildert aber seine Abstammungslinie väterlicherseits und ist chronologisch problematisch. Versteht man, wie Rajak dies tut, ἀπὸ τῆς μητρός nicht als direkte Mutter, sondern allgemeiner als Vorfahrin, könnte damit die Tochter des Hohepriesters Jonathan gemeint sein. Josephus hatte einen - wahrscheinlich älteren, da er den Namen des Vaters trägt - Bruder namens Matthias. Mit diesem zusammen wurde er erzogen und diesen rettete er später aus der Kriegsgefangenschaft.
2.2. Geburt, Jugend und Zeit vor dem Römisch-Jüdischen Krieg
Nach Vita 5 wurde Josephus im ersten Regierungsjahr des Kaisers Caligula geboren und nach Ant. 20, 267 war er im 13. Regierungsjahr des Kaisers Domitian 56 Jahre alt. Damit läge sein Geburtsdatum im Jahr 37 bzw. 38 n. Chr.
In der Vita stellt er sich als eine Art „Wunderkind“ dar, ein Topos, der sowohl im hellenistischen wie im jüdischen Raum vorkam: Schon mit 14 Jahren hätte er so herausragende Kenntnisse besessen, dass Hohepriester und Gelehrte ihn aufsuchten, um seine Gesetzesauslegungen zu hören. Mit 16 Jahren habe er sich nacheinander mit den Gruppierungen der Pharisäer, Sadduzäer und Essener auseinandergesetzt, die er als philosophische Schulen stilisiert, um die beste herauszufinden. Zunächst habe er sich danach noch als Schüler eines Asketen drei Jahre in der Wüste weitergebildet, bevor er sich für seine öffentliche Laufbahn den Pharisäern angeschlossen habe. Inwieweit Josephus wirklich Pharisäer war, ist in der Forschung umstritten, da er sich sonst negativ über sie äußert. Mit 26 Jahren sei er als Teil einer Gesandtschaft nach Rom gereist, um die Freilassung einiger jüdischer Priester zu erwirken, was ihm auch gelang.
2.3. Während des Römisch-Jüdischen Krieges
Nach seiner Darstellung in der Vita habe Josephus bei seiner Rückkehr versucht, den Aufstand zu verhindern und habe auch in Galiläa stets versucht, im Auftrag der Jerusalemer Führungsschichten den Frieden bzw. zumindest eine funktionierende gesetzmäßige Verwaltung wiederherzustellen. Seine Schilderung der Ereignisse in Galiläa unterscheidet sich dabei teils erheblich von der Darstellung in seinem früheren Werk Bellum Judaicum: Dort führt er seine eigene Figur im Rahmen der im Tempel stattfindenden Ernennung von Feldherren ein (Bell II,562), die die verschiedenen Gebiete auf den Krieg vorbereiten sollen. Er ist dort wesentlich aktiver an der Kriegsführung gegen die Römer beteiligt und schildert seine militärischen Fähigkeiten und Erfolge, die den Römern Respekt abverlangt hätten. Über seine Gefangennahme in Jotapata berichtet er ausführlich im Bellum und verweist in der Vita nur darauf. Jotapata fällt aufgrund eines Überläufers, der Vespasian mitteilt, dass die Wachen während der letzten Nachtwache aus Erschöpfung meist schlafen (Bell. III,317-319), womit Josephus sich von der Verantwortung für die Niederlage entlastet. Der im Folgenden geschilderte Übergang vom besiegten Feldherrn zum freiwilligen Gefangenen im römischen Lager ist der große Wendepunkt in Josephus’ Biographie und zeichnet in gewisser Weise sein ganzes Werk aus. Es ist Josephus wichtig zu betonen, dass er seine Kapitulation als treuer Diener Gottes durchführt, denn er widerspricht damit seiner eigenen zuvor dargelegten Auffassung, dass es besser sei für das Gesetz und Gott zu sterben, als in Gefangenschaft weiterzuleben. Die Vorwürfe, er sei ein Verräter, begleiten ihn dann auch sein ganzes Leben und danach. Laut eigener Beschreibung erinnert sich Josephus, während er sich nach dem Fall der Stadt in einer Höhle versteckt, an nächtliche Träume, durch die Gott ihm das Schicksal der Judäer und die Zukunft der römischen Herrscher im Voraus gezeigt habe (III,351). Er verkündet Vespasian, dass Vespasian bald Kaiser und ihn dann freilassen würde, was auch von Sueton und Cassius Dio erwähnt wird. Zunächst bleibt Josephus zwei Jahre Kriegsgefangener, wird aber dann freigelassen. Er bleibt bzw. wird ein Klient des Titus, dem Sohn von Vespasian, der ihn bei der Belagerung von Jerusalem als Übersetzer einsetzt.
