Josua 1,1–9 | Neujahrstag | 01.01.2025
Einführung in das Buch Josua
Das Buch Josua
Die Gliederung des kanonischen Buches, in der seine drei Ausgaben übereinstimmen, kann in gröbster Form durch die beliebte Zweiteilung nachvollzogen werden: Landnahme
Jos 1,1–5,15 | Auftakt der Epoche mit dem Einzug unter Josua |
Jos 6,1–12,24 | Eroberung des Landes |
Jos 13,1–21,42 | Verteilung des Landes |
Jos 21,43–24,33 | Abschluss der Epoche mit Abschieden und Abschiedsreden |
Die Josua-Erzählung ist ihrerseits Teil eines übergreifenden literarischen Kontextes – oder genauer: literarischer Kontexte. Zum einen wird erst im Josuabuch vom Einzug Israels in sein Land
In dieser Scharnierstellung des Buches spiegelt sich seine Entstehungsgeschichte. Eine Josua-Erzählung, die die Konturen der vorliegenden kanonischen Darstellung aufweist, ist vermutlich erstmals durch eine deuteronomistische
Jos 1; *3–4 | Auftakt der Epoche |
Jos 6*; 7,2–5a; 8,1–29; 9*; 10; 11; 12* | Landnahme |
Jos 21,43–45; 22,1–6; 23*; Ri 2,6–10 | Abschluss der Epoche |
Im Darstellungsbereich der Landnahme wurde dabei augenscheinlich eine bereits erzählerisch gestaltete vor-dtr Überlieferung verarbeitet.
Die dtr Josua-Erzählung erfuhr diverse Erweiterungen auf dem Weg zum kanonischen Josuabuch. Zunächst sind hier sekundär-dtr Bearbeitungen zu nennen, wie sich z.B. an Jos 23 gut ablesen lässt, wo der dtr Grundbestand in V. 1–3.6(?).11.14–16a erweitert wurde um die nachdrücklich eingeschärfte Warnung vor jeglicher Verbindung mit den Völkern des Landes. Aufs Buchganze gesehen besonders bedeutsam war sodann der Einbau des literarisch späten, aber gleichfalls unter Verwendung älterer Überlieferung konzipierten Landverteilungsberichts in Jos 13–19 (20–21).
Redaktionelle Bearbeitungen von unterschiedlicher Reichweite (und von Belang für die von der Perikopenordnung vorgesehenen Predigttexte) sind am Anfang und am Ende des Buches feststellbar. Zum einen liegt in Jos 2,1–24; Jos 3,1.5.9–11.13.16a*; 4,21–5,1
Neben und nach diesen Wachstumsstufen sind schließlich, wie in einer Überlieferung dieses Umfangs und Inhalts wenig verwunderlich, vielfältige lokale Fortschreibungen auszumachen. Darunter sind kleine und kleinste Zusätze, aber auch literarisch und theologisch durchaus gewichtige Stücke, allen voran die drei Exodusreminiszenzen
Angesichts dieser Entstehungsgeschichte des Buches ist auch die Frage nach seinem historischen Kontext nur im Plural zu beantworten. Die im Bereich Jos 6ff.
Literatur
- Gaß, E., 2023, Gott, Gewalt und die Landnahme Israels. Eine literarhistorische Analyse von Josua 9–12 (FAT 172), Tübingen.
- Krause, J.J., 2014, Exodus und Eisodus. Komposition und Theologie von Josua 1–5 (VT.S 161), Leiden / Boston.
- Krause, J.J., 2017, Hexateuchal Redaction in Joshua, in: HeBAI 6, 181–202.
- van der Meer, M.N., 2004, Formation and Reformulation. The Redaction of the Book of Joshua in the Light of the Oldest Textual Witnesses (VT.S 102), Leiden / Boston.
- Noort, E. (Hg.), 2012, The Book of Joshua (BEThL 250), Leuven.
- de Vos, J.C., 2003, Das Los Judas. Über Entstehung und Ziele der Landbeschreibung in Josua 15 (VT.S 95), Leiden / Boston.
Kommentare
- Fritz, V., 1994, Das Buch Josua (HAT 7), Tübingen.
- Knauf, E.A., 2008, Josua (ZBK 6), Zürich.
- Nelson, R.D., 1997, Joshua. A Commentary (OTL), Louisville.
