Brot (NT)
(erstellt: Dezember 2018)
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1. Brot als Grundnahrungsmittel
1.1. Alltagspraktische Dimension
Der griechische Begriff artos bezeichnet ein Grundnahrungsmittel, das aus einem zuvor bereiteten Teig zu Fladen von etwa 20 bis 50 cm Durchmesser gebacken wurde (vgl. Kollmann, 2013, 296). Schon das Mahlen des dafür nötigen Mehls konnte bei einer mehrköpfigen Familie etliche Stunden des Tages in Beschlag nehmen (vgl. Berger, 1993, 45). Die danach aus Wasser und Mehl bereitete Masse wurde vor dem Backen mit Sauerteig durchsäuert (vgl. Mt 13,33
Welche Getreidesorten verwendet wurden, wird im NT kaum thematisiert. Lediglich Joh 6,5-15
Da es sich um ein so elementares Nahrungsmittel handelt, kann artos (wie schon das alttestamentliche lechem) für Nahrung in einem allgemeinen Sinn stehen; den neutestamentlichen Autoren stehen dafür aber auch andere Vokabeln wie trophe (Speise, z.B. Mt 10,10
Ein bekanntes Beispiel für diese umfassende Bedeutung von artos liegt in der Brotbitte des Vater Unser vor (Mt 6,11; Lk 11,3
Das tägliche Brot wird im Regelfall durch Arbeit erworben (vgl. 2Thess 3,12
Die Art und Weise, in der Jesu Gesprächspartnerinnen das Bild vom Brot an den letztgenannten Stellen aufgreifen, lässt erkennen, dass artos nicht nur für Nahrung in einem allgemeineren Sinne stehen kann, sondern auch für die Erfüllung anderer existentieller menschlicher Bedürfnisse, etwa nach Heil und Heilung. Ähnliches klingt an, wenn Jesus in den Seligpreisungen von einem „Hunger und Durst nach Gerechtigkeit“ spricht (Mt 5,6
Sich mitsamt diesen elementaren menschlichen Bedürfnissen ganz Gott zu überlassen, dafür wirbt Jesus unter anderem in der Bergpredigt bzw. Feldrede (Mt 6,25-28
1.2. Kultische Dimension
Als zentrales und elementares Nahrungsmittel in einer Kultur des Ackerbaus hatte Brot auch in der kultischen Ausgestaltung des religiösen und gesellschaftlichen Lebens seinen Platz. Alttestamentlich-jüdische Bräuche und Feiertage werden dabei im NT vorausgesetzt und nur selten darüber hinaus thematisiert.
Dass im Tempel Schaubrote ausgestellt sind, die eigentlich nur von den Tempelpriestern verzehrt werden dürfen, greift Jesus in einer Kontroverse um das Ährenraufen am Sabbat auf (Mt 12,4
Häufig begegnet das „Fest der Ungesäuerten Brote“, hebr. mazzot, griech. ta azyma (wörtlich „die Ungesäuerten“, nach Ex 12-13
Die Feier des Passamahls bildet in den synoptischen Evangelien auch den Hintergrund für das Brotbrechen beim Letzten Abendmahl (Mt 26,17-30
2. Brot und Tischgemeinschaft
Auf der alltäglichen Erfahrungsebene ist das gemeinsam verzehrte Brot ein gemeinschaftsstiftendes Element. Das bildet sich auch im NT ab, etwa in der Tischgemeinschaft Jesu mit Anhängern, Interessierten und Herausforderern (s.u. 2.1.) oder in der Darstellung früher christlicher Gemeinden (Act 2,42
2.1. Gemeinschaft am Tisch Jesu
Die Geschichte Jesu mit denen, die zu ihm gehören, lässt sich auch als Geschichte fortlaufender Tischgemeinschaft erzählen, in der Jesus meist die Position des Hausvaters innehat. Jesus hat Zöllner und Sünder an seinen Tisch eingeladen (Mt 9,10-13
Welche Dimensionen die Gastfreundschaft Jesu und damit auch diese Tischgemeinschaft annehmen konnte, wird an den Speisungswundern mit 5000 bzw. 4000 Beteiligten deutlich (s.u. 3.1.1). Bei diesen und anderen Gelegenheiten steht der enge Zusammenhang zwischen Brotbrechen und Segen vor Augen (Mk 6,41
Die Tischgemeinschaft überdauert auch den Abschied von Jesus: Sie reicht vom Letzten Abendmahl (Mt 26,17-30
2.2. Ausblick auf das Gottesreich
Auch in anderer Weise wird die Tischgemeinschaft Jesu auf die Zukunft hin geöffnet: Zeichenhaft weist sie auf die Tisch- und Mahlgemeinschaft des Gottesreiches voraus (vgl. etwa Mt 8,11
In Mt 26,29
An anderer Stelle wird die Zubereitung eines Brotteigs zum Bildspender für das Himmelreich (Mt 13,33
2.3. Konfliktfälle
Die Konflikte, die im NT rings um Brotbrechen und Tischgemeinschaft entbrennen, beziehen sich hauptsächlich darauf, dass und wie gemeinsames Essen soziale und / oder religiöse Zusammengehörigkeit signalisiert. So beschwört die Tischgemeinschaft Jesu mit Zöllnern, Sündern und anderen zwielichtigen Existenzen den Ärger manch religiös gebildeter Zeitgenossen herauf (vgl. Mt 9,12
Da die Tischszenen der Evangelien in einem jüdisch geprägten kulturellen Kontext stattfinden, spielen Reinheitsfragen eine wichtige Rolle. Hier steht die Zugehörigkeit zum erwählten Gottesvolk zur Disposition, die sich in der alltagspraktischen Abgrenzung von „unrein lebenden“ Heiden manifestiert.