2.4. Nach dem Römisch-Jüdischen Krieg
Nach dem Krieg erhält er Landgüter und einen Wohnsitz in Rom. Als Klient des Titus verfasst er in Rom sein erstes Werk, das Bellum Judaicum, das den Römisch-Jüdischen Krieg schildert und zumindest teilweise eine Propagandaschrift für die flavischen Kaiser ist. Seine drei folgenden Werke sind nicht mehr den Flaviern, sondern einem Mäzen namens Epaphroditos gewidmet. Über sein Leben in Rom nach dem Krieg ist sonst wenig bekannt.
Da Josephus in der Vita den Tod von Herodes Agrippa II. erwähnt, der laut Photios I.(der wohlgemerkt im 9.Jh. lebte) im dritten Jahr Trajans gestorben sei, d.h. im Jahr 100, wird oft angenommen, Josephus sei kurz nach 100 n. Chr. gestorben. Allerdings datieren die meisten Forscher:innen den Tod von Herodes Agrippa II auf 92/93 n. Chr. Da sich keine Erwähnung von Nerva oder Trajan findet, spricht vieles dafür, dass Josephus sein Werk noch vor dem Tod Domitians (8. September 96) vollendete und möglicherweise auch bald danach starb oder zumindest nichts mehr veröffentlichte.
2.5. Ehen und Kinder
Josephus war in seinem Leben viermal verheiratet. Seine erste Ehefrau starb wohl während der Belagerung bzw. Zerstörung Jerusalems. Auf Befehl Vespasians habe er eine kriegsgefangene Jüdin aus Caesarea geheiratet (Vita 414), was er als Priester eigentlich gar nicht gedurft hätte (Con. Ap. 1,35). Sie verließ ihn nach seiner Freilassung, während er mit Vespasian in Ägypten war. Mit seiner dritten Frau hatte er drei Söhne, von denen nur sein Sohn Hyrkanus überlebte, bevor er sich von ihr trennte, weil ihm ihr Lebenswandel missfiel (Vita 426). Kurz danach heiratete er zum vierten und letzten Mal, eine Jüdin aus Kreta aus vornehmer Familie. Mit dieser hatte er zwei Söhne, Justus und Simonides Agrippa (Vita 427). Über ihr Schicksal ist nichts bekannt.
3. Werke
Josephusʼ Muttersprache war Aramäisch, außerdem war er versiert im Hebräischen. Zu seiner Ausbildung gehörte auch Griechischunterricht, da Griechisch damals die allgemeine Verkehrssprache war. Über seine Sprachkenntnisse und literarischen Fähigkeiten wird sehr unterschiedlich geurteilt. Einige Forschenden wie Thackeray sehen den größten Anteil insbesondere des Bellums als Verdienst der erwähnten „Assistenten“. Die neuere Forschung hingegen sieht Josephus als hauptverantwortlich für seine Werke und schätzt seine Sprachkenntnisse als relativ gut ein. Alle vier seiner uns erhaltenen Werke sind in Griechisch verfasst. Eine aramäische Version des Bellums, die Josephus zu Beginn dieses Werks erwähnt, ist nicht erhalten und wird sonst nirgends erwähnt. In der Forschung wird diskutiert, inwieweit sein Griechisch aramäisch beeinflusst ist, in jüngster Zeit wird auch der Einfluss des Lateinischen auf sein Griechisch diskutiert.