- Noth, M., 21953, Das Buch Josua (HAT 7), Tübingen.
- Rösel, H.N., 2011, Joshua (HCOT), Leuven.
- van der Meer, M.N. / de Vos, J.C., 2025, Josua (IEKAT), Stuttgart (2 Bde.; in Vorbereitung).
A) Exegese kompakt: Josua 1,1–9
Nach Gottes Willen leben – was kann das konkret bedeuten?
Übersetzung
1 Nach dem Tod Moses, des Knechts Jhwhs, sprach Jhwh zu Josua, dem Sohn des Nun, Diener des Mose: 2 Mose, mein Knecht, ist gestorben. Mach dich also auf und überquere den Jordan hier, du und dieses ganze Volk, in das Land, das ich ihnen gebe, den Israeliten. 3 Jeden Ort, den eure Fußsohle betritt, habe ich euch gegeben, wie ich zu Mose geredet habe. 4 Von der Wüste und dem Libanon hier bis zu dem großen Strom, dem Euphrat, das ganze Hetiterland, und bis zu dem großen Meer gen Sonnenuntergang soll euer Gebiet sein. 5 Niemand wird dir standhalten können, solange du lebst. Wie ich mit Mose war, so werde ich mit dir sein, ich werde dich nicht im Stich lassen und nicht verlassen. 6 Sei stark und mutig, denn du sollst diesem Volk das Land, das ihnen zu geben ich ihren Vorfahren geschworen habe, als Erbbesitz verteilen. 7 Sei nur sehr stark und mutig, darauf zu achten, nach der ganzen Weisung zu handeln, die Mose, mein Knecht, dir geboten hat. Weiche von ihr nicht ab, weder nach rechts noch nach links, auf dass du Erfolg hast, wohin du auch gehst. 8 Dieses Buch der Weisung soll nicht aus deinem Mund weichen, und du sollst es Tag und Nacht vor dich hinmurmeln, damit du darauf achtest, nach allem zu handeln, was darin geschrieben steht. Denn dann wird dein Weg glücken, und dann wirst du Erfolg haben. 9 Habe ich dir nicht geboten: Sei stark und mutig? Hab keine Angst und fürchte dich nicht, denn Jhwh, dein Gott, ist mit dir, wohin du auch gehst.
1. Ausgewählte textkritische Probleme und Hinweise zur Übersetzung
Der obigen Arbeitsübersetzung liegt MT zugrunde. Die Differenzen gegenüber LXX sind in unserer Perikope aufs Ganze gesehen überschaubar (s. die folgenden Hinweise). In Qumran ist der Text so gut wie nicht erhalten (abgesehen von V. 9, der fragmentarisch auf XJoshua zu lesen ist).
V. 1: Das auf Mose bezogene Epitheton „Knecht Jhwhs“ wird von LXX nicht bezeugt.
V. 2: Das Demonstrativpronomen in dem Ausdruck „dieser Jordan“ (oder, wie oben übersetzt, „der Jordan hier“) wird in LXX nicht geboten, wobei gute Gründe dafür sprechen, dass MT hier die ursprünglichere Lesart bewahrt hat. Die sprachlich auffällige Formulierung wird an einer Handvoll weiterer Stellen im Alten Testament verwendet, die mit Ausnahme von Gen 32,11 alle im thematischen Zusammenhang des Beginns der Landnahme stehen: Dtn 3,27; 31,2; Jos 1,2.11; 4,22. – Am Ende von V. 2 fehlt in LXX das nachgestellte „den Israeliten“.
V. 4: Die Apposition „das ganze Hetiterland“ wird nur von MT geboten. Hier scheint LXX die ältere Lesart bewahrt zu haben, wie nicht zuletzt die Parallelstellen Dtn 1,7; 11,24 nahelegen.
V. 7: Das Element „Weisung“ (hebr. tora) fehlt in LXX (ebenso wie das intensivierende „sehr“). Gleichwohl ist der Sinnzusammenhang kein anderer („nach allem zu handeln, was Mose, mein Knecht, dir geboten hat“), zumal das fehlende Element im direkt anschließenden V. 8 auch auf Griechisch bezeugt wird.
