Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Dezember 2018)

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1. Brot als Grundnahrungsmittel

1.1. Alltagspraktische Dimension

Der griechische Begriff artos bezeichnet ein Grundnahrungsmittel, das aus einem zuvor bereiteten Teig zu Fladen von etwa 20 bis 50 cm Durchmesser gebacken wurde (vgl. Kollmann, 2013, 296). Schon das Mahlen des dafür nötigen Mehls konnte bei einer mehrköpfigen Familie etliche Stunden des Tages in Beschlag nehmen (vgl. Berger, 1993, 45). Die danach aus Wasser und Mehl bereitete Masse wurde vor dem Backen mit Sauerteig durchsäuert (vgl. Mt 13,33; Lk 13,20; genauer bei Berger, 1993, 53f) – außer, es handelte sich um ungesäuertes Brot (s.u. 1.1).

Welche Getreidesorten verwendet wurden, wird im NT kaum thematisiert. Lediglich Joh 6,5-15 präzisiert (wohl im Rückgriff auf 2Kön 4,42-44), dass die Brote aus Gerste sind; angesichts dessen, dass Gerstenbrot preiswerter war als Weizenbrot, weist dieses Details auf das „Essen der armen Leute“ hin (Kollmann, 2013, 296; vgl. Berger, 1993, 63).

Da es sich um ein so elementares Nahrungsmittel handelt, kann artos (wie schon das alttestamentliche lechem) für Nahrung in einem allgemeinen Sinn stehen; den neutestamentlichen Autoren stehen dafür aber auch andere Vokabeln wie trophe (Speise, z.B. Mt 10,10; Mt 24,45), broma (z.B. Mt 14,15; Joh 4,34) oder brosis (Nahrung, z.B. Joh 4,32) zur Verfügung.

Ein bekanntes Beispiel für diese umfassende Bedeutung von artos liegt in der Brotbitte des Vater Unser vor (Mt 6,11; Lk 11,3). Die Auslegungsgeschichte zeigt, dass artos hier auch in diesem Sinne verstanden wurde. Hinter der Bitte um das „tägliche Brot“ (zur Problematik des Begriffs epousios vgl. Berger, 1993, 75-77) klingt – in unterschiedlicher Sprachgestalt – ein Rückgriff auf Ex 16,19-21 an.

Das tägliche Brot wird im Regelfall durch Arbeit erworben (vgl. 2Thess 3,12), gleichzeitig aber als Gabe Gottes verstanden (2Kor 9,10; vgl. Lk 1,53). Als solche wird sie selbstverständlich auch weitergegeben: an Familienmitglieder (Mt 7,9), Bedienstete (Lk 15,17), Freunde (Lk 11,5) und – so erhofft es sich Paulus in eher übertragenem Sinn – auch an weiter entfernte Mitchristen (2Kor 9,10). Vor allzu unbegrenzter Weitergabe kann in zwischentestamentarischen Schriften gewarnt werden (Tob 4,17f; Sir 12,5). Eine Begrenzung des Personenkreises, an den Brot weitergegeben wird, wird auch in Mt 15,26f; Mk 7,27f; vgl. Lk 16,21 sichtbar; jedoch kann dort, wo keine Weitergabe des Brotes zu erwarten ist, unter Umständen darauf gehofft werden, dass zumindest Brosamen vom Tisch fallen.

Die Art und Weise, in der Jesu Gesprächspartnerinnen das Bild vom Brot an den letztgenannten Stellen aufgreifen, lässt erkennen, dass artos nicht nur für Nahrung in einem allgemeineren Sinne stehen kann, sondern auch für die Erfüllung anderer existentieller menschlicher Bedürfnisse, etwa nach Heil und Heilung. Ähnliches klingt an, wenn Jesus in den Seligpreisungen von einem „Hunger und Durst nach Gerechtigkeit“ spricht (Mt 5,6). Eine besondere Offenheit für einen metaphorischen Mehrwert eignet dem Begriff artos (vgl. 2.2.; 3.1.2; 4.) gerade aufgrund seines elementaren Charakters, der auf die existentielle Erfahrung von Hunger und Sattwerden (vgl. etwa Lk 6,21.25) verweist.

Sich mitsamt diesen elementaren menschlichen Bedürfnissen ganz Gott zu überlassen, dafür wirbt Jesus unter anderem in der Bergpredigt bzw. Feldrede (Mt 6,25-28; Lk 12,22f – dort ist allerdings nicht von artos, sondern von trophe die Rede). Eine solche Haltung empfiehlt Jesus auch den zwölf Jüngern, die er aussendet: Nicht einmal Brot sollen sie mit auf den Weg nehmen (Mk 6,8; Lk 9,3; anders Mt 10,9f; Lk 10,4).