Jesus äußert sich zu diesem Thema, nachdem seine Jünger eines Fehlverhaltens bezichtigt werden: Sie haben sich vor der Brotmahlzeit nicht die Hände gewaschen (Mt 15,2
Ähnliche Konfliktlinien konnten auch im Miteinander früher Gemeinden bestimmend werden, etwa in Galatien (Gal 2,12-14
2.4. Brotbrechen in der Gemeinde
Für die frühen christlichen Gemeinden hatte die Gemeinschaft am Tisch des Herrn identitätsstiftenden Charakter. Das „Brotbrechen“ gehörte neben der Lehre der Apostel, der Gemeinschaft und dem Gebet nachgerade zu Kennzeichen und Kontinuität der Gemeinde (Act 2,42
Die gemeinsame Teilhabe an einem Brot versteht sich als Grundlage für die „Gemeinschaft des Leibes Christi“ (1Kor 10,16f
3. Jesus als Brotgeber
Jesus, nach Mt 2,1
3.1. Speisungswunder
3.1.1. Geschenktes Brot
Alle vier kanonischen Evangelien erzählen von einem Speisungswunder, bei dem eine Menge von fünftausend Männern mitsamt Frauen und Kindern satt geworden ist (Mt 14,15-21
Lokalisiert wird das Geschehen an einer einsamen Stätte, an der sich nicht ohne Weiteres Nahrung beschaffen lässt. Nach Mk 6,34
Viele Menschen sind zu Jesus gekommen, um ihm zuzuhören oder von ihm geheilt zu werden. Der Tag neigt sich (Mt 14,15
Bald wird klar: Zur Verfügung stehen fünf Brote und zwei Fische (Mk 6,38
Die Menge lagert sich nach Mk 6,40
Im Kontext des Lk ist das Speisungswunder nach dem wundersamen Fischfang von Lk 5,1-11
Mt 15,32-39
Wenig später kommt es zu einem Versehen: Die Jünger – durch die Brote leider nicht verständiger geworden, wie Mk 6,52
Exkurs: Zahlendeutung in den Speisungswundern
Gemeinhin wird angenommen, dass sich in der Speisung der 5000 die Mengen von Brot und Fischen auf die Heilige Schrift der Juden beziehen: fünf Brote stehen für die fünf Bücher der Tora, die beiden Fische für Nebiim (Prophetenbücher) und Ketuvim (Schriften). Die zwölf Körbe, die mit dem übrigen Brot gefüllt werden, können auf die zwölf Stämme Israels ebenso hinweisen wie auf den Zwölferkreis um Jesus.
Gegenüber dieser Deutung, die die Speisung der 5000 in einem jüdisch geprägten Kontext verortet, wird für die Speisung der 4000 oft eine heidenchristliche Orientierung angenommen – zumal darin eine der wenigen Erzählungen innerhalb der Evangelien vorliegt, die auf heidnischem Gebiet spielen (vgl. Metzner, 2013, 333). So sei die Siebenzahl auch in der hellenistischen Kultur als Zahl der Vollkommenheit anerkannt; die 4000 weise auf die vier Himmelsrichtungen, aus denen Menschen zur Gemeinde Jesu hinzukommen (vgl. den Hinweis in Mk 8,3
Versteht man die Zahlenangaben in diesem Sinne, können beide Speisungswunder zusammengenommen verdeutlichen, dass das von Jesus kommende Brot Juden wie Heiden zu sättigen vermag.
3.1.2. Lebendiges Brot
Joh lässt auf das Brotwunder (Joh 6,1-15
Nun gibt sich Jesus als „Brot des Lebens“ zu erkennen – im ersten von insgesamt sieben Ich-bin-Worten im Joh (Joh 6,35
Der Abschnitt Joh 6,51c-58
3.2. Auseinandersetzung mit anderen Brotgebern
Um Jesus als Brotgeber zu profilieren, bringen die Evangelien auch andere potentielle Brotgeber ins Spiel. Dabei geht es teils um Abgrenzung, teils um Hoffnungen und Erwartungen, vor deren Hintergrund die Sendung Jesu verstanden werden kann.
