Deutsche Bibelgesellschaft

Epheser 4,25-32 | Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus | 27.01.2025

Einführung in den Epheserbrief

Die aktuellen Fragen, die in der Exegese des Epheserbriefs behandelt werden, drehen sich vor allem um das Verhältnis von Ekklesiologie und Christologie sowie um die Vorstellungen zur Eschatologie.

1. Verfasser

In der Exegese herrscht große Einigkeit darüber, dass der Epheserbrief nicht von Paulus verfasst wurde. Dagegen sprechen die von den authentischen Paulusbriefen abweichende eigene Sprachgestalt (z.B. die Vorliebe für überlange Sätze) sowie theologische Weiterentwicklungen, besonders in Christologie und Kosmologie (z.B. Christus, der das All zusammenfasst Eph 1,10), Soteriologie (Gott hat uns mit auferweckt und eingesetzt im Himmel in Christus 2,6), Ekklesiologie (die über die einzelne Gemeinde hinaus wachsende Kirche als Leib mit Christus als Haupt, 1,22) und die Bedeutung der apostolischen Tradition, die die Existenz der Kirche garantiert (2,20). Hinzu kommt die weitgehende Abhängigkeit des Eph vom (früheren) Kolosserbrief, bis hin zu wörtlichen Übernahmen. Der namentlich unbekannte Verfasser des Eph fühlt sich der paulinischen Tradition verpflichtet (z.B. 2,8) und will sie in seiner eigenen Zeit, vermutlich zwischen 80 und 90 n. Chr., und unter anderen Umständen erneut zur Sprache bringen. Auch der Aufbau des Briefes entspricht im Wesentlichen den authentischen Paulusbriefen, vor allem mit der Aufteilung in einen eher grundlegend-lehrhaften und einen daraus Konsequenzen ziehenden paränetischen Hauptteil. Ungewöhnlich ist aber das Nebeneinander einer ausführlichen Eulogie und Danksagung im Eingangsteil (1,3-14. 15-23) und das Fehlen von Grüßen am Schluss.

2. Adressaten

Der Eph ist nach 1,1 und der Briefüberschrift ein Schreiben an die Christen in Ephesus. Allerdings fehlt die Ortsangabe in 1,1 in den ältesten Handschriften, und es finden sich keinerlei nähere Angaben zu den Adressaten; persönliche Notizen oder Grüße fehlen, die Mahnungen bleiben allgemein. Konkrete Probleme, die die Abfassung erklären könnten, werden nicht angesprochen. Nach 1,15; 3,2f.; 4,21 scheinen sich Verfasser und Adressaten nicht einmal persönlich zu kennen. Dass die Empfänger in Ephesus beheimatet seien, geht aus dem Text nirgends hervor. Der Eph ist deshalb vielfach als Traktat, theologische Abhandlung oder auch als „Rundschreiben“ bezeichnet worden. Diese Auffassung hat wegen der Allgemeinheit des Schreibens viel für sich. Ein „situationsloses Schreiben“ ist Eph dennoch nicht, auch wenn wir seine Situation nicht mehr im Detail rekonstruieren können. Offensichtlich hat sich der Verfasser aber veranlasst gesehen, grundlegende Gedanken über die christliche Existenz und die Kirche aufzuschreiben und dabei besonders die Einheit der Kirche hervorzuheben. Die frühe Verbreitung des Schreibens im westlichen Kleinasien spricht dafür, dass die Adressaten hier zu suchen sind. Von daher lag die Provinzhauptstadt Ephesus als zugeschriebene Adresse nahe, nicht zuletzt  deshalb, weil Paulus selbst sich längere Zeit in der Stadt aufgehalten hatte.

3. Entstehungsort

Was für die Adressaten gilt, gilt auch für den Entstehungsort des Schreibens. Das westliche Kleinasien ist ein Entwicklungszentrum des frühen Christentums, wie z.B. die in Offb 2f. genannten Städte (darunter auch Ephesus) belegen. Vermutlich ist das Schreiben in diesem Umkreis entstanden. Dass der Verfasser den Kol gekannt, geschätzt und verwendet hat, unterstreicht dies (Kolossä lag etwa 170 km östlich von Ephesus).

