Deutsche Bibelgesellschaft

Lukas 2,1-20 | Christnacht | 24.12.2023

Einführung in das Lukasevangelium

1. Verfasser

Der Verfasser des 3. Evangeliums, der Überlieferung nach „Lukas“, ist der beste bekannte Erzähler des Urchristentums. Darum nennt er sein Buch Bericht, Erzählung (Lk 1,1). Die altkirchliche Überlieferung hält fest, dass er Syrer war und im Alter von 84 Jahren in Boötien (bei Theben) kinderlos gestorben ist. Demnach hat er im Gebiet der paulinischen Mission den dortigen Gemeinden von Jesus erzählt. Bei ihm sind griechische Kultur und jüdische Frömmigkeit verbunden (Radl). Dass er einer jüdischen Familie entstammt (Wolter), ist schwer vorstellbar, denn er kennt das Buch Leviticus, das damalige Lehrbuch der jüdischen Erziehung, nicht, während er mit Jesaja und den Psalmen souverän umgeht. Er gehörte vor seinem Christ-Werden wohl zu den „Gottesfürchtigen“. Für seine Herkunft aus Syrien spricht die Sprache, die viele Septuagintismen ausweist, die aber kaum alle auf die Lektüre der LXX zurückgehen. Sie sind auch der griechischen Umgangssprache in Syrien zu verdanken. Seine vertraute Umgebung ist die Küste des Mittelmeeres.

2. Adressaten

Die Adressaten des Lk sind mit großer Wahrscheinlichkeit Christen, die, wie Theophilus bereits  seine Erzählungen gehört und damit von ihm unterrichtet wurden (1,3f) und dann darüber hinaus solche, die durch diese ersten Leser hinzukamen.

3. Entstehungsort

Der Entstehungsort des 3. Evangeliums ist vermutlich Philippi. Das lässt sich zwar nicht aus dem Evangelium selber, aber aus der Apg erschließen. Man kann auch weiter gehen: Paulinische Gemeinden. Abfassungszeit um 80 n.Chr. Vorausgesetzt ist der Fall Jerusalems, nicht aber die Christenverfolgung unter Domitian.

4. Wichtige Themen

Quellen

Als Quellen gibt Lk Berichte von Augenzeugen an. Es sind dies die Redenquelle (Q), das Mk und Sondergut. Seine Hauptquelle ist Q. Er gibt ihr den Vorzug vor Mk. Mk hat ihm den Rahmen für seinen Bericht gegeben. Lk hat es an manchen Stellen gekürzt, wahrscheinlich aus Raumgründen. Das Sondergut, das wahrscheinlich in Judäa gesammelt wurde und das viele bekannte Gleichnisse enthält, ist wohl nach dem Fall Jerusalems in weiteren Kreisen verbreitet worden. Dazu gehört auch der Passions- und Auferstehungsbericht, der an vielen Stellen dem des Joh vergleichbar ist. Lk hat diesen Bericht mit dem der johanneischen Tradition zusammengearbeitet. Möglicherweise war dieser Passions- und Auferstehungsbericht bereits schon mit anderen Texten des Sondergutes kombiniert. Das würde einige Parallelen (Maria und Marta, die Sünderin) erklären. Die Kindheitsgeschichte war in der Gegend um Jerusalem beheimatet.

Gliederung

Seinen „Bericht“ hat Lk so geordnet:

  1. 1.Anfänge (1,4-4,30) mit Kindheitsgeschichte und erstem Auftreten des Täufers und Jesu,
  2. 2.die Grundlegung (5,1-9,50), drei größere theologisch durchdachte Abschnitte: Wort (5-6); Glaube (7-8) und Jüngerschaft (9),
  3. 3.der Reisebericht (9,51-19.10) zwei Themenkreise: „Nachfolge“ (9,57-14,25), Texte vornehmlich für wandernde Prediger und „Sünderannahme“ (15,1-19,10), hauptsächlich für sesshafte Christen und
  4. 4.Schlussteil (19,11-24-53) dreiteilig:  Worte über das Weltende (19,11-21,38), die Passion (22,1-23,56) und die Auferstehung (24,1-52). 

