1. Thessalonicher 4,13-18 | Osternacht | 19./20.04.2025
Einführung in den 1. Thessalonicherbrief
Der 1Thess ist vermutlich der älteste der erhaltenen authentischen Briefe des Paulus und somit das älteste schriftliche Dokument des Christentums. Da sich der 1Thess zu zentralen Themen der paulinischen Theologie – wie z.B. der Rechtfertigungslehre oder der Kreuzestheologie – nicht äußert, wurde er in der Forschung über lange Zeit eher vernachlässigt. In den letzten Jahrzehnten richtete sich der Fokus auf den 1Thess als Dokument einer eigenständigen frühen Theologie des Paulus, die Erwählung, Heiligung und eschatologische Hoffnung betont.
1. Verfasser
Die paulinische Verfasserschaft des 1Thess ist unbestritten. In 1Thess 1,1 werden neben Paulus zudem Silvanus und Timotheus
Der 1Thess bietet folgende Informationen über Paulus und sein Verhältnis zur Gemeinde: Nach einem Aufenthalt in Philippi gründete der Apostel die Gemeinde in Thessaloniki
2. Adressaten
Thessaloniki
Zwischen dem Apostel und seiner Gemeinde in Thessaloniki scheint eine herzliche Beziehung bestanden zu haben (1Thess 2,8), denn bereits kurz nach seiner Abreise möchte Paulus die Gemeinde wiedersehen (1Thess 2,17). Die Gemeinde war seit ihrer Gründung Bedrängnissen ausgesetzt (1Thess 1,6f.). Paulus zieht eine enge Parallele zwischen der Verfolgung der Gemeinden in Palästina durch die Juden und der Verfolgung der Gemeinde in Thessaloniki durch ihre Landsleute (1Thess 2,14-16). Aus Sorge um den Zustand der Gemeinde und weil er selbst nicht nach Thessaloniki reisen kann, sendet Paulus Timotheus, der ihm vom standhaften Glauben und der Liebe der Gemeinde berichtet (1Thess 3,1-6). Dennoch haben sich seit dem Aufenthalt des Paulus einige Fragen ergeben, die der Apostel im 1Thess jeweils mit περί aufgreift (1Thess 4,9.13; 5,1). Insbesondere der Tod einiger Gemeindeglieder vor der Parusie
3. Entstehungsort
Der Abfassungsort des 1Thess ist unbekannt; wird 1Thess 1,1 in Verbindung mit Apg 18,5 gelesen, so lässt dies den Schluss zu, dass die Abfassung des Schreibens möglicherweise in Korinth
4. Wichtige Themen
Zu den in der Forschung diskutierten Aspekten und Themen des 1Thess zählen v.a.:
- die mehrfach angeführte Erwählungsvorstellung (1Thess 1,4; 2,12; 4,7; 5,9.24), die die gegenwärtige Heilswirklichkeit ausformuliert und in engem Zusammenhang mit der zukünftigen Hoffnung steht, die sich in der Parusieerwartung spiegelt (von den fünf Vorkommen des Wortes παρουσία im Corpus Paulinum verzeichnet der 1Thess vier, vgl. 1Thess 2,19; 3,13; 4,15; 5,23);
- die eschatologischen Ausführungen in 1Thess 4,13-18 und 5,1-11, die distinktiv von den Aussagen zum Thema in anderen Paulusbriefen abweichen;
- das Streben nach Identitätsfindung und -stiftung einer frühen jüdischen Gemeinde durch Selbstvergewisserung und einen Fokus auf die identitätsdefinierende und gegen die antike Mitwelt abgrenzende Lebensführung (Heiligung);
- sowie der antike religions- und sozialgeschichtliche Kontext, d.h. sowohl die paganen Kulte (z.B. der Kult des Stadtgottes Kabirus, aber auch die Kultvereine des Dionysos und der Götter Isis, Osiris und Serapis), zudem auch das Verhältnis zum Judentum (v.a. angesichts der starken antijüdischen Polemik in 1Thess 2,14-16).