4. Wichtige Themen

Theologie, Christologie, Kosmologie und Ekklesiologie sind wichtige Themen des Eph - und sie sind eng miteinander verbunden. Der Kosmos besteht aus zwei Räumen, Erde (4,9) und Himmel (1,3.10; 2,6). Im himmlischen Bereich befinden sich die Engel, die Äonen, die Mächte und Gewalten (1,21; 2,7), zum Bereich der Erde gehört alles Vorfindliche, hier hat der Äon dieser Welt seinen Ort (2,2), und der Weltherrscher regiert (6,12). In Christus und durch ihn ist aber alles, was im Himmel und auf Erden ist, „zusammengefasst“, (1,10), und es gibt nichts mehr, was Christus nicht unterworfen wäre (1,23). Dies gilt nicht zuletzt für Juden und Heiden, die durch einen „Zaun“ getrennt waren (2,14). Aber auch dieser Zaun ist durch Christus aufgehoben, Gemeinschaft und Einheit sind möglich geworden. In der Kirche wird dies erkannt und geglaubt. Insofern ist sie Christi Leib, Christus ist in ihr gegenwärtig, sie repräsentiert die „Fülle Christi“. Deshalb kann auch, was vor Christus Juden und Heiden voneinander schied, nicht mehr trennen (2,11-13). Durch Christus, durch sein Blut gehören beide gleichermaßen zum „Leib Christi“ und haben Zugang zum himmlischen Bereich (2,6.18); dies aber nicht im Gegensatz zur Welt, sondern im Blick auf die Welt und mit der Aufgabe, allen Menschen und kosmischen Mächten das Geheimnis Gottes zu verkündigen und vorzuleben (3,10; im Blick auf den Apostel 6,19f.).

Dies wird mit Hilfe verschiedener Bilder zum Ausdruck gebracht. Neben der Kirche als „Leib Christi“ wird sie auch als „Bauwerk“, in dem die Christen Wohnrecht haben, und als  „Tempel“ bezeichnet (2,19-22). Das Bauwerk ist jetzt schon existent (2,19f.), aber es wird auch noch daran gebaut, damit alle zur Erkenntnis des Sohnes Gottes kommen (4,11ff.). Im Rahmen der Haustafel wird das Verhältnis von Mann und Frau auf Christus und die Kirche gedeutet (5,25-32). Die verschiedenen Bilder zeigen, dass die Kirche nicht mit Sachstandsbeschreibungen zu erfassen ist, sondern als geglaubte Größe weit über ihre sichtbare Existenz hinaus reicht. Der Verfasser des Eph ist damit der erste christliche Theologe, der explizit eine Vorstellung von dem Phänomen Kirche entwickelt. Umstritten ist, ob der Eph damit die theologische Konzeption einer Universalkirche entwirft oder sich nach wie vor auf die Versammlung der Glaubenden bezieht, sodass die einzelnen Glaubenden im Blick bleiben. Beide Positionen sehen m.E. etwas Richtiges. Im Vergleich mit den unbestrittenen Paulusbriefen hat zweifellos bereits eine Entwicklung hin zur Kirche als einer die Ortsgemeinden überschreitenden Größe stattgefunden. Die Christen aller Gemeinden bauen gemeinsam an dem Bau weiter, der auf dem von den Aposteln und Propheten garantierten Fundament ruht und dessen Eckstein Christus ist (2,20). Die wachsende Zahl der Gemeinden führt aber auch zu Differenzen, und das macht die starke Mahnung zur Einheit verständlich (4,1-6). Christus ist das Haupt der Gemeinde, aber ist auch Herrscher über das  All (einschließlich aller gegenwärtig noch ungläubigen Menschen und überpersönlichen Mächte). Was in der Kirche schon erkannt wird, soll auch vor der Welt bekannt werden. Diesem Ziel dient die Einheit der Christen - und darauf liegt der Akzent, und (noch) nicht auf der Idee einer universalen Kirche im Sinne einer Heilsagentur.

Deshalb ist die Ekklesiologie auch nicht, wie oft vertreten wurde, das eine, zentrale Thema des Eph. Ohne die Christologie (und die damit verbundenen soteriologischen Aussagen) wären die Aussagen über die Kirche ihrer Grundlage beraubt. Was in der Kirche erkannt, geglaubt und von ihr in die Welt getragen wird, ist nicht in erster Linie eine Lehre von der Kirche, sondern ein Bekenntnis zu Christus (vor allem 1,3-14), der das ganze All zusammenhält. Ohne Christus als Eckstein und die apostolische Tradition (2,20) gäbe es die Kirche nicht. Ihre Aufgabe ist es, das von Christus erwirkte Heil für die ganze Welt zu verkündigen und durch ihr Handeln zu bezeugen.

Der ganze zweite Hauptteil des Eph und damit die Hälfte des Schreibens befasst sich mit der Lebensführung der Adressaten. Das hat Auswirkungen auf das Verständnis der Ekklesiologie. Gerade weil die Kirche das Geheimnis Gottes als Grundlage (1,10) und den Gottesgeist als Angeld hat (1,14), steht sie in der Gefahr, „geistlich abzuheben“ und sich über die Welt zu erheben (vgl. 2,8-10), die aber doch auch mit allem Drum und Dran von Christus zusammengehalten wird (1,10). Die umfangreiche Paränese ist deshalb die andere, notwendige Seite der ekklesiologischen Medaille. Die Lebenspraxis soll nicht nur dem Glauben der Christen entsprechen, sondern dazu helfen, den Menschenkindern (3,5) das Geheimnis Gottes zu erschließen.

