Lukas 2,1-20 | Christnacht | 24.12.2023
Einführung in das Lukasevangelium
1. Verfasser
Der Verfasser des 3. Evangeliums
2. Adressaten
Die Adressaten des Lk sind mit großer Wahrscheinlichkeit Christen, die, wie Theophilus
3. Entstehungsort
Der Entstehungsort des 3. Evangeliums ist vermutlich Philippi. Das lässt sich zwar nicht aus dem Evangelium selber, aber aus der Apg erschließen. Man kann auch weiter gehen: Paulinische Gemeinden. Abfassungszeit um 80 n.Chr. Vorausgesetzt ist der Fall Jerusalems, nicht aber die Christenverfolgung unter Domitian
4. Wichtige Themen
Quellen
Als Quellen gibt Lk Berichte von Augenzeugen an. Es sind dies die Redenquelle (Q), das Mk und Sondergut. Seine Hauptquelle ist Q. Er gibt ihr den Vorzug vor Mk. Mk hat ihm den Rahmen für seinen Bericht gegeben. Lk hat es an manchen Stellen gekürzt, wahrscheinlich aus Raumgründen. Das Sondergut, das wahrscheinlich in Judäa gesammelt wurde und das viele bekannte Gleichnisse enthält, ist wohl nach dem Fall Jerusalems in weiteren Kreisen verbreitet worden. Dazu gehört auch der Passions- und Auferstehungsbericht, der an vielen Stellen dem des Joh vergleichbar ist. Lk hat diesen Bericht mit dem der johanneischen Tradition zusammengearbeitet. Möglicherweise war dieser Passions- und Auferstehungsbericht bereits schon mit anderen Texten des Sondergutes kombiniert. Das würde einige Parallelen (Maria und Marta
Gliederung
Seinen „Bericht“ hat Lk so geordnet:
- 1.Anfänge (1,4-4,30
) mit Kindheitsgeschichte und erstem Auftreten des Täufers und Jesu, - 2.die Grundlegung (5,1-9,50
), drei größere theologisch durchdachte Abschnitte: Wort (5-6 ); Glaube (7-8 ) und Jüngerschaft (9 ), - 3.der Reisebericht (9,51-19.10
) zwei Themenkreise: „Nachfolge“ (9,57-14,25 ), Texte vornehmlich für wandernde Prediger und „Sünderannahme“ (15,1-19,10 ), hauptsächlich für sesshafte Christen und - 4.Schlussteil (19,11-24-53
) dreiteilig: Worte über das Weltende (19,11-21,38 ), die Passion (22,1-23,56 ) und die Auferstehung (24,1-52 ).
5. Besonderheiten
Lukas erzählt, er macht keine theologisch eindeutigen Aussagen. Das lässt sich an einer Stelle eindrücklich zeigen: Nach 10,25 einerseits, und 18,18 andererseits, ist die Antwort auf die Frage, was zu tun ist, das ewige Leben zu empfangen, verschieden. Sein theologisches Konzept fasst er in Apg 16,17 in die Wendung „Weg des Heils“ zusammen. Dieser Weg wird unter klaren sozialen und politischen Verhältnissen beschrieben. Darum geschichtliche Daten. Der Kaiser Augustus
Die „Heilsgeschichte“, die Lukas erzählend wiedergibt, ist das Werk Jesu und in der Apostelgeschichte das der Kirche, an dem Jünger und Hörer:innen teilhaben. Es ist ein Weg, der durch Leiden zur Herrlichkeit führt (Lk 24,26; Apg 14,22). Deutlichstes Zeichen für dieses Verständnis ist die Emmausgeschichte
Die inhaltlich herausragende Stelle ist die Antrittspredigt in Nazareth
Der Satan
Die Glieder des Gottesvolkes Israel sind die Adressaten der Botschaft Jesu. Mit dem Ausdruck „dieses Geschlecht“ (Lk 11,29f.50) werden jene bezeichnet, die Jesu Botschaft nicht annehmen. Seine Gesprächspartner aus diesem Volk sind die Pharisäer. Jesus wirbt um sie, und sie laden Jesus ein. Sie werden wegen ihrer „Hartherzigkeit“ kritisiert. Aber Lk lässt die Tür offen, dass sie sich ändern. Das ist auch am Schluss der Apg (28,17-28) mit Blick auf die Juden allgemein so gesehen. Das Wirken Jesu hat Heilsbedeutung, auch in der letzten Stunde. Durch seinen Tod
Literatur:
- Walter Radl, Das Evangelium nach Lukas. Kommentar. Erster Teil. 1,1-9, Freiburg/ Br. 2003.
