Apostelgeschichte 1,3-11 | Christi Himmelfahrt | 09.05.2024
Einführung in die Apostelgeschichte
In den letzten Jahrzehnten ist in der Forschung intensiv über das Genre und die Datierung der Apostelgeschichte
1. Verfasser
Die Apostelgeschichte wurde wie auch das Lukasevangelium, auf das Apg 1,1 („in meinem ersten Buch“) verweist, anonym abgefasst; beide Werke wurden aber in der altkirchlichen Tradition einem Paulusbegleiter mit Namen Lukas (vgl. Phlm 24; Kol 4,14; 2 Tim 4,11) zugeschrieben. Dies dürfte historisch unzutreffend sein, auch wenn etwa die Erzählstimme ab Apg 16 wiederholt im Zusammenhang mit Seereisen des Paulus unvermittelt von der ersten Person Singular in die erste Person Plural wechselt (die sog. Wir-Passagen). Der historische Autor, der vermutlich entweder Judenchrist war oder zumindest dem Judentum nahestand, ehe er zum Glauben an Christus kam, wirkt mit einigem zeitlichen Abstand zu den berichteten Ereignissen (s.u.) und vertritt dabei eine ausgeprägt maskulin-patriarchale Perspektive (z.B. tritt keine Frau als Verkündende auf, sondern die Hauptakteure der Erzählung sind alle männlich; die zahlreichen Reden werden in der Regel durch ἄνδρες ἀδελφοί, also „ihr Männer, Brüder“ eröffnet). Er ist gebildet, schreibt in gehobenem Koinegriechisch
2. Adressaten
Beide Teile des lukanischen Doppelwerks sind einem gewissen Theophilus
3. Entstehungsort
Über den Entstehungsort der Apostelgeschichte lässt sich nur spekulieren, und diese Frage ist in der Forschung dementsprechend umstritten. In der altkirchlichen Tradition werden vor allem Rom
4. Wichtige Themen
Während die Apostelgeschichte lange Zeit um 80/90 u.Z. datiert wurde, ist in den letzten Jahrzehnten wieder intensiv diskutiert worden, ob es sich nicht um ein Dokument des zweiten Jahrhunderts handele, während vereinzelt auch Frühdatierungen vorgeschlagen worden sind. Die Spätdatierungen reichen dabei von etwa 100-130 bis hinauf zu 150 u.Z. Als Argumente gelten etwa die äußere Bezeugung (d.h. die relativ späte Rezeption in der altkirchlichen Literatur) und die gegenüber älteren Zeugnissen sozial- wie theologiegeschichtlich veränderten Verhältnisse, die die Apostelgeschichte bezeugt, z.B. in Bezug auf das Verhältnis zur umgebenden Gesellschaft generell und im Hinblick auf Ablösungsprozesse vom Judentum im Besonderen. Hier wird nicht zuletzt diskutiert, inwiefern die Apostelgeschichte als anti-jüdisch oder supersezessionistisch angesehen werden muss (vgl. Matthews). Die Datierung hat nicht nur Einfluss auf unser Bild von der Entwicklung des frühen Christentums, sondern u.a. auch auf die Bewertung der Frage, ob der Verfasser das Oeuvre des Flavius Josephus oder die Paulusbriefe gekannt haben könnte – unabhängig davon, ob diese letztlich auch benutzt worden sind. In Bezug auf die Paulusrezeption ist losgelöst von Datierungsfragen eine Tendenz auszumachen weg von der Frage, inwieweit die Aussagen der Apostelgeschichte exakt mit denen der Paulusbriefe übereinstimmen, hin zu der Nachzeichnung der Rezeptionsgeschichte (vgl. Marguerat).
5. Besonderheiten
In der Forschung herrscht ein weitgehender Konsens darüber, dass Lukasevangelium und Apostelgeschichte beide vom selben Verfasser geschrieben wurden, u.a. wegen der (im Neuen Testament singulären) Prologe und der Widmung an Theophilus, der Himmelfahrt Jesu als erzählerischem Bindeglied und sprachlich-stilistischer wie theologischer Übereinstimmungen. Da sie allerdings nie in direkter Abfolge überliefert sind, etwa in Handschriftensammlungen oder Kanonlisten, wurde in den letzten Jahrzehnten intensiv diskutiert, ob die beiden Teile des Doppelwerks in der Antike jemals als Einheit gelesen wurden und inwieweit dies Konsequenzen etwa für eine narrative Exegese haben sollte, die beide Texte – sowohl literarisch wie theologisch – als eng miteinander verwoben ansieht (z.B. Tannehill). Die Frage der Einheit spielt teilweise auch in die der Bestimmung des Genres hinein, insofern das Doppelwerk hierbei anders zu bestimmen ist als die Apostelgeschichte für sich genommen. Für letztere gehen die Vorschläge weit auseinander und reichen von Historiographie, über kollektive Biographie bis hin zu fiktiver Romanliteratur.