Dass alles, was es im Himmel und auf Erden gibt, alle Menschen, alle Mächte und Gewalten, die von den Christen schon erkannte und geglaubte Erlösung in Christus ebenfalls erkennen und in das Gotteslob (1,3-14) einstimmen, steht freilich noch aus. Im Bild gesprochen: Der Leib Christi muss noch wachsen (4,15). Zwar sind die Christusgläubigen schon mit auferweckt und im Himmel eingesetzt (2,6), aber Vielen ist dieses Geheimnis noch fremd und unerschlossen, und Mächte und Gewalten kämpfen dagegen an (6,10). Insofern fehlt auch die Dimension der Zukunft im Eph nicht (formelhaft in 1,21). Es ist allerdings keine qualitativ andere und ganz neue Zukunft, sondern eine, die in Gottes Willen schon vor aller Zeit beschlossen ist und auf die die Christusgläubigen deshalb mit gutem Grund und fester Zuversicht hoffen können.

5. Besonderheiten

Das Schreiben ist mit dem Kol eng verwandt, und zwar im Blick auf den Gesamtaufbau (Eph 1-3 entspricht weitgehend Kol 1f., Eph 4-6 großenteils Kol 3f.) sowie den Textbestand und die Abfolge der einzelnen Aussagen; die Haustafeln sind vergleichbar (Eph 5,21-6,9; Kol 3,18-4,1) und es gibt etliche fast wörtliche Übereinstimmungen (z.B. Eph 1,1f. und Kol 1,1f.; Eph 6,21f. und Kol 4,7f.). Hinzu kommen große Ähnlichkeiten in theologischen Aussagen, vor allem zur Christologie (Christus als Haupt des Leibes = der Kirche 1,22; 4,15; 5,23; Kol 1,18; 2,19); zur Kosmologie (1,10.20-22) und zur bereits erfolgten Auferweckung der Christen (2,5.7; Kol 2,12f.; 3,1). Offensichtlich sind beide Briefe eng miteinander verwandt. Allgemein wird die literarische Abhängigkeit des Eph vom Kol angenommen. Für die Interpretation des Eph ist deshalb immer auch der Kol zu berücksichtigen.

Literatur:

  • Sellin, Gerhard: Der Brief an die Epheser, KEK, Göttingen 2008.
  • Lindemann, Andreas: Der Epheserbrief, ZBK NT 8, Zürich 1985.
  • Gese, Michael: Der Epheserbrief (BNT), Neukirchen-Vluyn 32022.

A) Exegese kompakt: Epheser 4,25-32

25Διὸ ἀποθέμενοι τὸ ψεῦδος λαλεῖτε ἀλήθειαν ἕκαστος μετὰ τοῦ πλησίον αὐτοῦ, ὅτι ἐσμὲν ἀλλήλων μέλη. 26ὀργίζεσθε καὶ μὴ ἁμαρτάνετε· ὁ ἥλιος μὴ ἐπιδυέτω ἐπὶ [τῷ] παροργισμῷ ὑμῶν, 27μηδὲ δίδοτε τόπον τῷ διαβόλῳ. 28ὁ κλέπτων μηκέτι κλεπτέτω, μᾶλλον δὲ κοπιάτω ἐργαζόμενος ταῖς [ἰδίαις] χερσὶν τὸ ἀγαθόν, ἵνα ἔχῃ μεταδιδόναι τῷ χρείαν ἔχοντι. 29πᾶς λόγος σαπρὸς ἐκ τοῦ στόματος ὑμῶν μὴ ἐκπορευέσθω, ἀλλ’ εἴ τις ἀγαθὸς πρὸς οἰκοδομὴν τῆς χρείας, ἵνα δῷ χάριν τοῖς ἀκούουσιν. 30καὶ μὴ λυπεῖτε τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον τοῦ θεοῦ, ἐν ᾧ ἐσφραγίσθητε εἰς ἡμέραν ἀπολυτρώσεως. 31πᾶσα πικρία καὶ θυμὸς καὶ ὀργὴ καὶ κραυγὴ καὶ βλασφημία ἀρθήτω ἀφ’ ὑμῶν σὺν πάσῃ κακίᾳ. 32γίνεσθε [δὲ] εἰς ἀλλήλους χρηστοί, εὔσπλαγχνοι, χαριζόμενοι ἑαυτοῖς, καθὼς καὶ ὁ θεὸς ἐν Χριστῷ ἐχαρίσατο ὑμῖν.

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Übersetzung

25 Darum, indem ihr die Lüge ablegt, redet die Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. 26 Wenn ihr zürnt, sündigt nicht; die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn, 27 und gebt nicht Raum dem Teufel. 28 Wer stiehlt, stehle nicht mehr, vielmehr bemühe er sich, mit eigenen Händen das Gut(e) zu schaffen, damit er (etwas) habe, um es dem zu geben, der es nötig hat. 29 Kein schlechtes Wort gehe aus eurem Mund, sondern ein gutes zur Erbauung, wo es nötig ist, damit es Gnade gibt denen, die es hören.30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, in dem ihr versiegelt worden seid für den Tag der Erlösung.