3.1. Bellum Judaicum (Jüdischer Krieg)
Das Bellum Judaicum (Jüdischer Krieg) bzw. De bello judaico ist das erste Werk des Josephus. Der Titel findet sich in der Handschriftenbezeugung nur im Codex Parisianus, worin er mit Josephus übereinstimmt, der sein erstes Werk in späteren Schriften immer als „Ἰουδαϊκός πόλεμος“ („Jüdischer Krieg“) bezeichnete, während in allen anderen Handschriften und bei Origenes und Hieronymus der Titel περὶ ἁλώσεως („Über die Eroberung“) bezeugt ist.
In Bezug auf den griechischen Textbestand des Bellum ist die kritische Textedition von Benedictus Niese immer noch die gebräuchlichste, auch wenn vermehrt kritische Anfragen bezüglich seiner Auswahl und Bewertung der Textzeugen laut werden. Es existieren einige leicht abweichende Texteditionen, eine großangelegte neue Textedition steht noch aus.
3.1.1. Entstehung
Es herrscht Konsens in der Forschung, dass das Bellum in Rom nach dem Römisch-Jüdischen Krieg entstanden ist, d.h. nicht vor 71 n. Chr. Der terminus ante quem, der Zeitpunkt, vor dem das Bellum entstanden sein muss, schwankt dagegen. Da in Bell. VII,158-162 die Einweihung des Friedenstempels in Rom im Jahr 75 n. Chr. geschildert wird und Josephus sein Werk nach eigener Angabe Vespasian vorgelegt habe, der 79 n. Chr. starb, müsste das Bellum zwischen 75 und 79 n. Chr. veröffentlicht worden sein. Manche Forschende nehmen allerdings an, dass das siebte Buch später entstanden sei und nur die ersten sechs Vespasian vorgelegt worden seien. Das siebte Buch sei dann erst zur Regierungszeit des Kaisers Titus oder sogar Domitian entstanden. Die Tendenz in der Forschung geht aber eher zur Einheitlichkeit des Bellum und zu seiner Datierung in die Regierungszeit Vespasians, nicht zuletzt wegen der kunstvoll angelegten Symmetrie der sieben Bücher des Bellum. Daher bleibt der wahrscheinlichste Entstehungszeitraum des griechischen Bellum Judaicum zwischen 75 und 79 n. Chr. in Rom.
Als Augenzeuge konnte Josephus für viele Ereignisse auf seine Erinnerungen zurückgreifen, außerdem nutzte er wohl die commentarii (Aufzeichnungen) von Vespasian und Titus und Berichte von Agrippa II (Vita 364-366). Für die Zeit ab Antiochus Epiphanes dürfte er auf die „Universalgeschichte“ des Nikolaos von Damaskus und für die Ereignisse in Rom auf zeitgenössische römische Historiker zurückgegriffen haben.