5. Besonderheiten
Auffallend ist im 1Thess die fehlende ausführliche Beschäftigung mit zentralen Themen der paulinischen Theologie wie z.B. der Rechtfertigungslehre, die im Galater- und Römerbrief entfaltet werden, der Kreuzestheologie, der im 1. Korintherbrief eine zentrale Stellung zukommt oder anthropologischer Bestimmungen, wie sie sich im Römerbrief finden. Entsprechend fehlen auch zentrale theologische Begriffe, wie z.B. Gesetz (νόμος), Sünde (ἁμαρτία), Gerechtigkeit bzw. gerecht machen (δικ-) und Kreuz bzw. kreuzigen (σταυρ-). Dennoch werden diese Themen im 1Thess angesprochen, wenn Paulus z.B. vom Zorn Gottes (vgl. 1Thess 1,9; 5,9) und dem Heil (σωτηρία) durch Jesus Christus spricht, der für uns (ὑπὲρ ἡμῶν) gestorben ist (vgl. 1Thess 5,9). Die neuere Forschung nimmt dies nicht mehr lediglich als frühe Entwicklungsstufe der paulinischen Theologie wahr, sondern als eigenständigen frühen Entwurf seiner Theologie.
Zudem spielt im 1Thess das Amtsverständnis des Apostels noch keine Rolle. Weder für die drei Absender des Briefes (1Thess 1,1) noch für die Adressatinnen und Adressaten werden Titel verwendet, gegnerische Predigerinnen und Prediger stellen in der Gemeinde keine Bedrohung dar. In 1Thess 2,7 spricht Paulus zwar von seinem Ansehen als Apostel, zugleich macht er deutlich, dass er diese Autorität in der Gemeinde weder einsetzen noch verteidigen muss.
Literatur:
- E. Ebel, 1. Thessalonicherbrief, in: O. Wischmeyer/E.-M. Becker (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe (UTB 2767; Tübingen/Basel 32021), 285-298.
- D. Luckensmeyer, The Eschatology of First Thessalonians (NTOA 71), Göttingen 2009.
- S. Schreiber, Der erste Brief an die Thessalonicher (ÖTK 13/1), Gütersloh 2014.
- Chr. vom Brocke, Thessaloniki – Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus. Eine frühe christliche Gemeinde in ihrer heidnischen Umwelt (WUNT II/125), Tübingen 2001.
- E. D. Schmidt, Heilig ins Eschaton: Heiligung und Heiligkeit als eschatologische Konzeption im 1. Thessalonicherbrief, BZNW 167, Berlin/New York 2010.
A) Exegese kompakt: 1.Thessalonicher 4,13-18
Übersetzung
13 Wir wollen euch aber nicht in Unkenntnis lassen, Geschwister, über die Entschlafenen, damit ihr nicht traurig seid wie die übrigen, die keine Hoffnung haben. 14 Denn wenn wir glauben, dass Jesus starb und auferstand, so wird Gott auch die Entschlafenen durch Jesus mit ihm führen. 15 Denn dies sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die Übrigbleibenden bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen sicher nicht zuvorkommen werden. 16 Denn der Herr selbst wird beim Ruf, bei der Stimme eines Erzengels und bei der Trompete Gottes herabsteigen vom Himmel, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen, 17 dann werden wir, die Lebenden, die Übrigbleibenden, zugleich mit ihnen fortgerissen werden in Wolken zur Begegnung mit dem Herrn in die Luft; und so werden wir allzeit mit dem Herrn sein. 18 Daher ermutigt einander mit diesen Worten.