5. Besonderheiten

Lukas erzählt, er macht keine theologisch eindeutigen Aussagen. Das lässt sich an einer Stelle eindrücklich zeigen: Nach 10,25 einerseits, und 18,18 andererseits, ist die Antwort auf die Frage, was zu tun ist, das ewige Leben zu empfangen, verschieden. Sein theologisches Konzept fasst er in Apg 16,17 in die Wendung „Weg des Heils“ zusammen. Dieser Weg wird unter klaren sozialen und politischen Verhältnissen beschrieben. Darum geschichtliche Daten. Der Kaiser Augustus, der in jener Zeit als Retter gilt, wird als Werkzeug des Planes Gottes dargestellt, der Anweisungen gibt, die dazu führen, dass Jesus, der wirkliche Retter, in Bethlehem geboren wird. Ereignisse der Geschichte zeigen auch das Gericht Gottes an (Lk 13,2-5).

Die „Heilsgeschichte“, die Lukas erzählend wiedergibt, ist das Werk Jesu und in der Apostelgeschichte das der Kirche, an dem Jünger und Hörer:innen teilhaben. Es ist ein Weg, der durch Leiden zur Herrlichkeit führt (Lk 24,26; Apg 14,22). Deutlichstes Zeichen für dieses Verständnis ist die Emmausgeschichte (Lk 24,13-35). Dieser Weg wird von den Jüngern dadurch beschritten, dass sie in Jesu Nachfolge treten und alle Bindungen an diese Welt, an die Familie (Lk 14,25-27) und an die Güter (Lk 14,28-33) aufgeben. Die sesshaften Glaubenden stellen ihr Leben neu ein (Beispiel Zachäus).

Die inhaltlich herausragende Stelle ist die Antrittspredigt in Nazareth, die als Programm des Wirkens Jesu erscheint (Lk 4,16-21). Lukas betont, dass sich mit Jesu Auftreten die Schrift erfüllt (Lk 4,21). Mit dem Zitat aus Jesaja (Jes 61f; 58,6) wird zum Ausdruck gebracht, dass Jesus als Geistträger von Gott gesandt ist, den Armen und Randsiedlern das Evangelium zu bringen, das meint auch Frauen, Samaritaner und Heiden.
Der Satan hat in seiner Gegenwart keine Macht mehr. Er ist vom Himmel gestürzt worden, (Lk 10,18) und so kann Jesus ihn und die Dämonen, vertreiben. Jesus bringt in seiner Botschaft und den Wundertaten nach Lk die Herrschaft Gottes nahe. Er bedenkt die Armen mit seiner Zuwendung, die er programmartig in den Seligpreisungen ausspricht, integriert Zöllner und Sünder in seine Gemeinschaft, indem er mit ihnen isst; er heilt viele Kranke und richtet Tote auf. Die Gemeinschaft mit diesen Menschen hat keine Voraussetzungen, sie setzt aber voraus, dass sie sich an Jesus anschließen, auf sein Wort beachten und ihm mit Glauben entgegenkommen. Das ist in Geduld durchzuhalten (Lk 8,15), die enge Pforte, die zum Heil führt (13,23f), zu durchschreiten. Dieser Glaube rettet. Das Wort „Rettung” meint Heilung und endzeitliche Rettung bei der Auferstehung der Toten (Lk 14,14) zugleich. Den Reichen gegenüber spricht Jesus das „Wehe“ aus (Lk 6,24-26). Er sieht bei ihnen kaum eine Möglichkeit, dass sie den Weg des Heils mitgehen (18,24f).

Die Glieder des Gottesvolkes Israel sind die Adressaten der Botschaft Jesu. Mit dem Ausdruck „dieses Geschlecht“ (Lk 11,29f.50) werden jene bezeichnet, die Jesu Botschaft nicht annehmen. Seine Gesprächspartner aus diesem Volk sind die Pharisäer. Jesus wirbt um sie, und sie laden Jesus ein. Sie werden wegen ihrer „Hartherzigkeit“ kritisiert. Aber Lk lässt die Tür offen, dass sie sich ändern. Das ist auch am Schluss der Apg (28,17-28) mit Blick auf die Juden allgemein so gesehen. Das Wirken Jesu hat Heilsbedeutung, auch in der letzten Stunde. Durch seinen Tod erwirbt er sich die Gemeinde (Apg 20,28, vgl. Eph 5,25). Die Auferstehung Jesu ist die Bürgschaft endzeitlicher Rettung. Lukas versteht sie nicht als „Wiederbelebung eines Toten“, wie das bei der Tochter des Jairus geschehen ist, sondern als Aufnahme ins Paradies (Lk 24,43). Die Vollendung bei der Wiederkunft Jesu (Lk 18,7) ist diesem Ereignis vergleichbar.