V. 8: Das „Buch der Weisung“ (sefer ha-tora) heißt auf Griechisch ἡ βίβλος τοῦ νόμου, „Gesetzbuch“. Unsere Perikope partizipiert damit an der theologisch folgenreichen (man denke an Paulus!) rezeptionsgeschichtlichen Einengung der semantischen Breite des hebr. tora auf den Aspekt „Gesetz“. Die Grundbedeutung des Wortes ist „Weisung“, was je nach Verwendung „Gesetz“ einschließen kann. Die dtr Tradition prägt das Wort programmatisch neu und verwendet es im Singular für den von Mose übermittelten und in seiner Abschiedsrede, als die sich das dtr Dtn darstellt, kodifizierten Gotteswillen. Auch dabei wird tora aber nicht auf den nomistischen Aspekt verengt. Denn hier wie auch sonst im Alten Testament ist der in Geboten gegebene Gotteswille eingebunden in die Erzählung der Heilsgeschichte.
2. Text und Kontext
Mit einer relativen Umstands- und Zeitangabe (Jos 1,1a) beginnt eine Erzählung, die an einen Vorkontext anknüpft. So ist Jos 1 Auftakt der dtr Josua-Erzählung und Zielpunkt eines kompositionellen Zusammenhangs mit den Zentraltexten Dtn 3,27–28 und 31,2.7–8. Gemeinsam mit dem narrativen Kontext (v.a. der Nachricht vom Tod Moses
3. Entstehung und Einordung
Der oben benannte literarische Zusammenhang von Jos 1 mit dem dtr Rahmen des Dtn erklärt sich unter Annahme eines Dtn und Jos umfassenden Werkzusammenhangs ungezwungen als werkimmanente Anknüpfung. Dies gilt gleichermaßen für beide forschungsgeschichtlichen Variationen dieser Annahme, die eines von Dtn bis 2Kön reichenden dtr Geschichtswerkes
Dass die Perikope selbst ein durch und durch dtr Text ist, darüber herrscht weitgehendes Einvernehmen. Auch vor-dtr Quellenfäden werden darin kaum noch gesucht. Gegenstand der literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Debatte ist stattdessen, welchen Bestand die dtr Grundschicht aufwies und wo Ergänzungen vorliegen könnten. Dabei verdienen zwei Bereiche besondere Aufmerksamkeit. Der eine ist die Beschreibung des zugesagten Landes
Der zweite Bereich ist der Abschluss der Gottesrede in V. 7–9. Forschungsgeschichtlich kommt der Frage nach der Herkunft dieser Verse besondere Bedeutung zu, da es sich bei ihnen um den Paradetext der von Rudolf Smend jun. postulierten „nomistischen“ Redaktionsschicht DtrN handelt. Am Anfang stand dabei die Wahrnehmung eines literarkritisch zu erklärenden Bruchs zwischen V. 6 und 7. In diesem Sinne wurden die Wiederholung der charakteristischen Formel „sei stark und mutig“ und deren Betonung („sehr“) gewertet. Hinzu komme eine inhaltliche Zäsur: Während die Formel in V. 6 Mut im militärischen Zusammenhang meine und eine unbedingte Zusage Jhwhs an Josua einleite, werde sie in V. 7 auf einen anderen Sinn „umgebogen“ und überdies nachträglich unter eine Bedingung gestellt: die Bedingung des Gesetzesgehorsams. Mit der Rede von dem Gesetzesbuch werde diese Neuprägung in V. 8 noch vertieft. Entsprechend fasste Smend seine Gesamthypothese zusammen: „DtrN hat [...] an vielen Stellen den ausdrücklichen Hinweis auf die Bestimmungen des mosaischen Gesetzbuches nachgetragen und geradezu eine Theologie des Gesetzes und des ihm gemäßen Verhaltens und der Folgen von Gehorsam und Ungehorsam entwickelt.“ (Smend, 123).