1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung
V. 13 ἀγνοέω: nicht wissen, unwissend sein, hier Präd. des AcI > in Unkenntnis lassen
V. 13 κοιμωμένων: Euphemismus > die Entschlafenen, die Verstorbenen
V. 15 παρουσία: allg. Kommen, Ankunft, Präsenz; zudem Epiphanie eines Gottes; Ankunft oder Gegenwart eines Herrschers
V. 17 ἀπάντησις: politischer terminus technicus > einem Herrscher entgegengehen/begegnen
2. Literarische Gestaltung
Die Perikope bietet eine theologische Argumentation, die zunächst das Problem benennt, verbunden mit der erklärten Intention, den Adressatinnen und Adressaten Wissen über den Sachverhalt zu vermitteln (V. 13). Daraufhin wird auf die gemeinsame Bekenntnistradition verwiesen (V. 14), die in den frühchristlichen Schriften häufig in ähnlicher Form begegnet (vgl. Röm 8,34; 1 Kor 15,3f.; hervorzuheben ist hier die aktive Form „auferstand“, statt „auferweckt wurde“). Im Folgenden bezieht sich die Argumentation auf ein „Wort des Herrn“; es ist umstritten, welcher Umfang für dieses Wort anzunehmen ist. Da sich V. 15 direkt auf die Situation in der Gemeinde bezieht, Vv. 16f. allgemeiner formuliert sind und Traditionen bieten, die sich ähnlich auch z.B. in Mt 24,30f. finden, vertritt Schreiber überzeugend die Auffassung, V. 16f. sei mit den erwähnten Herrenwort zu identifizieren und V. 15 als vorausgehende und das Herrenwort kontextualisierende Zusammenfassung zu lesen. Auffällig ist in dieser Perikope die Wiederholung der Formulierung „wir, die Lebenden, die Übrigbleibenden“ in V.15 und V. 17, die durch das „wir“ eine enge Verbindung zwischen Verfasser und Adressaten herstellt und zugleich die in naher Zukunft erwartete Parusie hervorhebt. Die Perikope schließt mit einer Anweisung, einander mithilfe dieser theologischen Argumentation zu ermutigen bzw. zu trösten (V. 18).
3. Literarischer Kontext und historische Einordnung
In der Auslegungsgeschichte des Textes richtete sich das Interesse verstärkt auf die historische Situation der Gemeinde, in die diese Argumentation des Paulus hineinspricht. Offenbar waren einige Gemeindeglieder verstorben, und die Adressatinnen und Adressaten trauerten „wie die übrigen, die keine Hoffnung haben“ (V. 13). Wenngleich der Text die Todesursachen nicht benennt, so ist an Krankheit und Alter zu denken, nicht an das Martyrium. Die Argumentation des Paulus lässt den Rückschluss zu, dass der Tod von Gemeindegliedern vor der in Kürze erwarteten Parusie im Rahmen der Mission und Lehre des Apostels vor Ort nicht thematisiert wurden und die unerwarteten Todesfälle die Christusgläubigen in Thessaloniki daher verunsicherten. Vielleicht berichtete Timotheus Paulus von der Situation der Gemeinde, vielleicht ist auch an eine uns nicht erhaltene, schriftliche Anfrage der Gemeinde zu denken. Die Perikope ist darauf ausgelegt, die Adressatinnen und Adressaten an bereits Vermitteltes zu erinnern (Bekenntnis zu Tod und Auferstehung) und mit neuem Wissen zu bereichern (Wort des Herrn), um sie zu befähigen, sich gegenseitig zu ermutigen (V. 18). Es geht dem Verfasser hier nicht darum, persönliche Trauer und Betroffenheit angesichts von Verlust und Tod zu unterbinden. Vielmehr ist ihm daran gelegen, die Hoffnungsperspektive, die auch in dieser Situation durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi gegeben ist, in den Fokus zu rücken (V. 14) sowie das in der Gemeinde fehlende Wissen um den Ablauf der Parusie durch ein Wort des Herrn zu vermitteln (V. 15-17). Durch die theologische Argumentation soll – der Gemeinde durch Paulus und in der Gemeinde einander – Trost gespendet werden.