3.1.2. Inhalt
Wie Josephus selbst erklärt, hat er das Bellum in sieben „Bücher“ eingeteilt. Das erste Buch ist dabei am längsten, die ersten zwei Bücher machen ca. 40 % des Umfangs aus. Josephus geht dabei ausführlich auf die Vorgeschichte des Krieges ein. Er beginnt seine Erzählung bei Antiochus Epiphanes und dem makkabäischen Aufstand, schildert die hasmonäische Herrschaft, die im Bürgerkrieg endete und Pompeijus und die Römer ins Land gebracht hätte, den Aufstieg und das Ende des Klientelkönigs Herodes bis hin zur Situation am Vorabend des Krieges unter Nero. Dem Prokurator Gessius Florus weist er eine Mitschuld am Aufbruch des Krieges zu. Seine ganze Darstellung ist darum bemüht aufzuzeigen, dass es in der Vergangenheit gute Kooperationen zwischen Römern und Juden gegeben habe und der Krieg ein tragisches Unglück war, dass durch den schlechten Charakter bzw. die Unfähigkeit einiger weniger auf beiden Seiten entstanden sei. Das jüdische Volk, seine priesterliche Führungsschicht und sich selbst versucht er im Verlauf weitmöglichst zu entlasten und deren noble Gesinnung herauszustellen. „Tyrannen“ wie Johannes von Gischala und Simon bar Giora hätten mit ihren „Räuber“-Banden die Macht übernommen und das Volk ins Verderben geführt. Deren Ermordung der Hohenpriester Ananus und Jesus stellt einen besonderen Wendepunkt der Handlung dar: Ab diesem Zeitpunkt scheint das Schicksal der Stadt Jerusalem besiegelt zu sein, die Stadt ist nicht mehr zu retten. Josephus ist fortwährend bemüht, Titusʼ Verhalten zu entschuldigen oder zu verteidigen. Seiner Darstellung nach hätte Titus bis zum Ende versucht, den Tempel in Jerusalem zu retten. Das ist historisch höchst unwahrscheinlich und eher Ausdruck des Klientenverhältnisses zu Titus. Das Bellum endet mit dem Triumphzug in Rom und Josephusʼ Freisprache von Verratsvorwürfen durch Vespasian.
3.1.3. Adressatenschaft und Intention
Laut dem Proömium des Bellum wurde es „für alle Griechischsprechenden unter der Herrschaft der Römer“ (Bell. 1,3) geschrieben und diente dazu, all jenen „Griechen und Römern, die nicht am Krieg beteiligt waren“ (Bell. 1,6), einen genauen Bericht über die „wahren“ Tatsachen zu liefern, damit diese die Wahrheit kennen und nicht verzerrten Berichten anderer Geschichtsschreiber glauben (Bell. 1,6). Dies trifft auch auf große Teile der judäischen Bevölkerung in der Diaspora zu. Das Bellum richtet sich also sowohl an pagane wie jüdische Menschen des Römischen Reichs, die nicht selbst involviert waren.
Lange galt das Bellum als reine Propagandaschrift für das flavische Kaiserhaus, doch wird in der Forschung mittlerweile vermehrt auf die projüdische Seite des Bellums hingewiesen. Josephus versucht zwar, die Römer und insbesondere Titus zu entlasten, aber ebenso das jüdische Volk. Sein Werk zielt letztlich auf eine friedliche Koexistenz zwischen Römern und Juden ab. Die Juden sollten sich der römischen Herrschaft fügen und keinen weiteren Aufstand beginnen; die Römer sollten anerkennen, dass das jüdische Volk und sein mosaisches Gesetz prinzipiell einen hervorragenden Charakter haben, der dem des römischen Volkes und des Mos maiorum in nichts nachstünde, und lediglich auf Initiative einiger Weniger der tragische Krieg ausgebrochen sei.
3.2. Antiquitates Judaicae (Jüdische Altertümer)
Josephus benutzt für sein zweites Werk den griechischen Titel ἀρχαιολογία (Vita 430; Cn. Ap. 1,1.54), heute ist es gemeinhin unter dem lat. Titel Antiquitates Judaicae oder dt. „Jüdische Altertümer“ bekannt. Als Vorbild dürfte das ebenfalls 20-bändige Geschichtswerk „Römische Altertümer“ des griechischen Historikers Dionysios von Halikarnassos gedient haben. „Archaiologia“ bezeichnet hier die Frühgeschichte.