Diese Analyse hat, zumal in der deutschsprachigen, vornehmlich im Horizont christlicher Theologie betriebenen Exegese, stark gewirkt, ist aber nicht unwidersprochen geblieben. Denn der Zusammenhang von Zusage (V. 5), Paränese (V. 7–8) und neuerlicher Bekräftigung der Zusage (V. 9) lässt sich auch dahingehend interpretieren, dass Josua am Anfang seiner neuen, großen Aufgabe von Jhwh dessen Zuwendung und Mitsein versichert und im selben Atemzug daran erinnert wird, wie die so etablierte Gemeinschaft gelingen kann. Dabei wird ein Korrespondenzverhältnis von göttlicher Zuwendung (Ansprache) und auf dieser Grundlage zu erwartendem menschlichen Verhalten (Antwort) vorausgesetzt. In Form eines theologischen Programms ist dieses Korrespondenzverhältnis in der bundestheologischen
Wenn demnach ernsthaft in Erwägung zu ziehen ist, dass der dtr Grundbestand der Perikope nicht mit V. 6 endete, sondern vielmehr mit den theologisch volltönenden Versen 7–9, stellt sich exegetisch die Prüffrage, welche Rolle im weiteren literarischen Kontext das hier als Element der erzählerisch dargestellten Welt eingeführte Torabuch
4. Theologische Themen
An theologischen Themen herrscht in Jos 1,1–9 kein Mangel, die Perikope bietet Stoff für ganz unterschiedlich ausgerichtete Predigten. Etliche Aspekte sind in den obigen Ausführungen bereits zur Geltung gekommen, sodass es genügt, sie stichwortartig in Erinnerung zu rufen: das Israel verheißene Land
Literatur
- Krause, J.J., 2014, Exodus und Eisodus. Komposition und Theologie von Josua 1–5 (VT.S 161), Leiden / Boston.
- Smend, R., 31984, Die Entstehung des Alten Testaments (ThW 1), Stuttgart u.a.
B) Praktisch-theologische Resonanzen
1. Persönliche Resonanzen
Durch die Exegese ist für mich die Bedeutung von tora im Text (V. 7f.) besonders erkennbar geworden. Drei Gedanken sind dabei für mich in den Vordergrund getreten:
Zum einen, dass es sich lohnt, tora als Begriff in seiner Eigenart wahrzunehmen und ihn nicht zu schnell über sein griechisches Äquivalent νόμος auf den Aspekt des Gesetzes zu beschränken. Dass Heilsgeschichte und Gottes Gesetz miteinander in der tora in einer engen Verbindung stehen, ist für die Auslegung und eine Predigt, die Israel als Gegenüber wahr- und ernstnimmt, von Bedeutung.
Zum anderen war für mich die Beobachtung neu, dass das Torabuch hier als „Mittler“ in gewisser Weise die Stelle des Mose einnimmt.
Drittens ist mir deutlich geworden, dass das prominente Vorkommen des Torabuchs in diesem konkreten Kontext der Landnahme wohl kein Zufall ist, sondern verbunden ist mit einer theologischen Deutung, nach der sowohl der Landgewinn als auch der spätere Landverlust etwas mit der Bewahrung der tora zu tun hat.
2. Thematische Fokussierung
Als Folge dieser persönlichen Resonanzen und angesichts der Tatsache, dass dies an Frömmigkeitspraktiken der Gottesdienstbesucherinnen und -besucher anknüpfen kann, scheint mir das Umgehen mit Bibelworten ein passendes Thema der Predigt zu sein.
Eine Herausforderung sehe ich dabei darin, dieses Thema nicht zu dekontextualisieren. Landnahme (und ggf. im Rückblick auch Landverlust) bieten den Interpretationshintergrund, aus dem der Text nicht einfach herausgelöst werden kann und sollte. Zugleich bietet der Kasus (Neujahrstag) ja durchaus eine passende Gelegenheit, um einen Übergang zu thematisieren – auch wenn zu beachten ist, dass die Einnahme des verheißenen Landes kategorial etwas anderes ist als der Übergang in ein neues Jahr.
Explizit nicht würde ich an dieser Stelle das thematisieren, was als Kontext der Perikope mit zu bedenken ist, nämlich die Vernichtungsweihe (herem) als Ausdruck des Gehorsams Gott gegenüber, die am Ende der Exegese zu Recht als Kontext aufgerufen wird.
Dies könnte in Auslegung eines anderen Textes aus Jos (in derselben Predigtreihe am 17. So. n. Trin.) angemessener geschehen, da das Thema hier stärker im Zentrum steht.