- Michael Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008.
A) Exegese kompakt: Lukas 2,1-20
Übersetzung
1 Es geschah aber in jenen Tagen: Ein Erlaß vom Kaiser Augustus ging aus, daß sich die ganze bewohnte Welt steuerlich erfassen lassen sollte. 2 Diese erste Erfassung geschah, als Quirinius Statthalter von Syrien war. 3 Und alle gingen, sich erfassen zu lassen, jeder in seine eigene Stadt. 4 Auch Josef von Galiläa, aus der Stadt Nazareth, ging hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Bethlehem genannt wird, weil er aus dem Haus und Geschlecht Davids war, 5 sich erfassen zu lassen mit Maria, die ihm anverlobt war. Sie war schwanger.
6 Es geschah aber: Während sie dort waren, erfüllten sich die Tage, da sie gebären sollte 7; und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, und sie wickelte ihn und legte ihn in eine Krippe, weil sie keinen Raum in der Unterkunft hatten.
8 Und es waren Hirten in dieser Gegend auf freiem Feld, die hielten Nachtwache bei ihrer Herde. 9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie, und sie gerieten in große Furcht. 10 Da sprach der Engel zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, welche dem ganzen Volk gelten wird: 11 Euch ist heute der Retter geboren, welcher ist Christus, der Herr, in Davids Stadt. 12 Und dies ist das Zeichen für euch: Ihr werdet das Kind gewickelt finden, in einer Krippe liegend. 13 Und alsbald war bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
14 Ehre sei Gott in den Höhen und Frieden auf der Erde bei den Menschen der Huld.
15 Und es geschah: Als sich die Engel von ihnen in den Himmel entfernten, sprachen die Hirten zueinander: Laßt uns doch bis nach Bethlehem gehen und diese Sache sehen, die geschehen ist und die uns der Herr mitgeteilt hat. 16 Und sie gingen eilend und fanden Maria und Josef und das Kind in der Krippe liegend. 17 Als sie es gesehen hatten, machten sie die Sache bekannt, die ihnen über das Kind gesagt worden war. 18 Und alle, die es hörten, wunderten sich über das, was zu ihnen von den Hirten gesagt wurde. 19 Maria aber behielt alle diese Dinge und bewegte sie in ihrem Herzen. 20 Und die Hirten kehrten um, priesen und lobten Gott über allem, was sie gehört und gesehen hatten, wie es ihnen gesagt worden war.
1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung
V. 14 ist ein Zweizeiler. Die Vulgata übersetzt den Schluss: „bei den Menschen guten Willens. Der Byzantinische Text liest εὐδοκία statt εὐδοκίας und versteht den Lobgesang als Dreizeiler: „den Menschen ein Wohlgefallen“.
2. Literarische Gestalt und Kontext
Der Abschnitt ist klar strukturiert in drei Szenen:
- 1.Anreise zur Geburt des Kindes (2,1-7);
- 2.2,8-14: die Reaktion des Himmels auf die Geburt (2,8-14) und
- 3.die Reaktion der Hirten auf die Botschaft der Engel (2,15-20).
Es gibt darin viel Bewegung. Josef und Maria gehen nach Bethlehem; die Engel kommen zu den Hirten, die Hirten gehen zum Kind und anschließend erzählend zu den Menschen der Umwelt.