4. Schwerpunkte der Interpretation
Die Perikope thematisiert in V. 14 das Bekenntnis, „dass Jesus starb und auferstand“. Üblicherweise wird πιστεύω mit „glauben“ übersetzt, der Kommentar von Schreiber möchte das Verb mit Verweis auf Röm 6,8 und Röm 10,9 im Sinne von „überzeugt sein“ verstanden wissen. Das Frankfurter Neue Testament übersetzt πιστεύω hier als „vertrauen“. Die Überzeugung bzw. das Vertrauen darauf, dass Tod und Auferstehung Christi Folgen für die Mitglieder der Gemeinde und ihre Verstorbenen haben, ist somit der Ausgangspunkt der Darlegung.
Ein weiterer zentraler Aspekt für die Auslegung des Textes erweist sich darin, dass die Bekenntnistradition in V. 14 nicht dazu herangezogen wird, generell auf die zukünftige Auferstehung der Verstorbenen hinzuweisen – wie z.B. in 1Kor 15,20f. in Bezug auf die Lebenden. Die eschatologische Hoffnung gipfelt – über die Wiederkunft Christi und die Auferstehung der Toten und der Lebenden hinaus – in einer Formulierung, die sowohl in Bezug auf die Entschlafenen als auch auf die Übrigbleibenden gewählt wird, in der Metapher des „mit-Christus-Seins“ (σὺν αὐτῷ, V. 14; σὺν κυρίῳ, V. 17). Der früheste christliche Text, der eine eschatologische Erwartung in Sprachbilder fasst und eine Trost- und Hoffnungsperspektive aufzeigt, stellt somit die immerwährende Gemeinschaft mit dem Herrn ins Zentrum.
5. Theologische Perspektivierung
Der Text greift verschiedene, eng miteinander verwobene Themenkomplexe auf: (1) zentrale theologische Themen wie Tod und Auferstehung Christi, die Wiederkunft Christi, die Auferstehung der Gläubigen und das eschatologische „mit-Christus-Sein“ sowie (2) theologisch-poimenische Aspekte wie Sterben, Tod, Trauer, Glaube, Trost und Hoffnung.
Literatur
- Becker, E., Die parousia des Apostels im Warten auf die parousia Christi: Wie Paulus als Seelsorger im 1. Thessalonicherbrief „Nähe“ schafft, in: Zeitschrift für Pastoraltheologie, 43 (2023), 31-42.
- Bosenius, B., Die Paulinische Rede von den κεκοιµηµένοι – eine tote oder eine lebendige Metapher?, in: Biblische Zeitschrift 65 (2021), 46-61.
- Lindemann, A., Und Was Kommt Danach? Die Auferstehung der Toten nach 1 Thess 4,13-18 und 1 Kor 15, in: U. Mell/M. Tilly (Hg.), Der 1. Thessalonicherbrief und die frühe Völkermission des Paulus (WUNT 479), Tübingen 2022, 325-364.
- Schreiber, S. Der erste Brief an die Thessalonicher (ÖTK 13/1), Gütersloh 2014.
- Wypadlo, A., „Dem Herrn entgegen“ (1 Thess 4,17): Überlegungen zur Inkulturation eschatologischer Rede bei Paulus, in: Theologie und Glaube 107 (2017), 157-171.
B) Praktisch-theologische Resonanzen
1. Persönliche Resonanzen
Es geht um Ermutigung. Alles was gesagt wird, läuft darauf hinaus. Notwendig ist die Ermutigung, weil es Verunsicherung gab. Sie äußert sich in Trauer und Hoffnungslosigkeit. Doch dabei soll es nicht bleiben. Die Christinnen und Christen in Thessaloniki sollen gerade nicht so sein „wie die übrigen, die keine Hoffnung haben“ (V. 13).