3. Theologische Aktualisierung
In Aufnahme der Beobachtung, dass mit tora eben nicht nur Gesetzesvorschriften gemeint sind, sondern Weisungen und Verheißungen hier miteinander verwoben sind, und in Abgrenzung von einem Textverständnis, das annimmt, dass hier der Gedanke eines einfachen Do-ut-des (tut das, dann werdet ihr erfolgreich das Land einnehmen) vorliege, lohnt es sich, für die Aktualisierung von folgender Fragestellung auszugehen: Wie sieht ein Leben aus, das sich aus Gottes Zusagen speist und zugleich auch um seine Weisungen weiß?
Vielleicht hilft an dieser Stelle das Bild von Menschen, die daran gehen, ein eigenes Haus zu bauen. Vieles ist auf dem Weg unwägbar. Wird die Baugenehmigung erteilt – und wenn ja, unter welchen (ggf. kostspieligen) Auflagen, die die Umsetzung am Ende noch einmal fraglich erscheinen lassen? Gewähren die Banken die notwendigen Kredite – und auch hier die Frage: zu welchen Konditionen?
Die Situation des Textes entspricht zu einem gewissen Grad der Situation, in der die vorgestellte Person die Nachricht in Händen hält, dass die Baugenehmigung erteilt ist. Wenig später kommt der Anruf, in der die Bankmitarbeiterin mitteilt, dass die Kredite in gewünschter Weise gewährt werden. Zum Abschluss sagt sie dann noch: „Dann gehen Sie jetzt mit gutem Mut an alles, was nun zu tun ist!“
Selbst in solch profanen Zusammenhängen wie einem Hausbau gibt es manches, was unverfügbar ist. Es lässt sich sogar dann schon von „Geschenk“ oder „Gnade“ reden, wenn die Räder ineinandergreifen und manches problemfreier gelingt, als vorher befürchtet: Für das Gelingen eines Projekts ist das grundlegend – beim Bau des Hauses wie damals bei der Einnahme des verheißenen Landes. Um wieviel mehr gilt dies, wenn das, worum es geht, ganz Geschenk ist!
Und trotzdem bleibt manches an Regeln bestehen – ja, sinnvollerweise bestehen. Die Vorgaben, die die Statik des neu zu errichtenden Hauses sicherstellen oder dafür sorgen, dass im Brandfall eine Rettung möglich ist, sind ja keine Schikane, sondern dienen letztlich den neuen Bewohnerinnen und Bewohnern. Das Torabuch trägt in vergleichbarer Weise dazu bei, das Leben, das auf den Verheißungen und dem gnädigen Mitgehen Gottes aufbaut, zu ordnen – um der Menschen willen.
Nicht immer aber ist es Menschen – damals wie heute – gelungen, ein solches Leben aus den Verheißungen Gottes mit Blick auf seine guten Ordnungen zu führen. So tritt neben das Erleben des Gelingens auch das Misslingen. Mit Gunda Schneider-Flume lässt sich festhalten: „Nichts ist einzuwenden gegen Erfolg und Gelingen. Einspruch erhoben werden muss aber gegen die Instrumentalisierung Gottes für Gelingen und Erfolg und gegen die damit verbundene Absolutsetzung von Gelingen als Gesamtperspektive.“ (Schneider-Flume, 116).
Sie setzt dagegen: „Der christliche Glaube erkennt im Blick auf das Kreuz Jesu Christi, dass Gott selbst an dem Ort der äußersten Gottverlassenheit ist – es gibt kein Außerhalb Gottes –, dass Gott Leben schafft, wo Leben zerstört ist, und dass Gott Menschen erneuert, die vermeintlich nichts mehr zu erwarten haben und im Blick auf die es nach menschlichem Ermessen nichts mehr zu erwarten gibt.“ (Schneider-Flume, 117).
So könnte sich eine differenzierte Sicht auf das ergeben, was in V. 8 mit Glück und Erfolg gemeint ist. Es ist eben nicht einfach beschwerdefreies Glück und auch nicht grenzenloser Erfolg. Schon der V. 4 hat ja, wie in der Exegese deutlich geworden ist, etwas Utopisches an sich und enthält einen Wirklichkeitsüberschuss gegenüber der wahrnehmbaren Realität für Leserinnen und Leser unterschiedlichster Zeiten.
Es wird bei der Aktualisierung entsprechend darum gehen, die Komplexität des Lebens nicht zu überspringen, sondern Erfahrungen des gottgeschenkten Glücks in Zeiten des Unglücks aufzuzeigen und Perspektiven des Erfolgs bei bleibenden Erfahrungen des Scheiterns.