1.2. Kultische Dimension

Als zentrales und elementares Nahrungsmittel in einer Kultur des Ackerbaus hatte Brot auch in der kultischen Ausgestaltung des religiösen und gesellschaftlichen Lebens seinen Platz. Alttestamentlich-jüdische Bräuche und Feiertage werden dabei im NT vorausgesetzt und nur selten darüber hinaus thematisiert.

Dass im Tempel Schaubrote ausgestellt sind, die eigentlich nur von den Tempelpriestern verzehrt werden dürfen, greift Jesus in einer Kontroverse um das Ährenraufen am Sabbat auf (Mt 12,4; Mk 2,26; Lk 6,4) – und argumentiert dabei mit einer Episode aus dem Leben Davids (1Sam 21,5-7).

Häufig begegnet das „Fest der Ungesäuerten Brote“, hebr. mazzot, griech. ta azyma (wörtlich „die Ungesäuerten“, nach Ex 12-13; vgl. Mt 26,17; Mk 14,1; Lk 22,17; Act 12,3; Act 20,6) als Zeitangabe. Im Joh wird dieser Terminus vermieden und statt dessen vom Passa gesprochen (Joh 2,13; Joh 6,4; Joh 11,55; Joh 12,1; Joh 13,1; Joh 18,28; Joh 19,14) – sachlich übereinstimmend, da das Passafest gleichzeitig den ersten Tag des Mazzot-Festes markiert, aber in anderer christologischer Zuspitzung auf die Darstellung Jesu als neues Passalamm ausgerichtet.

Die Feier des Passamahls bildet in den synoptischen Evangelien auch den Hintergrund für das Brotbrechen beim Letzten Abendmahl (Mt 26,17-30; Mk 14,12-26; Lk 22,7-23). Wie sich in Anknüpfung daran die frühchristliche Abendmahlspraxis herausbildet, soll weiter unten dargestellt werden (s.u. 4.).

2. Brot und Tischgemeinschaft

Auf der alltäglichen Erfahrungsebene ist das gemeinsam verzehrte Brot ein gemeinschaftsstiftendes Element. Das bildet sich auch im NT ab, etwa in der Tischgemeinschaft Jesu mit Anhängern, Interessierten und Herausforderern (s.u. 2.1.) oder in der Darstellung früher christlicher Gemeinden (Act 2,42; Act 2,46; 1Kor 10,16f). Immer wieder wird darin auf alltagsnahe Weise demonstriert: Wer miteinander isst, gehört zusammen. Tischgemeinschaft bedeutet allerdings keine Loyalitätsgarantie. Joh 13,18 beschreibt den Verrat des Judas mit Worten aus Ps 41,30: „Der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen“.

2.1. Gemeinschaft am Tisch Jesu

Die Geschichte Jesu mit denen, die zu ihm gehören, lässt sich auch als Geschichte fortlaufender Tischgemeinschaft erzählen, in der Jesus meist die Position des Hausvaters innehat. Jesus hat Zöllner und Sünder an seinen Tisch eingeladen (Mt 9,10-13; Mk 2,15f) bzw. sich von ihnen einladen lassen (Lk 5,29; vgl. Lk 19,5f); nach Lk 11,38; Lk 14,1 ist er auch bei Pharisäern zu Gast gewesen.

Welche Dimensionen die Gastfreundschaft Jesu und damit auch diese Tischgemeinschaft annehmen konnte, wird an den Speisungswundern mit 5000 bzw. 4000 Beteiligten deutlich (s.u. 3.1.1). Bei diesen und anderen Gelegenheiten steht der enge Zusammenhang zwischen Brotbrechen und Segen vor Augen (Mk 6,41; Mk 8,6; Mk 14,22; 1Kor 11,24).

Die Tischgemeinschaft überdauert auch den Abschied von Jesus: Sie reicht vom Letzten Abendmahl (Mt 26,17-30; Mk 14,12-26; Lk 22,7-23; vgl. Joh 13,1-30) über die Erscheinungen des Auferstandenen (Lk 24,30f; Lk 24,42f; Joh 21,12f; vgl. Mk 16,14) bis in die Abendmahlsfeiern der christlichen Gemeinden (vgl. 1Kor 10,16f; s.u. 4.). Dass Jesus mit den Seinen das Brot bricht, wird dabei geradezu das Erkennungszeichen des Auferstandenen (vgl. Lk 24,30f; Lk 24,35).