In Angriff genommen wird das Ermutigungsziel durch ein „Wort des Herrn“ (V. 14). Es soll aufklären, was bisher unklar ist. Woher es stammt bzw. wie Paulus und seine Mitstreiter dazu gekommen sind, bleibt offen. Es scheint zu reichen, dass hier etwas mit höchster Autorität besiegelt wird, was in der Lage ist, den Lesenden Sorge und Trauer zu nehmen oder doch zumindest zu lindern. Dass das nicht automatisch im Lesen und Hören dieses Wortes geschieht, zeigt die abschließende Ermahnung. Das Wort des Herrn will vergewissernd kommuniziert werden. Das geschieht durch gegenseitige Erinnerung und Wiederholung.
Das Problem, das damit gelöst werden soll, ist mir einigermaßen fremd. Es ist die Sorge, dass die bereits Verstorbenen bei der bevorstehenden Wiederkunft des Herrn irgendwie schlechter dastehen als die dann Lebenden. Vielleicht ist damit auch gemeint, dass die Verstorbenen keinen Anteil am Heil hätten. Dann wäre auch ihr Glauben ins Leere gelaufen, ja vielleicht sogar unnütz gewesen. Das sind Spekulationen. Was genau in den Menschen von Thessaloniki vorgeht, bleibt unklar. Es muss aber so massiv gewesen sein, dass damit der Glaube an Christus beeinträchtigt wurde. Das ruft Paulus auf den Plan, hier nachzujustieren und damit eine Lücke zu schließen. Es ist die Lücke, die in seiner Mission und Lehre vor Ort offen geblieben ist, weil er schlichtweg nichts Orientierendes dazu gesagt hat.
Paulus sieht seine Aufgabe nun in der Erweiterung dessen, was er bisher gesagt hat. Dabei gibt es eine Linie der Kontinuität und eine der Diskontinuität, wobei Erstere die Letztere plausibel macht. Die Kontinuität besteht im Wissen und Vertrauen darauf, dass Tod und Auferstehung Jesu Folgen für die Mitglieder der Gemeinde und ihre Verstorbenen haben, anders formuliert, dass beides miteinander in Beziehung steht. Das ist die unhintergehbare Prämisse. Von ihr aus wird auch die durchaus überraschende Konkretisierung nachvollziehbar. Wenn das alles so ist, wie wir es glauben, dann können diejenigen, die mit diesem Glauben bereits verstorben sind, nicht schlechter gestellt sein als wir. Die Lebenden haben ihnen nichts voraus, sie werden den Verstorbenen sicher nicht zuvorkommen. Im Gegenteil (und hier beginnt die, in ihrer Detailtreue durchaus überraschende Erweiterung): Die Entschlafenen werden die ersten sein, die vom Ruf der Posaune erreicht und auferweckt werden. Gemeinsam mit den Lebenden geht es dann zur Begegnung mit dem Herrn. Keiner wird benachteiligt, keiner ausgeschlossen. Die Gemeinschaft mit dem Herrn gilt „allezeit“ (V. 17).
2. Thematische Fokussierung
Der Glaube klärt nicht alles, die Überlieferung auch nicht. Es scheint sich bisweilen geradezu umgekehrt zu verhalten. Das Evangelium vom liebenden und wirkenden Gott eröffnet neue Perspektiven und wirft Fragen auf, die vorher kaum eine oder gar keine Rolle gespielt haben. Und dann besteht die Notwendigkeit, damit umzugehen, nach Antworten zu suchen, die eröffnend sind und ermutigend wirken. Hier sehe ich die grundlegende Herausforderung, die die Zeiten übersteigt. Zugleich ist die Situation der Christinnen und Christen in Thessaloniki eine ganz andere als die unsrige. Da ist zunächst die Parousierwartung. Dass die Glaubenden damals mit der unmittelbaren Wiederkunft Christi rechneten, kann ich mir zwar gedanklich vor Augen führen, erreicht mich aber existenziell kaum noch. Hier sind die Ausgangslagen einfach zu unterschiedlich. Der garstige Graben ist zu breit. 2000 Jahren Christentumsgeschichte ohne die Wiederkunft Christi können nicht einfach übersprungen werden. Dazu kommt das unmittelbare Problem, das im Thessalonicherbrief angesprochen wird. Es ist nicht meines. Und doch gibt es eine Grundlinie, die mich erreicht. Da ist zum einen die Todesthematik. Was lässt sich aus der Sicht des christlichen Glaubens dazu sagen? Was trägt er aus, wenn der Tod in unser Leben tritt. Was geschieht mit den Gestorbenen? Und was heißt das für unser Leben hier und heute? In solchen Fragen ergibt sich durchaus ein Anschluss an die Thematik des 1 Thess, ohne, dass sich deren Antworten eins zu eins übernehmen lassen.