Literatur:
- Helen Bond u.a., Art. Luke-Acts, Encyclopedia of the Bible and its Reception online, 2019.
- Wilfried Eckey, Die Apostelgeschichte: Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom, Band 1-2, Göttingen 22011.
- Daniel Marguerat, Die Apostelgeschichte, KEK Göttingen 2022.
- Shelly Matthews, The Acts of The Apostles: An Introduction and Study Guide: Taming the Tongues of Fire, London 2017.
- Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte, EKK V/1-2, Göttingen 32005/22013.
- Robert C. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation, Band 1-2, Philadelphia 1986/1990.
- Alfons Weiser, Die Apostelgeschichte 1-2, ÖTK V/1-2, Gütersloh 21989/1985.
A) Exegese kompakt: Apostelgeschichte 1,3-11
Nicht erstarren, sondern auf die Kraft des Heiligen Geistes vertrauen
Übersetzung
3 Ihnen (scil. den Aposteln) präsentierte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als lebend, indem er ihnen über vierzig Tage hinweg immer wieder erschien und von der Herrschaft Gottes sprach.
4 Als er mit ihnen zusammen aß, befahl er ihnen, nicht aus Jerusalem wegzugehen, sondern die Verheißung des Vaters zu erwarten, „die ihr von mir gehört habt, 5 denn Johannes taufte mit Wasser, ihr aber werdet in wenigen Tagen mit Heiligem Geist getauft werden. (s. Lk 3,16)“ 6 Die, welche nun zusammengekommen waren, fragten ihn: „Herr, stellst du in dieser Zeit die Herrschaft für Israel wieder her?“ 7 Er sprach zu ihnen: „Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Termine zu erfahren, die der Vater in seiner Vollmacht festgelegt hat. 8 Aber ihr werdet Kraft empfangen (Lk 24,49, auch dort als direkte Rede), wenn der Heilige Geist über euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein, in Jerusalem, und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.“
9 Als er dies gesagt hatte, wurde er – während sie hinschauten – emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg von ihren Blicken. 10 Und als sie noch in den Himmel starrten, während er auffuhr, siehe, da standen zwei Männer in weißen Kleidern bei ihnen, 11 die sagten: „Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und schaut in den Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird auf dieselbe Weise wiederkommen, (s. Act 3,20f; Bestätigung von Lk 21,27) wie ihr ihn in den Himmel auffahren saht.“
1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung
V.3: Οἷς – relativischer Anschluss an τοῖς ἀποστόλοις in V.2
V.4: συναλιζόμενος – wörtlich „zusammen Salz essen“, daher wohl am Ehesten „gemeinsam speisen“, evtl. auch nur „zusammen sein“.
V.5 Das einleitende ὅτι ist eher kausal (als Teil der direkten Rede), denn als als Doppelpunkt zu verstehen; οὐ μετὰ πολλὰς ταύτας ἡμέρας – wörtlich „nach nicht vielen von diesen Tagen an“ = „in wenigen Tagen“
V.6 εἰ – Fragepartikel, die in direkter Rede unübersetzt bleibt.
V.7 χρόνους ἢ καιροὺς Hendiadyoin für bestimmte Zeitpunkte.
V.8 ἐπελθόντος τοῦ ἁγίου πνεύματος ist hier als genitivus absolutus-Konstruktion aufgefasst und gibt so die Bedingung für den Empfang der Kraft an. Alternativ (und so etwa auch in LÜ17) kann der Ausdruck als Genitiv-Attribut zu δύναμιν verstanden werden, und der Beginn von V.8 wäre dann durch „ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird,“ wiederzugeben.