Andere konkurrierende Brotgeber treten in den Texten der Evangelien zwar nicht explizit in Erscheinung, werden aber den Verständnishintergrund antiker Hörerinnen und Leser ebenfalls geprägt haben: etwa Regenten, die sich die Gunst ihrer Untertanen mit Brotspenden sichern wollten (vgl. Berger, 1993, 121-123; möglicherweise klingt diese Praxis in Joh 6,15
3.2.1. Versuchung durch den Satan
Als eine Art „Vorspiel in der Wüste“ inszenieren Mt 4,1-11
Das greift der Teufel auf, wenn er Jesus dazu herausfordert, seine Gottessohnschaft durch die Verwandlung von Steinen in Brot zu beweisen. Jesus antwortet schriftgelehrt mit einem Zitat aus Dtn 8,3
3.2.2. Der Sauerteig der Gegner Jesu
Vor dem Hintergrund der wichtigen und konfliktträchtigen Rolle, die Speisegebote in der religiösen Praxis des Judentums spielen (s.o. 1.1.; 2.3), ist es als besondere Ironie zu betrachten, dass Jesus auch in einem Bild „aus der Backstube“ vor seinen Gegnern warnt: Die Eigenschaft des Sauerteigs, den hinzugefügten Teig zu durchsäuern (an anderer Stelle positiv für das Reich Gottes aufgegriffen, vgl. Mt 13,33
3.2.3. Mehr als Mose
Die Exodustradition, namentlich das Mannawunder von Ex 16
Nach dem Brotwunder Joh 6,5-15
Das Fazit des Joh lautet also auch hinsichtlich des Brotspendens: Jesus ist mehr als Mose.
4. Brot und Wein: die Abendmahlspraxis der ersten Christen
Schon früh tritt das gemeinsame Brotbrechen als wichtiges Element christlicher Versammlungen hervor (1Kor 10,16f
Mt 26,26
Die Erzählung von den Emmausjüngern stellt das Brotbrechen als Bindeglied in die Zeit nach Tod und Auferstehung Jesu heraus: Die beiden Jünger erkennen Jesus am Brechen des Brotes (Lk 24,30.35
Auch das Schlusskapitel (oder Nachtragskapitel) des Joh schildert eine Begegnung mit dem Auferstandenen, bei der Brot und Fisch geteilt werden (Joh 21,9.13
Wie die Abendmahlsfeiern der frühen christlichen Gemeinden liturgisch ausgestaltet waren, muss Vermutung bleiben. Dass die Gemeindeversammlung am ersten Tag der Woche den üblichen Rahmen dafür bildete (vgl. Act 20,7
Die frühe und relativ umfassende Überlieferung der Einsetzungsworte (Mt 26,26-28
Literaturverzeichnis
- Berger, Klaus, 1993, Manna, Mehl und Sauerteig. Korn und Brot im Alltag der frühen Christen, Stuttgart
- Claus, Manfred, 2013, Mithras und Christus. Der Streit um das wahre Brot, in: Imperium der Götter. Isis, Mithras, Christus. Kulte und Religionen im Römischen Reich, hg. vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe, 243-249
- Kiss, Jenö, 2008, Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern..., in: VT 58/4-5, 510-525
- Kollmann, Bernd, 2013, Brot und Fisch bis zum Abwinken (Die Speisung der Fünftausend). Mk 6,30-44 (ActJoh 93), in: Zimmermann, Ruben/Dormeyer, Detlev (Hg.), Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen, Band 1, Gütersloh, 294-303
- März, Claus-Peter, 2014, „Brot teilen, dass das Leben wächst...“. Die Mahlgemeinschaften Jesu in der Perspektive des Lukasevangeliums, in: Hoppe, Rudolf/Reichardt, Michael (Hg.), Lukas – Paulus – Pastoralbriefe. Festschrift für Alfons Weiser zum 80. Geburtstag, Stuttgart, 39-51
- Metzner, Rainer, 2013, Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es darf noch Fisch dazwischen sein (Die Speisung der Viertausend). Mk 8,1-10 (Mt 15,32-39), in: Zimmermann, Ruben/Dormeyer, Detlev (Hg.), Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen, Band 1, Gütersloh, 332-340
- Reichardt, Michael, 2013, „Ich bin es“ ... „das Brot des Lebens“ (Mk 6,50; Joh 6,20.35). Von den absoluten synoptischen zu den prädikativen johanneischen Ich-bin-Worten, in: Eisele, Wilfried/Schaefer, Christoph/Weidemann, Hans-Christoph (Hg.), Aneignung durch Transformation. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum. Festschrift für Michael Theobald, Stuttgart, 126-153
- Reinmuth, Eckart, 2011, Brot-Brechen und Körper-Gemeinschaft. Herrenmahl und Gemeinde im ersten Korintherbrief, in: ZNT 14/27, 46-50
- van der Watt, Jan Gabriël, 2007, Ein himmlisches Gericht (Vom Brot des Lebens). Joh 6,32-40.48-51, in: Zimmermann, Ruben (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh, 755-767
- Zumstein, Jean, 2009, „Ich bin das Brot des Lebens“. Wiederholung und Variation eines johanneischen Ego-Eimi-Wortes in Joh 6, in: van der Belle, Gilbert/Labahn, Michael/Maritz, Pieter (Hg.), Repetitions and Variations in the Fourth Gospel. Style, Text, Interpretation, Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium 223, Leuven, 435-452
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