Korintherbrief, Zweiter
(erstellt: Juli 2021)
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1. Aufbau
2Kor zeigt den üblichen Aufbau der Paulusbriefe: Briefeingang (1,1-11
1.1. Der Briefeingang (1,1-11)
Anschrift und Gruß (1,1f.
1.2. Das Briefkorpus (1,12-13,10)
Der Hauptteil des 2Kor lässt sich zwar relativ einfach untergliedern, aber das Verhältnis der einzelnen Abschnitte zueinander ist oft schwer zu bestimmen. Die häufig vertretene Annahme einer Uneinheitlichkeit des Briefs (vgl. u. 2.) erklärt solche Schwierigkeiten mit dem Entstehungsprozess: Unstimmigkeiten seien das Ergebnis redaktioneller Bearbeitung. Gegner dieser Deutung betonen die Notwendigkeit, den Endtext zu erklären. Ohne diese Frage hier entscheiden zu wollen, lassen sich jedenfalls die folgenden Gliederungseinheiten erkennen.
1.2.1. Thema und Anliegen (1,12-14)
Die ersten drei Verse des Briefkorpus enthalten eine thesenartige Aussage, die als Thema des Briefs die Tätigkeit des → Paulus
1.2.2. Rückblicke (1,15-2,13)
In einem ersten Rückblick (1,15-2,11
Mit 2,12
1.2.3. Der Dienst des Paulus als Apostel (2,14-7,4)
In diesem Abschnitt behandelt Paulus einerseits Vorwürfe, die auf gemeindeexterne oder gemeindeinterne Gegner zurückgehen, bietet andererseits aber ohne konkreten Anlass eine Reflexion auf seinen → Dienst
2,14-17
Der Paulusdienst tritt in 3,1-4,6
Inhaltlich wird der paulinische Dienst in 5,11-6,10
Die Konsequenzen der bisherigen Darlegungen enthält 6,11-7,4
1.2.4. Abschluss der Rückblicke (7,5-16)
Die Anknüpfung von 7,5
1.2.5. Die Gemeindekollekte (8,1-9,15)
Die Versöhnung der Gemeinde mit ihrem Apostel soll sich in der Wiederaufnahme einer → Geldsammlung
1.2.6. Der Konflikt mit Gegnern (10,1-13,10)
In den Kap. 10-13
Dieses Anliegen formuliert Paulus in 10,1-11
Sehr schwer zu verstehen ist 10,12-18
In 11,1-15
Der letzte Text des Briefkorpus, 12,14-13,10
1.3. Der Briefschluss (13,11-13)
Der 2Kor schließt mit den üblichen Elementen eines paulinischen Briefendes: allgemeinen Mahnungen (V. 11
2. Einheitlichkeit und Entstehungsverhältnisse
Den 2Kor als einheitlichen Brief zu verstehen, ist schwieriger als bei allen anderen Paulusbriefen. Deshalb wird er nach wie vor oft als eine Briefkompilation eingeschätzt, wobei heute einfache Entstehungsmodelle gegenüber komplizierten bevorzugt werden. Zunehmend wird aber auch im Fall des 2Kor mit einer einheitlichen Entstehung gerechnet.
2.1. Die Probleme
In den Überlegungen zum Aufbau sind einige Schwierigkeiten, die der Annahme von Einheitlichkeit entgegenstehen, bereits deutlich geworden. Dass der Rückblick 1,15-2,11
Ein noch größeres literarkritisches Problem ist 6,14-7,1
Von den Schwierigkeiten, die Abfolge in Kap. 8
Das literarkritisch größte Problem ist aber der Übergang von Kap. 9
2.2. Die Lösungsversuche
Aus den genannten Schwierigkeiten wird auch heute noch oft geschlossen, dass der überlieferte 2Kor nicht als Einheit entstanden ist. Bei den Teilungshypothesen werden entweder zwei oder drei ursprünglich selbständige Briefe angenommen, wobei die Zuordnung der Kap. 8
Die Kap. 8
Zunehmend wird aber auch mit einer einheitlichen Entstehung des überlieferten 2Kor gerechnet. Das Hauptargument für diese Annahme ist die handschriftliche Überlieferung, die den Brief durchgehend als Einheit bietet. Von den Vertreter_innen der Einheitlichkeit werden die oben genannten Schwierigkeiten relativiert, etwa indem als Gegengewicht zu den Brüchen auch auf verbindende Elemente aufmerksam gemacht wird.