31 Alle Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung seien von euch weggenommen samt aller Bosheit. 32 Werdet aber untereinander gütig, herzlich, vergebt einander, wie auch Gott in Christus euch vergeben hat.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V. 26 ὀργίζεσθε καὶ μὴ ἁμαρτάνετε: wörtlich - zürnt, aber sündigt nicht.

V. 29 ἀλλʼ εἴ τις ἀγαθὸς πρὸς οἰκοδομὴν τῆς χρείας: wörtlich - sondern, wenn es ein gutes (ist) zur Erbauung des Bedarfs.

2. Literarische Gestalt

Der Abschnitt lässt sich in eine Reihe von Mahnsprüchen (V. 25–30) und sowie einen Laster- und einen Tugendkatalog (V. 31f.) unterteilen. Die Mahnungen werden jeweils negativ und positiv aufgeschlüsselt (legt die Lüge ab / redet die Wahrheit etc.) und teils mit einer Begründung (V. 25 wir sind untereinander Glieder), teils mit einer weiterführenden Konsequenz ergänzt (V. 28 damit er abgeben kann; V. 29 damit es Gnade bringe). Die Mahnung, den heiligen Geist Gottes nicht zu betrüben, hat umfassenden Charakter und schließt die vorangehenden Mahnungen mit ein.

V. 31f. fügen einen Katalog von fünf zu meidenden  Lastern und einen Tugendkatalog an. Gewarnt wird vor Bitterkeit, Wut, Zorn, Geschrei, Lästerung und zusammenfassend vor aller Bosheit; ermutigt wird zu freundlichem, herzlichem Verhalten und zur Vergebungsbreitschaft, die mit der Vergebung Gottes in Christus begründet wird.

3. Literarischer Kontext

Διὸ greift auf 4,22–24 zurück: Legt den alten Menschen ab und zieht den neuen Menschen an. Was dort als Grundsatz formuliert ist, wird ab V. 25 in einzelnen Mahnungen konkretisiert. Dabei nimmt der Eph den entsprechenden Abschnitt aus dem Kol auf (3,8–14), versieht ihn aber mit eigenen Akzenten: Während „die Glieder“ in Kol 3,5 als „irdische Glieder“ negativ qualifiziert sind, dienen sie in Eph 4,25 als positive Begründung der Ethik. In Eph 4,25 wird Sach 8,16 zitiert, in 4,26 Ps 4,5 LXX, 4,30 spielt auf Jes 63,10 an, während diese und andere at.liche Bezüge im Kol ganz fehlen. Und  in Kol 3,13 wird die Gnade von Christus gewährt, in Eph 4,31 ist es dagegen Gott, der in Christus Gnade erweist. Davon abgesehen ähneln sich beide Abschnitte aber stark, auch wenn im Detail die Terminologie etwas abweicht.

Martin Dibelius hatte im Blick auf solche Mahnungen von „usueller Paränese“ gesprochen, damit deren  allgemeinen Charakter betont und von „aktueller“, situationsbezogener Paränese abgehoben. Natürlich wird man sich die frühchristlichen Gemeinden nicht als Ansammlung leicht reizbarer Lügner und Diebe vorstellen, die mit solchen Mahnungen auf den rechten Weg gebracht werden sollen. Die Mahnungen in Eph 4,25ff. gehen wie vergleichbare Paränesen immer über konkrete Situationen hinaus. Das schließt aber konkrete Anhaltspunkte nicht aus. Wenn man die eindringliche Mahnung zu Einheit und Einigkeit in 4,1–6 bedenkt, lassen sich die Hinweise in 4,25f.29 durchaus als Konkretisierungen verstehen. Ob es bei den Adressaten auch Diebe gegeben hat (darauf könnte das Partizip Präsens V. 28 hindeuten), mag dahingestellt bleiben. Der Akzent liegt aber auf dem Folgesatz: Mit eigenen Händen Gutes schaffen und damit in der Lage zu sein, Bedürftigen zu helfen – das ist das Gegenteil von wegnehmen (vielleicht steht hier im Hintergrund die Vorstellung aus Ps.-Phokylides, 153f., wo der arbeitsscheue Mann faktisch mit einem Dieb gleichgesetzt wird).

4. Schwerpunkte der Interpretation

Wahrheit ist ein „ethischer Leitbegriff“ im Eph (Sellin). Sie hat ihren Grund in Jesus (4,21) und zeichnet den „neuen Menschen“ grundsätzlich aus (4,24). „Die Wahrheit zu reden“ ergibt sich daraus von selbst; „jeder mit seinem Nächsten“ ist an Sach 8,16 angelehnt und wird hier noch auf den Leibgedanken zugespitzt: die Christen sind untereinander Glieder und gehören gemeinsam zum Leib Christi (der die Wahrheit ist). Lüge jeder Art würde diese Gemeinschaft in Frage stellen.