In Bezug auf den griechischen Textbestand der Antiquitates ist auch hier noch die kritische Textedition von Benedictus Niese die gebräuchlichste. Im deutschsprachigen Raum wird oft noch die deutsche Übersetzung von Heinrich Clementz genutzt, die in mehrfacher Hinsicht problematisch ist, sowohl von der griechischen Textgrundlage als auch vom Übersetzungsstil. Eine großangelegte neue Textedition steht noch aus. Im englischsprachigen Raum gibt es in der von Steve Mason herausgegebenen Reihe „Flavius Josephus: Translation and Commentary“ bereits Bücher 1-11 und 15 der Antiquitates.
3.2.1. Entstehung
Josephus nennt in den Ant. selbst als Jahr der Veröffentlichung das dreizehnte Regierungsjahr des Kaisers Domitians (Ant. 20,267), d.h. 93./94 n. Chr. Veröffentlichungsort war Rom, gewidmet sind sie einem Mäzen namens Epaphroditus.
3.2.2. Inhalt
Die Ant. erzählen in 20 Büchern chronologisch die Geschichte der Juden von der Schöpfung bis 66 n.Chr., dem Beginn des Römisch-Jüdischen Krieges. Dabei greift Josephus in großen Teilen auf biblische Texte zurück und bietet teilweise recht freie oder interpretative Nacherzählungen bzw. Paraphrasen der uns bekannten biblischen Texte, obwohl er nach eigener Aussage die heiligen Texte getreu aus dem Hebräischen übersetzt habe, ohne etwas wegzulassen oder hinzuzufügen (Ant. 1,17). Er benutzte mehrere Quellen, von denen viele uns heute nicht mehr vorliegen. Einige dieser Quellen waren wohl in Hebräisch, andere in Griechisch verfasst. Über eine oder mehrere aramäische Quellen für manche Teile der Ant. wird diskutiert. Die hebräischen Quelle(n) weichen vom Masoretischen Text ab. Josephus nennt die Septuaginta als Vorbild für sein Werk und es gibt einige Forschende, die vertreten, dass er hauptsächlich eine griechische Quelle nutzte. Einiges spricht dafür, dass er verschiedene Versionen der Septuaginta nutzte, viele sprachliche Änderungen könnten aber auch als stilistische Verbesserungen auf Josephus selbst zurückgehen.
Etwa die erste Hälfte des Werks (Ant. 1-11) erzählt die biblische Geschichte nach und stützt sich v.a. auf biblische Quellen, die er mit einigen anderen Materialien ergänzt; die zweite Hälfte des Werks beschäftigt sich mit der Zeit des Zweiten Tempels (Ant. 12-20) und greift auf Quellen zurück, die uns teilweise nicht mehr vorliegen, u.a. die Universalgeschichte des Nikolaos von Damaskus.
Josephus setzt seine zahlreichen Quellen und Materialien chronologisch zusammen und strukturiert sie nach Herrschaftsepochen. An einigen Stellen hat er seine Quellen nicht glatt zusammengefügt und der zusammengestellte Charakter zeigt sich; meistens hat er aber die Übergänge geglättet und in zusammenhängende Erzählungen umgewandelt.
Josephus hat ein besonderes Interesse an der Prophetie und betont die prophetische Rolle vieler biblischer Charaktere oder ergänzt deren Bezeichnung als Prophet. Das Motiv der göttlichen Vorhersehung, die die Geschichte lenkt, durchzieht das ganze Werk.
3.2.3. Adressatenschaft und Intention
Josephus schreibt im Prolog, er habe schon früher die gesamte Geschichte seines Volkes darstellen wollen, habe sich aus aktuellem Anlass zunächst auf die Zeit des Römisch-Jüdischen Krieges beschränkt, den er selbst teils als Augenzeuge erlebte. Doch sei die Geschichte des jüdischen Volkes und ihres Gesetzes bzw. Gesetzgebers für die Menschheit insgesamt wertvoll und für viele von Interesse. Daher bemühe er sich, für alle interessierten Griechen bzw. Griechischsprechenden die heiligen Schriften zu übersetzen, damit alle an der Weisheit des jüdischen Gesetzes partizipieren können. Josephus fasst selbst zu Beginn die Moral der gesamten jüdischen Geschichte zusammen: Wer Gottes Willen befolgt und seine Gesetze nicht übertritt, wird ein erfolgreiches Leben führen und glückselig werden; wer die Gesetze übertritt, dem wird nichts gelingen (Ant. 1,14). Josephus ist darum bemüht, den Charakter des jüdischen Volkes und seines Gesetzes als respektabel, ja als bewundernswert darzustellen.