2.3. Die Entstehung des 2Kor
Im Folgenden wird vorausgesetzt, dass der 2Kor in seiner heutigen Form als Einheit entstanden ist. Andere Entscheidungen in dieser Frage führen natürlich zu anderen Rekonstruktionen von Besuchen und Briefen des Paulus in bzw. nach Korinth.
Der Gründungsbesuch in Korinth, der zur Entstehung der christlichen Gemeinde dort führte, ist auf 50 / 51 zu datieren. In 1Kor 5,9
Wie dieses Beziehungsdrama zu Ende ging, wissen wir nicht. Apg 20,2f
3. Ein theologisches Thema des 2Kor: Der apostolische Dienst des Paulus nach 2Kor 2,14-17
Eine Besonderheit des 2Kor ist, dass Paulus hier so deutlich wie nirgends sonst sein Selbstverständnis als Apostel erkennen lässt. In diesem Sinn ist 2Kor sein persönlichster Brief. Abschließend soll ein Text vorgestellt werden, der dieses Selbstverständnis besonders gut zum Ausdruck bringt: 2Kor 2,14-17
Paulus beschreibt hier seinen Dienst mit reicher Metaphorik: Er ist Teil eines Triumphzugs Gottes und verbreitet so die Gotteserkenntnis. Für diejenigen, die ihn hören, entscheidet sich an ihrer Reaktion ihr Schicksal: Rettung oder Vernichtung, Leben oder Tod. Dieser Dienst hat also eine erschreckende Relevanz, weshalb in V. 16
Zunächst wirkt dieser kurze Text wie ein Preis der Hoheit des Verkündigungsdienstes. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass die Charakterisierung des Dienstes höchst ambivalent ist. Das liegt vor allem an der Wahl des Verbums θριαμβεύω / thriambeuō. Dieses Wort wird hier sehr unterschiedlich gedeutet und übersetzt. Die wahrscheinlichste Möglichkeit ist „im Triumphzug mitführen“ (als alternative Optionen werden vor allem vertreten: „triumphieren lassen“, „durch einen Triumphzug einen Sieg über jemanden feiern“, „öffentlich der Schande aussetzen“, „in einer Epiphanieprozession mitführen“, „bekannt machen“). Paulus ist Teil eines Triumphzugs Gottes. Dann gibt es aber immer noch zwei Möglichkeiten: Steht Paulus auf der Seite der Sieger oder der Besiegten? Wird er also als ein siegreicher General oder Soldat vorgestellt oder wenigstens als einer der Sklaven, die den Zug mit Weihrauch begleiteten? Oder gehört er zu den besiegten Anführern der Feinde, die meistens im Verlauf des Triumphes hingerichtet wurden? Der lexikalische Befund legt Letzteres nahe, denn in allen vergleichbaren nichtchristlichen Belegen ist das Objekt des Mitführens ein Besiegter. Andererseits spricht der Kontext aber dafür, Paulus zur Siegerpartei Gottes zu rechnen: der Dank an Gott (2,14
Diese Spannung lässt sich nicht in die eine oder die andere Richtung auflösen. Eine gewisse Paradoxie bleibt. Ausgangspunkt ist sicher die leidvolle Existenz des Paulus, die in das Bild eines Besiegten im Triumphzug gefasst wird. Weil diese Leidensexistenz aber von Paulus positiv gedeutet wird, verschiebt sich der Bildgebrauch, weg von ohnmächtigem Leiden, hin zu einer Feier mit Gott. Das ist eine Zumutung an die Leserschaft, wie sie für Metaphern typisch ist. Die Leser_innen müssen sich fragen, ob sie bei dieser gewagten Umdeutung mitmachen. Sind sie bereit, hier einen Triumphzug der ganz besonderen Art zu erkennen, an dem Paulus sowohl als Leidender als auch als Erwählter teilnimmt? Dieselbe Ambivalenz oder Paradoxie begegnet in den Peristasenkatalogen (4,7-12
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- ZNT 38 (2016)
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- Teilungshypothesen
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