Zorn kann angebracht sein, aber leicht zur Sünde werden. Man kann ein „Kind des Zorns“ sein (2,3). Deshalb lasse man vom Zorn ab (V. 31) und auf jeden Fall die Sonne nicht über dem Zorn untergehen. Der Nachsatz μηδὲ δίδοτε τόπον τῷ διαβόλῳ beschreibt die Erfahrung, dass Zorn maßlos werden kann. Der Diabolos als personifizierte Macht sucht sich der Menschen zu bemächtigen (6,11). Wo man sich dem Zorn überlässt, öffnet man dem Bösen die Tür.

Das Gute mit den eigenen Händen zu erarbeiten eröffnet die Möglichkeit, Bedürftige zu unterstützen. Bei τὸ ἀγαθόν kann an ein gutes Werk gedacht sein oder an ein Guthaben, das man sich erarbeitet und mit dem man Gutes tun kann. Andere zu unterstützen ist jedenfalls das Gegenteil von wegnehmen / stehlen – und darauf liegt der Schwerpunkt. Ob es Diebe unter den Adressaten gegeben hat, ist nicht zu entscheiden.

Wenn Christen reden, sollen es gute Worte sein, die aufbauen und für die, die sie hören, hilfreich sind (Gnade geben). χάρις kommt zwölfmal im Eph vor, ganz überwiegend von der Gnade Gottes in Christus. Sie ist der Grund dafür und schafft die Möglichkeit, dass die Christen nun ihrerseits anderen Gutes tun und sagen. Schlechte – wörtlich: faule – Worte passen dazu nicht. Die Anordnung der Laster in V. 30 deutet an, wie die innere Befindlichkeit (Bitterkeit, Wut, Zorn) nach außen drängt (Geschrei und Lästerung).

Sich so wie in den negativen Beispielen zu verhalten, würde – wie in Anspielung an Jes 63,10 formuliert wird – den heiligen Geist Gottes betrüben; es würde nicht zu ihm passen und ebenso wenig zu dem neuen Sein in Christus und der darauf gründenden Hoffnung. 1,13f. steht im Hintergrund: Die Christen sind (in der Taufe) mit dem Geist versiegelt und damit als Christus zugehörig bestätigt worden, als Pfand und Angeld ihrer Erlösung (1,14). Insofern fasst V. 39 die vorangehenden Mahnungen zusammen und blickt auf die Erlösung voraus.

Auch in den beiden folgenden, allgemein formulierten Katalogen (sie haben mehr als die vorangehenden Mahnungen „usuellen“ Charakter) tragen die positiven Mahnungen den wichtigen Akzent, wie die Begründung im abschließenden καθὼς-Satz zeigt. Gott hat den Adressaten in Christus Gnade erwiesen. Diese Erfahrung fordert und fördert ein entsprechendes Verhalten. Bosheit, welcher Art auch immer, hat da keinen Platz mehr.

5. Theologische Perspektivierung

Nicht lügen, nicht zürnen, nicht stehlen, nicht schlecht reden – das sind grundlegende ethische Mahnungen, keineswegs nur im NT. Sind sie hier mehr als zwar nicht immer befolgte, aber doch allgemein anerkannte Verhaltensregeln? Ja, sind sie, in mehrfacher Hinsicht:

  • Die Mahnungen dienen dem Zusammenleben und dem Zusammenhalt in der Gemeinschaft, u.z. in der Gemeinschaft der Christen, die zusammengehören (4,25) und zugleich am Leib Christi (4,15f.; 5,30) Glieder sind. In dieser Gemeinschaft sind sie mehr als bloß vernünftige Regeln; das sind sie auch, aber hier erwachsen sie aus erfahrener Gnade und einer grundlegenden Orientierung an Christus. Im unmittelbar anschließenden Vers 5,1f. wird dies mit dem Gedanken der Nachahmung Gottes und Christi zusammengefasst.
  • Deshalb ist bei den Mahnungen der positive Aspekt stärker ausgeführt und betont. Letzten Endes geht es hier weniger um das, was man lassen, sondern um das, was man tun soll. Wenn man 2,1–3 (… Übertretungen und Sünden, in denen ihr früher gewandelt seid) und 4,17–23 (… legt den früheren Wandel ab) mit heranzieht, wird deutlich, dass die negativen Verhaltensweisen für die Christen gar keine Option mehr darstellen. Der Akzent liegt auf der Orientierung an Christus.
  • Die Mahnungen in V. 25–29 haben den Nächsten im Blick. Das ist in 4,25 ausdrücklich formuliert, bestimmt aber auch die anderen Aussagen. Bedürftige unterstützen (V. 28), mit guten Worten aufbauen (V. 29), ein gütiger und herzlicher Umgang miteinander (V. 32). Wer Gnade erfahren hat (V. 32 ὁ θεὸς ἐν Χριστῷ ἐχαρίσατο ὑμῖν), kann im Umgang mit dem Nächsten gnädig handeln und reden (V. 29 ἵνα δῷ χάριν τοῖς ἀκούουσιν).
  • Die beiden Mahnungen in V. 27 und 30 lenken den Blick auf das Grundsätzliche: Was oder wem gebe ich in meinem Handeln Raum? Und in was für einem Geist handle ich? Eine christliche Ethik lässt sich oftmals weder in Abgrenzung noch in positiver Darlegung bis ins letzte Detail bestimmen. Grundlegend aber ist der Blick auf die erfahrene Zuwendung Gottes in Christus. Sie steckt den Raum und den Orientierungsrahmen für das Handeln ab.