Zwei grundlegende Aspekte sind von Bedeutung: Der eine ist mit dem Zielpunkt der Ermutigung zu beschreiben. Das, was Menschen verunsichernd fragen und zweifeln lässt, muss eine Antwort finden, die aus dem Tief herausführt. Eine solche Antwort kann nicht leichtfertig gefunden werden. Sie braucht ein Fundament, das sie gründet und von dem her sie nachvollziehbar gemacht wird. Hier liegt der zweite wichtige Aspekt. Paulus erinnert an Bekanntes und gemeinsam Geglaubtes. Es handelt sich hier nicht um eine allgemeingültige Wahrheit, sondern um eine Wahrheit auf der Basis einer gemeinsam geteilten Überzeugung. Diese bildet das Bekenntnis zu Tod und Auferstehung Jesu. Hier liegt die unhintergehbare Prämisse. Wer sich vom Leben, Wirken und Geschick des Jesus von Nazareth berühren lässt, hat Anteil an einer Gemeinschaft, die hier im Leben erfahrbar ist und zugleich über den Tod hinausgeht. Paulus zeichnet also eine bekannte Linie weiter. Er schreibt das gemeinsam Geglaubte fort und reichert es mit neuen Aspekten an, die in der Lage sind, die Ängste zu mindern und die Sorgen zu nehmen. Es gibt ein Kontinuum, das glaubend verinnerlicht ist. Von dort her lassen sich neue Aspekte einspeisen, die in diesem Sinne zum Wort des Herrn werden.
Der Glaube klärt nicht alles, die Überlieferung auch nicht. Was Paulus zur postmortalen Existenz sagt, sind keine Fakten. Es ist kein Verfügungswissen. Es ist vielmehr Orientierungswissen, das einerseits Ernst macht mit einer geglaubten Wahrheit und andererseits mit Fragen und Zweifeln von Menschen, die sich in diesem Umfeld ergeben. Damit bearbeitet er eine Herausforderung, die sich auch heute noch stellt, auch wenn die konkreten Fragen, Ängste und Nöte in diesem Zusammenhang andere sind.
3. Theologische Aktualisierung
Wir verdrängen den Tod, so gut es geht und so lange es irgend möglich ist. Wenn er dann in unser Leben hereinbricht, wühlt er auf, bringt Fragen zum Vorschein, die bisher, wenn überhaupt, im Verborgenen schlummerten, und überfordert uns. Das ist wahrscheinlich gar nicht so unterschieden von dem, was auch Christinnen und Christen in Thessaloniki umgetrieben hat. Fragen und Verunsicherungen im Zusammenhang mit dem Tod sind in der Regel existenzieller Natur. Deshalb braucht die Auseinandersetzung mit ihnen ein hohes Maß an Sensibilität.