3.3. Vita (Aus meinem Leben)
Die Vita des Josephus (gr. Ἰωσήπου βίος, dt. „Aus meinem Leben“) wird oft als drittes Werk des Josephus gezählt, ist aber eigentlich als Anhang an die Antiquitates konzipiert (vgl. Vita 430). Damit dürfte ihre Abfassung wie die von Ant. um 93./94 n. Chr. in Rom oder wenige Jahre später liegen. Ihre Zielgruppe dürfte ebenfalls mit der der Ant. übereinstimmen, nämlich gebildete Nicht-Juden, die sich prinzipiell fürs Judentum interessieren. Vom sprachlichen und stilistischen Niveau gilt die Vita oft als die schlechteste Schrift des Josephus. Möglicherweise wurde sie in Eile und ohne viele Korrekturen geschrieben. Es existiert eine neue kritische Textedition mit deutscher Übersetzung, erstellt und herausgegeben von Folker Siegert und dem Josephus-Arbeitskreis des Institutum Judaicum Delitzschianum in Münster.
Wie der Name schon sagt, handelt es sich um eine autobiografische Schrift des Josephus. Die Vita ist dabei keine vollständige Autobiografie, sondern beschränkt sich größtenteils auf sein Leben während des Römisch-Jüdischen Krieges. Sie beginnt mit einer kurzen Schilderung von Josephusʼ Herkunft, Familie, Jugend und Ausbildung (Vita 1-16; s.o.). Danach erzählt sie detailliert seine Taten während der Zeit des Römisch-Jüdischen Krieges. Offenbar versucht er Vorwürfe und „Verleugnungen“ zu widerlegen, die von seinen Gegnern gegen ihn erhoben wurden. Explizit spricht er den zeitgenössischen jüdischen Historiker Justus von Tiberias an, der ebenfalls ein Geschichtswerk über den Römisch-Jüdischen Krieg verfasst hatte, das uns nicht mehr vorliegt, das dem von Josephus wohl widersprach. Nach eigener Aussage empfand er seine Darstellung darin als verleumderisch und wendet sich in der Vita polemisch gegen Justus und beansprucht, die „wahren Tatsachen“ darzustellen. Josephusʼ detaillierte Schilderung seiner Zeit als Heerführer widerspricht aber teilweise seiner eigenen früheren Darstellung im Bellum. So spricht er z.B. in der Vita davon, dass er mit zwei anderen Priestern nach Galiläa geschickt wurde, um die Region zu befrieden, und erst dort fast wider Willen zum Heerführer wurde und einige tausend Mann um sich sammelte. Im Bellum hingegen wird Josephus als Heerführer nach Galiläa geschickt und versammelt 100.000 Soldaten um sich und befestigt die Städte. Am Ende der Vita (Vita 414-430) erwähnt er noch knapp seine Zeit nach seiner Gefangennahme durch die Römer, seine Ehen und Kinder und die Ehrungen und Gunsterweise, die er von den flavischen Kaisern erhielt.
