Kolosserbrief
(erstellt: Januar 2010)
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1. Überblick
1.1. Inhalt (Überblick)
Der Kolosserbrief ist an eine Paulus persönlich unbekannte Gemeinde in Kolossä, einer Kleinstadt im Lykostal ca. 170 km östlich von Ephesus im kleinasiatischen Hinterland, gerichtet. Ob Paulus in dieser Gegend Gemeinden gegründet hat, muss nach
Apg 16,6
Der Brief möchte die Gemeinde(n) ermutigen und gegenüber Verunsicherungen von innen und außen (die sogenannte kolossische Irrlehre oder Philosophie) festigen (
Kol 1,23
1.2. Komposition
Während sich der briefliche Rahmen in
Kol 1,1f
1.2.1. Der briefliche Rahmen
Das Schreiben folgt in den meisten formalen Charakteristika den Paulusbriefen. Die Absenderangabe im Präskript ist identisch mit
2Kor 1,1
Der Briefschluss setzt in
Kol 4,7-9
Mitabsender ist Timotheus. Im Brief wechseln sich Wir- und Ich-Passagen ab. Ob Epaphras auch als Mitabsender gedacht ist, muss offen bleiben. Ihm wird ein glänzendes Zeugnis ausgestellt (
Kol 1,7f
Der Brief reflektiert seine Funktion für die Gemeinde (
Kol 2,1-5
1.2.2. Das Proömium
Die Abgrenzung des Proömiums ist auf Grund von zu vielen Gliederungssignalen schwierig. Man kann einen ersten Einschnitt nach der Danksagung für Glauben, Liebe, Hoffnung und Bestand der Gemeinde in
Kol 1,8
1.2.3. Der Briefkorpus
Als Selbstvorstellung/Selbstempfehlung des Apostels könnte
Kol 1,24-2,5
Bereits in
Kol 2,4
Da die Glaubenden mit Christus auferweckt sind, sollen sie auch an das, was oben ist, denken.
Kol 3,1-4
2. Textüberlieferung und Stil
Der Kolosserbrief ist bereits in der ältesten Paulusbriefsammlung (P
46, Ende 2. Jh.) enthalten sowie in den großen Bibelhandschriften des 4. und 5. Jh. (Sinaitikus א, Vatikanus B etc). Unter den interessanten Textvarianten ist der Wechsel von „euch“ und „uns“ in Kol 1,7
Auffällig ist der sprachliche Stil. Der Kol liebt gehäufte Genitivverbindungen (z.B. „im Wort der Wahrheit des Evangeliums“
Kol 1,5
3. Entstehung: Die Frage nach dem Verfasser
Kann man bezüglich der Hapaxlegomena noch darauf verweisen, dass diese vorwiegend in Traditionsmaterial enthalten sind und dass auch andere Paulusbriefe einiges an Sondervokabular aufweisen, wurden die allermeisten Auslegerinnen und Ausleger durch die stilanalytischen Untersuchungen von Walter Bujard überzeugt, „daß die Differenz zwischen dem Stil des Kol und dem der Paulusbriefe nach Einheitlichkeit, Art und Größe so gravierend ist, daß eine Verfasserschaft des Paulus für den Kol schon allein von daher ausgeschlossen werden muß“ (220). Neben den oben genannten sprachlichen Auffälligkeiten fallen insbesondere das Zurücktreten diatribischer Elemente und der Partikelgebrauch ins Gewicht. Einige Autoren nehmen eine „nebenpaulinische“ Abfassung des Kol durch einen Mitarbeiter (entweder Timotheus oder Epaphras) an. Dieser habe, weil Paulus in der Gefangenschaft dazu nicht in der Lage war, Paulus Gedanken an die Gemeinde formuliert. (Schweizer; Luz; Dunn). Dafür sprechen vor allem die konkreten und persönlichen Nachrichten (
Kol 4,7-18
Die Ausleger, die eine nebenpaulinische Abfassung vermuten, rechnen zumeist mit einer Abfassung in der letzten Gefangenschaft in Caesarea oder Rom Anfang der 60er Jahre des 1. Jh. Die anderen rechnen mit einer Abfassung bald nach dem Tod des Paulus, zwischen 64 und 80 n. Chr. Ein Abfassungsort lässt sich aus dem Brief nicht erschließen. Ephesus oder die Städte im Lykostal wurden vorgeschlagen. Der Kol ist somit der älteste pseudepigraphe Paulusbrief. Sicher zitiert wird der Brief im Eph und bei Irenäus,
Haeresis III 14,1 am Ende des 2. Jh.3) Es gibt deutliche Hinweise, dass die Verfasserinnen und Verfasser wissen, dass Paulus bereits tot ist. Dies wäre jedenfalls eine einfache Erklärung für die These, dass Paulus an seinem Leib „auffüllt, was an Leiden Christi noch fehlt“ (Kol 1,24
4. Religionsgeschichtlicher Hintergrund
4.1. Die „Irrlehre“ oder kolossische Philosophie