2. Literarische Gestalt und Kontext
Der Abschnitt lässt sich in drei Teile untergliedern:
In V.3 bietet der allwissende Erzähler zunächst einen summarischen Rückblick auf die Ostererscheinungen und die Unterweisung der Jünger, die sich über 40 Tage erstreckt haben (vgl. Lk 24,13-49, dort auf einen einzigen Tag konzentriert);
V.4-8 beschreiben sodann eine letzte Begegnung des Auferstandenen mit den Aposteln bei einem Mahl in Jerusalem. Die Darstellung geht am Ende von V.4 unvermittelt von der indirekten in die direkte Rede über, was die Aufmerksamkeit auf den nachfolgenden Dialog lenkt. In V.5 offenbart Jesus zunächst, dass die Erfüllung der Verheißung der Taufe mit Heiligem Geist unmittelbar bevorsteht (vgl. Lk 3,16; Apg 11,16), wodurch der Blick nun endgültig nach vorn gerichtet ist. Die Rückfrage der Anwesenden in V.6, ob Jesus zur gleichen Zeit auch die Herrschaft Israels wieder einsetzen werde, korrigiert und qualifiziert er in zeitlicher, christologischer und räumlicher Hinsicht (vgl. Weiser 52): Er weist jegliche Terminspekulation (vgl. Mk 13,32) mit dem Hinweis auf die Souveränität Gottes zurück (V.7) und betont die Kraft, die der Heilige Geist wirkt (vgl. Lk 24,49), sowie die Universalität des Zeugenauftrags (V.8).
V.9-11 berichten von der sich direkt anschließenden Himmelfahrt Jesu (vgl. Lk 24,50-53), wobei das Ereignis selbst nur kurz als Entrückung und Aufnahme in eine Wolke beschrieben wird (V.9) und der Fokus ganz auf der Wahrnehmung der Anwesenden liegt, was durch das Auftreten von zwei Deuteengeln (vgl. Lk 24,4-9) nochmals verstärkt wird (V.10f). V.9-11 betonen nachdrücklich die Augenzeugenschaft der Apostel, indem insgesamt fünfmal auf ihr Schauen bzw. die Sichtbarkeit des Ereignisses verwiesen wird (V.9: βλεπόντων; ἀπὸ τῶν ὀφθαλμῶν αὐτῶν; V.10: ἀτενίζοντες; V.11: ἐμβλέποντες; ἐθεάσασθε). Dies hebt einerseits die Leiblichkeit von Auferstehung und Himmelfahrt hervor, andererseits – und hier wohl vordergründig – die Zuverlässigkeit des Zeugnisses. Obwohl der Abschnitt aus drei verschiedenen Szenen besteht, gibt es etliche Verknüpfungspunkte, etwa die beteiligten Personen, die Stichwörter der βασιλεία (V. 3, 6), der Vaterschaft Gottes (V. 4, 7) oder des Heiligen Geistes (V. 5, 8).
3. Historische Einordnung
Der Abschnitt schließt sich unmittelbar an das Vorwort in 1,1-2 an, das auf den ersten Bericht an Theophilus verweist (vgl. Lk 1,1-3) über alles, was Jesus getan und gelehrt hat, bis er in den Himmel aufgenommen wurde, nachdem er den Aposteln durch den Heiligen Geist Weisung gegeben hatte (vgl. Lk 24,50-53). Genau dieses Ereignis führt unser Text erzählerisch weiter aus. Erst im Nachhinein erfahren wir in V.12, dass sich die vorangegangene Handlung am Ölberg
Wie bereits dargestellt, ist unsere Perikope ein wichtiges Bindeglied des lukanischen Doppelwerkes, insofern die Himmelfahrt Jesu
4. Schwerpunkte der Interpretation
Der Ausdruck „bis zum Ende der Erde“ in 1,8 hat viele Interpretationen hervorgerufen. Zeitgeschichtlich galt Rom nicht als das Ende, sondern das Zentrum der bewohnten Welt; insofern scheitert eine einseitig geographische Interpretation dieses programmatischen Ausdrucks. Wichtig zu bedenken ist, dass es sich um eine Anspielung auf Jes 49,6LXX handelt, wo der Gottesknecht
Die Himmelfahrt Jesu ist innerhalb des NT nur im Doppelwerk erwähnt. Lukas nimmt dabei das in der griechisch-römischen wie auch alttestamentlich-jüdischen Tradition verbreitete Motiv der Entrückung berühmter Persönlichkeiten auf, etwa Alexander der Große oder Augustus bzw. für biblische Gestalten bspw. Baruch
5. Theologische Perspektivierung
Bei unserer Perikope handelt es sich um eine Abschiedsszene, die zugleich einen Übergang und einen Neubeginn markiert. Die Zeit des irdischen Jesus kommt eindeutig zu einem Ende. Etwas Neues bricht an, das jedoch im Bisherigen verankert ist. Das entscheidende Bindeglied ist der Heilige Geist, der verheißen ist und zur Zeugenschaft befähigt. Dadurch ist diese Erzählung nicht das Ende der Geschichte Jesu, sondern der Anfang der Geschichte, in der er im geistbegabten Zeugnis bis zu seiner Parusie