3.4. Contra Apionem (Über die Ursprünglichkeit des Judentums)
Die ältesten erhaltenen Belege für den Titel des letzten Werks des Josephus bei Eusebius und Origenes kennen das Werk als „Über das Alter der Juden“, erst Hieronymus bietet den Titel „Contra Apionem“ („Gegen Apion“), der heute immer noch vielverwendet ist. Beide Titel sind teils irreführend, denn nur ein Teil des zweiten Buchs ist Apion gewidmet, der erste und größere Teil befasst sich mit dem Nachweis des hohen Alters, der Anfänge und der Ursprünge des jüdischen Volkes und seiner Kultur und Religion, weshalb heute im deutschsprachigen Raum der Titel „Über die Ursprünglichkeit des Judentums“ favorisiert wird. Josephus greift sein Bemühen aus den Ant. wieder auf, den Charakter des jüdischen Volkes und seines Gesetzes aufzuzeigen. Er verweist auf Ant., die bereits gezeigt hätten, wie viele bewundernswerte Personen das jüdische Volk hervorgebracht hat (Con. Ap. 2,136). Insofern ist Con. Ap. sicher nach den Ant. und damit nach 94 n. Chr. entstanden, wann genau, lässt sich aber nicht eingrenzen. Die apologetische Schrift Con. Ap. beschäftigt sich insbesondere mit dem Nachweis des hohen Alters, das in der Antike als Qualitätskriterium gilt. Eine neue Religion oder Kultur war nichts wert und wurde nicht geachtet. Hier versucht Josephus einen Gegenbeweis. Im zweiten Buch geht er außerdem auf vielfältige Vorurteile oder Stereotype über das Judentum ein, die sich in antiken Schriften finden. Für zahlreiche Autoren bieten seine Zitate die einzige Bezeugung, deren Authentizität aber natürlich umstritten ist.
Leider ist Con. Ap. in den Handschriften zwar mehrfach, aber nur unvollständig und schlecht überliefert. Es existiert aber inzwischen eine kritische Textausgabe mit deutscher Übersetzung, die die gesamte Bezeugung dieses Textes bietet, sowohl die direkte und indirekte, als auch die griechische, lateinische oder armenische (s.u.).
4. Überlieferung und Rezeption
Kurz gesagt verdankt Josephus seine Überlieferung dem Christentum. Das entstehende rabbinische Judentum sah Josephus als Verräter an und rezipierte seine Schriften nicht. Mit dem Fall des flavischen Kaiserhauses verschwand auch das Interesse an pro-flavischer Propaganda, der sein Bellum zumindest teilweise gedient hatte. Vom frühen Christentum und den Kirchenvätern wurden Josephusʼ Schriften dagegen rege verwendet. Zum einen interessierten sie die Erwähnungen von Jesus und den Christen, die sich in Ant. finden, zum anderen fanden sie in seinen Schriften eine Fülle an Informationen zur Geschichte und Umwelt der Lebenszeit und des Lebensortes Jesu sowie der ersten Christinnen und Christen. Insbesondere das Bellum und die Antiquitates wurden daher weiter überliefert. Con. Ap. konnte auch für die Argumentation christlicher Autoren angepasst werden. Verloren ging dabei die projüdische Intention des Josephus, denn vielfach wurden seine Schriften christlicherseits auch antijüdisch verwendet, wie z.B. die frühe lateinische Paraphrase des Bellums „De excidio urbis Hierosolymitanae“ (Von der Zerstörung der Stadt Jerusalem) vom sog. Pseudo-Hegesippus (ca. 307 n. Chr.) belegt. Josephus selbst wurde ambivalent betrachtet: Seiner Darstellung wurde große Wahrheitsliebe attestiert, sein Charakter aber gleichzeitig aufgrund seines Judentums und der zeitgenössischen Vorurteile als „perfide“ angesehen. Josephus wurde als Kronzeuge für die christl. Darstellung benutzt, dass Gott die Juden wie in den biblischen Schriften prophezeit für die Ermordung Jesu bestrafte, ihre Erwählung beendete und sie durch die Christen ersetzte. Insbesondere die Ant. und das Bellum blieben auch im ganzen Mittelalter weit verbreitet. Einige Forschende sprechen gar von einer „Kanonisierung“ oder von Josephus als „fünftem“ Evangelisten. Im 10. Jh. begann wieder eine jüdische Rezeption: In Süditalien entstand das sog. „Sefer Yosippon“, eine hebräische Geschichte des jüdischen Volkes von der Zeit Esthers und Daniels bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels. Dessen Quellen waren die Vulgata, die lat. Übersetzung der Ant. und der o.g. Pseudo-Hegesippus. Das Buch erfuhr sehr weite Verbreitung und Beliebtheit und wurde von zahlreichen jüdischen Autoren und Disputen genutzt. In der Moderne erfährt auch das Original des Josephus vermehrt jüdische Rezeption.