Literatur

  • Dibelius, M: Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 1966 (5), 239f.
  • Sellin, Gerhard: Der Brief an die Epheser (KEK), Göttingen 2008

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Die Lektüre des Predigttextes irritiert mich im ersten Moment, weil der Zusammenhang zwischen dem Anlass des Gottesdienstes, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (27.1.2025), und der Adressierung der Hörer:innen als „neue Menschen“ (Eph. 4, 22-24) mindestens spannungsvoll sein dürfte. Da das Gedenken an die Opfer des Menschen verachtenden Nazi-Regimes im Zentrum steht, erscheint es als zynisch, dass der Text den Nachfahren der Täter:innen Gnade scheinbar bedingungslos in Aussicht stellt. Es geht nicht um Schuld oder Reue, auch von Buße oder der Bitte um Vergebung handelt der Text nicht. Ist es möglich, so frage ich mich, dass es sich hier um eine Form der „billigen Gnade“ (Bonhoeffer) handeln könnte? Oder geht es – fast noch schlimmer – um „die Gnade der späten Geburt“, mit der ein deutscher Bundeskanzler einst die Opfer des Regimes zu verhöhnen drohte? Sollte man also „politisch“ predigen und die Aussagen des Textes ­ – entgegen seiner Mahnungen – direkt auf die Gegenwart beziehen? Eine andere Möglichkeit eröffnet sich, wenn die Gnade, die unser Text voraussetzt, den Nachfahren der Opfer zugesprochen wird. Die ethischen Impulse bezögen sich dann auf diejenigen, die immer noch bzw. neu unter den strukturellen Folgen der NS-Herrschaft leiden. Abgesehen davon, dass auch dieser Ansatz wegen der Fokussierung auf einen kleinen Teil der Gemeinde theologisch misslich wäre, dürfte die unfassbare Grausamkeit der Täter:innen verharmlost werden, das Leiden der direkt betroffenen Opfer geriete in unzulänglicher Weise aus dem Blick. Ganz abgesehen davon, dass politische Grenzziehungen in den aktuellen Zeitläuften schwierig sein dürften. Die Ursachen auch für aktuellen Antisemitismus liegen tiefer. Wir müssten über die  Bedingungen reden, die ihn möglich gemacht haben und heute wieder möglich machen.

Vor diesem Hintergrund macht mich eine erste Begegnung mit der Exegese der Perikope auf zwei Aspekte aufmerksam, die einen Zugang erschließen: Zum einen nimmt die Exegese den mich irritierenden Aspekt der Spannungen in formaler Hinsicht auf. Sie akzentuiert negative und positive Mahnungen (V. 25–30), auch verweist sie auf einen 5-gliedrigen Laster- sowie einen Tugendkatalog (V. 31f). Zum anderen macht sie deutlich, dass auch eine Öffnung des Adressatenkreises über den Personenkreis der christlichen Gemeinschaft hinaus nicht ausgeschlossen ist: Die Perikope setzt – in Aufnahme des fast parallelen Abschnitts in Kol. 3,8–14 – eigene Akzente. Dies betrifft vor allem das explizite Aufgreifen atl. Zitate in den Versen 25, 26 und 30. Es scheint, dass die Erweiterung des Brieftextes um Bezugnahmen auf Sach 8,16, Ps 4,5 LXX und Jes 63,10 einer impliziten Öffnung des ethischen Geltungsbereichs zuarbeitet. Es geht nicht nur um diejenigen, die innerhalb der eigenen Gemeinschaft die Nächsten sind. Dazu würde der Hinweis auf den allgemeinen Charakter „usueller Paränese“ passen, der die negativen und positiven Mahnungen aus ihrer konkreten Situationsbezogenheit löst und auf eine allgemeinere Ebene bezieht. Zentral wird dann das konkrete Tun gegenüber denjenigen, die bedürftig sind bzw. die das Empfangen des Guten nötig haben. Das formale Insistieren auf der Bedeutung von Mahnungen sowie Laster- und Tugendkatalogen für den in Christus „neuen Menschen“ könnte dann so etwas wie ein Schlüssel für die  Predigt werden: Zum einen wird die christliche Gemeinde für ein adäquates Verhalten gegenüber den Nachfahren der Opfer des Nationalsozialismus sensibilisiert, zum anderen können aktuelle politische Aspekte angesprochen werden.