Aus dem Predigttext im 1 Thess lässt sich einiges lernen, was es bedeutet, in christlicher Perspektive hoffnungsvoll zu agieren. Dabei geht es nicht nur darum, die Ängste und Verunsicherungen des Gegenübers wahr- und ernst zu nehmen. Entscheidend ist, dass „wahre Hoffnung“ „durch Gründe untermauert werden“ (16) muss, wie es der englische Literaturwissenschaftlicher Terry Eagleton eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht hat. Die Erinnerung des Paulus an die gemeinsame Basis lässt sich genau so lesen. Sie postuliert nicht nur ein Hoffen über den Tod hinaus, sondern plausibilisiert es zugleich. Die überlieferte Botschaft, in der von Begegnungen mit Jesus berichtet wird, die zu einer Verbindung zwischen Gott und Mensch führen, eröffnet eine gemeinsam verfügbare Grunddimension, die jedem und jeder offensteht, ganz gleich zu welcher Zeit und an welchem Ort sie sich darauf eingelassen haben bzw. davon ergriffen worden sind. Genau deshalb kann Paulus auch so sensibel auf die Ängste reagieren, die ihm in Thessaloniki begegnen. Hier liegt der Grund, der ihm dazu verhilft, das ermutigende Wort als Wort des Herrn weiterzugeben.
„Mehr ist es also nicht?“ (173) So könnte man mit Hans Martin Barth fragen. Die befreiende und frei machende Botschaft Jesu Christi kommt mit wenigen Basics aus. Sie sind, um einmal ein Bild aus dem menschlichen Bewegungsablauf zu bemühen, das Standbein, von dem her mit dem Spielbein auf Herausforderungen eingegangen werden kann, die sich gerade stellen. Was die christliche Botschaft anzubieten hat, ist diese Grundierung des eigenen Lebens. „Darin ähnelt sie der Liebe, und theologisch gesehen, ist sie sogar eine bestimmte Spielart der Liebe. Sonst ist sie nur ein Bauchgefühl“ (Eagleton, 16f.). Von christlicher Hoffnung lässt sich begründet, aber nicht vollmundig reden. Sie ist nachvollziehbar, wenn man ihrer Prämisse folgt. Und sie ist leiderprobt. Sie wird geboren in Abschied, Trauer und Tod. Ihr Licht und ihre Kraft zeigen sich im Festhalten an ihrem Grund. Sie ist eine paradoxe Zuversicht, die einem letztlich nur geschenkt werden kann.
Die Osternacht symbolisiert all dies auf sinnenfällige Weise. Sie ist so gesehen der ideale Ort, um die Grundlinie von 1 Thess 4,13-18 zum Ausdruck bringen zu können.
4. Anregungen
1 Thess 4, 13-18 in der Osternacht zur Darstellung zu bringen, heißt nicht den Text in einer langen Predigt zur Auslegung zu bringen, sondern vielmehr die darin zum Ausdruck kommende Grundrichtung nachvollziehbar zu machen. Den Fluchtpunkt bildet das „mit-Christus-Sein“.
Die Grundlage der christlichen Hoffnung liegt in dem Angebot einer unverbrüchlichen Beziehung zwischen Gott und Mensch. Im Leben, Wirken und Geschick des Jesus von Nazareth ist das eindrucksvoll zum Ausdruck gekommen. Indem sich Menschen davon berühren lassen, erhalten sie durch die Zeiten und über alle Orte hinweg Anteil daran und werden in eine Bewegung hineingenommen, die sie trösten und ermutigen kann. Dies ist in Texten, Liedern und vor allem im Spiel mit dem Licht stark zu machen. Der dabei eingeschlagene Richtungssinn wird eindrucksvoll im Übergang von der Nacht zum Tag außenfällig. Er lässt sich nicht verfügbar machen. Er lässt sich aber nachvollziehend erleben. Genau diese Grundrichtung spiegelt sich auch im Predigttext wider. „Allzeit mit dem Herrn sein“ (V. 17), das ist die entscheidende Botschaft des Paulus. Dass sie das Potenzial besitzt, Dunkelheiten durchzustehen, kann in der gottesdienstlichen Feier sinnenfällig nachvollziehbar werden.
Literatur
- Hans-Martin Barth, Konfessionslos glücklich. Auf dem Weg zu einem religionstranszendenten Christsein, Gütersloh 2013.
- Terry Eagleton, Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch, Berlin 2016.
Autoren
- Prof. Dr. Susanne Luther (Einführung und Exegese)
- Prof. Dr. Michael Domsgen (Praktisch-theologische Resonanzen)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500110
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