Besonders eindrücklich ist das Unverständnis, das Nichtwahrhabenwollen der Apostel in Szene gesetzt, durch die Frage nach der Wiederaufrichtung Israels aber noch mehr angesichts ihres ungläubigen und anhaltenden Schauens, als sie Zeugen der Himmelfahrt werden. Als sie Augenzeugen eines nie zuvor gesehenen Ereignisses werden, das die alltägliche Erfahrung durchbricht, erstarren sie in ihrem Starren. Erst die Engel
B) Praktisch-theologische Resonanzen
1. Persönliche Resonanzen
Die Exegese strukturiert eine Geschichte, die Unglaubliches erzählt. Die erste und zweite Szene (V. 3 und 4-8) schildern irdische Erfahrungen, Begegnungen, Gespräche. Nach der Katastrophe der Kreuzigung, dem Ende aller Hoffnungen, ist der auferstandene Jesus „wieder da“, die Gespräche werden fortgesetzt, die Gemeinschaft ist lebendig. Aber dann bricht diese irdisch erfahrbare Gemeinschaft ab. Nicht unvermittelt, sondern „mit Ansage“ werden die Apostel vor die Tatsache gestellt: Von nun an müsst ihr selbstständig und ohne mich – also ohne Jesus – weitergehen. Und dann ist er weg. Nicht mehr zu sehen oder zu hören. Die Dramatik dieser fast lapidar geschilderten dritten Szene (9-11) wird von den beiden „Deuteengeln“ in weißen Kleidern abgemildert oder wenigstens eingeordnet: „Was steht ihr da und schaut in den Himmel? Dieser Jesus … wird auf dieselbe Weise wiederkommen …“ Aber wann? Und was machen wir bis dahin? Und was ist hier eigentlich gerade passiert?
Die Exegese lenkt den Blick vom Himmel auf die Erde, von oben nach unten. Die Geschichte von der Himmelfahrt Christi gehört zu den wundersamen neutestamentlichen Erzählungen, die ich weder mir selbst noch kritisch Nachfragenden erklären kann. Die Exegese macht mir deutlich: Darum geht es auch gar nicht. Die Frage ist vielmehr: Wohin schaue ich? Nach oben oder nach unten? Oder nach vorn?
2. Thematische Fokussierung
Wo ist Jesus, der Auferstandene? Schon die Frauen am leeren Grab (Lk 24,1-6) stehen ratlos da und bekommen zu hören: „Er ist nicht hier …“ (Lk 24,5). Die Augenzeugen der Himmelfahrt sind sprachlos. Sie sehen und verstehen nicht. Apg 1,3-11 markiert den Übergang von Sichtbarkeit zur Unsichtbarkeit, von unmittelbarer Begegnung mit dem Auferstandenen zur Berührung durch die „Kraft des Heiligen Geistes“, vom Schauen zum Glauben.
Diese Abschiedssituation kommt nicht ohne Ankündigung, aber sie ist abrupt: Jesus ist weg. Die „Männer aus Galiläa“ – wo sind eigentlich die Frauen? – sehen und verstehen nicht. Was sollen sie ohne Jesus nun tun? Sie schauen nach oben, als ob es da etwas zu sehen gäbe. Aber sie sehen nur eine Wolke.
In drei Szenen wird der Abschied vom irdisch erfahrbaren Jesus beschrieben: Noch einmal essen sie zusammen. Noch einmal reden sie miteinander. Noch einmal sehen sie ihn. Dann ist er weg.
Trinitätstheologisch ist dieser Abschied notwendig: Jesus muss erst „weg“ sein, der irdischen Zugänglichkeit entzogen sein, um für alle da zu sein, „bis an die Enden der Erde“. Er ist also nicht der Religionsstifter oder die Identifikationsfigur einer kleinen Gruppe von „Auserwählten“, sondern der Retter der ganzen Welt. Die versprochene „Kraft des Heiligen Geistes“ wird an seiner Stelle präsent sein, in der Gemeinschaft derer, die ihm nicht nur „nach oben“ nachsehen. Was sehen wir – und was können wir nicht sehen? Wo sollen wir Jesus suchen – und wo finden wir ihn? Was geht der Himmel, die göttliche Entzogenheit, uns an? Wo lohnt es sich, im Blick nach unten, in die irdische Welt, genauer hinzuschauen? Und wo lässt sich Jesus blicken, unter uns, in unseren irdischen Geschichten und Hoffnungen?
3. Theologische Aktualisierung
Abschied nehmen von einem geliebten Menschen ist eine schmerzliche Erfahrung. Jesus ist weg, nicht mehr unmittelbar ansprechbar, unseren Blicken und Ansprüchen buchstäblich entzogen. Wie können wir glauben und darauf vertrauen, dass er bei uns ist?