Literatur:

  • Walter Radl, Das Evangelium nach Lukas. Kommentar. Erster Teil. 1,1-9, Freiburg/ Br. 2003.
  • Michael Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen  2008.

A) Exegese kompakt: Lukas 2,1-20

1Ἐγένετο δὲ ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις ἐξῆλθεν δόγμα παρὰ Καίσαρος Αὐγούστου ἀπογράφεσθαι πᾶσαν τὴν οἰκουμένην. 2αὕτη ἀπογραφὴ πρώτη ἐγένετο ἡγεμονεύοντος τῆς Συρίας Κυρηνίου. 3καὶ ἐπορεύοντο πάντες ἀπογράφεσθαι, ἕκαστος εἰς τὴν ἑαυτοῦ πόλιν. 4Ἀνέβη δὲ καὶ Ἰωσὴφ ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας ἐκ πόλεως Ναζαρὲθ εἰς τὴν Ἰουδαίαν εἰς πόλιν Δαυὶδ ἥτις καλεῖται Βηθλέεμ, διὰ τὸ εἶναι αὐτὸν ἐξ οἴκου καὶ πατριᾶς Δαυίδ, 5ἀπογράψασθαι σὺν Μαριὰμ τῇ ἐμνηστευμένῃ αὐτῷ, οὔσῃ ἐγκύῳ. 6Ἐγένετο δὲ ἐν τῷ εἶναι αὐτοὺς ἐκεῖ ἐπλήσθησαν αἱ ἡμέραι τοῦ τεκεῖν αὐτήν, 7καὶ ἔτεκεν τὸν υἱὸν αὐτῆς τὸν πρωτότοκον, καὶ ἐσπαργάνωσεν αὐτὸν καὶ ἀνέκλινεν αὐτὸν ἐν φάτνῃ, διότι οὐκ ἦν αὐτοῖς τόπος ἐν τῷ καταλύματι.

8Καὶ ποιμένες ἦσαν ἐν τῇ χώρᾳ τῇ αὐτῇ ἀγραυλοῦντες καὶ φυλάσσοντες φυλακὰς τῆς νυκτὸς ἐπὶ τὴν ποίμνην αὐτῶν. 9καὶ ἄγγελος κυρίου ἐπέστη αὐτοῖς καὶ δόξα κυρίου περιέλαμψεν αὐτούς, καὶ ἐφοβήθησαν φόβον μέγαν. 10καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ ἄγγελος· μὴ φοβεῖσθε, ἰδοὺ γὰρ εὐαγγελίζομαι ὑμῖν χαρὰν μεγάλην ἥτις ἔσται παντὶ τῷ λαῷ, 11ὅτι ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον σωτὴρ ὅς ἐστιν χριστὸς κύριος ἐν πόλει Δαυίδ. 12καὶ τοῦτο ὑμῖν τὸ σημεῖον, εὑρήσετε βρέφος ἐσπαργανωμένον καὶ κείμενον ἐν φάτνῃ. 13καὶ ἐξαίφνης ἐγένετο σὺν τῷ ἀγγέλῳ πλῆθος στρατιᾶς οὐρανίου αἰνούντων τὸν θεὸν καὶ λεγόντων·

14δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ

καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη

ἐν ἀνθρώποις εὐδοκίας.