5. Bedeutung
Josephus bleibt die wichtigste Quelle für die Geschichte und die Umwelt Palästinas im ersten Jahrhundert sowie Textzeuge für viele antike Autoren und Schriften. Kein Buch zur Bibelkunde kann ohne ihn auskommen.
Josephus bietet in den Ant. auch eine der wenigen zeitgenössischen nicht-christlichen Belege für die Existenz Jesu, der frühen Christen und anderer neutestamentlicher Figuren wie Johannes der Täufer. Die Stelle, die sich mit Jesus befasst (Ant 18, 63–64), wird „Testimonium Flavianum“, „Flavisches Zeugnis“, genannt. Seine Echtheit ist umstritten, inzwischen geht die Mehrheit der Forschenden von einer späteren christlichen Umschreibung aus, der eine authentische Erwähnung zugrunde lag.
Josephus ist einer der am besten erhaltenen Hauptvertreter eines hellenistischen Judentums.
6. In der Forschung
Wurde Josephus bis vor wenigen Jahrzehnten noch als „Handbuch“ oder als „Steinbruch“ für Informationen oder Quellen genutzt, wird er heute immer mehr als literarisch selbständiger Autor eingeschätzt. Insbesondere seine „Hybridität“ und „Ambivalenz“ zwischen Judentum, Hellenismus und Rom erfährt wachsende Aufmerksamkeit. Seit einigen Jahrzehnten entstehen immer mehr Einzelstudien und Dissertationen, und ein Ende ist nicht in Sicht.
Literaturverzeichnis
Textausgaben
- Flavius Josephus. De Bello Iudaico – Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, herausgegeben und mit einer Einleitung sowie mit Anmerkungen versehen von Otto Michel und Otto Bauernfeind, Bde. 1-3, Darmstadt 1959-1969 (Sonderausgabe 2013).
- Flavius Josephus. Aus meinem Leben = (Vita), Übersetzung und Kommentar
Hg. v. Folker Siegert, in Zus.-Arb. m. Heinz Schreckenberg, Manuel Vogel u. dem Josephus-Arbeitskreis des Institutum Judaicum Delitzschianum, Münster, Text griech. und dt., 2., durchges. Aufl., Tübingen 2011. - Flavius Josephus. Über die Ursprünglichkeit des Judentums (Contra Apionem), hg. von Folker Siegert, Bde. 1-2, (= Schriften des Institutum Judaicum Delitzschianum 6), Göttingen 2008.
- Flavius Josephus. Translation and Commentary, hg. von Steve Mason, Leiden 2000ff:
Judean War 2; 4
Judean Antiquities 1-4; 5-7; 8-10; 11; 15
Life of Josephus
Against Apion
Sekundärliteratur
- Chapman, Honora Howell/Rodgers, Zuleika (Hg.), A companion to Josephus in his world (= Blackwell companions to the ancient world), Chichester [West Sussex] 2016.
- Eck, Werner, Flavius Iosephus, nicht Iosephus Flavius. In: Studia Classica Israelica 19 (2000), S. 281–283.
- Mason, Steve, Flavius Josephus und das Neue Testament. Übers. a. d. Amerik. von Manuel Vogel, Tübingen/Basel 2000.
- Rajak, Tessa, Josephus. The Historian and His Society, London 1983.
- Ward, Joel S., Roman Greek: Latinisms in the Greek of Flavius Josephus. in: The Classical Quarterly. New Series, 57/2 (2007), S. 632–649.
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)