2. Thematische Fokussierung

Die Exegese arbeitet heraus, dass auch dann, wenn die Wahrheit als ein „ethischer Leitbegriff“ angesehen wird, sie doch auch und gerade ihren Grund in Jesus (4,21) hat. Als ethischer Leitbegriff soll sie den „neuen Menschen“ in seinem Verhalten grundsätzlich begleiten (4,24). Die Wahrheit hat sich als eine wichtige Eigenschaft des Christenmenschen zu bewähren. Dazu gehört nicht nur, dass sich der Christenmensch an dieser Eigenschaft orientiert, sondern auch, dass sie sich in Routinen konkretisiert: Der Christenmensch kann nicht anders als die „Wahrheit zu reden“. Das Handeln aus der Wahrheit heraus wird zu einer Art selbstverständlichem Habitus, insofern es nun auch gegenüber dem Nächsten (Sach 8, 16) zur Anwendung kommt  („jeder mit seinem Nächsten“). Insofern die Christen untereinander Glieder sind und gemeinsam zum Leib Christi (der die Wahrheit ist) gehören, stellen Lügen jedweder Art diese Gemeinschaft in Frage. Dies umfasst dann konkret auch die Auseinandersetzung mit der eigenen bzw. gemeinsamen Vergangenheit. Unaufrichtigkeit wie etwa in Gestalt des Verdrängens der eigenen Geschichte wäre hier fehl am Platze.  Zugleich umfasst dies aber auch den verständlichen Zorn über die Lüge als Folge eines unaufrichtigen Umgangs mit der Geschichte oder gar als Leugnung von Shoah und Holocaust. Gleichwohl wäre ein Verhalten unangemessen, dass von dem berechtigten Zorn über Unaufrichtigkeit und Lüge etwa gegenüber der eigenen Geschichte nicht ablassen kann. Denn, wo man sich dem Zorn überlässt, öffnet man dem Bösen die Tür (6,11).

Der (zunehmenden) Einübung der Wahrheit als Haltung eines Christenmenschen entspricht demgegenüber vor allem ein Tun, das sich denen zuwendet, die dieser Zuwendung bedürftig sind. Andere zu unterstützen, bedeutet das Gegenteil von wegnehmen oder stehlen, und dies kann so gelesen werden, dass das Gute, das mit eigenen Händen erarbeitet wird, darin besteht, Würde und Anerkennung zu restituieren. Dies kann sich auf das direkte Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus beziehen. Zwar scheinen manche Opfer stärker oder längere Zeit als andere in Vergessenheit geraten zu sein. Das Gute tun bedeutet aber nichts Anderes als dafür zu sorgen, dass möglichst alle in den Genuss einer Wiederherstellung ihrer Würde kommen und dass ihr Leiden als solches anerkannt wird. Wenn Christen reden, sollen es gute Worte sein, die aufbauen und für die, die sie hören, hilfreich sind. Die Gnade ist der Grund dafür, dass die Christen nun ihrerseits in der Lage sind, anderen Gutes zu tun und zu sagen. Insofern Gott den Adressaten in Christus Gnade erwiesen hat, fordert und fördert diese Erfahrung ein entsprechendes Verhalten. Schlechte – wörtlich: faule – Worte passen dazu nicht. Das Gute mit eigenen Händen zu erarbeiten, umfasst vor diesem Hintergrund dann zugleich die (Selbst-)Verpflichtung, sich denjenigen zu widmen, die aktuell unter den Folgen des Nationalsozialismus leiden, weil deren Ideologie aus verschiedenen, insbesondere (gesellschafts-) politischen Gründen neuen Zulauf erhält.

3. Theologische Aktualisierung

Der Text verlangt – im Unterschied zu entsprechenden Erwartungen, die sich mit einem kirchlich gefeierten Gedenktag verbinden könnten, ich hatte eingangs darauf hingewiesen – keine Umkehr, keine Buße, keine Schuldanerkenntnis. Er setzt vielmehr die Gnade, in der die Adressierten leben, voraus und spricht ihnen die Möglichkeit zu, einen neuen Habitus auszubilden. Der Wechsel von altem zu neuem Habitus bedarf der Unterstützung. So ist der neue Habitus u.a. angewiesen auf konstante Einübung von Routinen im Umgang mit der (sittlichen) Wahrheit. Insofern sind die grundlegenden ethischen Mahnungen – nicht lügen, nicht zürnen, nicht stehlen, nicht schlecht reden – als Verhaltensregeln zu begreifen , die zwar allgemein anerkannt sind, aber doch nicht immer befolgt werden. Der Text entwickelt den „Anspruch“, dass Christenmenschen sich immer wieder der Einhaltung dieser Regeln vergewissern. Dazu bedarf es allerdings konkreter bzw. auf die Situation bezogener Begründungen: Zum einen entspringen die Mahnungen dem Zusammenleben und dem Zusammenhalt der Gemeinschaft der Christen, die zusammengehören (4,25) und zugleich am Leib Christi (4,15f.; 5,30) Glieder sind. Die Verhaltensregeln werden durch den Rückbezug auf die Gemeinschaft mit Christus spezifisch qualifiziert. Sie sind mehr als bloß vernünftige Regeln. Zum anderen verunmöglicht die Zugehörigkeit zu Christus in gewisser Weise negative Verhaltensweisen. Die Mahnungen akzentuieren die positiven Appelle und Aufforderungen erheblich stärker als die ihnen vorangehenden negativen Gebote. Schließlich haben die Mahnungen insbesondere den Nächsten (V. 25–29) im Blick. Wer Gnade erfahren hat, der kann gar nicht anders als sich dem Bedürftigen zuzuwenden. Dabei geht es nicht nur darum, sich dem Nächsten innerhalb der eigenen Gemeinschaft zuzuwenden. In den Fokus gerät auch, dass die in Gottes Gnade in Christus begründete Erfahrung den Blick über die Grenzen der eigenen Gemeinschaft hinaus weitet. Der Anspruch wird nicht ohne jede Einschränkung bedingungslos verallgemeinerbar. Auf die Überwindung unzulässiger Grenzen wird hingewiesen. 