15Καὶ ἐγένετο ὡς ἀπῆλθον ἀπ’ αὐτῶν εἰς τὸν οὐρανὸν οἱ ἄγγελοι, οἱ ποιμένες ἐλάλουν πρὸς ἀλλήλους· διέλθωμεν δὴ ἕως Βηθλέεμ καὶ ἴδωμεν τὸ ῥῆμα τοῦτο τὸ γεγονὸς ὃ ὁ κύριος ἐγνώρισεν ἡμῖν. 16καὶ ἦλθαν σπεύσαντες καὶ ἀνεῦραν τήν τε Μαριὰμ καὶ τὸν Ἰωσὴφ καὶ τὸ βρέφος κείμενον ἐν τῇ φάτνῃ· 17ἰδόντες δὲ ἐγνώρισαν περὶ τοῦ ῥήματος τοῦ λαληθέντος αὐτοῖς περὶ τοῦ παιδίου τούτου. 18καὶ πάντες οἱ ἀκούσαντες ἐθαύμασαν περὶ τῶν λαληθέντων ὑπὸ τῶν ποιμένων πρὸς αὐτούς· 19ἡ δὲ Μαριὰμ πάντα συνετήρει τὰ ῥήματα ταῦτα συμβάλλουσα ἐν τῇ καρδίᾳ αὐτῆς. 20καὶ ὑπέστρεψαν οἱ ποιμένες δοξάζοντες καὶ αἰνοῦντες τὸν θεὸν ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἤκουσαν καὶ εἶδον καθὼς ἐλαλήθη πρὸς αὐτούς.

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Übersetzung

1 Es geschah aber in jenen Tagen: Ein Erlaß vom Kaiser Augustus ging aus, daß sich die ganze bewohnte Welt steuerlich erfassen lassen sollte. 2 Diese erste Erfassung  geschah, als Quirinius Statthalter von Syrien war. 3 Und alle gingen, sich erfassen zu lassen, jeder in seine eigene Stadt. 4 Auch Josef von Galiläa, aus der Stadt Nazareth, ging hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Bethlehem genannt wird, weil er aus dem Haus und Geschlecht Davids war, 5 sich erfassen zu lassen mit Maria, die ihm anverlobt war. Sie war schwanger.

6 Es geschah aber: Während sie dort waren, erfüllten sich die Tage, da sie gebären sollte 7; und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, und sie wickelte ihn und legte ihn in eine Krippe, weil sie keinen Raum in der Unterkunft hatten.

8 Und es waren Hirten in dieser Gegend auf freiem Feld, die hielten Nachtwache bei ihrer Herde. 9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie, und sie gerieten in große Furcht. 10 Da sprach der Engel zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, welche dem ganzen Volk gelten wird: 11 Euch ist heute der Retter geboren, welcher ist Christus, der Herr, in Davids Stadt. 12 Und dies ist das Zeichen für euch: Ihr werdet das Kind gewickelt finden, in einer Krippe liegend. 13 Und alsbald war bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:

14 Ehre sei Gott in den Höhen und Frieden  auf der Erde bei den Menschen der Huld.

15 Und es geschah: Als sich die Engel von ihnen in den Himmel entfernten, sprachen die Hirten zueinander: Laßt uns doch bis nach Bethlehem gehen und diese Sache sehen, die geschehen ist und die uns der Herr mitgeteilt hat. 16 Und sie gingen eilend und fanden Maria und Josef und das Kind in der Krippe liegend. 17 Als sie es gesehen hatten, machten sie die Sache bekannt, die ihnen über das Kind gesagt worden war. 18 Und alle, die es hörten, wunderten sich über das, was zu ihnen von den Hirten gesagt wurde. 19 Maria aber behielt alle diese Dinge und bewegte sie in ihrem Herzen. 20 Und die Hirten kehrten um, priesen und lobten Gott über allem, was sie gehört und gesehen hatten, wie es ihnen gesagt worden war.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V. 14 ist ein Zweizeiler. Die Vulgata übersetzt den Schluss: „bei den Menschen guten Willens. Der Byzantinische Text liest εὐδοκία statt εὐδοκίας und versteht den Lobgesang als Dreizeiler: „den Menschen ein Wohlgefallen“.

2. Literarische Gestalt und Kontext

Der Abschnitt ist klar strukturiert in drei Szenen:

  1. 1.Anreise zur Geburt des Kindes (2,1-7);
  2. 2.2,8-14: die Reaktion des Himmels auf die Geburt (2,8-14) und
  3. 3.die Reaktion der Hirten auf die Botschaft der Engel (2,15-20).