2.2. Ausblick auf das Gottesreich

Auch in anderer Weise wird die Tischgemeinschaft Jesu auf die Zukunft hin geöffnet: Zeichenhaft weist sie auf die Tisch- und Mahlgemeinschaft des Gottesreiches voraus (vgl. etwa Mt 8,11; Lk 13,29; Mt 22,1-10; Lk 14,15-24; Lk 22,29f). Besonders ausgeprägt ist dieser Zug im Lk (vgl. hierzu März, 2014), etwa im programmatischen Ausruf eines Tischgenossen Jesu vor dem Abendmahlsgleichnis: „Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!“ (Lk 14,15). Auch die Einsetzungsworte stehen im Lk ganz besonders im Horizont des kommenden Gottesreiches – durch das vorgeschaltete Kelchwort in Lk 22,18 einerseits, die Verheißung an treue Jünger in Lk 22,28-30 andererseits.

In Mt 26,29 und Mk 14,25 hat der Verweis auf das Reich Gottes bzw. „des Vaters“ (nach den Einsetzungsworten) eher den Charakter eines Schlussworts bzw. Ausblicks, bevor Jesus mit seinen Jüngern zum Ölberg aufbricht.

An anderer Stelle wird die Zubereitung eines Brotteigs zum Bildspender für das Himmelreich (Mt 13,33; Lk 13,20): Gleich einem Sauerteig, den eine Frau unter drei Scheffel Mehl mengt, damit es durchsäuert werde, soll das anbrechende Gottesreich die Lebenswelt und Lebenswirklichkeit der Menschen „durchsäuern“.

2.3. Konfliktfälle

Die Konflikte, die im NT rings um Brotbrechen und Tischgemeinschaft entbrennen, beziehen sich hauptsächlich darauf, dass und wie gemeinsames Essen soziale und / oder religiöse Zusammengehörigkeit signalisiert. So beschwört die Tischgemeinschaft Jesu mit Zöllnern, Sündern und anderen zwielichtigen Existenzen den Ärger manch religiös gebildeter Zeitgenossen herauf (vgl. Mt 9,12; Mt 11,19; Mk 2,16; Lk 5,30; Lk 7,34; Lk 15,2). Jesus wird als „Fresser und Weinsäufer“ kritisiert; nüchtern hält Lk 7,33f jedoch fest, dass Johannes der Täufer nicht weniger Anstoß damit erregt hat, Brot und Wein zu fasten.

Da die Tischszenen der Evangelien in einem jüdisch geprägten kulturellen Kontext stattfinden, spielen Reinheitsfragen eine wichtige Rolle. Hier steht die Zugehörigkeit zum erwählten Gottesvolk zur Disposition, die sich in der alltagspraktischen Abgrenzung von „unrein lebenden“ Heiden manifestiert.

Jesus äußert sich zu diesem Thema, nachdem seine Jünger eines Fehlverhaltens bezichtigt werden: Sie haben sich vor der Brotmahlzeit nicht die Hände gewaschen (Mt 15,2; Mk 7,2.5; in Lk 11,38 geht es um Jesus selbst). Jesu Erwägungen zur Frage der Reinheit (Mt 15,3-20; Mk 7,6-23; vgl. Lk 11,29-52) lassen sich bei aller Polemik und moralischer Zuspitzung auch dahingehend verstehen, dass die Grenzen jüdischer Mahlpraxis durchlässiger gehandhabt werden können.

Ähnliche Konfliktlinien konnten auch im Miteinander früher Gemeinden bestimmend werden, etwa in Galatien (Gal 2,12-14). Andere soziale Grenzen beeinträchtigen später in Korinth die Tischgemeinschaft: Hier führten unterschiedliche wirtschaftliche Möglichkeiten dazu, dass am Tisch des Herrn nicht die Gemeinschaft, sondern vielmehr die Ungleichheit der Gemeindeglieder sichtbar wurde: „der eine ist hungrig, der andere ist betrunken“ (1Kor 11,21). Auch hier zeigt sich: Wie und mit wem das Brot gebrochen wird, ist keine Nebensache, sondern rührt an den Kern christlicher Gemeinschaft.