Für christliche Predigt ist an dieser Stelle der Christusbezug, wie von Schneider-Flume dargestellt, ein hilfreicher Zugang. Ein Anknüpfungspunkt im Text findet sich dabei in dem Gedanken, dass die Tora an die Stelle des Mittlers Mose tritt und so das Wort an den Platz der Person. Die Mittlerschaft wird im Neuen Testament zentral auf Jesus Christus bezogen (1Tim 2,5; Hebr passim). Und in Weiterentwicklung des hier erkennbaren Gedankens des personalen Mittlers, an dessen Stelle das Wort tritt, kann das Johannesevangelium das Motiv formen, dass nun das Wort wiederum Person wird (Joh 1,1–18).
4. Bezug zum Kirchenjahr
Als Lesung aus dem Alten Testament ist das Predigtwort hineingestellt in einen Textraum für diesen ersten Tag des Jahres, der ansonsten vor allem durch die Epistel aus Jak 4,13–15 und das Evangelium aus Lk 4,16–21 geprägt ist. Die Epistel rückt dabei die Unverfügbarkeit und nur bedingte Planbarkeit des Kommenden in den Fokus. Das Evangelium dagegen lässt den Gedanken des in Jesus Christus präsenten Heils, das sich in Befreiung und Heilung zeigt, aufstrahlen. Dabei lässt sich die alttestamentliche Lesung von der Akzentsetzung her eher dem Evangelium zuordnen, während die Epistel stärker die Bedrohtheit des Lebens andeutet.
Wer nun danach fragt, was der Predigttext als besondere Akzentsetzung einträgt, dürfte hier vor allem auf den Gedanken der Beschäftigung mit dem Wort stoßen.
Die zum Jahresbeginn weit verbreitete Praxis, gute Vorsätze zu fassen, könnte dazu einladen, die Hörenden zu ermutigen, sich im neuen Jahr ein neues Umgehen mit der Bibel vorzunehmen. Angesichts der Tatsache, dass die guten Vorsätze aber oft sehr schnell in Vergessenheit geraten, wäre allerdings zumindest kritisch zu prüfen, ob eine solche Verbindung tatsächlich zielführend ist.
In jedem Fall würde es sich aber lohnen – um einen Lieblingsgedanken von Martin Luther aufzunehmen – ein solches Umgehen mit dem Wort Gottes als reizvoll und verlockend darzustellen (Barnbrock). Wenn man schließlich die Neujahrsvorsätze mit Kristian Fechtner als ein „[C]hangieren […] zwischen sozialer Konvention und Herzenswunsch, zwischen Spiel und Lebensbewältigung“ (Fechtner, 84) versteht, dann ließe sich von diesen ersten Versen des Josuabuchs her sagen, dass das Kommende zwar nicht bis ins Letzte berechenbar ist, aber doch von Gottes Zusage des Mitgehens umfangen ist, sodass das „Hab keine Angst!“ (V. 9) auch der Gemeinde gilt. Und weil Gott in seinem Wort so ermutigend mit seinen Menschen redet und die Beschäftigung damit auch in Fragen der Lebensgestaltung neue Perspektiven für Glauben und Handeln eröffnet, lohnt sich die Beschäftigung mit diesem Wort.
5. Anregungen
Angesichts der Konkretion des Umgangs mit dem Buch der Weisung (Murmeln, Tag und Nacht damit umgehen) im biblischen Text selbst könnte die Predigt auch dazu beitragen, durch bibeldidaktische Hinweise (z.B. https://www.die-bibel.de/tipps-zum-bibellesen/hilfen-zum-bibellesen
Literatur
- Christoph Barnbrock, Der (ver-)lockende Katechismus. Überlegungen zur Methodik und Didaktik kirchlichen Unterrichts, LuThK 28 (2004), 177–194. (http://dx.doi.org/10.15496/publikation-37895
) - Kristian Fechtner, Im Rhythmus des Kirchenjahres. Vom Sinn der Feste und Zeiten, Gütersloh 2007.
- Gunda Schneider-Flume, Leben ist kostbar. Wider die Tyrannei des gelingenden Lebens, Göttingen ³2008.
Autoren
- Prof. Dr. Joachim J. Krause (Einführung und Exegese)
- Prof. Dr. Christoph Barnbrock (Praktisch-theologische Resonanzen)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500087
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