Ein Abschied erzeugt eine Leerstelle. Wo Nähe war, entsteht Sehnsucht. Wo Vergewisserung war, entsteht Unsicherheit. Das ist schwer auszuhalten. Aber offenbar muss es ausgehalten werden und vor allem: gestaltet werden. Aus der Sehnsucht nach Nähe zu Gott leben – das wäre eine Konsequenz aus der Himmelfahrtserzählung, die zum Predigen anregt.
Abschied nehmen von lieb gewordenen Orten, Lebensweisen, Gewohnheiten ist nicht weniger schmerzlich. Wir sind als Kirche in einer solchen Abschiedssituation nicht sehr beweglich, starren in die Vergangenheit und können schwer loslassen. So erscheint mir manche Diskussion über sinkende Mitgliederzahlen und kleiner werdende Gemeinden. Wir werden weniger. Müssen wir deshalb auch kleingläubiger, ängstlicher, hoffnungsloser werden? Demografische Entwicklungen und gesellschaftliche Verschiebungen lassen sich nicht „einfach“ aufhalten. Sehnen wir uns nach größeren Zahlen - oder nach Gottes Gegenwart an den konkreten Orten, an denen wir gerade sind? Die Predigt sollte hoffnungsvoll von Glaubenserfahrungen und lebendigen Begegnungen erzählen, die einzelne Menschen ersehnen und erleben. Unsichtbarkeit und Unverfügbarkeit aushalten, den Blick auf die konkrete Gegenwart richten, auf die Kraft des Heiligen Geistes hoffen – dafür möchte ich Beispiele finden und Wahrnehmungen teilen. Die Unverfügbarkeit dieser Kraft Gottes schränkt uns nicht nur ein in unserem Wissen und Verstehen, sondern öffnet und weitet den Horizont: Wo, wie und durch wen der Heilige Geist in der Welt wirkt, können wir nicht fassen und überblicken, aber erhoffen und uns – bestenfalls - für sein überraschendes Wirken öffnen.
4. Bezug zum Kirchenjahr
Himmelfahrtsgottesdienste finden oft an anderen Orten, unter freiem Himmel statt. Ich erinnere mich an eine blühende, hochgewachsene Wiese, aus der nur ein kleiner runder Platz für den Gottesdienst im Pfarrgarten freigemäht war: der Himmel als Dom über uns. Oder die Lichtung am Waldrand während eines Gemeindeausfluges. Und in den letzten Jahren der Innenhof im Kreuzgang des Augustinerklosters in Erfurt, unser Gesang begleitet von Amseln und Schwalben. Das sind schöne Erfahrungen und Orte, die per se schon Freude und Hoffnung stiften können. Die lukanische Erzählung bringt das Thema des Festes auf den Punkt und erzählt, worum es „eigentlich“ geht: Himmelfahrt als Fest der Gegenwart Gottes zwischen Nähe und Unverfügbarkeit. Auf dieses Thema verweist auch die atl. Lesung aus 1. Kön 8
Das Evangelium (Lk 24,44-53) erzählt als „Zwillingstext“ dieselben Ereignisse in etwas anderer Weise. Ein starkes Element der Verknüpfung zu Apg 1,3-11 ist die Beauftragung der Apostel, als Zeugen Jesu zu wirken. Dieser Gedanke kann die verschiedenen Texte im Gottesdienst miteinander und mit den Hörenden verbinden.
5. Anregungen
„Nun ist er also weg …“ Mit dieser Feststellung kann eine Predigt beginnen, die auf der Suche ist und die mit der Himmelfahrt entstandene „Leerstelle“ ernst nimmt und aushält. Der dialogischen Struktur des Predigttextes folgend würde ich ein inneres Gespräch oder tatsächlich einen Austausch zwischen mehreren Mitwirkenden inszenieren und den persönlichen Fragen und Erfahrungen der Beteiligten nachspüren. In welchen ganz irdischen Erfahrungen ist mir Gottes Nähe begegnet? Wo habe ich die „Kraft des Heiligen Geistes“ gespürt und was ist daraus entstanden? Welche Gestalt nimmt der auferstandene Christus in unseren irdischen Begegnungen an und was können wir bezeugen als Glaubende? Wonach sehne ich mich, in der Begegnung mit Gott, für meine Gemeinde, für die Welt, in der ich lebe? Und wie verbinden wir uns in dieser Sehnsucht und erfahren die Kraft des Heiligen Geistes?
Autoren
- Prof. Dr. Heike Omerzu (Einführung und Exegese)
- Dr. Susanne Ehrhardt-Rein (Praktisch-theologische Resonanzen)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500039
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