2.4. Brotbrechen in der Gemeinde

Für die frühen christlichen Gemeinden hatte die Gemeinschaft am Tisch des Herrn identitätsstiftenden Charakter. Das „Brotbrechen“ gehörte neben der Lehre der Apostel, der Gemeinschaft und dem Gebet nachgerade zu Kennzeichen und Kontinuität der Gemeinde (Act 2,42). Dabei ist es an keinen festen Ort gebunden, sondern kann „hier und dort in den Häusern“ stattfinden (Act 2,46; vgl. Act 20,7.11; Act 27,35). Die griechische Formulierung klan arton ist im außerbiblischen Griechisch nicht belegt; das könnte darauf hinweisen, dass die Christen mit dem „Brotbrechen“ im Grunde eine jüdische Mahlform aufgreifen (vgl. Berger, 1993, 97-99).

Die gemeinsame Teilhabe an einem Brot versteht sich als Grundlage für die „Gemeinschaft des Leibes Christi“ (1Kor 10,16f; zum passionstheologischen Rückbezug vgl. Reinmuth, 2011) – und ist als diese auch richtungsweisend für den Umgang mit Götzenopfern (vgl. 1Kor 10,19-21).

3. Jesus als Brotgeber

Jesus, nach Mt 2,1; Lk 2,4 in Betlehem, dem „Haus des Brotes“, geboren, wird in den Evangelien in unterschiedlicher Weise als Brotgeber profiliert. Dahinter steht jeweils ein bestimmtes christologisches Programm, das in den synoptischen Evangelien andere Akzente setzt als im Joh.

3.1. Speisungswunder

3.1.1. Geschenktes Brot

Alle vier kanonischen Evangelien erzählen von einem Speisungswunder, bei dem eine Menge von fünftausend Männern mitsamt Frauen und Kindern satt geworden ist (Mt 14,15-21; Mk 6,30-44; Lk 9,12-17; Joh 6,5-15). Dabei sind in unterschiedlichem Ausmaß Anklänge an die alttestamentlichen Brotwunder Ex 16,1-36; 2Kön 4,38-44 zu erkennen.

Lokalisiert wird das Geschehen an einer einsamen Stätte, an der sich nicht ohne Weiteres Nahrung beschaffen lässt. Nach Mk 6,34; Mt 14,14 haben Jesus und seine Jünger eben ein Boot verlassen, Lk 9,10.12 erwähnt zunächst die Stadt Betsaida, dann einen (wahrscheinlich nahegelegenen) einsamen Ort. Dass Joh 6,3 einen Berg erwähnt, steht im Zusammenhang mehrerer Anspielungen auf die Exodus- und Sinai-Ereignisse.

Viele Menschen sind zu Jesus gekommen, um ihm zuzuhören oder von ihm geheilt zu werden. Der Tag neigt sich (Mt 14,15; Mk 6,35; Lk 9,12; anders Joh 6,4 unter Hinweis auf das nahende Passafest), es stellt sich die Frage nach der Versorgung so vieler Menschen. In Mk 6,37; Joh 6,7 spielt der Betrag von 200 Silbergroschen eine Rolle, der aber als lächerlich gering abgetan wird.

Bald wird klar: Zur Verfügung stehen fünf Brote und zwei Fische (Mk 6,38; Mt 14,17; Lk 9,13; Joh 6,9) – auch das sicher zu wenig für die Menschenmenge, deren ungefähre Größe im Lk an dieser Stelle der Erzählung angegeben wird (Lk 9,14; anders Joh 6,10, wo die Anzahl sichtbar wird, als sich die Menschen „lagern“, oder Mt 14,21; Mk 6,44, welche die Zahl 5000 erst am Ende der Episode nennen).

Die Menge lagert sich nach Mk 6,40; Lk 9,14 in bestimmten Gruppengrößen. Jesus nimmt das Brot, dankt bzw. segnet (Joh 6,11; Mk 6,41; Mt 14,19; Lk 9,16) und teilt es aus – nach Mk 6,41; Mt 14,19; Lk 9,16 an seine Jünger, die es dann weitergeben, nach Joh 6,11 direkt an die, die sich gelagert haben. Alle werden satt, und beim Einsammeln der Reste nach der Mahlzeit werden zwölf Körbe voll (Mt 14,20; Mk 6,43; Lk 9,17; Joh 6,13).

Im Kontext des Lk ist das Speisungswunder nach dem wundersamen Fischfang von Lk 5,1-11 bereits das zweite Wunder, das Nahrungsmittel betrifft; für das Joh könnte man im Hinblick auf das Weinwunder von Kana (Joh 2,1-11) Ähnliches sagen.