3. Historische Einordnung
Historisch überprüfbar ist die Gestalt des Augustus
4. Schwerpunkte der Interpretation
Die Bezeichnung Jesu als „Retter“ deutet seinen Namen (Gott schenkt Rettung) und ist gleichzeitig eine Alternative zur Kennzeichnung des Augustus als Retter, der ein goldenes Zeitalter beginnen lässt. Das beschreibt Vergil in der 4. Ekloge. Vorausgesetzt ist, dass Jesus als der Christus
Der Himmel reagiert auf die Geburt Jesu mit einer Botschaft an die Hirten innerhalb einer gewaltigen Theophanie. Ein Engel
5. Theologische Perspektivierung
Es liegt Lk daran, die historischen Umstände festzuhalten, unter denen Jesus zur Welt kommt. Der Kaiser in Rom
Literatur
- Stefan Schreiber, Weihnachtspolitik. Lukas 1-2 und das Goldene Zeitalter, NTOA 82, Göttingen 2009.
B) Praktisch-theologische Resonanzen
1. Persönliche Resonanzen
Für die Predigt kann zunächst die Vorstellung, dass die Bezeichnung Jesu als Retter eine „Alternative zur Kennzeichnung des Augustus als Retter“ darstellt, relevant sein. Die Exegese zeigt allerdings keinen Weg auf, wie mit dieser Deutung umgegangen werden kann. Wichtig für die Predigt könnten auch weitergehende Information zu den Titeln Christus, Messias und Herr sein. Besonders zu reflektieren aber sind in erster Linie der Gedanke an eine Erwählung von Menschen („Menschen seiner Huld“) und der Gedanke daran, dass sich bei den Hirten „in ihrem Leben etwas grundlegend verändert hat“. Hier wäre wichtig zu erfahren, was sich geändert hat und weshalb? Die Exegese spricht also einige Punkte an, enthält sich aber jedweder Deutung und macht insofern gänzlich eigenständige Überlegungen erforderlich.
2. Thematische Fokussierung
Der Text spricht vor allem dort einen lebensweltlich wichtigen Aspekt an, wo es um eine Veränderung des Lebens aufgrund der Nachricht von der Geburt Christi geht. Denn das ist eine Situation, die für das Thema Weihnachten insofern einschlägig ist, als einerseits alle Jahre wieder das gleiche gefeiert wird, und man andererseits danach fragen kann, ob es beim punktuellen Mitfeiern als einem irgendwie isolierten Moment bleibt – oder ob man sich vorstellen kann, dass Weihnachten auch für eine nachhaltigere Folge im Leben der Menschen steht. Und wäre es nicht auch zu kurz gegriffen, den Moment als einen gegebenenfalls mit dem ,sonstigen‘ Leben recht unverbundenen Moment dadurch abzuwerten, dass sich keine solche Folge angeben lässt? Was ist mit Weihnachten als einem irgendwie einmaligen Höhepunkt, als einem Feiertag im Wortsinne, der vielleicht Erinnerungen zurücklässt und mit Vorfreude erwartet wird, aber nicht direkt verknüpft ist mit dem Alltag im Sinne einer prägenden oder dauernden Wirkung?
3. Theologische Aktualisierung
Fremd bleibt dieser Aspekt der Veränderung insofern, als sie im Sinne einer förmlichen Wende verstanden werden kann – Weihnachten wird in der Regel kaum etwas grundlegend im Leben verändern (,Wiedergeburt‘, ,Bekehrung‘ und so fort). Dennoch stellt sich mit Bezug auf die Hirten die Frage nach so etwas wie Aufnahme (,Empfang‘) der ,Botschaft‘ von Weihnachten und auch nach einer Reaktion (,Antwort‘). Freut man sich über Weihnachten – und wenn ja weshalb? Ist man vielleicht dankbar, weil man irgendeinen Bezug des eigenen Glaubens auf die Person Jesu von Nazareth herstellen kann? Wobei hilft der Glaube, der mit Jesus in die Welt kommt (nicht: wobei hilft Jesus)? Was heißt es, dass eine neue Zeit beginnt? Wie sieht das im Leben konkret aus? Oder bedeutet Weihnachten etwas, auch ohne dass man so explizit von einem eigenen Glauben, der gleichsam in der Nachfolge Jesu steht, wüsste oder sprechen wollte? Weihnachten ist ein offenes Fest (früher polemisch: ,Bürgerreligion‘ oder ,Gesellschaftsreligion‘) – die Menschen, die zum Gottesdienst kommen, machen es besser als die Menschen, die im Krippenspiel die Türen zuschlagen und keinen Raum anbieten.