Es gibt darin viel Bewegung. Josef und Maria gehen nach Bethlehem; die Engel kommen zu den Hirten, die Hirten gehen zum Kind und anschließend erzählend zu den Menschen der Umwelt.

3. Historische Einordnung

Historisch überprüfbar ist die Gestalt des Augustus (31.v.Chr. - 14 n. Chr.), dessen Name in lateinsicher Sprache wiedergegeben wird. Er bedeutet: der Anbetungswürdige. Vielleicht will Lk diese Bedeutung umgehen. Oder er übernimmt den Titel seiner lateinisch/ militärischen Umwelt (Philippi?). Historisch sind auch die beiden Namen Maria und Josef und ihr Wohnort: Nazareth. Josef wird als Hausherr zuerst genannt. Maria ist mit ihm verlobt, also rechtlich an ihn gebunden. Historisch gesehen gab es einen census, aber erst bei der Absetzung des Sohnes des Herodes im Jahr 6 n.Chr. Hier ist die Wiedergabe des Lk ungenau, nach etwa 80 Jahren nicht verwunderlich. Dass Josef zusammen mit Maria nach Bethlehem reist, ist von den Vorschriften für den census her nicht nötig. Die gemeinsame Reise ist aber für den Bericht wichtig. Dass Josef und Maria Verwandte in Bethlehem haben, wird nicht bedacht. Die Hirten sind Repräsentanten des niedrigen Volkes. Sie weiden ihre Herde. Das geschieht in der Sommerzeit auf den fruchtbaren Äckern der Ortschaften, in der Winterzeit in der Steppe.

4. Schwerpunkte der Interpretation

Die Bezeichnung Jesu als „Retter“ deutet seinen Namen (Gott schenkt Rettung) und ist gleichzeitig eine Alternative zur Kennzeichnung des Augustus als Retter, der ein goldenes Zeitalter beginnen lässt. Das beschreibt Vergil in der 4. Ekloge. Vorausgesetzt ist, dass Jesus als der Christus (Messias) in Bethlehem geboren wird. Sie wird als „Stadt Davids“ angegeben. Das ist eigentlich Jerusalem, seit der Eroberung der Stadt durch David, wird aber hier so bezeichnet, weil die Familie Davids dort zuhause war. Dass sie keine Unterkunft finden und in einem Unterschlupf beherbergt werden, zielt auf Jesus und auf die späteren Missionare, die auch nicht haben, wohin sie ihr Haupt hinlegen (Lk 9,59).

Der Himmel reagiert auf die Geburt Jesu mit einer Botschaft an die Hirten innerhalb einer gewaltigen Theophanie. Ein Engel verkündet den Hirten, dass der Retter (Jesus) geboren ist und kennzeichnet ihn weiter: Christus, der Herr. Das ist die Bezeichnung des himmlischen Königs, setzt also bereits die christliche Botschaft nach der Auferstehung voraus (vgl. Apg 2,36). Das Zeichen, das die Hirten zum Erkennen des „Retters“ bekommen, entspricht ihrer Lebenswelt: Ein Kind in der Krippe, in Windeln (Lappen) gewickelt. Die Reaktion des Himmels auf diese Botschaft ist ein Lobgesang in größter Feierlichkeit. Gott wird für sein Handeln die Ehre gegeben. Gleichzeitig wird der Friede Gottes bei den Menschen seiner Huld, seinen Erwählten gepriesen. Die Hirten erfahren zuerst, was geschehen ist, damit sie den Lobpreis verstehen. Die Hirten machen sich auf den Weg und finden das Kind, aufgrund des angegebenen Zeichens. Sie beten es nicht an, sondern geben die Botschaft an ihre Umgebung weiter. Sie handeln wie die späteren Missionare: Sie verkündigen Christus, den Herrn. Maria aber wird beschrieben  als vorbildliche Hörerin, die das Gesagte verinnerlicht, in ihrem Herzen bewahrt und wirken lässt (meditiert). Die Hirten aber gehen lobpreisend wieder an ihre Arbeit. Der Lobpreis zeigt an, dass sich in ihrem Leben etwas grundlegend verändert hat.