Mt 15,32-39 und Mk 8,1-9 hingegen kennen ein zweites Brotwunder, dem sich eine Ausdeutung beider Ereignisse anschließt. In beiden Fällen harrt eine Menschenmenge schon seit drei Tagen bei Jesus aus, als sich wieder ein Versorgungsengpass abzeichnet. Zur Verfügung stehen diesmal sieben Brote und eine nicht näher bezeichnete Menge von Fischen. Wieder lagern sich die Menschen, wieder dankt Jesus und teilt das Brot an seine Jünger aus, die es an die Menge weitergeben. Übrig bleiben diesmal sieben Körbe, bei einer Menge von viertausend Menschen – ohne Frauen und Kinder.

Wenig später kommt es zu einem Versehen: Die Jünger – durch die Brote leider nicht verständiger geworden, wie Mk 6,52 bedauernd feststellt – haben kein (Mt 16,5) bzw. nur ein (Mk 8,14) Brot mitgenommen. Jesus nimmt dies zum Anlass, mit ihnen über die tiefere Bedeutung beider Brotwunder zu sprechen. Seine Fragen zielen vor allem auf die Anzahl der Körbe, die mit dem übriggebliebenen Brot gefüllt werden konnten; außerdem stellt er klar, dass er dabei „nicht vom Brot geredet“ habe (Mt 16,11). Spätestens hier werden die Jünger – und mit ihnen die Leserinnen und Hörer des Evangeliums – zu einer metaphorischen Deutung der Ereignisse herausgefordert.

Exkurs: Zahlendeutung in den Speisungswundern

Gemeinhin wird angenommen, dass sich in der Speisung der 5000 die Mengen von Brot und Fischen auf die Heilige Schrift der Juden beziehen: fünf Brote stehen für die fünf Bücher der Tora, die beiden Fische für Nebiim (Prophetenbücher) und Ketuvim (Schriften). Die zwölf Körbe, die mit dem übrigen Brot gefüllt werden, können auf die zwölf Stämme Israels ebenso hinweisen wie auf den Zwölferkreis um Jesus.

Gegenüber dieser Deutung, die die Speisung der 5000 in einem jüdisch geprägten Kontext verortet, wird für die Speisung der 4000 oft eine heidenchristliche Orientierung angenommen – zumal darin eine der wenigen Erzählungen innerhalb der Evangelien vorliegt, die auf heidnischem Gebiet spielen (vgl. Metzner, 2013, 333). So sei die Siebenzahl auch in der hellenistischen Kultur als Zahl der Vollkommenheit anerkannt; die 4000 weise auf die vier Himmelsrichtungen, aus denen Menschen zur Gemeinde Jesu hinzukommen (vgl. den Hinweis in Mk 8,3, einige seien „von ferne“ gekommen). Dass die Menge seit drei Tagen bei Jesus ausharrt (Mt 15,32; Mk 8,2), könnte darauf anspielen, dass diese Menschen erst nach Tod und Auferstehung Jesu zur Gemeinde gefunden haben.

Versteht man die Zahlenangaben in diesem Sinne, können beide Speisungswunder zusammengenommen verdeutlichen, dass das von Jesus kommende Brot Juden wie Heiden zu sättigen vermag.

3.1.2. Lebendiges Brot

Joh lässt auf das Brotwunder (Joh 6,1-15) nicht nur eine „Brotrede“ (Joh 6,22-58; eigentlich eher ein midrasch-artiges Gespräch, vgl. van der Watt, 2007, 765, nach Peder Borgen) folgen; schon das Speisungswunder selbst trägt christologische Akzentuierungen, die über das unmittelbare Geschehen hinausweisen. Jesus steigt auf einen Berg (Joh 6,3), das Passafest ist nahe (Joh 6,4); nach der Brotvermehrung wird er als „der Prophet, der in die Welt kommen soll“ bekannt (Joh 6,14) und soll zum König gemacht werden (Joh 6,15). Hier wird nicht nur eine Königschristologie angebahnt, die in der Kreuzigung Jesu ihren Höhepunkt finden wird, sondern vor allem auf Mose, Exodus- und Sinaiereignisse hingewiesen (s.u. 3.2.3).