Die Predigt sollte nicht das geschichtliche Datum der Geburt Jesu als Kern begreifen, sondern das religiöse Datum der – abstrakt gesagt – Geburt einer Religion, die mit Jesus in die Welt kommt und die wir heute leben können. Weihnachtspredigt ist nicht in erster Linie Christuspredigt, sondern Glaubenspredigt, auch wenn davon im Text direkt freilich überhaupt nichts erzählt wird. Es kommt darauf an, die – einfach gesagt – Verbindung von ,Himmel und Erde‘ zu beachten. Konkret genannt werden der „Heiland“ und der „Friede auf Erden“. Das hat auch in diesem Jahr wieder eine sich vielleicht zunächst aufdrängende politische Dimension, das wirft aber auch die Frage auf, wie mir mein Glaube Frieden schenken kann – und was das heißen kann, wie das aussehen kann. Ist Weihnachten ein Fest meiner Zufriedenheit, die als Gottesgeschenk in den Blick kommt?
4. Bezug zum Kirchenjahr
Der Text ist ein förmlicher Klassiker, den man vielleicht gar nicht so einordnet, als müssten entsprechende hermeneutische Anstrengungen in einer Predigt erfolgen. Der kirchenjahreszeitliche Termin ist eine Kasualie, kein Sonntagsgottesdienst. Die Predigt ist ein Wort an Weihnachten und Lk 2,1–20 kein gewöhnlicher Predigttext. Gerade das kann es reizvoll erscheinen lassen, diese Perikopen einmal etwas mehr als vielleicht üblich beim Wort zu nehmen und sich auf eine interpretative Auseinandersetzung mit ihr einzulassen. In diesem Fall wäre der Fokus nicht auf die Geburt Jesu zu richten, sondern auf das Leben der normalen Menschen, für das die Hirten einstehen können.
5. Anregungen
Die Predigt könnte damit beginnen, daß sie den Kontrast zwischen dem so genau datierten Beginn der Geschichte und dem offenen Ende aufseiten der Hirten in den Blick nimmt. Sie sollte damit zugleich von der historischen Perspektive in die Gegenwart weisen: Auf der einen Seite „begab es sich damals“, auf der anderen Seite begibt sich was jetzt?
Gekommen sind damals die Hirten, gekommen sind jetzt zunächst die Hörerinnen und Hörer der Predigt (man denke an die Perspektive des Lieds „Ich steh an deiner Krippen hier“ EG 37). Doch im engeren Sinne sind wir heute auf eine Geschichte gewiesen. Zwar kann man sagen, sie malt uns ein Bild vor Augen, gerade an Weihnachten. Doch wir sehen hier grundsätzlich nur den anderen beim Sehen zu, wir hören vom Hören der anderen. Mit dieser religiös unbefriedigenden Herausforderung muss die Predigt umgehen, zumindest so, dass man das Problem im Hintergrund bedenkt. Demgegenüber bedeutet die – wenn man so will – Weihnachtsaktivität der Hörerinnen und Hörer eine jeweils eigene und heute stattfindende Geschichte, die tatsächlich selbst erlebt wird. Sie kehren sich jetzt gerade hin (Lk 2,20) zur Predigt und können immerhin diese Predigt jetzt so hören, dass sie Lob und Preis Gottes im Vollzug wahrnehmen können. Das wäre ein guter Schluss für die Predigt: Eine sozusagen vorgemachte und gegebenenfalls stellvertretend vollzogene Reaktion der predigenden Person, deren Aufgabe es ist, sich explizit in die Rolle der Hirten zu begeben.
Literatur
- Karl-Heinz Göttert: Weihnachten. Biographie eines Festes, Stuttgart 2020.
Autoren
- Prof. em. Dr. Hans Klein (Einführung und Exegese)
- Dr. Johannes Greifenstein (Praktisch-theologische Resonanzen)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500006
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