5. Theologische Perspektivierung

Es liegt Lk daran, die historischen Umstände festzuhalten, unter denen Jesus zur Welt kommt. Der Kaiser in Rom muss mitspielen, dass der eigentliche Retter in Bethlehem geboren wird. Er ist, wie der Name andeutet, Retter, Christus, der Herr, Endzeitkönig und Helfer der Menschen. Engel verkünden Versöhnung zwischen Himmel und Erde: Lobpreis Gottes und Friede bei den Menschen. Es beginnt eine neue Zeit. Die Hirten begreifen, gehen und sehen und geben die Botschaft weiter. Maria erscheint als Typus der Glaubenden, die auf die Botschaft positiv reagiert und sie immer neu meditiert. 

Literatur

  • Stefan Schreiber, Weihnachtspolitik. Lukas 1-2 und das Goldene Zeitalter, NTOA 82, Göttingen 2009.

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Für die Predigt kann zunächst die Vorstellung, dass die Bezeichnung Jesu als Retter eine „Alternative zur Kennzeichnung des Augustus als Retter“ darstellt, relevant sein. Die Exegese zeigt allerdings keinen Weg auf, wie mit dieser Deutung umgegangen werden kann. Wichtig für die Predigt könnten auch weitergehende Information zu den Titeln Christus, Messias und Herr sein. Besonders zu reflektieren aber sind in erster Linie der Gedanke an eine Erwählung von Menschen („Menschen seiner Huld“) und der Gedanke daran, dass sich bei den Hirten „in ihrem Leben etwas grundlegend verändert hat“. Hier wäre wichtig zu erfahren, was sich geändert hat und weshalb? Die Exegese spricht also einige Punkte an, enthält sich aber jedweder Deutung und macht insofern gänzlich eigenständige Überlegungen erforderlich.

2. Thematische Fokussierung

Der Text spricht vor allem dort einen lebensweltlich wichtigen Aspekt an, wo es um eine Veränderung des Lebens aufgrund der Nachricht von der Geburt Christi geht. Denn das ist eine Situation, die für das Thema Weihnachten insofern einschlägig ist, als einerseits alle Jahre wieder das gleiche gefeiert wird, und man andererseits danach fragen kann, ob es beim punktuellen Mitfeiern als einem irgendwie isolierten Moment bleibt – oder ob man sich vorstellen kann, dass Weihnachten auch für eine nachhaltigere Folge im Leben der Menschen steht. Und wäre es nicht auch zu kurz gegriffen, den Moment als einen gegebenenfalls mit dem ,sonstigen‘ Leben recht unverbundenen Moment dadurch abzuwerten, dass sich keine solche Folge angeben lässt? Was ist mit Weihnachten als einem irgendwie einmaligen Höhepunkt, als einem Feiertag im Wortsinne, der vielleicht Erinnerungen zurücklässt und mit Vorfreude erwartet wird, aber nicht direkt verknüpft ist mit dem Alltag im Sinne einer prägenden oder dauernden Wirkung?

3. Theologische Aktualisierung

Fremd bleibt dieser Aspekt der Veränderung insofern, als sie im Sinne einer förmlichen Wende verstanden werden kann – Weihnachten wird in der Regel kaum etwas grundlegend im Leben verändern (,Wiedergeburt‘, ,Bekehrung‘ und so fort). Dennoch stellt sich mit Bezug auf die Hirten die Frage nach so etwas wie Aufnahme (,Empfang‘) der ,Botschaft‘ von Weihnachten und auch nach einer Reaktion (,Antwort‘). Freut man sich über Weihnachten – und wenn ja weshalb? Ist man vielleicht dankbar, weil man irgendeinen Bezug des eigenen Glaubens auf die Person Jesu von Nazareth herstellen kann? Wobei hilft der Glaube, der mit Jesus in die Welt kommt (nicht: wobei hilft Jesus)? Was heißt es, dass eine neue Zeit beginnt? Wie sieht das im Leben konkret aus? Oder bedeutet Weihnachten etwas, auch ohne dass man so explizit von einem eigenen Glauben, der gleichsam in der Nachfolge Jesu steht, wüsste oder sprechen wollte? Weihnachten ist ein offenes Fest (früher polemisch: ,Bürgerreligion‘ oder ,Gesellschaftsreligion‘) – die Menschen, die zum Gottesdienst kommen, machen es besser als die Menschen, die im Krippenspiel die Türen zuschlagen und keinen Raum anbieten.