Nun gibt sich Jesus als „Brot des Lebens“ zu erkennen – im ersten von insgesamt sieben Ich-bin-Worten im Joh (Joh 6,35; Joh 8,12; Joh 10,9; Joh 10,11; Joh 11,25f; Joh 14,6; Joh 15,1; zum alttestamentlichen Hintergrund dieser Offenbarungsworte vgl. Reichardt, 2013, 138f). In bildhafter Selbstoffenbarung stellt Jesus seine Heilsbedeutung dar: Die, die zu ihm kommen, werden nicht hungern und nimmermehr dürsten (Joh 6,35). Spätere Reprisen des Ich-bin-Wortes (Joh 6,48; Joh 6,51) greifen den alttestamentlichen Hintergrund der Manna-Erzählung wieder auf und stellen klar: Das „Brot des Lebens“ kann, was das Manna nicht konnte – Leben geben in Ewigkeit (vgl. van der Watt, 2007, 756-761; als Abfolge verschiedener vertiefender Reflexionsprozesse im Sinne einer Relecture bei Zumstein, 2009).

Der Abschnitt Joh 6,51c-58, oft als späterer Zusatz oder sakramentale Relecture des Vorangehenden gedeutet, identifiziert das Brot mit Jesu Fleisch, das er dahingibt für das Leben der Welt. Auch in dieser Perspektive gipfelt die Argumentation darin, dass dieses Brot ewiges Leben gibt (vgl. Joh 6,58).

3.2. Auseinandersetzung mit anderen Brotgebern

Um Jesus als Brotgeber zu profilieren, bringen die Evangelien auch andere potentielle Brotgeber ins Spiel. Dabei geht es teils um Abgrenzung, teils um Hoffnungen und Erwartungen, vor deren Hintergrund die Sendung Jesu verstanden werden kann.

Andere konkurrierende Brotgeber treten in den Texten der Evangelien zwar nicht explizit in Erscheinung, werden aber den Verständnishintergrund antiker Hörerinnen und Leser ebenfalls geprägt haben: etwa Regenten, die sich die Gunst ihrer Untertanen mit Brotspenden sichern wollten (vgl. Berger, 1993, 121-123; möglicherweise klingt diese Praxis in Joh 6,15 an) oder der in einem Mysterienkult ebenfalls als Brotgeber verehrte Mithras (vgl. Clauss, 2013).

3.2.1. Versuchung durch den Satan

Als eine Art „Vorspiel in der Wüste“ inszenieren Mt 4,1-11; Lk 4,1-13 die Versuchung Jesu mit Anklängen an Exodus- und Sinai-Tradition. Mt 4,2 lässt der Begegnung mit dem Versucher ein vierzigtägiges Fasten vorausgehen, entsprechend der Zeit, die Moses bei der Gabe der Zehn Gebote gefastet hat (Ex 34,28; Dtn 9,9; vgl. Elia in 1Kön 19,8). Lk berichtet, Jesus sei zuvor vierzig Tage vom Geist in der Wüste umhergeführt worden und war dabei den Versuchungen des Teufels ausgesetzt (Lk 4,1-2); das Fasten wird erst nachträglich erwähnt. Ob nun eher die Gestalt des Mose den Verständnishintergrund bildet (Mt) oder die Situation des Gottesvolkes auf seiner Wüstenwanderung (Lk) – das Resultat ist dasselbe: Jesus ist hungrig.

Das greift der Teufel auf, wenn er Jesus dazu herausfordert, seine Gottessohnschaft durch die Verwandlung von Steinen in Brot zu beweisen. Jesus antwortet schriftgelehrt mit einem Zitat aus Dtn 8,3 (vgl. hierzu Kiss, 2008) – und grenzt sich damit nicht nur von der „Versuchung“ ab, sondern macht programmatisch deutlich, dass es ihm in erster Linie um Gott und sein Wort zu tun ist. Andere potentielle Brotgeber werden sich an diesem Maßstab messen lassen müssen.

3.2.2. Der Sauerteig der Gegner Jesu

Vor dem Hintergrund der wichtigen und konfliktträchtigen Rolle, die Speisegebote in der religiösen Praxis des Judentums spielen (s.o. 1.1.; 2.3), ist es als besondere Ironie zu betrachten, dass Jesus auch in einem Bild „aus der Backstube“ vor seinen Gegnern warnt: Die Eigenschaft des Sauerteigs, den hinzugefügten Teig zu durchsäuern (an anderer Stelle positiv für das Reich Gottes aufgegriffen, vgl. Mt 13,33; Lk 13,20), wird zur Warnung, den Sauerteig der Pharisäer (Mk 16,11; Mk 8,15; Lk 12,1), Sadduzäer (Mt 16,11) und des Herodes (Mk 8,15) nicht zum Zuge kommen zu lassen. Kontext dieser Warnung ist in Mt 16,11; Mk 8,15 die Auslegung der Speisungswunder (s.o. 3.1.1); es geht also um eine Konkurrenz des „Brotgebens“ im übertragenen Sinn. Mt 16,12 berichtet davon, dass dies auch verstanden wird: Mit dem „Sauerteig“ ist die Lehre der Gegner gemeint (anders Lk 12,1: deren Heuchelei).