Mit Blick auf die erfahrene Zuwendung Gottes in Christus, die den Raum und den Orientierungsrahmen für das Handeln des neuen Menschen absteckt, zeichnet sich die Entwicklung einer ekklesiologischen Vorstellung ab, die in der paulinischen Tradition der Rechtfertigung ihre Grundlagen hat. Anders formuliert: Der Anspruch setzt den Zuspruch voraus bzw. der Indikativ geht dem Imperativ voran. Indem der Christ sich den Opfern und ihren Nachfahren zuwendet, tut er etwas, was ihm durch die Gnade Gottes in Christus aufgetragen ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Zusage hat insofern für alle Opfer ihre Relevanz, als die Christen ihre ausführenden Organe sind.

4. Bezug zum Kirchenjahr

Da der Gedenktag nicht auf einen Sonntag fällt, ist die Reflexion der theologischen Rahmung zentral: Der Gottesdienst hat seinen Anlass in der Existenz eines säkularen Gedenktags, der die Erinnerung u.a. an Holocaust und Shoah theologisch reflektiert. Auch wenn die Opfer nicht nur unter den jüdischen Mitbürgerinnen und -bürgern zu finden sind, so ist diese Gruppe doch am allermeisten betroffen. Es gilt der Spannung zwischen äußerem Gedenken und christologischem Anspruch im Gottesdienst inne zu werden. Erst dann wird es möglich, auch denjenigen, die gedenken, also überwiegend den Nachfahren der Täter:innen Trost zu spenden.  Daher empfiehlt sich eine Aktualisierung  des Textes, die direkt in der Gegenwart ansetzt und sämtliche Personen adressiert, die als Nachfahren von Opfern des Nationalsozialismus gelten können. Dies können neben den Nachfahren von Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, sexuell exkludierte, aber auch Menschen mit besonderen Fähigkeiten oder durch Flucht und Vertreibung traumatisierte Personen der zweiten, dritten oder vierten Generation sein. Denkbar ist allerdings auch, dass man auf ein Kunstwerk zurückgreift, wie etwa Chagalls weiße Kreuzigung (1938), in der das Tableau der Opfer vor der Zeit zur Sprache kommt.

Wenn es diesen Text nicht gäbe, so fehlte die Notwendigkeit, sich theologisch über den Umgang mit der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus Gedanken zu machen. D.h. konkret zu fragen, wer die Opfer sind und in welchem Verhältnis die Zusage an den „neuen Menschen“ im Gegenüber zum Gedenken an die Opfer steht.

5. Anregungen

Die Predigt sollte den Versuch unternehmen, sich den Folgen der Spannung, in die der „neue Mensch“ im Gegenüber zu den Gräueln des Nationalsozialismus gestellt ist, aus der Perspektive derjenigen, denen Gottes Gnade in Christus zugesprochen ist, zu  stellen. Dies scheint u.a. anderem möglich, insofern man den Anspruch unseres Predigttextes vor dem Hintergrund dessen diskutiert, was man überwinden will: die Lüge, den Zorn, das Fortnehmen. Der Anspruch kann sich in verschiedenen Formen konkretisieren: u.a. im Gegenüber zu Adornos neuem kategorischen Imperativ oder in die Diskussion darüber münden, ob es in unserer Gegenwart Personen gibt, die als „Gerechte unter den Völkern“ bezeichnet werden könnten. Denkbar ist zudem, Erfahrungen älterer Gemeindeglieder von Flucht und Vertreibung zu fokussieren oder das Fortleben entsprechend traumatischer Erfahrungen bei den Nachfahren anzusprechen.

Konkrete Schreibimpulse wären etwa: Wer zählt für mich heute unter die Opfer des Nationalsozialismus? Wie will ich/Wie wollen wir als Christ/en dieser Opfer konkret gedenken?  Wie halte ich/Wie halten wir die Spannung zwischen der mir/uns in Christus vermittelten Gnade und dem daraus abgeleiteten Anspruch gegenüber meinem/unseren Nächsten aus?

Autoren

  • Prof. Dr. Peter Müller (Einführung und Exegese)
  • Prof. Dr. Antje Roggenkamp (Praktisch-theologische Resonanzen)

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500093

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