Die Predigt sollte nicht das geschichtliche Datum der Geburt Jesu als Kern begreifen, sondern das religiöse Datum der – abstrakt gesagt – Geburt einer Religion, die mit Jesus in die Welt kommt und die wir heute leben können. Weihnachtspredigt ist nicht in erster Linie Christuspredigt, sondern Glaubenspredigt, auch wenn davon im Text direkt freilich überhaupt nichts erzählt wird. Es kommt darauf an, die – einfach gesagt –  Verbindung von ,Himmel und Erde‘ zu beachten. Konkret genannt werden der „Heiland“ und der „Friede auf Erden“. Das hat auch in diesem Jahr wieder eine sich vielleicht zunächst aufdrängende politische Dimension, das wirft aber auch die Frage auf, wie mir mein Glaube Frieden schenken kann – und was das heißen kann, wie das aussehen kann. Ist Weihnachten ein Fest meiner Zufriedenheit, die als Gottesgeschenk in den Blick kommt?

4. Bezug zum Kirchenjahr

Der Text ist ein förmlicher Klassiker, den man vielleicht gar nicht so einordnet, als müssten entsprechende hermeneutische Anstrengungen in einer Predigt erfolgen. Der kirchenjahreszeitliche Termin ist eine Kasualie, kein Sonntagsgottesdienst. Die Predigt ist ein Wort an Weihnachten und Lk 2,1–20 kein gewöhnlicher Predigttext. Gerade das kann es reizvoll erscheinen lassen, diese Perikopen einmal etwas mehr als vielleicht üblich beim Wort zu nehmen und sich auf eine interpretative Auseinandersetzung mit ihr einzulassen. In diesem Fall wäre der Fokus nicht auf die Geburt Jesu zu richten, sondern auf das Leben der normalen Menschen, für das die Hirten einstehen können.

5. Anregungen

Die Predigt könnte damit beginnen, daß sie den Kontrast zwischen dem so genau datierten Beginn der Geschichte und dem offenen Ende aufseiten der Hirten in den Blick nimmt. Sie sollte damit zugleich von der historischen Perspektive in die Gegenwart weisen: Auf der einen Seite „begab es sich damals“, auf der anderen Seite begibt sich was jetzt?

Gekommen sind damals die Hirten, gekommen sind jetzt zunächst die Hörerinnen und Hörer der Predigt (man denke an die Perspektive des Lieds „Ich steh an deiner Krippen hier“ EG 37). Doch im engeren Sinne sind wir heute auf eine Geschichte gewiesen. Zwar kann man sagen, sie malt uns ein Bild vor Augen, gerade an Weihnachten. Doch wir sehen hier grundsätzlich nur den anderen beim Sehen zu, wir hören vom Hören der anderen. Mit dieser religiös unbefriedigenden Herausforderung muss die Predigt umgehen, zumindest so, dass man das Problem im Hintergrund bedenkt. Demgegenüber bedeutet die – wenn man so will – Weihnachtsaktivität der Hörerinnen und Hörer eine jeweils eigene und heute stattfindende Geschichte, die tatsächlich selbst erlebt wird. Sie kehren sich jetzt gerade hin (Lk 2,20) zur Predigt und können immerhin diese Predigt jetzt so hören, dass sie Lob und Preis Gottes im Vollzug wahrnehmen können. Das wäre ein guter Schluss für die Predigt: Eine sozusagen vorgemachte und gegebenenfalls stellvertretend vollzogene Reaktion der predigenden Person, deren Aufgabe es ist, sich explizit in die Rolle der Hirten zu begeben.

Literatur

  • Karl-Heinz Göttert: Weihnachten. Biographie eines Festes, Stuttgart 2020.

Autoren

  • Prof. em. Dr. Hans Klein (Einführung und Exegese)
  • Dr. Johannes Greifenstein (Praktisch-theologische Resonanzen)

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