3.2.3. Mehr als Mose

Die Exodustradition, namentlich das Mannawunder von Ex 16, ist im NT oft präsent, wenn von artos die Rede ist (s.o. 1; 3.1; 3.2.1). Die dahinterstehende Frage, wie sich Jesus zum „Brotgeber“ Mose verhält, thematisiert vor allem das vierte Evangelium. Dabei ist das Motiv des Brotgebens nur einer von vielen Schauplätzen, auf denen dieses Verhältnis austariert wird (vgl. auch Joh 1,17; Joh 3,14 passim; Joh 5,45-47 u.ö.).

Nach dem Brotwunder Joh 6,5-15 erinnert sich das Volk mit Worten aus Ps 78,20 an das Mannawunder: „Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen“ (Joh 6,31). Jesus legt aus: Nicht von Mose werde das gesagt, sondern vom Vater, der das wahre Brot vom Himmel gibt (Joh 6,32). Als sich Jesus kurz darauf selbst als „Brot des Lebens“ bezeichnet (Joh 6,35), ruft das Unmut hervor: Er könne doch nicht dieses „Brot vom Himmel“ (vgl. auch Weish 16,20) sein – was auf die Frage nach der Herkunft Jesu zuführt (Joh 6,41f). Seine eigentliche Pointe findet der Rückbezug auf Ex 16, der sich als Verständnishorizont des Volkes durch die gesamte Brotrede zieht, in Joh 6,49-51: Während das Wüstenmanna nicht vor dem Tod bewahrt habe, führt das wahre, lebendige Brot ins ewige Leben.

Das Fazit des Joh lautet also auch hinsichtlich des Brotspendens: Jesus ist mehr als Mose.

4. Brot und Wein: die Abendmahlspraxis der ersten Christen

Schon früh tritt das gemeinsame Brotbrechen als wichtiges Element christlicher Versammlungen hervor (1Kor 10,16f passim; 1Kor 11,23-27; Act 2,42; Act 2,46; Act 20,7 u.ö.; s.o. 2.4). Als maßgeblicher Bezugspunkt im Leben Jesu erscheint neben seiner vielgestaltigen Tischgemeinschaft (s.o. 2.1) vor allem das Letzte Abendmahl vor seiner Verhaftung und Kreuzigung.

Mt 26,26; Mk 14,22; Lk 22,19; 1Kor 11,23 berichten, Jesus habe bei dieser Mahlzeit das Brot genommen, dafür gedankt bzw. es gesegnet, es gebrochen und an seine Jünger ausgeteilt, begleitet von den Worten: „Das ist mein Leib“ (Mt 26,26; Mk 14,22; 1Kor 11,23 ergänzt „für euch“; Lk 22,19 „für euch gegeben“). In diesem Deutewort wird das Brot zum Bild für Jesu Leib: So, wie das Brot gebrochen wird, wird auch der Leib Jesu gebrochen werden (vgl. Reinmuth, 2011, 48-49; Berger, 1993, 103.131, spricht sich jedoch gegen eine solche Deutung aus); so, wie das geteilte Brot die Jünger nähren und stärken soll, wird auch dieser Tod für sie zum Guten sein. Dafür greift Jesus eine so selbstverständliche wie bedeutsame Geste auf: das Brotbrechen bei Tisch, das üblicherweise durch den Hausvater oder Ranghöchsten geschieht und von einem Dank- oder Segenswort begleitet wird. Zeichenhaft weist er also darauf hin, dass sein unmittelbar bevorstehendes Sterben zum Segen für die Seinen geschehen soll. (Ebenso im darauffolgenden Kelchwort Mt 26,28; Mk 14,24; Lk 22,20; 1Kor 11,25, das den Wein im Horizont von Bund, Sühnepraxis und Sündenvergebung auf das Blut Jesu bezieht.)

Die Erzählung von den Emmausjüngern stellt das Brotbrechen als Bindeglied in die Zeit nach Tod und Auferstehung Jesu heraus: Die beiden Jünger erkennen Jesus am Brechen des Brotes (Lk 24,30.35). Der Wortlaut, in dem das Tun Jesu in Lk 24,30 geschildert wird, ist dabei so eng an Lk 22,19 angelehnt, dass das Wiederkennen auch von Leserinnen und Hörern des Evangeliums nachvollzogen werden kann.