Als Intention hinter der Abfassung des Briefes wird von den meisten Auslegerinnen und Auslegern die Zurückweisung oder Bekämpfung einer die Gemeinde bedrängenden „Irrlehre“ oder Philosophie gesehen. Sie habe, so ein weitgehender Konsens, zwar noch wenig Einfluss oder Rückhalt in der Gemeinde, aber sie stelle eine ernsthafte Bedrohung für das glaubende Selbstverständnis der Gemeinde dar. Einige Auslegerinnen und Ausleger übernehmen das Stichwort „Philosophie“ aus Kol als Selbstbezeichnung. Die religionsgeschichtliche Identifikation bleibt aber umstritten. Denn anders als Paulus im Gal oder 2Kor argumentiert der Kol nicht mit dieser Gruppe, sondern weist sie imperativisch zurück: „Dies sage ich, damit niemand euch täuscht“ (
Kol 2,4
4.2. Der Christushymnus (Kol 1,15-20)
Die meisten Auslegungen sehen in
Kol 1,15-20
Die erste Strophe des Hymnus beschreibt das schöpfungshandelnde Wirken des in die Rolle der jüdischen Weisheit eintretenden Christus. Die zweite Strophe betrachtet vom Ende her das Geschick ihres auserwählten Gerechten. Stärker als in
Weish 5,1-4
4.3. Ein mythologisches Fragment (Kol 2,14f)
Kol 2,14-15
4.4. Die Haustafel (Kol 3,18-4,1)
Der Begriff Haustafel stammt eigentlich aus dem Kleinen Katechismus von Martin Luther. Seit dem frühen 20. Jh. wird er als Gattungsbegriff für Texte verwendet, die Ermahnungen an hierarchisch aufeinander bezogene Gruppen innerhalb des antiken Hauses (Oikos) enthalten. Die Ermahnungen spiegeln eine patriarchalische bzw. kyriarchalische Herrschaftsform, in der Frauen, Kinder, Sklavinnen und Sklaven zur Unterordnung unter Ehemänner, Väter (Eltern) und Herrn aufgefordert werden. Die Herren bzw. Männer werden dagegen zu liebendem, mildem und vernünftigem Verhalten ermahnt.
Kol 3,18-4,1
Der Inhalt und die einzelnen Ermahnungen sind nicht neu und im Kol vor allem nur wenig, kenntlich durch Hinweise wie „im Herrn“ (
Kol 3,18
Die Funktion der Haustafel wird unterschiedlich bestimmt. Während einige hier die Grundlegung christlicher Familien- und Sozialethik finden, haben andere eine apologetische Absicht vermutet, die das frühe Christentum gegen den Vorwurf von Staatszersetzung und Unmoral schützen wollte. Dritte schließlich entdecken kritische Potentiale christlicher Ethik an den hierarchisch-patriacharlischen Verhältnissen der Umwelt. Diese werden dann entweder in der Christuszentrierung im Gesamtbrief oder in den Ermahnungen zu gewaltlosem und liebevollem Verhalten in der Männer-, Väter-, Herrenparänese (
Kol 3,19
5. Theologie
Die Theologie des Kol lässt sich eigentlich nicht systematisch darstellen. Vielmehr bringt der Text schon durch Sprache und Stil zum Ausdruck, dass es ihm mehr um meditative Erinnerung und Einübung als um lehrhafte Explikation geht. Mehrfach wird das neue Sein der Adressatinnen und Adressaten ihrem einstigen gegenübergestellt (
Kol 1,20f
5.1. Christologie
Der Kolosserbrief vertritt eine hohe
Christologie, die er durch Aufnahme einer Reihe von nicht immer ganz ausgeglichenen Traditionen untermauert. Ähnlich der jüdischen Weisheit preist der Hymnus Christus als Schöpfungsmittler und Erstling der Schöpfung, was eine Überlegenheit über alle himmlischen und irdischen Mächte und Gewalten impliziert (Kol 1,16
5.2. Soteriologie
In soteriologischen Ausführungen nimmt der Kol eine Reihe paulinischer Begriffe und Metaphern wie „Loskaufung“ (Kol 1,14
5.3. Ethik
Dem neuen Sein entspricht in der Ethik das Denken dessen, „was oben ist“ (
Kol 3,1f
Zur Intention der Haustafel siehe oben.
5.4. Ekklesiologie
Wie in der paulinischen
Ekklesiologie ist die ekklēsia mit dem Leib gleichgesetzt (Kol 1,24
5.5. Eschatologie
Wenn die Gemeinde bereits jetzt mit Christus auferstanden und ihre Versetzung in die himmlischen Sphären zum Ablegen des Irdischen (
Kol 3,5
Literaturverzeichnis
1. Kommentare
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2. Weitere Literatur
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Abbildungsverzeichnis
- Bibelkundlicher Überblick Kolosserbrief Grafik: Angela Standhartinger
- Vergleich 1: Namenslisten im Philemonbrief und Kolosserbrief Grafik: Angela Standhartinger
- Vergleich 2: Abhängigkeit Philemonbrief - Kolosserbrief Grafik: Angela Standhartinger
- Vergleich 3: Selbstzitat des Hymuns (Kol 1,16.18f und Kol 2,9f) Grafik: Angela Standhartinger
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