Auch das Schlusskapitel (oder Nachtragskapitel) des Joh schildert eine Begegnung mit dem Auferstandenen, bei der Brot und Fisch geteilt werden (Joh 21,9.13; vgl. Lk 24,42).

Wie die Abendmahlsfeiern der frühen christlichen Gemeinden liturgisch ausgestaltet waren, muss Vermutung bleiben. Dass die Gemeindeversammlung am ersten Tag der Woche den üblichen Rahmen dafür bildete (vgl. Act 20,7), ist ebenso vorstellbar wie eine offenere Praxis; so halten Act 2,42.46; vgl. Act 27,35 die hohe Bedeutung (und Flexibilität!) des Brotbrechens fest, ohne genauere Rahmenbedingungen zu benennen.

Die frühe und relativ umfassende Überlieferung der Einsetzungsworte (Mt 26,26-28; Mk 14,22-24; Lk 22,19-20; 1Kor 11,23-25) legt den Schluss nahe, dass man diese oder ähnliche Formulierungen zur Vergegenwärtigung des letzten Abendmahls und der Bedeutung von Brot und Wein verwendet hat; dafür spricht insbesondere die „Gedächtnisformel“ bereits in der ältesten Überlieferung (1Kor 11,24.25). 1Kor 11,17-34 lässt erkennen, dass die Abendmahlsfeiern als Sättigungsmahl gehalten wurden – was Konfliktlagen eigener Art heraufbeschworen hat (s.o. 2.3). Die hohe Bedeutung dieser Feiern tritt schließlich darin zutage, dass Paulus in 1Kor 11,28 vor der Teilnahme eine Selbstprüfung empfiehlt; denn wer unwürdig vom Brot isst oder aus dem Kelch des Herrn trinkt, wird schuldig am Leib und Blut des Herrn (1Kor 11,27).

Literaturverzeichnis

  • Berger, Klaus, 1993, Manna, Mehl und Sauerteig. Korn und Brot im Alltag der frühen Christen, Stuttgart
  • Claus, Manfred, 2013, Mithras und Christus. Der Streit um das wahre Brot, in: Imperium der Götter. Isis, Mithras, Christus. Kulte und Religionen im Römischen Reich, hg. vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe, 243-249
  • Kiss, Jenö, 2008, Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern..., in: VT 58/4-5, 510-525
  • Kollmann, Bernd, 2013, Brot und Fisch bis zum Abwinken (Die Speisung der Fünftausend). Mk 6,30-44 (ActJoh 93), in: Zimmermann, Ruben/Dormeyer, Detlev (Hg.), Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen, Band 1, Gütersloh, 294-303
  • März, Claus-Peter, 2014, „Brot teilen, dass das Leben wächst...“. Die Mahlgemeinschaften Jesu in der Perspektive des Lukasevangeliums, in: Hoppe, Rudolf/Reichardt, Michael (Hg.), Lukas – Paulus – Pastoralbriefe. Festschrift für Alfons Weiser zum 80. Geburtstag, Stuttgart, 39-51
  • Metzner, Rainer, 2013, Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es darf noch Fisch dazwischen sein (Die Speisung der Viertausend). Mk 8,1-10 (Mt 15,32-39), in: Zimmermann, Ruben/Dormeyer, Detlev (Hg.), Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen, Band 1, Gütersloh, 332-340
  • Reichardt, Michael, 2013, „Ich bin es“ ... „das Brot des Lebens“ (Mk 6,50; Joh 6,20.35). Von den absoluten synoptischen zu den prädikativen johanneischen Ich-bin-Worten, in: Eisele, Wilfried/Schaefer, Christoph/Weidemann, Hans-Christoph (Hg.), Aneignung durch Transformation. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum. Festschrift für Michael Theobald, Stuttgart, 126-153
  • Reinmuth, Eckart, 2011, Brot-Brechen und Körper-Gemeinschaft. Herrenmahl und Gemeinde im ersten Korintherbrief, in: ZNT 14/27, 46-50
  • van der Watt, Jan Gabriël, 2007, Ein himmlisches Gericht (Vom Brot des Lebens). Joh 6,32-40.48-51, in: Zimmermann, Ruben (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh, 755-767
  • Zumstein, Jean, 2009, „Ich bin das Brot des Lebens“. Wiederholung und Variation eines johanneischen Ego-Eimi-Wortes in Joh 6, in: van der Belle, Gilbert/Labahn, Michael/Maritz, Pieter (Hg.), Repetitions and Variations in the Fourth Gospel. Style, Text, Interpretation, Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium 223, Leuven, 435-452

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